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Poggi wegen unliebsamer Äusserungen zu Srebrenica verurteilt – Rückfall in die Maulkorb-Justiz

Der Tessiner Ex-Grossrat Donatello Poggi wurde am heutigen 31. Mai vom kantonalen Strafrichter in Bellinzona der wiederholten Verletzung von Artikel 261bis des Strafgesetzbuches (Anti-Rassismus-Norm) schuldig gesprochen und zu einer bedingten Geldstrafe von 5850 Franken nebst Busse von 1100 Franken verurteilt. Mit verschiedenen Schriften über die Vorgänge in Srebrenica 1995 habe Poggi laut dem Oberrichter “die Tragödie, den Genozid, an die zweite Stelle gesetzt und die Leiden der Angehörigen der Opfer verniedlicht”. In einem Artikel von 2012 hatte Poggi die durch die herrschenden Medien hierzulande verbreitete Darstellung der Ereignisse im Jugoslawien der 1990er Jahre kritisiert und auf allerlei Unstimmigkeiten und Desinformation durch die westliche Presse hingewiesen. Er äusserte Zweifel an der offiziellen Version, wonach in Srebrenica 1995 von serbischer Seite ein Massaker an der muslimischen Bevölkerung verübt worden sei.

Es ist so gut wie sicher, dass sich Poggi gegen den Richterspruch wehren wird. Dies umso mehr, als die Schweiz bereits im ähnlich gelagerten Fall von Dogu Perinçek vom EGMR zurückgepfiffen wurde, weil ihre Gerichtspraxis das verbriefte Grundrecht auf freie Meinungsäusserung verletzt.

Rückfall in Rechtsunsicherheit und Klima der Einschüchterung

Die Vorgänge von Srebrenica 1995 werden vom UN-Sicherheitsrat nicht als Völkermord berurteilt. Ein entsprechender Resolutionsentwurf mit einseitigen Schuldzuweisungen und Ausblendung der Opfer auf serbischer Seite scheiterte 2015 am russischen Veto. Damit und besonders durch das Perincek-Urteil des EGMR (2015 durch die von der Schweiz angerufene Grosse Kammer bestätigt) wurde eine jahrelange Rechtsunsicherheit beseitigt. Das Urteil aus Bellinzona macht diesen Erfolg zunichte und schafft neue Rechtsunsicherheit und ein Klima der Einschüchterung.

Dieser Rückfall ins Inquisitorische wird zweifellos jene Tendenzen bestärken, die eine Neufassung des Anti-Rassismus-Artikels fordern.[1]

Nämlich so, dass der Gesetztestext keinem Gericht und keinem Kläger Handhabe bietet, um das Recht auf freie Meinungsäusserung und die Freiheit von Forschung und Lehre einzuschränken oder Andersdenkende (oder anders Informierte) einzuschüchtern. Im Justizministerium von Bundesrätin Simonetta Sommaruga will man aber am umstrittenen Gesetzestext festhalten und erachtet dessen Änderung nicht für nötig, um ähnliche Fälle von Konventionsverletzungen durch die Schweiz zu verhindern. Die Äusserungen Sommarugas und ihres Bundesamtes für Justiz, welches dem Europarat im Februar einen Bericht über die Umsetzung des EGMR-Urteils in Sachen Perincek ablieferte, laufen darauf hinaus, dass das Strassburger Urteil als Einzelfall betrachtet wird, dem keine Präjudizwirkung zukommt. Die Haltung von Bundesbern und das Strafurteil aus Bellinzona bedeuten auch einen Rückschlag für die Souveränität der Schweiz. Die schweizerische Rechtsordnung wird dabei so geschwächt, dass der freie Schweizer genötigt wird, sein Recht auf ein ungerades Wort auf dem Umweg über Strassburg zu erstreiten. Ein Zustand der Schande für die Schweiz, egal ob man die Sache unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit oder aus dem Winkel der Freiheitsrechte ansieht.

Wiederbelebung der Inquisition?

