[Cunhal: Die sechs grundlegenden Charakterzüge einer Kommunistischen Partei III]
III. Kapitel
Das Ziel der Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft schliesst keineswegs aus, dass eine kommunistische Partei kurz- und mittelfristige Ziele anstrebt und Lösungen als Alternativen zur bestehenden Lage vorschlägt. Aber Vorsicht. Die Lageanalyse und die Festlegung einer Politik muss von den Grundtatsachen des Kapitalismus ausgehen, die ihre Entsprechung in den grundlegenden Konzepten der revolutionären Theorie des Proletariats finden:- die Spaltung der Gesellschaft in Ausbeuter und ausgebeutete Klassen
- der Klassenkampf
- die Klassenpolitik der Regierungen.
Es handelt sich um Realitäten und um Konzepte, deren Entdeckung wir nicht Marx und Engels, sondern früheren Ökonomen und Philosophen verdanken. Das Neue am Marxismus ist die Analyse der konkreten ökonomischen und politischen Verhältnisse unter Zugrundelegung dieser Konzepte.
Gewiss, in vorrevolutionären und anderen Lagen, in denen sich ein vorläufiges Gleichgewicht zwischen den Klassenkräften einstellt, kann unter bestimmten Bedingungen der Fall eintreten, wo die politische Gewalt umständehalber keine Politik im Dienst des Kapitals durchführt. Sie kann sogar fortschrittliche Massnahmen mit antikapitalistischem Charakter verwirklichen. Das sind allerdings Situationen mit Ausnahmecharakter und von kurzer Dauer.
Es ist nicht der Fall der kapitalistischen Länder mit bürgerlicher Demokratie. In diesen Ländern fälscht die politische Gewalt die Demokratie in ihren vier Richtungen:
Die wirtschaftliche Demokratie – durch das Eigentum des Grosskapitals an den grundlegenden Wirtschaftszweigen und durch die Unterwerfung der politischen Gewalt unter die ökonomische.
Die soziale Demokratie – durch die Ausbeutung und das Elend der werktätigen Bevölkerungsmassen und die Konzentration des Reichtums in einer beschränkten Zahl von Riesenvermögen.
Die kulturelle Demokratie – durch die Propaganda der Ideologie des Grosskapitals, durch ein Schulsystem, das die Kinder der lohnabhängigen Klassen diskriminiert, durch Propaganda von abergläubischen Ideen, durch Angriffe auf das künstlerische Schöpfertum, durch Vervielfältigung von religiösen Sekten.
Die politische Demokratie – durch Missbrauch und Verabsolutisierung der Gewalt und Auflösung bestehender Organe und Mechanismen, welche der demokratischen Kontrolle der Machtausübung dienen, durch verfassungswidrige Abweichungen von Legalität und Kompetenzen der Organe der Souveränität, falls es sich erweist, dass geltende Gesetze dem Grosskapital nicht ausreichen, um seine Herrschaft absolut auszuüben.
Und diese gesamte Rückbildung der Demokratie schreitet unter den Vorwänden der erforderlichen –Stabilität– und des –Rechtsstaates– voran.
Die Rückbildung der politischen Demokratie bringt mit sich die spektakulären und theatralischen Auftritte auf der Parlamentsbühne, den Karrierismus, die Straflosigkeit verbunden mit der Korruption und provoziert damit den Zerfall des Vertrauens in Politik und Politiker.
Indessen bleibt die Politik eine notwendige Beschäftigung, und die Kommunisten und andere wahre Demokraten sind anders und besser in der politischen Praxis, sie unterscheiden sich von der diskreditierten sogenannten –politischen Klasse–.
Die gewaltigen Mittel der gesellschaftlichen Kommunikation (Zeitungen, Zeitschriften, Radio, TV, Audio-Video) sind Eigentum und Instrument der grossen Monopolgruppen. Sie stellen keine neue unabhängige Gewalt dar, wie einige vorzugeben versuchen, sondern ein Werkzeug des Grosskapitals in seiner herrschaftlichen Verbindung mit den Regierungen.
Da der Kampf um Demokratie ein zentrales Ziel der Kampfaktionen einer kommunistischen Partei bildet, ist es unerlässlich zu definieren, worin die Grundelemente dieser Demokratie bestehen sollen.
Von einer Regierungspolitik müssen Massnahmen verlangt werden, die gleichzeitig nach allen Stossrichtungen gehen und sich gegenseitig ergänzen. Es genügt nicht, wenn sich eine Regierung demokratisch nennt. Hier sind Taten einzufordern.
Notwendig ist ebenfalls, die Demokratie konkreter zu definieren, jene Demokratie zu bestimmen, um die man in einer konkreten Situation gerade kämpft. In einer gegebenen Lage, zu einem bestimmten Zeitpunkt kann zum Beispiel innerhalb des demokratischen Ringens dem Kampf zur Stärkung von Elementen der direkten Demokratie und Mitbestimmung neben der repräsentativen Demokratie ein besonderes Gewicht zukommen.
Die Wahlen gehören zu den Grundbausteinen eines demokratischen Regimes, aber als solches kann man sie nur betrachten, wenn die Gleichheit respektiert wird, und wenn Machtmissbrauch, Diskriminierungen und Ausschlüsse verhindert werden. Wo diese Bedingungen nicht erfüllt sind, werden Wahlen zu einem Betrug, zu einem Attentat auf die Demokratie und zu einem Werkzeug der Monopolisierung der Gewalt durch politische Kräfte im Dienste des Kapitals, die einander, manchmal im Abwechlungsverfahren, ablösen.
