«Freidenker» 2/18 erschienen
Genderismus — Fortschritt oder Sabotage im Kampf um Frauenrechte?
Schwerpunktthema der neuen Ausgabe des «Freidenker», Organ des Deutschen Freidenker-Verbandes (DFV), ist der sogenannte Genderismus. Sieben Beiträge setzen sich mit der Frage auseinander, ob Gender-Politik, wie sie heute zum Teil vertreten wird, Frauenrechten dient. Oder verkommt sie immer mehr zum liberalen Feigenblatt des bürgerlich-kapitalistischen Staates, das vom steten Abbau sozialer Errungenschaften ablenken soll.
«In den siebziger Jahren des letzten jahrhunderts nannte ich mich mit Stolz Feministin», schreibt die in der Frauenbildung arbeitende Christel Buchsinger in ihrem mit «Pyrrhussieg des Feminismus» überschriebenen Beitrag. Heute frage sie sich aber, ob sie das weiterhin tun könne: «Kann man als Linke, als Marxistin, heute noch Feministin sein?» Sozialistische Feministinnen oder feministische Sozialistinnen hätten sich früher in den Arbeiterparteien und Gewerkschaften mit ihren patriarchalen Strukturen oft «zwischen mindestens zwei Stühle» gesetzt. Aber so schlecht sei das gar nicht gewesen. «Wir waren dadurch auch eine Art Schnittstelle, die die Kapitalismuskritik in die Frauenbewegung trug und die vernachlässigten Frauenthemen in den linken Organisationen auf die Tagesordnung setzte.» Heute aber nenne sich auch eine Hillary Clinton Feministin. Der Neoliberalismus habe anscheinend die Frauenträume erfüllt, «selbstoptimierte Alpha-Mädchen steht die Welt offen, Patriarchat oder Kapitalismus behindern Frauen nicht mehr, heute ist ihnen alles möglich, wenn sie sich nicht selbst im wege stehen. Das ist die neoliberale Erzählung. Hat sich der Feminismus vom Neoliberalismus einkaufen lassen? Ist er mitschuldig an seinem Sieg und seiner andauernden Hegemonie?» Die Autorin des Beitrags stellt schliesslich die Frage, wie es dazu kommen konnte und stellt dazu eine eingehende Analyse an. Sie geht dabei hart mit der reformistischen Arbeiterbewegung und deren Identifikation mit dem fordistischen Sozialstaat und dessen kleinbürgerlichem Familienmodell ins Gericht. Feministinnen, welche die soziale Frage etwa im Pflege- oder Bildungsbereich arbeitender Frauen und prekär Beschäftigten aufwarfen, seien von ihr im Stich gelassen worden. Mit Marx sei zu fordern, «alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist».
Klaus Hartmann, Bundesvorsitzender des DFV, versucht etwas Ordnung in die Unübersichtlichkeit des Genderismus zu bringen. Die schönen Worte der deutschen Bundesregierung wie auch der EU, welche «Gender Mainstreaming» bereits Ende der 1990er Jahre zum Ziel erhoben hat, zeigten, um was es in der Gender-Politik nicht geht: Die weiter bestehenden Benachteiligungen von Frauen sind nicht das Thema. Laut EU sollen mit Gender-Politik Hindernisse beseitigt werden, die dazu führen, «dass die Wirtschaft ihr Potenzial nicht ausschöpfen kann und wertvolle Begabungen [der Frauen] ungenutzt bleiben. Die Interessen der Wirtschaft sind also das Leitmotiv und nicht die Emanzipation der Frauen. Das zeige sich auch darin, dass in vielen Betrieben und Behörden die Stellen von Frauenbeauftragten kurzerhand abgeschafft oder in Gleichstellungsbeauftragte umbenannt wurden.
Die weiteren Beiträge zum Schwerpunktthema:
Rüdiger Pauls: Gender-Politik im bürgerlichen Staat
Judith Butler, US-amerikanische Philologin: Gesellschaftliches und anatomisches Geschlecht
Daniela Dahn, «Ossietzky»-Mitherausgeberin: Glosse zum Thema «Gendern»
Matthias Burchardt: Interview mit Robert Pfaller, Autor des Buches «Erwachsenensprache — Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur» über die Abgründe moralisierter Sprache
Helga E. Hörz, Ethikerin und Fruaenrechtlerin: Frauenrechte durchsetzen oder um Worte und Bilder streiten?
Katja Barthold, Gewerkschaftssekretärin IG Metall: Die Vergessenen (gemeint sind «Frauen, die nicht in linken Lesekreisen sozialisiert wurden und sich nicht vegan ernähren; Frauen, die sich nicht über Frauenquoten in Führungsetagen den Kopf zerbrechen, sondern darüber, ob das Geld am Ende des Monats für die Wohnungsmiete und die Kinder reicht»).
Annett Torres: Buchbesprechung «Die Gendermerie kommt».