Gesinnungsjustiz und Inquisition sind in Ost- und Westeuropa im Vormarsch. Heerscharen von grösseren und kleineren Inquisitoren sind am Werk. Sie treiben Lobbying für parlamentarische Mehrheitsbeschlüsse, welche ihre klasseneigene, pro-imperialistische Geschichtsauffassung den Untertanen verbindlich aufdrängen sollen. Sie operieren mit Androhung oder Durchführung von Strafprozessen, so dass ein Klima der Verfolgung und Einschüchterung geschaffen wird, in welchem abweichende Meinungen leicht mundtot gemacht werden können und die offiziellen Wahrheiten ohne Widerrede geschluckt werden müssen.

“Würden geometrische Axiome an menschliche Interessen rühren, so würde man sicherlich versuchen, sie zu widerlegen.” (Lenin)

Mit diesem Ausspruch und den daran geknüpften Ausführungen[2] gibt uns Lenin auch den Schlüssel zum Verständnis bestimmter historischer Debatten der Gegenwart. Es geht auch hier um Interessen, auch wenn im vorliegenden Fall die Thesen und Widerlegungen auf dem Kampffeld der Geschichte nicht wie im Kampf Lenins gegen die Revisionisten durch freien Wettbewerb der Argumente, sondern durch die Staatsgewalt entschieden werden. Welche Interessen haben durchgesetzt, dass sich Parlamente bestimmte historische Vorgänge zur Gesetzgebung auswählen, und andere nicht? Nicht die Kreuzzüge, nicht die Ausrottung der Urbevölkerung Amerikas, und nicht die Verbrechen der französischen und britischen Imperialisten in Afrika und Asien, darunter die Vergiftung der Völker Chinas und französisch Indochinas mit Opium und Alkohol. Die Forderungen nach obligatorischem Bekenntnis zu obrigkeitlich festgelegten Wahrheiten betreffen nicht ein einziges Mal die Bluttaten des Atlantik-Pakts und seiner historischen Vorläufer, sondern immer die Gegenseite.[3]

Der Übergang von der freien Konkurrenz zur Monopolherrschaft (Imperialismus) bedeutet Reaktion auf allen Ebenen, auch Rückfall in die Inquisition. Die Notwendigkeit für den Imperialismus, seine reaktionäre und menschenfeindliche Natur vor den eigenen Völkern zu verbergen, zwingt ihn gesetzmässig zum fortdauernden Lügen im grössten Stil. Zur Bestätigung dieser Gesetzmässigkeit hat auch die Geschichte der letzten Jahrzehnte reichlich Material geliefert. Bei jedem Angriffskrieg des Atlantikpakts – die NATO selbst ist noch nie angegriffen worden! – lagen Recht, Friedenswillen, Vernunft und Mässigung immer bei der angegriffenen Seite. Dort – wo es dem Wesen der Sache nach nichts zu verbergen gibt – ist denn auch die Wahrheit zu vermuten, und diese Vermutung erhärtet sich anhand der bereits entlarvten Propagandalügen zur Rechtfertigung von imperialistischen Angriffskriegen, darunter – allein auf Kosten des Irak – solche Schauermärchen wie die Brutkasten-Lüge von 1991 oder die Lüge der Massenvernichtungswaffen von 2003. Nach aller Erfahrung käme es einem gewaltigen Wunder gleich, wenn die NATO-Propaganda ausgerechnet im Fall des Krieges in Bosnien-Herzegowina der objektiven Realität entsprechen sollte. Kein Wunder ist, dass Neugierige sich damit beschäftigen, die Propaganda der atlantischen Lügenpresse zu hinterfragen und solche Fakten und Quellen zu berücksichtigen, welche in den westlichen Massenmedien unterschlagen oder anrüchig gemacht werden. Wenn der Propaganda-Schwindel beim Golfkrieg von 1991 nicht per Zufall herausgekommen wäre, so müsste sich unsereiner, der nie an das Märchen von der Tötung der Erstgeburt von Kuwait geglaubt hat, heute vermutlich auch als Brutkasten-Genozid-Leugner verdächtigen lassen. Schon manche geschichtliche Wahrheit ist umgestossen worden. Die parlamentarische und juristische (und überhaupt jede) Festnagelung von absoluten Wahrheiten ist generell eher fortschrittshemmend. Dies sogar im günstigsten Fall, wenn der erreichte Forschungsstand von der einhelligen Meinung der Historiker aller interessierten Völker getragen ist; erst recht in der Praxis, wo die Parlamente in einen Historikerstreit eingreifen.

