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Eidgenössische Volksabstimmung vom 17. Juni 2012:
Ja zur Initiative ‘Für die Stärkung der Volksrechte in der Aussenpolitik (Staatsverträge vors Volk!)’


Ein 500-jähriges Recht verteidigen!

Vor fast 500 Jahren erschütterte der “Könizer Handel” die Herrschaft des Berner Patriziats. Im Sommer 1513 zwang ein Aufstand von einigen hundert Bauernsöhnen die gnädigen Herren zu einem bedeutenden staatsrechtlichen Zugeständnis, das im 16. Jahrhundert seinesgleichen sucht. Sie mussten nämlich das Mitspracherecht des Landvolkes beim Entscheid über Krieg und Frieden anerkennen.

Das Volksrecht der aussenpolitischen Mitbestimmung, das sich unsere Vorfahren vor 499 Jahren erkämpften, muss heute erneut bekräftigt und gegen Aushöhlungsversuche verteidigt werden. Am 17. Juni 2012 werden wir darüber abstimmen, ob wichtige Staatsverträge obligatorisch der Abstimmung von Volk und Ständen unterbreitet werden sollen.


1. Zeitumstände und Vorgeschichte der “Kirchweih von Köniz”

Das Geschäft mit dem Krieg war vor 500 Jahren zum Betätigungsfeld von privaten Militärunternehmern geworden.1

Materielle Voraussetzung dieser Erscheinung war das Vordringen der Waren-Geld-Beziehungen auf dem Land. Bezahlte Söldner lösten die bisherigen Adelsaufgebote ab. Für die mächtigen Herren machte die Möglichkeit, ihre Beamte in Geld zu bezahlen, den minderen Adel überhaupt überflüssig. Die Liquidierung des Kleinadels beschleunigte sich durch technische und taktische Entwicklungen des Militärwesens, wie etwa die aufkommende Artillerie. Dieser Prozess war damals auch in der Eidgenossenschaft weit genug fortgeschritten, um das Söldnerwesen Einzug halten zu lassen.

Allerdings bestanden einige wichtige Unterschiede zu den Nachbarländern:
  • Dort war das alte Volksaufgebot schon vor Jahrhunderten dem professionellen adeligen Ritterheer gewichen, welches nun durch eine höher (“kapitalistischer”) organisierte Branche verdrängt wurde.
    In der Schweiz bestand hingegen das alte Milizsystem fort und fand auch günstige Bedingungen für die Fortentwicklung, da die Bauern in ihrer Mehrzahl Produktionsmittelbesitzer und freier als die meisten ihrer Klassengenossen in Nachbarländern waren.
  • In der Schweiz hatten sich die Fürsten nicht durchsetzen können. An ihre Stelle traten die Städte, denen es gelang, im Bund mit den Bauern den Kleinadel zu vertreiben, und dann ihre eigene Landesherrschaft über die Landschaft zu errichten.
  • Die Schweizer Kantone brauchten sich auch keine Söldner zu kaufen; denn seit den Burgunderkriegen (1474-77) waren ja gerade die Krieger, die das eidgenössische Milizsystem hervorgebracht hatte, weit herum sehr gefragt.
  • Schon seit dem Laupenkrieg (1339) hatten es die Städte verstanden, sich der Militärkraft der Landschaft für ihre Zwecke zu bedienen. Dabei werden sie die lokalen Eliten der Landschaften wohl mit einigen Provisionen bestochen haben. Innerhalb der Eidgenossen bestand damit schon eine inoffizielle Form der Söldnerei zwischen Stadt und Land. Mit dem Stanser Verkommnis (1481) gelang es den Städten, ihre Stellung durch Aufnahme von Freiburg und Solothurn zu festigen und die Eidgenossenschaft in einen Herrenbund gegen die Bauern zu verwandeln. Es war auch ein diplomatischer Sieg Berns gegen Unterwalden, welches seine Unterstützung für die Unabhängigkeitsbestrebungen des von Bern als Herrschaftsgebiet beanspruchten Oberlandes einstellen musste.

