Menschenrechtsorganisation bezeichnet Israel als «Apartheid-Regime»
«Ein Apartheid-Regime» – so lautet das Fazit eines neuen Positionspapiers der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem, das die Auswirkungen und das Ziel der israelischen Politik und Gesetze gegenüber den Palästinensern zwischen Jordan und Mittelmeer zusammenfasst. Das von B’Tselem veröffentlichte Positionspapier muss die Debatte über die Realität der Situation in Israel/Palästina angesichts einer weltweit orchestrierten Schweigekampagne eröffnen, findet Dr. RAFEEF ZIADAH, Dozentin am Londoner SOAS-Institut.
Dr. Rafeef Ziadah
Wenn von israelischer Apartheid gesprochen wird, bedeute das – so hält das Positionspapier fest – «keine exakte Kopie des früheren südafrikanischen Regimes». Das stimmt: Israel weist nicht die offensichtlichen Formen der kleinlichen Apartheid auf, die es in Südafrika gab, wie z. B. Schilder, die eine grobe Trennung im öffentlichen Raum erzwangen. Aber das ist nur so, weil Israel ein weitaus ausgefeilteres System der Diskriminierung und Kolonisierung durch eine Matrix von Vorschriften und Infrastrukturen perfektioniert hat, die jeden Aspekt des palästinensischen Lebens regeln. Die Praktiken sind nicht weniger verwerflich oder entmenschlichend als die kleinliche Apartheid.
Ihre Ursprünge liegen in der ethnischen Säuberung Palästinas in den Jahren 1947 und 1948, die zur Flucht von mehr als drei Vierteln der palästinensischen Bevölkerung führte. Dies ist nicht nur eine schmerzhafte historische Erinnerung, sondern eine fortdauernd gelebte Realität. Sie zeigt sich heute in der Segregation der Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen, in verstreuten Bevölkerungszentren, die durch israelische Siedlungen, militärische Kontrollpunkte und ausschliesslich israelische Autobahnen getrennt sind. Diejenigen Palästinenser, die auf ihrem Land blieben und israelische Staatsbürger wurden, sind gezwungen, als Menschen zweiter Klasse in einem Staat zu leben, der auf der Zerstörung ihrer nationalen Identität aufgebaut ist. Palästinensischen Flüchtlingen wird das Recht auf Rückkehr verweigert, während die Staatsbürgerschaft und die Ansiedlung für jede Person jüdischer Abstammung forciert wird.
Produktive Basis des Westjordanlands und Gazas zerstört
Die Aufrechterhaltung dieser Kontrolle über die Palästinenser und die Privilegierung der jüdischen Bevölkerung geschieht nicht willkürlich, sondern ist in Gesetz und Praxis verankert. Das kann man deutlich daran sehen, wie die palästinensische Wirtschaft in einem Zustand des kontrollierten Zusammenbruchs gehalten wird. Jahrzehntelange Rückentwicklungspolitik hat die produktive Basis des besetzten Westjordanlandes und des Gazastreifens zerstört; militärische Angriffe zerstören die Infrastruktur; die Militärpolitik zementiert sowohl die geographische als auch die wirtschaftliche Fragmentierung.
Eine Reihe von Barrieren teilt das Westjordanland in unzusammenhängende Inseln, die von etwa 600 militärischen Kontrollpunkten, Toren und anderen Hindernissen kontrolliert werden, sowie von Strassen, die für israelische Siedler gebaut wurden. Die palästinensische Wirtschaft ist über eine Zollunion an die israelische gebunden, die keinen Raum für eine unabhängige Politik lässt – was die Palästinenser als eine gefangene Wirtschaft beschrieben haben.
Zudem kassieren die Behörden in Israel im Auftrag der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Gewerbesteuereinnahmen, die sie eigentlich weiterleiten sollten, aber als Druckmittel regelmässig zurückhalten. Fast alle palästinensischen Importe und Exporte laufen über israelische Häfen und Grenzübergänge, an denen Verzögerungen und Sicherheitsmassnahmen die Kosten in die Höhe treiben können.
