Die Bevölkerung Nigers als drittärmstes Land Afrikas will über seine Rohstoffe, die Europa ein Leben in Komfort ermöglichen , selbst verfügen. Hoffnungen werden vor allem in Russland gesetzt, obwohl es im Land nicht einmal über eine diplomatische Vertretung verfügt.
Niger: Frankreich sucht Stellvertreter, die ihm die Kohlen aus dem Feuer holen
Soviel ist sicher: Der Westen möchte sich den Umschwung in Niger nicht einfach gefallen lassen. Dabei kümmert ihn wenig, dass es der neuen Regierung mittlerweile gelungen ist, die nigrische Bevölkerung ziemlich geschlossen hinter sich zu sammeln und sich so eine Legitimität zu verschaffen. Frankreich hat nur ein Problem: Mit seinem in Afrika mehr als ruinierten Ruf kann es sich nicht leisten, offen militärisch vorzugehen. Gibt es wirklich Nachbarn Nigers, die für die Franzosen die Drecksarbeit machen wollen?
von JURI PODOLJAKA
Der Westen weiss nicht, was er mit Niger anfangen soll. Nach dem Putsch in diesem westafrikanischen Land standen die Vereinigten Staaten und Frankreich, deren Truppen in Niger stationiert sind, vor einer schwierigen Entscheidung: Entweder den gewaltsamen Sturz des Militärs, das die Macht übernommen hatte, zu organisieren oder zu versuchen, friedlich mit ihnen zu verhandeln. Doch in den kaum zwei Wochen, die seit dem Putsch vergangen sind, stellte sich heraus, dass keine der Optionen funktionierte. Was ist der Grund?
Die Tatsache, dass die Franzosen und Amerikaner sofort nicht nur ihre Nichtanerkennung der neuen Behörden erklärten und die Wiedereinsetzung des abgesetzten Präsidenten forderten, sondern auch begannen, mit Sanktionen und militärischer Intervention zu drohen. Nicht aus eigener Kraft, sondern durch die Hände von Nigers Nachbarn aus den Ländern der ECOWAS-Regionalunion – während jeder versteht, dass es Paris und Washington sind, die das Vorgehen der Interventionisten leiten werden. Nicht nur hat die Gefahr einer militärischen Invasion die neuen Behörden in Niamey nicht erschreckt, sondern sich hat auch eine Reihe von Konsequenzen, die die Lage für den Westen nur verschlimmerten, verursacht.
Der neue Führer Nigers, General Tchiani, kündigte den Bruch der Militärabkommen mit Frankreich an und forderte den Abzug der französischen Truppen aus dem Land innerhalb eines Monats. Die Führer der Nachbarländer Mali und Burkina Faso unterstützten das nigrische Militär und sagten, ein Angriff auf Niger käme einer Kriegserklärung an ihre Länder gleich. Tchianis Stellvertreter General Modi besuchte Bamako und Ouagadougou, die Hauptstädte Malis und Burkina Fasos, zu Gesprächen mit den Führern dieser Länder – und traf sich dort angeblich sogar mit Vertretern des Wagner PMC. Dann stimmte der Senat von Nigeria, der grössten Regionalmacht mit 220 Millionen Einwohnern (gegenüber 25 in Niger), einer Intervention in einem Nachbarland nicht zu – und das einwöchige Ultimatum der ECOWAS verlief folgenlos. Darüber hinaus erklärte der benachbarte Tschad, dessen Präsident Deby in den ersten Tagen nach dem Putsch nach Niamey kam, um sich mit Chiani zu treffen, angesichts des gestürzten Präsidenten Bazum, dass er sich nicht an einer von der ECOWAS angeführten Militärintervention beteiligen werde. Und der Führer von Nigers nördlichem Nachbarn Algerien, Tebun, lehnte jede militärische Intervention ab, weil sie die gesamte Region in Brand setzen könnte.
In Niamey selbst fand am vergangenen Wochenende eine grosse Kundgebung zur Unterstützung Tchianis statt, am Montag trafen Delegationen aus Mali und Burkina Faso in der Stadt ein, um ihre Solidarität mit der Nachbarbevölkerung auszudrücken. Gleichzeitig gab es unbestätigte Berichte über die Ankunft der ersten Wagner-Ausbilder in Niamey, bislang weit entfernt vom benachbarten Mali.