Eine –fortgeschrittene Demokratie”, für welche einige Parteien kämpfen, wird definiert als ein demokratisches Regime, welches fortschrittliche Errungenschaften von nichtkapitalistischem Charakter in die Hand nimmt (wie die Nationalisierung einiger Sektoren der Wirtschaft und die Auflösung des Grossgrundbesitzes).
Egal, ob die Ziele des Kampfes um Demokratie in einem gegebenen Zeitpunkt in dieser oder einer anderen Form bestimmt werden, die Kommunisten dürfen und wollen sich nicht isolieren, und sie sind auch nicht isoliert.
Das Verständnis der Klassenkämpfe, als überall gegenwärtige Realität der Gesellschaft und als Motor der geschichtlichen Entwicklung, steht in keinem gegensätzlichen oder ausschliessenden Verhältnis zur Notwendigkeit von sozialen und politischen Bündnissen der Arbeiterklasse, der Lohnabhängigen und ihrer Partei zwecks Erreichung von konkreten unmittelbaren Zielen, unter Berücksichtigung der Klärung der politischen Kräfteverhältnisse, die in den Klassenbeziehungen und der Korrelation zwischen den Klassen und Schichten der Gesellschaft wurzeln. Demnach muss man, um korrekt zu bestimmen, welches die möglichen Bündnisse sind, erstens eine Bereinigung der objektiv betrachteten Klassenbündnisse im Konkreten vornehmen, und dann in einem zweiten Schritt wenn möglich feststellen, wie diese oder jene Klasse und soziale Schicht durch diese oder jene Partei vertreten wird, und von welcher sozialen Basis her sich diese oder jene Partei Unterstützung ausrechnet.
Es gibt keine übereinstimmende Situationen. Es mag in diesen und jenen Ländern zu vergleichbaren wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Zuständen kommen. Immer verbleiben aber Unterschiede, die nach unterschiedlichen Antworten verlangen. Es gibt keine allgemeingültigen Lösungen und Rezepte. Die Kopie von Lösungen führt in Richtungen, die den Erfordernissen der konkreten Wirklichkeit nicht entsprechen.
Grosse wissenschaftliche Entdeckungen und revolutionäre Technologien rufen tiefgreifende Önderungen in der Zusammensetzung der arbeitenden Klassen und in der sozialen Zusammensetzung der entwickelten Ländern überhaupt hervor. Die Bestimmung von sozialen Bündnissen als Basis für politische Bündnisse wird unter diesen veränderten Umständen ausgesprochen komplex.
Es bestehen in dieser Hinsicht sehr unklare Definitionen.
Im Rahmen ihrer Bündnispolitik und in zahlreichen bürgerlich-demokratischen Ländern haben demokratische Parteien, darunter namentlich kommunistische Parteien, eine – linke – Politik als ihr Ziel definiert.
Es gibt Fälle, bei denen in der Ausrichtung dieser Parteien das Wort –links– eine Unterstützung oder Beteiligung an einer Politik der Rechten ausschliesst. Es hat insofern eine klare und positive Bedeutung.
Indessen hat das Wort –Linke– im politischen Wörterbuch unserer Tage in den meisten Ländern einen ungenauen Inhalt, ist voll von Unbekannten, widersprüchlich und stiftet objektiv Verwirrung. Als –Linksparteien– und Teil der –Linken– definieren sich häufig nebst antikommunistischen –linksextremen– Parteien auch sozialistische und sozialdemokratische Parteien, die in ihrer politischen Tätigkeit die Sache der –Rechten– vertreten und praktizieren.
Dasselbe gilt für Regierungen, die sich als –links– oder solche –der Linken– titulieren. Die Erfahrungen zeigen, dass in einigen Fällen die Teilnahme von Kommunisten an Regierungen von sozialdemokratischen Parteien, die für Regierungen –der Linken– gehalten werden, auf ihre Beteiligung in der Verwirklichung von Politiken der –Rechten– hinaus lief.
Als Ziel zu definieren ist eine demokratische Politik in allen vier Stossrichtungen; das ist der Kampf, den man führen muss. Man proklamiere keinerlei Politik, welche die Beteiligung (oder das Ziel sie zu erlangen) an sozialdemokratischen Regierungen einschliesst, welche sich Regierungen –der Linken– nennen, jedoch Werkzeuge des Grosskapitals und der transnationalen Konzerne, der reichsten und mächtigsten Länder, der gegenwärtigen –globalen– Offensive des Imperialismus sind, der seine Herrschaft auf dem ganzen Planeten durchsetzen will.
Dies ist auch der Fall der sogenannten –Stabilitätspakte–, welche von reformistischen Gewerkschaftsorganisationen und Parteien unterzeichnet, und worin grundlegende Rechte der Arbeitenden geopfert werden, um dem Kapitalismus zu einem Ausweg aus seiner gegenwärtigen Krise zu verhelfen.
Das ist nicht der Weg, den der Kampf der Lohnabhängigen, der Völker und Nationen gegenwärtig verlangt.
Es kommt den kommunistischen Parteien (und anderen revolutionären Parteien) zu, den erforderlichen Kurs gemäss den konkreten Bedingungen ihrer Länder zu bestimmen. Mit Überzeugung, mit Mut und mit ihrer kommunistischen Identität.