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Eichmann-Prozess, Jerusalem, 1961. Bild, Milli John, Public Domain

Vor 60 Jahren: Eichmann-Prozess – Mythos und kein Ende

Am 11. April sind es 60 Jahre her seit dem Beginn des Eichmann-Prozesses in Jerusalem. Des runden Jahrestags nehmen sich die Mainstream-Medien mit mehreren Ausstrahlungen an und zelebrieren dabei den alten Mythos von der waghalsigen Entführung Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst. Auf eine Überprüfung durch die Heranziehung neu zugänglicher Quellen wird verzichtet. Die argentinisch-deutsche Investigativ­journalistin und Dokumentar­filmerin Gaby Weber hingegen hat das getan. Sie fand Hinweise, dass die Kidnapping-Geschichte nicht stimmt und die israelische Regierung an einer Verhaftung Eichmanns lange gar nicht interessiert war, und die westdeutsche sowieso nicht. Es wurde erst gehandelt, als man in Zugzwang kam.

Die Journalistin stützt sich auf Akten des deutschen Geheimdienstes BND, die nach 60 Jahren freigegeben wurden, allerdings erst nachdem sie auf Herausgabe geklagt hatte. Nach Sichtung des Materials kommt sie zum Schluss, dass der Eichmann-Prozess kein rechtsstaatlich korrektes Verfahren war. Bekanntlich hatte sich Hannah Arendt, die als Berichterstatterin den Prozess verfolgte, gewisse Fragen gestellt bezüglich Prozessführung und vor allem der Strategie des Verteidigers. Hannah Arendt konnte damals allerdings noch nicht wissen, was nun aus den Akten des deutschen Geheimdienstes BND hervorgeht: Der Verteidiger Robert Servatius wurde von eben diesem BND gestellt. Leiter des BND war der Nazi-General Reinhard Gehlen, der sein Amt mit Gestapo-Leuten aufgebaut hatte. Die Verteidigung hatte denn auch nicht den Angeklagten zu vertreten, sondern den Interessen der westdeutschen wie auch der israelischen Regierung zu dienen. Und deren Interesse lag darin, den Prozess unter straffer Kontrolle zu halten, ohne viel Flurschaden anzurichten, und Eichmann so rasch als möglich an den Galgen zu bringen. Israels Ministerpräsident Ben Gurion wünsche, dass «die Anklage schmal geführt» werde, steht in einer BND-Akte.

Das höchste Interesse der Adenauer-Regierung bestand darin, zu verhüten, dass im Verlauf des Prozesses der Fokus auf Eichmanns ehemalige Vorgesetzte, die in der Bonner Republik wieder in Amt und Würden standen, gelenkt wird. Da war vor allem Adenauers rechte Hand Hans Globke, Staatssekretär im Bundeskanzleramt und als solcher unter anderem für die Überführung von Gehlens Nazi-Verein in den BND zuständig. Im NS-Staat war der Jurist Globke für eine grosse Zahl von Gesetzgebungs-Schweinereien verantwortlich. Er schrieb die für die Nazi-«Rechtssprechung» verbindlichen Kommentare zum «Blutschutzgesetz», zum «Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes», zur «Rassenschande», verfasste das Namensänderungsgesetz und die Verordnung dazu, wonach Juden «Israel» und Jüdinnen «Sara» als zweiten Vornamen zu führen hatten. Im Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen hatte er gesetzlich definiert, wer als Jude anzusehen, als solcher zu kennzeichnen ist und damit der Verfolgung ausgesetzt war. Damit hatte er eine der gesetzlichen Grundlagen für die sogenannte Endlösung geschaffen.

Die israelische Regierung wiederum hatte kein Interesse, die Altnazis in der Bonner Regierung auffliegen zu lassen. Denn Ministerpräsident Ben Gurion war gerade dabei, mit finanzieller und technischer Hilfe Westdeutschlands sein Atomprogramm zu realisieren. Und ausserdem fürchtete die israelische Regierung Enthüllungen über Kooperationen zionistischer Kreise mit Eichmann, als dieser vor 1942 in Wien noch für die Auswanderung zuständig war. Da gab es offenbar ein Abkommen, das zionistische Funktionäre aus Palästina mit dem Nazistaat geschlossen haben, das für die Auswanderung nach Palästina die Mitnahme von Vermögenswerten erlaubte, was sonst bei keinem anderen Auswanderungsziel möglich war. Mit der Hinrichtung Eichmanns hatte man es auch eilig, weil mehrere osteuropäische Staaten als Tatorte die Auslieferung Eichmanns verlangt hatten. Das wollte Bonn um jeden Preis verhindern. Man stelle sich vor, Polen, die CSSR, Ungarn oder Jugoslawien hätten für ihre eigenen Eichmann-Prozesse das umfangreiche Material, über das die DDR betreffend Globke und andere Nazi-Verbrecher verfügte, verwenden können! Die Bonner Republik hätte einen enormen Reputationsschaden erlitten – 68 hätte man vielleicht sogar ein paar Jahre früher erlebt…

Hat nun der Mossad Adolf Eichmann wegen seiner Verbrechen am jüdischen Volk aus Argentinien entführt? «Ein Satz, drei Lügen», sagt die Dokumentarfilmerin dazu. Nach jahrelangen Recherchen kommt sie zum Schluss, «dass es erstens nicht der Mossad war, der im Mai 1960 am Werk war. Zweitens war der Grund für Eichmanns Abtransport nicht seine Beteiligung an der Shoá. Drittens wurde er nicht entführt.» Aber was hat sich denn da abgespielt? Dem geht die Dokumentarfilmerin in zwei Werken nach und enthüllt dabei eine unglaubliche Lügengeschichte über einen nie stattgefundenen Coup des israelischen Geheimdienstes. Dieser schreckte auch nicht davor zurück, zur Tarnung eine Romeo-und-Julia-Geschichte zwischen einem Nazi-Sprössling und der Tochter eines jüdischen Flüchtlings aufzutischen, die dann auch noch in einer Doku-Romanze verbraten wurde. Eine reine Erfindung, was schon das kindliche Alter der Protagonistin zum fraglichen Zeitpunkt belegt.

Das wirklich Unerhörte an der ganzen Sache ist, dass alle Welt und sogar Historiker weiterhin auf der Mossad-Legende aufbauen, ohne sich die Mühe zu nehmen, neu zugängliche Akten zu konsultieren. Auch in den Medienprogrammen zum Jahrestag ist praktisch nichts davon zu finden. Ein guter Grund, dem als ergänzende Informationen die sehr gut dokumentierten Dokfilme von Gaby Weber gegenüberzustellen. Links zu den beiden Filmen sind in der Seitenspalte zu finden.
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Die Klagen gegen den BND zur Freigabe der historischen Dokumente werden mit Crowdfunding finanziert, ebenso wie die Filme. Wer dies unterstützen will, kann dies über Paypal (gaby.weber@gmx.net) oder per Banküberweisung tun: Comdirect: IBAN DE53.2004.1155.0192.0743.00