Der Übergang zur Geldwirtschaft schuf die Möglichkeit, Feudalabgaben in Geld statt Naturalien festzusetzen. Damit wurden die Bauern als Warenproduzenten und Warenhändler in den Geldkreislauf eingebunden. Im allgemeinen bedeutete dies eine Verbesserung der Stellung der Bauern, insofern es ihre Möglichkeiten zur Akkumulation erweiterte. Das bäuerliche Mehrprodukt, auch soweit es dem Bauern nicht mit Feudalrenten abgejagt wird, wird damit potentiell zur Ware, egal wie es sich vergegenständlicht, ob in grösseren Viehherden, einem Zuwachs von Obstbäumen, einer Verbesserung der Geräte oder des Geländes und Bodens. Nicht anders, wenn sich diese Akkumulation in der Gestalt eines zahlreicheren eigenen Nachwuchses materialisiert. Das bäuerliche Mehrprodukt äussert sich dann – vom Standpunkt der herrschenden Klassen betrachtet – in einem relativen Bevölkerungsüberschuss. Es gibt mehr Bauernjungen als Bauern notwendig sind. Oder es gibt mehr, als freie Bauernstellen von genügender Grösse (Höfe) zur Verfügung stehen bzw. gestellt werden.2 Der Krieg ist – immer aus Sicht der Obrigkeit – eine Möglichkeit, mit dem Bevölkerungsüberschuss “fertig” zu werden und ihn “unschädlich” zu machen, indem man die Jungmannschaft auf den Schlachtfeldern verheizt.

Die italienischen Condottieri hielten ihre eigenen Truppen, um diese fremden Fürsten anzubieten. In der Schweiz wurden im Auftrag fremder Fürsten Einheiten angeworben.

Ihren Höhepunkt erreichte die Reisläuferei in den italienischen Kriegen um 1500, die durch den französischen Expansionsversuch nach Oberitalien ausgelöst wurden. Die von Koalitionswechseln, Treuebruch und Verrat aller Art gekennzeichnete Reihe der Renaissance-Kriege (in der Schweizer Geschichtsschreibung “ennetbirgische Feldzüge” genannt) um die Vorherrschaft in Oberitalien sollte gleichzeitig das Ende der eidgenössischen Grossmachtpolitik markieren (Schlacht von Marignano 1515).

Dem Volk brachte die Reisläuferei grosse Opfer. Mehr als einmal kam es vor, dass Schweizer gegen Schweizer in die Schlacht geworfen wurden. Besondere Abscheu erregte die Praxis der “Pensionengelder”, welche die einflussreichen Ratsherren und Militärunternehmer von ausländischen Fürsten einstrichen, denen sie die schweizerischen Bauernjungen als Kanonenfutter verkauften.

2. Der Könizer Handel

An der Könizer Kirchweih vom 26. Juni 1513 kam die Empörung des Berner Landvolkes über die heimlichen Bezüger französischer Blutgelder im Berner Rat und über die Söldnerführer in einem bewaffneten Aufstand zum Ausbruch. Der Kern der 300 Aufständischen bestand aus einer Schar von jungen Oberländern, die auf dem Heimweg von der Schlacht von Novara (6. Juni) an der Könizer Kirchweih Einkehr hielten. In Oberitalien hatten sie als Reisläufer für den französischen König Ludwig XII. gegen die Truppen der von Kaiser und Papst angeführten “Heiligen Liga” gekämpft.

Von Köniz aus formierten sie sich zu einem Zug gegen die Stadt. Schultheiss von Wattenwyl rief sofort die Stadtbürger zu den Waffen. Aber die Aufständischen besetzten die strategischen Punkte der Stadt, bevor sich die Alarmierten formierten konnten. Die städtischen Ratsherren sahen sich in der Not zu weitreichenden Konzessionen gezwungen, um das Landvolk zu beschwichtigen.

