Lenin: Der Klassenkampf
Dass die Bestrebungen der einen Mitglieder einer gegebenen Gesellschaft den Bestrebungen der anderen zuwiderlaufen, dass das gesellschaftliche Leben voller Widersprüche ist, dass uns die Geschichte den Kampf zwischen Völkern und Gesellschaften wie auch den Kampf innerhalb derselben zeigt und ausserdem noch den Wechsel der Perioden von Revolution und Reaktion, Frieden und Kriegen, Stagnation und schnellem Fortschritt oder Verfall – das sind allgemein bekannte Tatsachen. Der Marxismus gab uns den Leitfaden, der in diesem scheinbaren Labyrinth und Chaos eine GesetzmäÖigkeit zu entdecken erlaubt: die Theorie des Klassenkampfes. Nur die Untersuchung der Gesamtheit der Bestrebungen aller Mitglieder einer gegebenen Gesellschaft oder einer Gruppe von Gesellschaften ermöglicht es, das Resultat dieser Bestrebungen wissenschaftlich zu bestimmen. Der Ursprung der gegensätzlichen Bestrebungen liegt aber in der Verschiedenheit der Lage und der Lebensbedingungen der Klassen, in die jede Gesellschaft zerfällt. –Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft–, schreibt Marx im –Kommunistischen Manifest– (mit Ausnahme der Geschichte der ursprünglichen Gemeinwesen, fügt Engels nachträglich hinzu), –ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigner, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedes Mal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen… Die aus dem Untergange der feudalen Gesellschaft hervorgegangene moderne bürgerliche Gesellschaft hat die Klassengegensätze nicht aufgehoben. Sie hat nur neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung, neue Gestaltungen des Kampfes an die Stelle der alten gesetzt. Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei groÖe feindliche Lager, in zwei groÖe, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat.– Seit der GroÖen Französischen Revolution hat die Geschichte Europas mit besonderer Anschaulichkeit in einer Reihe von Ländern diesen wirklichen Hintergrund der. Ereignisse, den Kampf der Klassen, enthüllt. Und schon die Restaurationsepoche in Frankreich brachte eine Reihe von Historikern (Merry, Guizot, Mignet, Thiers) hervor, die bei der Verallgemeinerung der Geschehnisse nicht umhinkonnten, den Kampf der Klassen als den Schlüssel zum Verständnis der ganzen französischen Geschichte anzuerkennen. Die jüngste Epoche aber, die Epoche des rollen Sieges der Bourgeoisie, der Vertretungskörperschaften, des weitgehenden (wenn nicht allgemeinen) Wahlrechts, der billigen, in die Massen dringenden Tagespresse usw., die Epoche der mächtigen, sich immer mehr ausbreitenden Arbeiterverbände und Unternehmerverbände usw., zeigte noch anschaulicher (wenn auch mitunter in sehr einseitiger, –friedlicher–, –konstitutioneller– Form) den Kampf der Klassen als die Triebfeder der Ereignisse. Die folgende Stelle aus dem Marxschen –Kommunistischen Manifest– wird uns zeigen, welche Forderungen nach einer objektiven Analyse der Stellung jeder Klasse in der modernen Gesellschaft, im Zusammenhang mit der Analyse der Entwicklungsbedingungen jeder Klasse, Marx an die Gesellschaftswissenschaft stellte: Von allen Klassen, welche heutzutage der Bourgeoisie gegenüberstehen, ist nur das Proletariat eine wirklich revolutionäre Klasse. Die übrigen Klassen verkommen und gehen unter mit der groÖen Industrie, das Proletariat ist ihr eigenstes Produkt. Die Mittelstände, der kleine Industrielle, der kleine Kaufmann, der Handwerker, der Bauer, sie alle bekämpfen die Bourgeoisie, um ihre Existenz als Mittelstände vor dem Untergang zu sichern. Sie sind also nicht revolutionär, sondern konservativ. Noch mehr, sie sind reaktionär, denn sie suchen das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Sind sie revolutionär, so sind sie es im Hinblick auf den ihnen bevorstehenden Übergang ins Proletariat, so verteidigen, sie nicht ihre gegenwärtigen, sondern ihre zukünftigen Interessen, so verlassen sie ihren eigenen Standpunkt, um sich auf den des Proletariats zu stellen.– In einer Reihe von historischen Schriften (siehe Literaturverzeichnis) gab uns Marx glänzende und tiefschürfende Musterbeispiele der materialistischen Geschichtsschreibung, der Analyse der Stellung jeder einzelnen Klasse, manchmal auch verschiedener Gruppen oder Schichten innerhalb der Klasse, und wies augenfällig nach, wie und warum –jeder Klassenkampf ein politischer Kampf–1 ist. Der von uns angeführte Auszug zeigt, welch kompliziertes Netz von gesellschaftlichen Verhältnissen und Übergangsstufen von einer Klasse zur anderen, von der Vergangenheit zur Zukunft Marx analysiert, um die Resultante der ganzen historischen Entwicklung zu ermitteln.
Die tiefgründigste, umfassendste und detaillierteste Bestätigung und Anwendung der Theorie von Marx ist seine ökonomische Lehre .