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70 Jahre DDR – «Freidenker»-Ausgabe 3/2019 ist dem Gründungs-Jubiläum gewidmet

Während in diesen Tagen in den imperialistischen Medien die Konterrevolutionen von 1989 in den sozialistischen Staaten gefeiert werden, widmet sich die Ausgabe 3/19 des «Freidenker» der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik vor 70 Jahren. Sieben Autorinnen und Autoren, unter ihnen Egon Krenz, bilanzieren Leistungen und Probleme der DDR in Volkswirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Kirchenpolitik. Fehler werden nicht ausgeblendet. Aber es wird auch hervorgehoben, dass dieser Staat in den 40 Jahren seines Bestehens tiefe Spuren und Erfahrungen hinterlassen hat, die in zukünftigen Kämpfen um eine andere, gerechtere Welt genutzt werden können. Die DDR konnte sich trotz misslichen Voraussetzungen zu einem wirtschaftlich führenden und sozial sicheren Land ohne Netto-Auslandschulden entwickeln. Seine Wirtschaftsleistung entsprach 1989 annähernd jener von Italien oder Grossbritannien. Dabei war die deutsche Spaltung weder das Ziel der siegreichen Sowjetunion noch der Kommunisten und Sozialdemokraten in der sowjetisch besetzten Zone. Die Spaltung wurde verursacht durch die einseitige Anbindung der Westzonen an die imperialistischen Mächte, die mit der Währungsreform eingeleitet, mit der Gründung der Bundesrepublik besiegelt und mit der Remilitarisierung durch Adenauer verfestigt wurde. Die Gründung der DDR war nur die logische Folge davon.

Freidenker 3_2019

Egon Krenz, der letzte Staats­rats­vor­sit­zende der DDR, setzt sich in seinem Bei­trag unter anderem mit der Frage «Woran ist die DDR zu­grunde gegangen?» aus­ein­ander. Viele Punkte sind dazu auf­zu­führen. Da war ein­mal der er­erbte grosse Pro­duk­ti­vi­täts­rück­stand gegen­über dem tra­di­tio­nell viel stär­ker in­dustria­lisierten und über die grossen Roh­stoff­vor­kom­men ver­fü­gen­den Wes­ten. Zwar konnte der Rückstand bis 1989 entscheidend reduziert werden (von 70 auf 45%), seine negativen Auswirkungen auf die Entwicklung der Konsumgüterindustrie waren aber nicht zu negieren. Dazu kommt, dass die DDR die deutschen Reparationsleistungen gegenüber der Sowjetunion praktisch allein zu tragen hatte. Sie waren 25-mal höher als jene der Bundesrepublik, die ihre Wirtschaft mit Marschallplan-Geldern wieder aufbauen konnte. Krenz geht selbstkritisch mit dem Politbüro der SED, dem er angehörte, um und bezeichnet es als dessen Kardinalfehler, dass es verlernt hatte, «auf die Stimmung der Bevölkerung zu hören». Der Anteil der DDR an ihrer eigenen Zerstörung finde sich wieder im Lenin-Zitat: «Alle revolutionären Parteien, die bisher zugrunde gegangen sind, gingen daran zugrunde, dass sie überheblich wurden und nicht zu sehen vermochten, worin ihre Kraft lag, dass sie scheuten, von ihren Schwächen zu sprechen.»

Das DDR-Bildungswesen beleuchtet die Lehrerin Annett Torres aus heutiger Sicht. Sie knüpft dabei am gegenwärtigen Abwärtstrend beim Bildungsniveau der jungen Generation, wie er seit dem Beginn des Bologna-Prozesses zu beobachten ist, an. Er sei darauf zurückzuführen, dass die systemischen Änderungen in allen Bereichen ohne wissenschaftliche Begleitung, aber unter neoliberalen Auspizien vorgenommen wurden. Im Bildungswesen der DDR war die Brechung von Bildungsprivilegien ein Hauptanliegen. Die 40 Jahre, die der DDR gegeben waren, hätten leider nicht ganz ausgereicht, familiäre Bildungsunterschiede vollständig auszugleichen. Mit der 1959 eingeführten Polytechnischen Oberschule (POS) wurde aber eine wichtige Massnahme getroffen, in der ein gemeinsames Lernen aller gesellschaftlichen Schichten von der ersten bis zur achten, später der zehnten Klasse möglich war. Durch Lernpatenschaften zwischen Schülern konnte ausserdem leistungsschwächeren Schülern systematisch geholfen werden. Die Schulorganisation war auf das Kindeswohl ausgerichtet, die eng mit dem Hortwesen verknüpft war. Die Ausbildung für Krippenerzieherinnen, Kindergärtnerinnen und Lehrer war republikweit einheitlich geregelt. Auch Hortnerinnen, denen in der Nachmittagsbetreuung bei der Aufgabenhilfe eine wichtige Rolle zukam, waren pädagogisch ausgebildet.