Der Aufstand ergriff inzwischen rasch weitere Untertanengebiete und ein Sturm aus allen Richtungen auf die Stadt war nicht mehr abzuwenden. Einzig das Haslital beteuerte seine Treue zur Obrigkeit, und zur Anerkennung solcher Gesinnung beliessen ihm die gnädigen Herren das Recht, sich den Landammann fortan selbst zu setzen.

3. Der Könizer Brief und seine historische Bedeutung

Nicht geringere Entgegenkommen mussten sie den Aufständischen machen: diese kamen nicht nur ungeschoren davon, während etliche achtbare Burger gemartert oder sogar mit dem Schwert gerichtet wurden. Die Obrigkeit musste sich (auch wenn der Könizer Brief versucht, dies als Gnadenakt hinzustellen) sogar dazu bequemen, den Aufständischen die Kosten ihres Sturms auf Bern zu ersetzen.

Durch Vermittlung der Eidgenossen kam ein Vergleich zustande, der einem völligen Sieg der Aufständischen gleichkommt. Wer Pensionengelder von Frankreich genommen hatte, musste das Doppelte ihres Betrages als Busse entrichten. Zwei der schlimmsten “Kronenfresser”, beides Hauptleute in französischen Diensten, Michel Glaser von Bern (Münzmeister und Löwenwirt) und Anthoni Wyder von Saanen, der alleine 2000 Söldner für Ludwig XII. geworben haben soll, mussten wohl oder übel hingerichtet werden.3

Der Könizer Abschied vom 28. Juli 1513 erneuerte die alten Freiheitsbriefe der Landsgemeinden und verbriefte der Landschaft das Recht auf Mitbestimmung über aussenpolitische Bündnisse auf dem Wege der Ämterbefragung. Ein Volksrecht, das in der neueren Geschichte Europas seinesgleichen sucht.

4. Die Pensionenunruhen von 1513-1516

Der wachsende bäuerliche Widerstand gegen die Verdichtung der städtischen Herrschaft über das Land entfachte sich an der Empörung über die korrupte und landesverräterische Obrigkeit. Auf der einen Seite hatten die gemeineidgenössisch aufgebotenen Truppen in der Schlacht von Novara gegen Frankreich bedeutende Verluste erlitten. Auf der anderen Seite warben die Pensionsherren der Städte Truppen für den französischen König. Die Reisläuferei, erst recht wenn sie in alle Richtungen ging, widersprach auch zutieft dem gemeineidgenössischen Sinn der Kriegsordnung, welche sich die Alte Eidgenossenschaft 1393 im Sempacher Brief gegeben hatte.4

Die Pensionenunruhen ergriffen kurz nach den Ereignissen von Köniz die Herrschaftsgebiete der Städte Solothurn, Zürich und Luzern. Luzern wurde vom 4. bis 6. Juli von Tausenden von Bauern belagert. Sie konnten nur in die städtischen Vorgärten eindringen, was dem Aufstand den Namen “Zwiebelnkrieg” eintrug. Die Luzerner Unruhen wurden eine Zeit lang mit obrigkeitlichen Konzessionen besänftigt und endeten im Januar mit der Gefangennahme von 50 Aufständischen und der Hinrichtung des Anführer Hans Heid. Der zunächst flüchtige Rudolf Mettenberg wurde 1516 ebenfalls hingerichtet.5

5. Die Folgezeit

Natürlich dachten die Patrizier der Städte nicht im Ernst daran, dieses Zugeständnis auch einzuhalten. Sie leiteten ihre Herrschaft von Gottes Gnaden ab und wollten sie weder mit den Stadtbürgern noch mit der Landbevölkerung teilen.

