Was beabsichtigt Biden mit dem Drehen an der Eskalationsschraube?
Eine Analyse des Wirbels um die Ukraine von Rüdiger Rauls
Seit die USA von einer Bauernarmee mit altmodischen Waffen aus Afghanistan vertrieben wurden, werden sie nun in anderen Teilen der Welt verstärkt rührig. Vermutlich will man das unrühmliche Ende des erfolglosen zwanzigjährigen Krieges gegen den Terror schnell vergessen machen. Im politischen Washington will man dieses Thema vom Tisch haben, ohne aber die Niederlage öffentlich aufarbeiten zu müssen. Was hilft da besser, als durch erhöhte Aktivität den Beginn einer neuen Epoche glauben zu machen. Anscheinend will man die Zeit, die man mit fruchtlosen und teuren Kriegen in den Wüsten und Steppen der islamischen Welt vertan hat, nun durch hyperaktives Auftreten wieder hereinholen.
Dieses planlose politische Hyperventilieren richtet sich in erster Linie an die eigene Bevölkerung, wie es scheint. Man will vergessen machen, dass die USA und ihre Verbündeten in Afghanistan nichts erreicht haben ausser Hunderte von Milliarden verpulvert zu haben, während die Infrastruktur der amerikanischen Städte verfällt. Biden versucht, das «Make America great again» seines Vorgängers Trump fortzusetzen. Doch es fällt dem Tattergreis schwer, den Eindruck von Stärke und Substanz zu vermitteln. Die Amerikaner selbst trauen ihm das zu weiten Teilen nicht zu. Und seine politischen Gegner in Moskau und Peking beeindruckt das noch viel weniger.
Aber er kann auch nicht zurück, will er nicht die Sehnsucht vieler Amerikaner nach der «guten alten Zeit» unter Trump befeuern, der kraftvoll aufzutreten schien, auch wenn er selbst wenig Erfolge am Ende seiner Dienstzeit aufzuweisen hatte. Auch unter seiner Herrschaft ist Amerika nicht zu alter Grösse aufgelaufen. Die Volksrepublik China breitet mit ihrer Wirtschaft ihren Einfluss weltweit aus, und Russland sowie Teheran haben mittlerweile im Nahen Osten mehr Gewicht als je zuvor.
Was also bleibt sleepy Joe anderes übrig, als den kernigen Macher zu geben – aussenpolitisch, wenn er schon im eigenen Land die Herzen nicht erobern kann. Denn nach den Umfragen zeigen sich die meisten Amerikaner enttäuscht über die ersten Amtshandlungen des neuen Präsidenten. Zuhause kann man den Menschen nicht so viel vormachen wie auf dem Feld der Aussenpolitik. Sie erkennen, ob sich die Lage im Lande bessert, was Corona angeht, die Preissteigerungen, die Kriminalität und in Bezug auf all die anderen Felder des Alltags.
Da ist es in der Aussenpolitik leichter, durch Aktionismus den Eindruck von Handlungsfähigkeit zu erwecken. Hier können doch aufgrund der Manipulationen der Medien und Meinungsmacher die wenigsten Menschen die wirkliche Lage realistisch einschätzen. Sie glauben den Behauptungen, die Russen und die Chinesen würden die Welt und die USA bedrohen. Wie sollten sie es auch anders sehen, wenn ihnen das jeden Tag über die Medien und Meinungsmacher eingeträufelt wird. Und vermutlich sind sie auch stolz auf ihren Präsidenten, auf Amerika und dessen Grösse, wenn den Chinesen und Russen mal wieder gezeigt wird, wo der Hammer hängt.
Anderseits scheinen die Verantwortlichen in Washington aber auch zu erkennen, dass sie ein gefährliches Spiel betreiben. Denn mit ihrem Aktionismus wecken sie Erwartungen in der Ukraine und Befürchtungen in Russland. So werden nicht umsonst nach jedem werbewirksamen Drehen an der Eskalationsschraube sehr schnell die Angefeindeten in Moskau und Peking um Termine für Telefonate und Videokonferenzen gebeten. Es ist Washington, das um Gespräche bittet. Anscheinend will man es doch nicht zu sehr auf die Spitze treiben mit den Anfeindungen und dem Aufbau von Feindseligkeiten.
Denn weder gegenüber Peking in der Taiwan-Frage noch gegenüber Russland im Ukraine-Konflikt hat man mit dem Einsatz militärischer Mittel gedroht. Vielmehr hat Washington den ukrainischen Ministerpräsidenten vor Massnahmen gewarnt, die die Russen zu sehr provozieren könnten. Denn einen militärischen Konflikt wollen die Amerikaner weder mit Russland noch mit China riskieren. Zündeln? Ja, aber Feuerlegen? Nein.
Wenn auch Biden ordentlich Gas gibt auf dem aussenpolitischen Parkett, so will er doch nicht aus der Kurve fliegen. Vermutlich weiss er selbst am besten um die Machtlosigkeit der USA in beiden Konflikten. Denn wer in Afghanistan kein Bein auf die Erde bekommt, wie will der gegen Russland und China, die beide immer mehr als strategischer Block zusammenwachsen, bestehen?