Debatte über die Stellung der Kommunisten zu den aufstrebenden BRICS
Von Marcel Hostettler
In der politischen Resolution des XIX. Parteitags (2012) der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP) wird im Abschnitt über die Analyse der internationalen Korrelation der Klassenkräfte und der Kräfteverschiebungen festgehalten:
«In diesem komplexen Rahmen, in dem Schwellenländer mit einem bedeutendem politischen und wirtschaftlichen Gewicht hervortreten, und in dem sich Annäherungen und Allianzen von unterschiedlicher Geometrie, Natur und Stabilität überkreuzen, ist die sogenannte BRICS-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) hevorzuheben. Trotz Widersprüchen, welche aus der Verschiedenartigkeit des politischen Charakters der Prozesse in jedem einzelnen dieser Länder hervorgehen, haben diese eine positive Rolle eingenommen bei der Eindämmung der Vorherrschaftsansprüche der USA und ihrer wichtigsten Verbündeten.»1
Dies ist in knappen Worten zusammengefasst die Stellung der Kommunisten zu den BRICS, wie sie von den meisten bedeutenden Parteien der kommunistischen Weltbewegung vertreten wird und ihren Niederschlag in zahlreichen gemeinsamen Statements der Kommunistischen und Arbeiterparteien findet, und deren theoretische Vertreter sich auf die praktischen Erfahrungen von Millionenmassen von Ausgebeuteten und Unterdrückten stützen, in denen ihre Parteien tief verankert sind.
Aber die Haltung zu den BRICS bildete am 15. Internationalen Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien (ITKAP 2013) einen der zahlreichen Zankäpfel, welche die Eris reichlich unter die in Lissabon versammelten Delegationen gestreut hat. Es konnte nicht ausbleiben, dass einige in den roten Apfel gebissen haben, und sich damit vergifteten, wie das arglose Schneewittchen in Grimms Märchen – um neben der griechischen Mythologie, welche die Göttin der Zwietracht geboren hat, auch noch an das deutschsprachige Schaffen zu erinnern.
Für einige Parteien gilt die Parole der Gleichsetzung zwischen BRICS und dem imperialistischen Block (USA/NATO/EU). Diese Parole hat mittlerweile den Wert eines Prüfsteins erreicht, an dem sich einige eifrige Genossen messen lassen möchten. Man lese etwa das Statement of the Secretariat of the European communist ‘Initiative’ vom 29. Januar. Diese erste Postitionsnahme der genannten ‘Initiative’ zur Ukraine widmet gut die Hälfte des kurzen Textes dem Nachbeten der Gleichsetzungstheorie. Die Ukrainer hätten sich wohl angesichts eines faschistischen Putsches eine etwas andere Gewichtung erhoffen dürfen.
So wie unter erzkonservativen Klerikern das Bekenntnis zur unbefleckten Empfängnis, so unter diesen Genossen die schwärmerische Beschwörung einer Formel, von der sie glauben, sie lasse sich von Lenin ableiten. Lenin hat den Ersten Weltkrieg als einen Beutekampf unter imperialistischen Räubern charakterisiert, und die Vaterlandsverteidigung in diesem konkreten Krieg abgelehnt. Er hat sie aber niemals grundsätzlich abgelehnt, sondern ausdrücklich befürwortet für den Fall eines gerechten Krieges.
Lenin hatte einen feinen Sinn für die Frage der Kräfteverhältnisse und deren rasche Änderungen. Er erkannte früher und tiefer als die anderen das revolutionäre Potenzial, welches die Imperialisten mit dem Weltkrieg auslösen würden. Er fand das schwächste Glied in der Kette heraus und verstand es, den richtigen Zeitpunkt des Oktober 1917 zu wählen, um es zu zerschlagen und die Kette zu zerreissen. Leider führen viele die heutigen Debatten so, als würden taktische und strategische Gesichtspunkte überhaupt keine Rolle spielen.