In der Folgezeit änderten sich die militärischen Kräfteverhältnisse – unter anderem in Zusammenhang mit technischen Fortschritten auf dem Gebiet der Feuerwaffen und mit der Umstellung der Einsatztaktik durch die Entwicklung der Artillerie daher rührenden Veränderungen im – mehr und mehr zu Ungunsten der Bauern. Die freien Landsgemeinden wurden unterdrückt, und wo sich Widerstand gegen die drückende Feudalherrschaft regte, reagierten die Mächtigen mit blutigen Terrororgien, besonders in der Zeit der Reformation und nach dem Grossen Schweizerischen Bauernkrieg von 1653.6

Aber die Landschaft behauptete vielerorts das Recht, sich die zivilen Vorgesetzten und die militärischen Führer bis zum Hauptmann selber zu setzen. Dieses Volksrecht sollte sich in der bürgerlichen Revolution des 19. Jahrhunderts als sehr wichtig erweisen.

6. Heute

Vor einem halben Jahrtausend erschütterte der “Könizer Handel” die Herrschaft des Berner Patriziats.

Das Volksrecht der aussenpolitischen Mitbestimmung, das sich unsere Vorfahren vor 499 Jahren erkämpften, muss heute erneut bekräftigt und gegen Aushöhlungsversuche verteidigt werden. Am 17. Juni 2012 werden wir darüber abstimmen, ob wichtige Staatsverträge obligatorisch der Abstimmung von Volk und Ständen unterbreitet werden sollen.

Als Kommunisten sagen wir JA zu dieser Vorlage.

(30. 05.2012/mh)

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Fussnoten:

1 Historisches Lexikon der Schweiz, Eintrag: Militärunternehmer

2 Es versteht sich von selbst, dass die Zahl der einträglichen Bauernhöfe begrenzt ist. Seit der Landnahme in der Zeit der Völkerwanderung, die weit ins 1. Jahrtausend zurückdatiert, hatten schon genügend Generationen aufeinander gefolgt, um die zur landwirtschaftlichen Nutzung am besten geeigneten Gegenden urbar zu machen, zu bevölkern und mit Höfen zu übersäen. Neben dem Hofbauern (Huber), der auf einem Erbhof sass, traten nun die Schupposen-Bauern auf, die sich mit einem Viertel der hergebrachten Hofgrösse (Hufe) begnügen mussten und kaum in der Lage waren, Grossvieh zu halten und an den korporativen Weiderechten teilzuhaben. Diese Entwicklung war durch die Pestzüge seit Mitte des 14. Jahrhunderts vorübergehend abgebremst worden. Die Dezimierung der Bauernbevölkerung durch die Pest führte zu einer Hebung ihrer Stellung als Klasse. Aber langfristig setzte sich die Tendenz zur Verkleinerung der Bauernhöfe durch.

3 Valerius Anselmus, Berner-Chronik von Anfang der Stadt Bern bis 1526, Bern (Haller) 1829, Bd. 4, S. 430; siehe auch: Die denkwürdige Kirchweih von Köniz | Stadtwanderer.net

4 «Zu jüngst ist unser ganze einhellige Meinung daß de kein Statt oder Land unter uns gemeinlich noch kein die darinne sind sunderlich dheinen Krieg hinnethin anheben gutwilliglich one Schuld oder Ursach die darwider begangen sige unerkennet nach Uswysung der geschwornen Briefen als jegklich Statt und Land zusammen sind verbunden.», Sempacher Brief, letzter Artikel; zitiert nach: Thomas Fassbind, Kaspar Rigert, Geschichte des Kantons Schwyz , Bd 2, S. 29ff. (Zitat S. 32)

5 Historisches Lexikon der Schweiz, Eintrag Zwiebelnkrieg

6 Siehe Hans Mühlestein et al.: Der Schweizerische Bauernkrieg von 1653 . («Sozialismus, Monatsschrift für Praxis und Arbeiterbewegung», Nr. 4, PdA-Zeitschrift, April 1953)


Siehe auch:

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