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Thomas Näf: Die Speisung der Armen zu Pfingsten (2007 in Bern)

Ein wachsender Anteil der Bevölkerung wird vom Segen der materiellen und kulturellen Früchte ausgeschlossen, und dies trotz unerhörter Fortschritte in der Technik zur Herstellung all dessen, was für die Hebung ihrer Lage nötig wäre. Breite Volksschichten stehen nicht mehr hinter den Behörden. Das ist kein Wunder, bei dem was die zuständigen Parlamente, Regierungen und Amtsstellen tun und was sie zulassen, ohne dagegen einzuschreiten.

Doch nicht genug: Wenn die Behörden einmal aktiv einschreiten, dann tun sie es immer öfter, um die Rechte der kleinen Leute zu treten und jene zu isolieren, die sich gegen die Ausgrenzung wehren.
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Schon immer haben die Herrschenden versucht, uns Unterdrückten und Entrechteten in Böcke und Schafe zu sondern. In der Schule wurden wir gelehrt, die Schweiz sei ein soziales und freiheitliches Land. Als freie Schweizer hätten wir das Recht zu freimütigen Öusserung unserer Kritik an der Regierung und zu Versammlungen zwecks Aufklärung der Öffentlichkeit und Protesten gegen die Regierenden. Sogar die Kommunisten hätten das Recht, ihre politischen Ziele durchzusetzen, falls sie sich strikt an den demokratischen Weg halten würden. Als Böcke galten damals jene Kräfte, welche ihre Ziele dem Volk entgegen dessen Willen und gewaltsam aufzwingen wollten. Mittlerweile sehen sich einige von denen, die sich immer brav bei den Schafen hielten, unvermutet ins Bocksgelände umgezont. Das jahrzehntelang unbestrittene Recht der Arbeiter, sich zu Gewerkschaften zusammenzuschliessen und ihre Arbeitsbedingungen kollektiv auszuhandeln, wird immer mehr bestritten. Die Arbeiterbewegung, ihre Kampfformen, ihre entschiedensten Organisationen und ihre ganze Klassengeschichte werden immer öfter angeschwärzt oder direkt kriminalisiert.

Noch mehr: Ins Visier der Obrigkeit gerät neben dem Kommunismus, neben dem Streikrecht, neben allen demokratischen und sozialen Errungenschaften des 19. und des 20. Jahrhunderts das gesamte zivilisatorische Erbe der Menschheit. Da erzieht man unsere Kinder im Geiste des Bergpredigt, und der christlichen Lehre von Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Da setzt man diese Erziehung fort und reichert sie an mit Humanismus und Aufklärung. Da werden Dante und Lessing gelesen. Und wenn dann die SchülerInnenkoordination Bern aus dem kulturellen Erbe der Jahrhunderte und Jahrtausende den Schluss zieht, dass sie eine Verantwortung wahrzunehmen hat, wenn sie also in Bern eine Gassenküche betreibt, um an den Tagen des Herrn Armen und Bedürftigsten, wenn sie die Speisung der Armen durch Jesus Christus nach der biblischen Geschichte als Beispiel für ihr tätiges Handeln wählt? Was passiert dann?

Wir haben es in Bern an Pfingsten erlebt. Dann lässt eine rotgrüne Stadtberner Regierung diese jungen Leute zu Böcken erklären und vertreibt die Gassenküche durch Polizeiaufgebote unter Einsatz von Tränengas. Der Gemeinderat betätigt sich zwar nicht erste seit heute als Handlanger der reaktionärsten Interessen der Grossbourgeoisie. Was an Pfingsten geschah, ist nicht bloss die hundertste Wiederholung von schon Gehabtem. Es ist ein qualitativer Schritt vorwärts zur neoliberalen Barbarei, die den Fortschritt von Jahrtausenden aufs Spiel setzt.
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Politisch ist die Aktion gegen die Gassenküche in den Zusammenhang mit den Vorbereitungen zur Euro’08 zu sehen. In diesem Spektakel sehen bestimmte Kreise einen willkommenen Anlass, um auf einen Schlag eine Reihe von alten Vorhaben durchzusetzen. Einige möchten die Euro zum Testfall für den Armeeeinsatz in Innern werden lassen und warten auf die Ausschreitungen, die sie dann glücklich zu überwinden hätten. Dabei spielen auch sehr handfeste wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Die Regierung will offensichtlich all jenen Kapitalinteressen dienen, welche die Stadt gnadenlos für den Kommerz zurechtstutzen wollen. Daher will der Gemeinderat die Tatsache der Armut aus dem Stadtbild verschwinden lassen. Folgerichtig spricht er das Todesurteil über soziale Initiativen, die auf unbürokratische Weise die Lebensbedingungen der von Armut Betroffenen verbessern, und sei es auch nur für ein paar Stunden.

Die rotgrün dominierte Regierung lässt den Angriff wie nicht zum erstenmal über ihren freisinnig kommandierten Polizeiflügel ausführen. Umkehrt und wiederum nicht zum ersten mal wird bürgerlicherseits die Vorreiterrolle für alle neuen Exzesse im Griff nach der Polizeigewalt gerne den rotgrün regierten Städten überlassen. Bern scheint sich für solche Spielchen auch bestens auszuweisen. In Bern hat die neoliberale Rechte innerhalb der SP bekanntlich ihre Hochburg.

Ebenso empörend wie der Vorgang selbst ist der obrigkeitliche Tonfall der “Kommunikation”, den die gnädigen Herren in Bern anschlagen. “Wir haben die Schraube nun jedesmal ein wenig mehr angezogen”, lässt sich FdP-Polizeidirektor Hügli zitieren und weitet diese Verhöhnung der Armutsbetroffenen sogleich zur Drohung aus, dass er noch nicht am Ende des Gewindes angelangt sei.
Wer Zeuge der Vertreibungsaktion vom Pfingstsonntag wurde, wird dieses schauderhafte Bild wohl nicht so leicht los. Wären sie dort gewesen, so würden vermutlich auch die meisten Wähler dieser Stadtregierung den Protest und die Solidarität mit der Berner Gassenküche als das vordringlichste Gebot dieser Stunde betrachten. Und darüber hinaus müssen wir erkennen, vor welcher gewaltigen Herausforderung die Menschheit angesichts aller weltweiten Offensiven des Neoliberalismus steht und was wir zu verteidigen haben. Heute bereits werden die Hungrigen dieser Erde mit Kriegen und Staatsgewalt abgefüttert. Wir fordern dagegen: Frieden den Hütten und Krieg den Palästen.

(Vorwärts, 08. Juni 2007)