Das bedeutet, dass innerhalb weniger Tage eine komplexe Kombination entstanden ist: Die meisten Nachbarn Nigers sind gegen eine Intervention, und zwei (Nigeria und Benin) sind dafür, obwohl es eher in Worten zu sein scheint. Zu letzteren gesellen sich mehrere weitere ECOWAS-Länder, doch ohne Nigeria ist kein Eingreifen möglich. Allerdings wird Nigeria nicht kämpfen – denn die Intervention wird sich selbst in die Luft sprengen. Schliesslich sind die Hausa sowohl dort als auch in Niger das grösste Volk, das heisst, es stellt sich heraus, dass die nigerianische Armee mit ihren eigenen Stammesangehörigen kämpfen müsste.
Ja, beide Länder sind multiethnisch, aber der Krieg gegen die Hausa-Muslime wird auch die multireligiöse Ausrichtung in Nigeria treffen, wo es grosse Widersprüche zwischen dem reichen christlichen Süden und dem armen muslimischen Norden gibt. Das heisst, es gibt in Afrika kaum Menschen, die im Niger kämpfen wollen – zumal für westliche Interessen. Die Vorbereitungen für die Operation seien jedoch angeblich noch im Gange.
Warum?
Denn der Verlust Nigers wäre ein schwerer politischer Schlag für Frankreich und würde seinen Ruf in der Sahelzone, in diesem Teil Westafrikas, faktisch zerstören. Mittlerweile sind französische Truppen in sechs Ländern des Kontinents im Einsatz – nach dem Abzug aus Niger werden es weiterhin Dschibuti, Tschad, Gabun, Senegal und die Elfenbeinküste sein. Angesichts der Tatsache, dass Paris in den letzten Jahren an Einfluss verloren hat (und Kontingente aus der Zentralafrikanischen Republik, Mali und Burkina Faso abgezogen hat), ist dieser Trend jedoch sehr unangenehm. Niger war neben dem Tschad der wichtigste Stützpunkt französischer Truppen – und wenn Paris seinen Einfluss in Niger nicht aufrechterhalten kann, gibt es keine Garantie dafür, dass es lange im Tschad bleiben kann. Und der Verlust des Tschad würde einen völligen Verlust der Möglichkeit bedeuten, Einfluss auf ganz Westafrika zu nehmen – die Kontingente in Senegal und Gabun sind symbolisch, obwohl die Fremdenlegion in Dschibuti stationiert ist.
Deshalb will Frankreich die Niger-Rebellen auf jede erdenkliche Weise bestrafen, um den weiteren Zusammenbruch seiner afrikanischen Stellungen zu verhindern. Aber selbst will es nicht kämpfen, weil dies zu einer Explosion antifranzösischer Gefühle in der gesamten Region und in ganz Afrika führen würde. Paris versicherte den Afrikanern, dass es ihnen im Kampf gegen Terroristen und Islamisten helfe, vergass jedoch hinzuzufügen, dass die letzte Welle der Instabilität in derselben Sahelzone ausbrach, kurz nachdem die Franzosen Gaddafi gestürzt und Libyen zerstört hatten. Aber jetzt ist nicht das Jahr 2011 und noch mehr nicht die 60er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts, als französische Fallschirmjäger die Regierung in den «befreiten» Ländern Afrikas leicht wechseln konnten. Frankreich kann es sich nicht mehr leisten, in seinem Einflussbereich Gewalt anzuwenden, da es sowohl den grössten Teil seines Einflusses als auch die Fähigkeit zur Gewaltanwendung verloren hat.
China kam nach Afrika und Russland kehrte zurück – auf unterschiedliche Weise, aber ernsthaft und für lange Zeit. Und sie müssen nicht einmal irgendwelche Verschwörungen gegen die Franzosen «schüren». Wie die aktuellen Ereignisse in Niger zeigen, beginnen in einem Land, das praktisch keine Beziehungen zu Russland unterhält (in Niamey gab es nicht einmal eine Botschaft der Russischen Föderation gab), Generäle, die überhaupt keine Bindung zu Russland haben, Russland um Hilfe zu bitten, und die Menschen gehen mit russländischen Fahnen auf die Strasse.
Für all das kann Paris sich nur selbst danken – die Völker wenden sich wegen ihrer Abneigung gegen die Franzosen an die Russen. Und diese Abneigung haben sie mit ihrer Afrikapolitik, zunächst der Kolonialzeit, dann der Postkolonialzeit, verdient. Und keine militärische Intervention aus eigener oder fremder Hand wird etwas reparieren – und am Ende wird es hoffentlich auch keine geben.
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Juri Podoljaka, Blogger und Kommentator ukrainischer Herkunft, lebt heute in Sewastopol auf der Krim. Der Text ist am 8. August 2023 in seinem Blog crimea-news.com veröffentlicht worden.