War die DDR-Wirtschaft pleite, marode und unproduktiv? Klaus Blessing, ehemaliger Stellvertretender Minister für Schwerindustrie der DDR, widerlegt die beharrlich vorgetragene Behauptung minutiös. Netto, nach Abzug der Devisenreserven, hatte die DDR Ende 1989 gegenüber dem westlichen Ausland 19,9 Mrd. Mark Schulden. Dem standen jedoch umgerechnet 23,4 Milliarden Mark Guthaben der DDR in sozialistischen Ländern gegenüber. Diese Guthaben wurden nach dem Anschluss von der Bundesrepublik übernommen und dazu verwendet, «um die EU-Osterweiterung voranzutreiben und die Beitrittsländer durch Schuldenerlasse zu ködern». Diese eigentlich komfortable Situation der DDR, was die Auslandsverschuldung betrifft, war 1989 allerdings nicht transparent, da Milliarden in Schalck-Golodkowskis undurchsichtiger KOKO lagerten. Der Umstand lässt Blessing fragen: Hätte sich die DDR-Führung unter Krenz und Modrow «so bedingungslos der Herrschaft des bundesdeutschen Kapitals unterwerfen müssen», wenn die wirkliche Situation bekannt gewesen wäre?

Auf das Verhältnis von «Staat und Kirchen in der DDR» bezieht sich ein Beitrag der Pfarrerin Renate Schönfeld. Seit Kaiser Konstantin haben die Kirchen im Klassenkampf stets auf der Seite der Herrschenden Position bezogen und daraus auch ihre finanzielle Absicherung bezogen. Die Kirchen verstanden es nach der Befreiung vom Faschismus und der revolutionären Umwandlung des Privateigentums in Volkseigentum nicht, die Chance zu nutzen und sich auf die Seite des Volkes zu schlagen. Im Klerus der ostelbischen Kirchen waren die Anhänger der «Bekennenden Kirche», die sich dem totalen faschistischen Anspruch in den Kirchen widersetzt hatten, eine kleine Minderheit. Der Grossteil hatte sich im Faschismus in der «Deutschen Kirche» gleichschalten lassen und die Kanonen der Wehrmacht gesegnet. Ihre Gegnerschaft zum sozialistischen Staat war die Folge. Umso mehr als sie infolge der konsequenten Trennung von Kirche und Staat in der DDR ihre Privilegien verloren. Die Westkirchen sprangen dafür mit Mitteln ein, die von westdeutschen Ministerien zur Verfügung gestellt wurden. Aus dieser Fremdsteuerung lässt sich die verbreitete Gegnerschaft kirchlicher Kreise gegenüber der DDR mit erklären. Verhängnisvoll war auch, dass Lehrer, die NSDAP-Mitglied waren und daher nach 1945 aus dem Schuldienst entfernt wurden, häufig in der Kirche als Katecheten Unterschlupf fanden. Interessant ist, aus dem Beitrag zu erfahren, dass es an sechs Universitäten der DDR theologische Fakultäten gab.

Ein weiterer Beitrag in Heft 3/19 befasst sich mit der antifaschistischen Staatsdoktrin der DDR, fussend auf dem «Schwur von Buchenwald», dessen Geist die DDR-Verfassungen atmete. Rechtsanwalt Hans Bauer streicht hervor, wie sich der Antifaschismus der DDR abgehoben hat von den Zuständen in der BRD der Adenauer-Zeit, wo im Staatsdienst Nazis zu Hunderten und Tausenden weiter hohe Positionen einnahmen. Über die Wissenschaftsakademie der DDR, deren Tradition auf eine Gründung im Jahre 1700 zurück geht, schreibt deren Präsident Herbert Hörz. Der Akademie wurde 1993 vom Berliner Senat der öffentlich-rechtliche Status abgesprochen. Sie geht seither als Verein ihren Weg «als interdisziplinäre, kreative und plurale Wissenschaftsakademie mit akademiewürdigen Leistungen» weiter. Schliesslich dreht sich ein letzter Beitrag von Eberhard Schinck um den erst im Frühjahr 1989 gegründeten Verband der Freidenker in der DDR. Vorher wurde eine solche Organisation in einem laizistischen Staat nicht als notwendig betrachtet. In den ersten Nachkriegsjahren hatte es innerhalb der KPD bereits Bestrebungen gegeben, die von den Nazis verbotene Freidenkerbewegung wieder neu zu gründen. Es wurde schliesslich davon abgesehen aus Sorge um den antifaschistischen Schulterschluss, der durch «antireligiöse Zwietracht» hätte gestört werden können.


«Freidenker» wird als Vierteljahres-Zeitschrift vom Deutschen Freidenker-Verband (DFV), Postfach 600721, 60337 Frankfurt am Main, www.freidenker.org, herausgegeben. Für Schweizer Freidenker, die Mitglied der Weltunion der Freidenker sind, ist ein Abonnement der Zeitschrift im Jahresbeitrag (Fr. 25.–) inbegriffen (siehe Hinweis und Link in der Seitenspalte).