Zusammen mit dem Verlust von Land und natürlichen Ressourcen durch die Siedlungsexpansion im Westjordanland befindet sich die Wirtschaft des Gazastreifens in einem katastrophalen Zustand. Nach 13 Jahren Belagerung sind nun über 80 Prozent der Bevölkerung auf Hilfe angewiesen, und die Arbeitslosigkeit, vor allem unter der akademisch gebildeten Jugend, schiesst in die Höhe.
Die israelischen Restriktionen, z.B. welche Gegenstände und Technologien frei in das Westjordanland und den Gazastreifen eingeführt werden dürfen, betreffen alle Bereiche des palästinensischen Lebens, einschliesslich des Gesundheitssektors. Viele Experten haben die nachteiligen Auswirkungen der israelischen Politik analysiert, wenn es um die Möglichkeit der Palästinenser geht, die Covid-19-Pandemie zu bekämpfen, einschliesslich der Ungleichheiten, die durch Israels Impfprogramm aufgedeckt werden.
Bricht Europa jetzt endlich das grosse Schweigen?
Die Schlussfolgerung des Positionspapiers von B’Tselem ist für Palästinenser keine Neuigkeit. Es ist etwas, was palästinensische und südafrikanische Gelehrte und Aktivisten seit Jahrzehnten sagen. Die Bedeutung der Publikation liegt jedoch darin, die Debatte über die Realität der Situation in Israel/Palästina angesichts einer orchestrierten Schweigekampagne zu eröffnen, die versucht, die Debatte abzuschotten, bevor sie überhaupt begonnen hat. In diesem Sinne ist es von Bedeutung, dass eine israelische Menschenrechtsorganisation ausgesprochen hat, was Palästinenser seit Jahren behaupten.
Über die Benennung des Problems hinaus ist jedoch die dringlichere Frage, wie diese Ungerechtigkeit behoben werden kann. Zwei Jahrzehnte nach den Osloer Verträgen und vielen Lippenbekenntnissen zur Idee einer Zwei-Staaten-Lösung sieht die Situation für die Palästinenser düster aus. Es ist klar, dass der Trump-Plan keine Rücksicht auf die Palästinenser nahm und darauf abzielte, mit wirtschaftlichem Druck eine Duldung einer beschnittenen Autonomie zu erzwingen. Die europäischen Staaten haben mit ihrem Schweigen oder ihrer kleinmütigen Kritik an Israels Menschenrechtsverletzungen nur dazu beigetragen, den Status quo aufrechtzuerhalten, während sie grosszügige wirtschaftliche und «Sicherheits»-Partnerschaften verfolgen [z.B. die enge Rüstungszusammenarbeit der Schweizer Armee mit der israelischen Armee – Red.].
BDS heisst das Kampfmittel
Inspiriert von der südafrikanischen Anti-Apartheid-Bewegung und jahrzehntelangem palästinensischem Graswurzel-Aktivismus hat die palästinensische Zivilgesellschaft daher zu internationaler Solidarität in Form von Boykott, Desinvestition und Sanktionen (BDS) aufgerufen. Die BDS-Kampagne ermöglicht es Studentengruppen, Gewerkschaften, kulturellen und religiösen Organisationen und lokalen Gemeinschaften, eine populäre Weigerung zu demonstrieren, sich an den Strukturen der Rassendiskriminierung und Unterdrückung zu beteiligen und diese aufrecht zu erhalten. BDS hält das einfache Prinzip aufrecht, dass Palästinenser das Recht auf die gleichen Rechte haben wie der Rest der Menschheit.
Ein Apartheid-Regime erfordert Rechenschaft – und wir Palästinenserinnen und Palästinenser können uns keine israelische Straffreiheit mehr leisten.
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Dr. Rafeef Ziadah ist Dozentin für vergleichende Politik des Nahen Ostens am Institut für orientalische und afrikanische Studien an der University of London (SOAS)
Erstmals veröffentlicht am 13. Januar 2021 in «Independent»
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