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Lenin: Der philosophische Materialismus

Von 1844/1845 an, den Jahren, in denen sich Marx’ Anschauungen geformt hatten, war er Materialist, und zwar im besonderen Anhänger L. Feuerbachs, dessen schwache Seiten er auch später ausschliesslich darin erblickte, dass sein Materialismus nicht genügend folgerichtig und allseitig war. Marx sah die weltgeschichtliche, epochemachende Bedeutung Feuerbachs gerade in dem entschiedenen Bruch mit dem Hegelschen Idealismus und in der Verkündung des Materialismus, der schon im 18. Jahrhundert, namentlich in Frankreich, nicht nur ein Kampf gegen die bestehenden politischen Institutionen, wie gegen die bestehende Religion und Theologie war, sondern ebenso sehr gegen alle Metaphysik (im Sinne der trunkenen Spekulation zum Unterschied von der nüchternen Philosophie) (Die heilige Familie im Literarischen Nachlass). Für Hegel, schrieb Marx, ist der Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg (Schöpfer, Erzeuger) des Wirklichen. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle. (Das Kapital, I, Nachwort zur 2. Auflage.) In völliger Übereinstimmung mit dieser materialistischen Philosophie von Marx schrieb Fr. Engels, ah er sie im Anti Dühring darlegte (siehe daselbst) – Marx hatte sich mit diesem Werk im Manuskript bekannt gemacht – : Die Einheit der Welt besteht nicht in ihrem Sein… Die wirkliche Einheit der Welt besteht in ihrer Materialität, und diese ist bewiesen… durch eine lange und langwierige Entwicklung der Philosophie und der Naturwissenschaft… Die Bewegung ist die Daseinsweise der Materie. Nie und nirgends hat es Materie ohne Bewegung gegeben, oder kann es sie geben… Materie ohne Bewegung ist ebenso undenkbar wie Bewegung ohne Materie …. Fragt man… was denn Denken und Bewusstsein sind und woher sie stammen, so findet man, dass es Produkte des menschlichen Hirns und dass der Mensch selbst ein Naturprodukt, das sich in und mit seiner Umgebung entwickelt hat; wobei es sich dann von selbst versteht dass die Erzeugnisse des menschlichen Hirns, die in letzter Instanz ja auch Naturprodukte sind, dem übrigen Naturzusammenhang nicht widersprechen, sondern entsprechen. Hegel war Idealist, d.h., ihm galten die Gedanken seines Kopfs nicht als die mehr oder weniger abstrakten Abbilder (zuweilen spricht Engels von Abklatsch) der wirklichen Dinge und Vorgänge, sondern umgekehrt galten ihm die Dinge und ihre Entwicklung nur als die verwirklichten Abbilder der irgendwo schon vor der Welt existierenden _Idee». – In seiner Schrift Ludwig Feuerbach, in der Fr. Engels seine und Marx» Ansichten über die Philosophie Feuerbachs darlegt und die Engels erst nach erneuter Durchsicht ihres gemeinsamen alten Manuskripts aus den Jahren 1844/1845 über Hegel, Feuerbach und die materialistische Geschichtsauffassung in Druck gab, schreibt Engels: Die grosse Grundfrage aller, speziell neueren Philosophie ist die nach dem Verhältnis von Denken und Sein… des Geistes zur Natur…Was ist das Ursprüngliche, der Geist oder die Natur?… Je nachdem diese Frage so oder so beantwortet wurde, spalteten sich die Philosophen in zwei grosse Lager. Diejenigen, die die Ursprünglichkeit des Geistes gegenüber der Natur behaupteten, also in letzter Instanz eine Weltschöpfung irgendeiner Art annahmen…, bildeten das Lager des Idealismus. Die andern, die die Natur als das Ursprüngliche ansahen, gehören zu den verschiednen Schulen des Materialismus. Jeder andere Gebrauch der Begriffe Idealismus und Materialismus (im philosophischen Sinne) stiftet nur Verwirrung. Marx warf entschieden nicht nur den in dieser oder jener Weise stets mit der Religion verbundenen Idealismus, sondern auch den in unseren Tagen besonders verbreiteten Standpunkt von Hume und Kant, den Agnostizismus, Kritizismus, Positivismus in verschiedenen Lesarten; eine Philosophie dieser Art galt ihm als reaktionäre Konzession an den Idealismus und im besten Falle als verschämte Weise, den Materialismus hinterrücks zu akzeptieren und vor der Welt zu verleugnen._… Siehe zu dieser Frage ausser den schon genannten Schriften von Engels und Marx den an Engels gerichteten Marxschen Brief vom 12. Dezember 1866, in dem Marx feststellt, dass der bekannte Naturforscher Th. Huxley _materialistischer als sonst bei ihm üblich aufgetreten sei und zugegeben habe: Solange wir wirklich beobachten und denken, können wir nie aus dem Materialismus hinaus; zugleich wirft Marx ihm vor, er habe sich eine Hintertür zum Agnostizismus, Humeismus geöffnet. Besonders hervorgehoben werden muss Marx» Auffassung über das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit: Blind ist die Notwendigkeit nur, insofern dieselbe nicht begriffen wird… Die Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit (Engels im Anti-Dühring) = Anerkennung der objektiven Gesetzmässigkeit der Natur und der dialektischen Verwandlung der Notwendigkeit in die Freiheit (zugleich mit der Verwandlung des unerkannten, aber erkennbaren Dings an sich in ein Ding für uns, des Wesens der Dinge in Erscheinungen). Den Hauptmangel des alten Materialismus, darunter des Feuerbachschen (und erst recht des ,,vulgären_ Materialismus der Büchner, Vogt und Moleschott), sahen Marx und Engels darin: 1. dass dieser Materialismus ein vorwiegend mechanischer war, der die neueste Entwicklung der Chemie und Biologie (in unseren Tagen wäre noch hinzuzufügen: der elektrischen Theorie der Materie) nicht berücksichtigte; 2. dass der alte Materialismus unhistorisch, undialektisch war (metaphysisch im Sinne von Antidialektik) und den Standpunkt der Entwicklung nicht konsequent und allseitig zur Geltung brachte; 3. dass man das menschliche Wesen als Abstraktum und nicht als das Ensemble der (konkret historisch bestimmten) gesellschaftlichen Verhältnisse auffasste und deshalb die Welt nur ,,interpretierte_, während es darauf ankommt, sie zu verändern, d.h. dass man die Bedeutung der revolutionären, der praktischen Tätigkeit nicht begriff.