Die Vorgänge in der Ukraine beweisen das Gegenteil. Hat etwa die PdA Schweiz recht bekommen, wenn sie das Referendum als untauglichen Weg zur Lösung von Problemen erklärt hatte? Man frage das Volk der Ukraine, ob es darin eine Lösung sieht oder nicht. Die Genossen, die im Scheiterhaufen des Gewerkschaftshauses von Odessa verbrannt sind, die dort vergast wurden und die Opfer des Blutbads von Slawjansk, der Metzeleien von Mariupol und vieler anderer Städte kann man nicht mehr fragen, aber sie geben die Antwort. Sie geben jenen recht, die vor simplen Gleichsetzungstheorien warnen, wie Massimiliano Ay , politischer Sekretär der KP der italienischen Schweiz:
«Die Theorie der rivalisierenden Imperialismen, wie sie eine gewisse dogmatische extreme Linke zu verbreiten versucht, steht nicht nur im Gegensatz zu dem, was die revolutionären Kräfte in der Ukraine und Russland sagen, sondern vor allem verfehlt diese Theorie die Komplexität der internationalen Politik und widersetzt sich jeder Einbindung in einen ernsthaften weltwirtschaftlichen Diskurs, der die Chancen wahrnehmen muss, welche sich für die Emanzipationsbestrebungen der Völker auftun, wenn Russland (und die BRICS ganz allgemein) dem atlantischen Expansionismus einen Bremsklotz in den Weg legen.»2
Die Kommunistische Partei der Italienischen Schweiz hat kürzlich auch in die deutschsprachige Debatte eingegriffen, indem sie einige zentrale Thesen zu den Entwicklungstrends des Imperialismus in deutscher Sprache herausgebracht hat.3
Günter Ackermann hat dazu eigenen Text herausgebracht.4 Dieser nimmt zwar die Tessiner Thesen zum Anlass seiner Entstehung und versucht sie zu kritisieren, hat aber über weite Strecken wenig und nichts mit dem Dokument der KP der Südschweiz zu tun. Der Artikel von Gen. Ackermann ist hastig und unsorgfältig abgefasst, mit fadenscheinigen Argumenten und dürftigem bis belanglosem Quellenmaterial versehen. Seine Hauptschwäche: er geht nicht auf theoretische Aspekte ein, obwohl er einen theoretischen Beitrag kritisiert, abgesehen davon, dass er dies im Titel (“Tendenz in Richtung maoistische Drei-Welten-Theorie?”) verspricht. In der Einleitung versichert Gen. Ackermann, er könne nicht näher auf die Thesen eingehen und wolle nur einen Aspekt beleuchten, den er für falsch halte. Er zitiert aus den Thesen einen Passus über die –aufstrebenden BRICS, deren Entwicklung im Hinblick auf die Schaffung eines Gleichgewichts, von welchem aus die Völker ihre eigenen Befreiungskämpfe entfalten können, positiv zu bewerten ist.–
Bei dem zitierten Satz handelt es sich ganz offensichtlich um eine Frage der Kräfteverhältnisse, der Strategie und Taktik. Das ist der Kern der Frage, darin besteht ihre Substanz. Aber davon sind bei der Kritik kaum Spuren übrig geblieben. Da wird am Thema vorbei und gegen viele Aussagen polemisiert, die von der KP der Italienischen Schweiz niemals behauptet worden sind und im kritisierten Text nicht den geringsten Anhaltspunkt finden.
Lenin hat mit dem Emir von Afghanistan paktiert, und es war kein Schmachfriede, kein Nichtangriffspakt, sondern ein Freundschaftspakt.5 Soll Lenins Auffassung nun etwa mit einer Polemik erledigt werden, die sich nicht gegen Lenins Argumente wendet, sondern nur die monarchischen Auffassungen des Emirs die Monarchie aufs Korn nimmt? Nein, das ist kein Beweis, sondern ein Trugschluss. Genosse Ackermanns Versuch, die Schweizer Kommunisten zu widerlegen, ist nicht geglückt.
(mh/17.05.2014)
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1 Partido Comunista Português: Resolução Política do XIX Congresso (2012)
2 Kommunistische Partei der italienischen Schweiz: «Für den Frieden in der Ukraine, Nein zum Neo-Kolonialismus»
3 Kommunistische Partei der Italienischen Schweiz: Überlegungen zur gegenwärtigen Entwicklung des Imperialismus
4 kommunisten-online.de: Tendenz in Richtung maoistische Drei-Welten-Theorie?
Siehe auch: