Palästinenser trauern um Musab Muhammad Mahmoud Zabin Nafal, der von israelischen Streitkräften erschossen wurde. Ahmad Arouri, APA images.
Israel tötet in erster November-Hälfte neun Palästinenser
Seit das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten 2005 begonnen hat, die Zahl der Todesopfer systematisch zu erfassen, war dies im Monatsdurchschnitt das tödlichste Jahr im Westjordanland. Im vergangenen Monat beispielsweise tötete das israelische Militär im Durchschnitt jeden Tag einen Palästinenser. Da die Palästinenser im Westjordanland ihren Widerstand gegen die israelische Besatzung fortsetzen, gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich dieser Durchschnitt verringert.
Von TAMARA NASSAR, 15. November 2022
Am 14. November tötete die israelische Armee ein 15-jähriges palästinensisches Mädchen in der Stadt Beitunia bei Ramallah. Es handelte sich um Fulla al-Masalmeh aus einer Stadt im südlichen Westjordanland. Die israelische Armee hatte erklärt, ein Fahrzeug habe sich ihr während eines militärischen Einmarsches in Beitunia genähert und sich geweigert, auf Befehl anzuhalten. Sie eröffneten das Feuer auf das Fahrzeug und töteten al-Masalmeh.
Am 9. November wurde ein 29-jähriger Mann von israelischen Streitkräften in Jenin erschossen. Das palästinensische Gesundheitsministerium bestätigte seine Identität als Raafat Ali Abdullah Ayyaseh. Er stammte aus dem Dorf Sanur bei Dschenin. Israelische Soldaten hielten Ayyaseh zunächst fest und übergaben ihn dann dem Roten Halbmond, der ihn in kritischem Zustand in ein Krankenhaus brachte, wo er für tot erklärt wurde, wie der Leiter des Ambulanzdienstes des Roten Halbmonds, Mahmoud Saadi, gegenüber der palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA erklärte.
Israelische Besatzungstruppen töteten in der Nacht zum 9. November bei einem Überfall auf die Stadt Nablus ebenfalls ein Kind. Die israelische Armee eskortierte eine Gruppe rechtsgerichteter israelischer Abgeordneter, die an einer Veranstaltung am Josefsgrab teilnahmen, einer archäologischen Stätte in der Stadt, die von Muslimen, Christen und Juden als heilig angesehen wird. Der Besuch der Siedler fand statt, obwohl hochrangige israelische Armeeangehörige Berichten zufolge Einwände erhoben hatten. Ein Divisionskommandeur genehmigte ihn schliesslich trotzdem.
Jugendliche, darunter Muhammad Hamdallah Hashash, 15, begannen, sich den Siedlern und den israelischen Streitkräften entgegenzustellen. Laut einer von Defense for Children International-Palestine durchgeführten Untersuchung vor Ort platzierten sie einen selbstgebauten Sprengkörper. Mahdi näherte sich dem Gegenstand, als dieser aus der Verankerung fiel, und die israelischen Streitkräfte schossen ihm 400 Meter entfernt ins Bein. Selbst nachdem Mahdi gefallen war, schossen die israelischen Streitkräfte weiter auf ihn und den Sprengkörper, so dass die Bombe explodierte und ihn tötete.
Die Bewohner des Gebiets werden regelmässig durch das Eindringen israelischer Siedler, die unter schwerem militärischem Schutz stehen, belästigt und provoziert.
Teenager in der Nähe von Ramallah getötet
Am 5. November töteten israelische Besatzungstruppen an einer Kreuzung in der Nähe der Stadt Sinjil bei Ramallah im besetzten Westjordanland einen Jugendlichen mit sieben Kugeln. Musab Muhammad Mahmoud Zabin Nafal war 18 Jahre alt. Nach Angaben des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte, das Untersuchungen vor Ort durchführt, wurde seine Leiche palästinensischen Sanitätern übergeben.
Bei demselben Vorfall verwundeten die israelischen Streitkräfte auch seinen Cousin, Nishan Dumar Zabin Nafal, 18. Die israelische Armee beschuldigte die Teenager, Steine geworfen und Fahrzeuge beschädigt zu haben.
Es gab keine palästinensischen Augenzeugen des Vorfalls, aber das PCHR kam zu dem Schluss, dass «die Tatsache, wonach die israelischen Besatzungstruppen die Leiche des palästinensischen Teenagers den Sanitätern übergaben, ein neues Verbrechen der aussergerichtlichen Hinrichtung und Ermordung darstellt.»
Die israelischen Truppen schiessen routinemässig mit scharfen Waffen auf Palästinenser, die von der Armee beschuldigt werden, Steine oder Molotowcocktails geworfen zu haben, auch wenn keine israelischen Soldaten oder Zivilisten verletzt werden. Nach dem humanitären Völkerrecht ist der Widerstand eines besetzten Volkes gegen eine militärische Besatzung legal.
Am 3. November schlichen sich Angehörige der Yamam-Einheit der israelischen Grenzpolizei in einem zivilen Kleinbus mit palästinensischem Kennzeichen in das Flüchtlingslager Jenin im besetzten Westjordanland ein. Sie verbarrikadierten eine Metzgerei, in der die bevorstehende Hochzeit von Farouq Jamil Hasan Salameh, einem Kommandeur des militärischen Flügels des Islamischen Dschihad, gefeiert werden sollte. Salameh wurde durch Schüsse in Brust, Bauch und Kopf tödlich verletzt, als ein Yamam-Mitglied das Feuer auf die Menschen in der Metzgerei eröffnete. Weitere Personen wurden verwundet, und fünf wurden festgenommen.
Die israelische Armee riegelte später Salamehs Haus im Flüchtlingslager Jenin ab, während Palästinenser Steine auf die Eindringlinge warfen.
Israel tötet Kind
Die israelischen Streitkräfte erschossen auch einen 14-jährigen Jungen in der Nähe des Eingangs zum Lager. Muhammad Samer Muhammad Khalouf hatte sich am Eingang des Lagers eingefunden, wo sich andere der israelischen Armee entgegenstellten. Er soll mit einer selbstgebauten Waffe auf israelische Militärfahrzeuge geschossen haben», so die DCIP, die eine Untersuchung vor Ort durchführte. Die Soldaten eröffneten das Feuer auf Muhammad aus 100 Metern Entfernung und trafen ihn in die Brust.
Am selben Tag wurde ein Mann von der israelischen Polizei getötet, nachdem er angeblich einen israelischen Polizeibeamten in der Jerusalemer Altstadt niedergestochen und leicht verletzt hatte. Das palästinensische Gesundheitsministerium identifizierte den Mann als Amer Husam Bader, 20. Die Birzeit-Universität, an der Bader Bauingenieurwesen studierte, trauerte «mit grossem Stolz» um ihn. Zwei weitere israelische Polizisten wurden von ihren Kollegen, die auf Bader schossen, verwundet.
Am Tag zuvor, am 2. November, wurde ein Mann, der beschuldigt wurde, ein Auto gerammt und einen israelischen Soldaten mit einer Axt angegriffen zu haben, von israelischen Besatzungskräften erschossen. Berichten zufolge zeigen die Aufnahmen des Vorfalls, wie ein weisser Kleinbus eine Person in der Nähe eines kleinen Gebäudes rammt und gegen einen Pfosten prallt. Anschliessend steigt der Bus-Fahrer aus dem Fahrzeug aus und scheint den Soldaten mit einem Gegenstand anzugreifen. Offenbar angeschossen, stürzt der Fahrer dann zu Boden. Der Soldat wurde mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht, so die Armee.
Schüsse auf Demonstranten
Das israelische Militär erklärte, es wolle die Veröffentlichung von Dokumenten vom Ort des Angriffs, der sich an einem Kontrollpunkt am Eingang von Beit Ur bei Ramallah ereignete, vermeiden. Einige Medien verbreiteten jedoch Bildmaterial, das angeblich den Angriff zeigt. Der Mann, der für die Operation verantwortlich sein soll, wurde vom palästinensischen Gesundheitsministerium als Habbas Abdelhafith Yousef Rayyan, 54, identifiziert. Er stammte aus dem Dorf Beit Duqqu nordwestlich von Jerusalem.
Sein Sohn, Qusai Rayyan, befand sich zum Zeitpunkt des Vorfalls in israelischer Haft. Israel hatte ihn im September festgenommen, und er wurde wenige Tage nach der Ermordung seines Vaters freigelassen.
Am Tag nach der Ermordung von Habbas Rayyan führte das israelische Militär eine Razzia in seinem Haus durch und beschoss Demonstranten, die sich in der Nähe versammelt hatten, mit gummiummantelten Stahlgeschossen und Tränengaskanistern, berichtete das PCHR. Palästinenser warfen aus Protest Steine, woraufhin das israelische Militär mit scharfem Feuer, weiteren Stahlgummigeschossen und Tränengas reagierte und den 42-jährigen Daoud Mahmoud Khalil Rayyan mit einem Schuss in die Brust tötete.
Mustafa Mirar, ein Anwohner, versuchte, Daoud Rayyan zu helfen, indem er ihn in seinen Garten zog und den Notdienst rief. Medizinisches Personal traf sofort ein, doch das israelische Militär verweigerte ihm den Zutritt, so PCHR. Trotz des kritischen Zustands von Rayyan erlaubte die israelische Armee dem medizinischen Personal erst eine halbe Stunde später, ihn ins Krankenhaus zu bringen.
Trotz den Behauptungen der israelischen Armee, dass Palästinenser Molotow-Cocktails geworfen hätten, als Rayyan erschossen wurde, sagten Mirar und andere Augenzeugen den PCHR-Mitarbeitern vor Ort, dass keine Molotow-Cocktails bei den Demonstranten oder Daoud Rayyan gesehen worden seien, «der keine Gefahr für die israelischen Soldaten darstellte, die ihn direkt in die Brust trafen», so PCHR.
An anderer Stelle erlag ein israelischer Siedler seinen Wunden, als er am 25. Oktober Berichten zufolge in der Nähe des Dorfes al-Funduq im nordöstlichen Westjordanland von einem Palästinenser niedergestochen wurde.
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