Wo soll das alles noch hinführen?

Heute geht es um Vorwürfe der Leugnung von Genoziden, die nach Auffassung der Kläger und Richter vor rund 100 Jahren durch türkische Hand oder im Jahre 1995 durch serbische Hand geschehen seien. In den meisten Staaten Osteuropas haben Antikommunisten und russenfeindliche Nationalisten die Gesetzgebung über die Geschichte bereits als politisches Instrument verallgemeinert und versuchen die Erinnerung an die Errungenschaften der Sowjetzeiten zu beschmutzen. Ähnlich in Griechenland, das die Türkei des Genozids an den Pontos-Griechen beschuldigt, womit allerdings die faschistische Rechte noch nicht gesättigt ist: diese behauptet einen weiteren Genozid der Pontos-Griechen in der Sowjetunion.

Wir wissen nicht, was da noch dazukommt, wohin die historische Gesetzgebung je nach politischen Kräfteverhältnissen und parlamentarischen Konstellationen noch führen und gegen wen sich die Maulkorb-Justiz noch wenden wird. Drum: Wehret den Anfängen!

Und wo führt das Ganze hin, wenn wir die Sache nicht vom Standpunkt unserer demokratischen Freiheiten betrachten, sondern vom Standpunkt der betroffenen Völker, die im Rahmen von imperialistischen Kriegen gegeneinander aufgehetzt wurden. Führt etwa die geplante Armenier-Resolution, die der Deutsche Bundestag diese Woche beschliessen soll, zu mehr Frieden und gegenseitigem Verständnis? Nein im Gegenteil: sie pflügt den Boden, auf dem der Hass gegen die Türkei gedeiht, sie liefert frischen Zündstoff zur gegenseitigen Aufhetzung unter den ethnischen und religiösen Bevölkerungsgruppen der Türkei.

Und mit einer solchen Rechtsanwendung, wie sie der Richter von Bellinzona vormacht, droht auch der gut gemeinte Ansatz der Strafnorm, die Hetze unterbinden will, ins Gegenteil umzuschlagen. Auch die Völker des ehemaligen Jugoslawien haben von den Bemühungen unserer Gesetzgeber und Richter zur verbindlichen Scheidung von historischer Wahrheit und Lüge bzw. Verfolgung der letzteren keinen Gewinn.

(Gewinn hätten sie, wenn wir beide Gruppen, die Christen und die Muslime, in ihrem gemeinsamen Interessen zusammenführen und im Bemühen unterstützen würden, die Islamisierung zu stoppen. Diese bedroht nicht nur die Serben der Republika Srpska in ihren existentiellen Rechten, unter ihr leiden besonders auch die zahlreichen nominellen Muslime in Ex-Jugoslawien. Nicht die Serben, sondern diese von korrupten Machteliten mit US-Unterstützung und saudischem Geld und importierten Imamen vorangetriebene Islamisierung der Gesellschaft ist heute die Hauptsorge auch in muslimischen Bevölkerungskreisen, in Pristina ebenso wie in Bosnien, Mazedonien, Montenegro. Dies nebenbei.)

(mh/31.05.2016)

1 Der 1993 in das Schweizerische Strafgesetzbuch eingefügte Artikel 261bis mit der Überschrift “Rassendiskriminierung” umschreibt den umstrittenen Straftatbestand mit den Worten: “wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht”.

2 Lenin, Werke, Band 15, Seite 17. Siehe: Marxismus und Revisionismus

3 “historische Vorläufer”: gemeint sind Grossbritannien, Frankreich und die USA. (Nicht Deutschland, obwohl man natürlich auch den Anti-Komintern-Pakt mit Recht als geistigen Vorläufer der NATO betrachten kann.)


Siehe auch:


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