Bildmontage: Al Mayadeen.
Ukrainische Paradoxien in Sachen Demokratie
Gemäss dem atlantischen Narrativ verteidigt das nazigestützte Regime der Ukraine die westliche Demokratie gegen den russischen Autoritarismus. Wahlen haben jedoch in von Russland kontrollierten Teilen der Ukraine stattgefunden, während in von Kiew kontrollierten Regionen autoritäre Herrschaft herrscht. Die ukrainischen Behörden hatten schon vor dem Putsch von 2014 nichts von Referenden gehalten. Auch in Moldawien ignoriert die Staatspräsidentin Urnengänge in autonomen Gebieten.
Von DMITRI KOWALEWITSCH
Am 10. September fanden in der gesamten Russischen Föderation Wahlen zu Regional- und Gemeindeversammlungen statt. Zum ersten Mal wurden sie nach russischem Recht in den beiden Donbass-Republiken Donezk und Lugansk abgehalten, die im Februar 2022 offiziell Teil der Russischen Föderation wurden. Wahlen fanden auch in den beiden ‹neuen Gebieten› statt, wie sie in Russland genannt werden, in den von Russland kontrollierten Teilen der Regionen Saporischschja und Cherson (d. h. den Gebieten dieser beiden Regionen südlich und östlich des Dnjepr).
Die ukrainische Regierung mag keine Umfragen, Referenden und schon gar nicht eine Volkszählung
Das regierende Regime in der Ukraine sowie die hinter ihm stehenden westlichen Länder verurteilten und weigerten sich, die Wahlen in den Donbass-Republiken und den neuen Territorien anzuerkennen, so wie sie sich zuvor geweigert hatten, Referenden im Jahr 2022 in allen vier Territorien anzuerkennen, um der Russischen Föderation beizutreten. Internationalen Beobachtern wurden alle möglichen Sanktionen angedroht, wenn sie es wagten, die Abstimmung mitzuerleben und zu melden, wie es sich viele Bewohner der Regionen wünschen würden. Am Wahltag, dem 10. September, beschoss die ukrainische Armee Wahllokale und zerstörte Wahlmaterialien und Abstimmungsinfrastruktur. Offiziell behandelt die Ukraine die Teilnahme an diesen Wahlen als «Hochverrat».
Die ukrainischen Behörden waren schon vor dem Putsch von 2014 sehr misstrauisch gegenüber Referendumsinitiativen oder gar Umfragen, die sich mit ‹unangenehmen› Fragen der Sprach-, Kultur-, Wirtschafts- oder Sozialpolitik befassten. Das liegt daran, dass die Ergebnisse im Gegensatz zum offiziellen, ultranationalistischen Kurs aufeinanderfolgender ukrainischer Regierungen seit der Abspaltung von der Sowjetunion 1990/91 vorhersehbar waren. Aus ähnlichen Gründen hat die Ukraine seit 2001 nicht einmal mehr eine Volkszählung durchgeführt und dringende Empfehlungen der Vereinten Nationen, eine solche durchzuführen, ignoriert. Der Grund für diese Ablehnung ist, dass eine Volkszählung einen starken Bevölkerungsrückgang gezeigt hätte, der durch den katastrophalen politischen und wirtschaftlichen Kurs der postsowjetischen Ukraine verursacht wurde.
Fiktive populistische Parteien füllen eine Lücke und untergraben echte Demokratie
Bei Wahlen ist es seit 1991 üblich, fiktive populistische Parteien zu gründen, die eine Welle auffangen und überraschende Wahlergebnisse erzielen können. Dies war 2021 bei der von Wolodymyr Selenskyj und seiner Clique gegründeten Partei ‹Diener des Volkes› der Fall. Er und seine ‹Partei› haben die Präsidentschafts- und Legislativwahlen 2019 gewonnen (Rada). Sie taten dies, indem sie mit russischsprachigen Wählern sowie anderen Wählern liebäugelten, die die antirussische Politik, die durch den Putsch von 2014 in der Ukraine in den Vordergrund gerückt war, ablehnten oder sich dabei unwohl fühlten. Sie versprachen eine sozial orientierte Politik sowie Sondierungen für einen Frieden mit Russland, änderten aber, sobald sie an der Macht waren, sofort den Kurs, um neoliberale Politiken durchzusetzen, eine stärkere militärische Intervention der Nato gegen Russland zu fordern und weiterhin den rechten ukrainischen Nationalismus zu fördern.
Das tatsächliche Fehlen einer echten Demokratie in der postsowjetischen Ukraine wurde von den westlichen Ländern immer stillschweigend gebilligt. Sie haben lange einfach das Etikett ‹demokratisch› auf das diktatorischste Regime geklatscht, solange sie sich einem Status von ‹Verbündeten›, das heisst Untergebenen, der Vereinigten Staaten und der Nato unterwerfen. Dementsprechend würde einfach jede freie Wahl oder jedes Referendum nicht den Standards westlicher «Demokratie» entsprechen, wenn die Ergebnisse der Politik der USA und der Nato widersprechen. Sollten solche Ergebnisse eintreten, war programmiert, dass Gruppen prowestlicher Bürgerwehren und Paramilitärs, die winzige Teile der Wählerschaft repräsentieren, mobilisiert werden, um Farbrevolutionen gegen gewählte Amtsträger durchzuführen, die sich in den Weg stellen.
Hätte es in der Ukraine vor den Umwälzungen und dem Putsch Ende 2013 / Anfang 2014 Referenden zu wichtigen Themen gegeben, wäre dem Land sehr wahrscheinlich der achtjährige blutige Bürgerkrieg erspart geblieben, den Kiew gegen die Donbass-Republiken geführt hat, und die am 24. Februar 2022 begonnene russische Militärintervention vermieden worden. Die Welt würde heute nicht am Rande eines Atomkonflikts stehen. Die Ukraine wäre ein neutrales Land mit konkurrierenden Interessen und Loyalitäten im Gleichgewicht geblieben; prosozialistische Gefühle, die im Osten des Landes weit verbreitet sind, würden sich gegen die im Westen greassierenden prokapitalistischen und proeuropäischen Gefühle ausgleichen. Die Wirtschaftsbeziehungen des Landes würden zwischen dem Westen und dem von Russland geführten Wirtschaftsblock im Osten ausgewogen sein, während sein multikultureller und mehrsprachiger Charakter intakt bliebe. Aber genau dieses echte Demokratiemodell wurde abgeschafft, weil es der trügerischen westlichen Marke von Demokratie widersprach.
Moldawien von westlicher Demokratie bedroht
Etwas Ähnliches wie die politische Krise in der Ukraine zeichnet sich jetzt im benachbarten Moldawien (2,6 Millionen Einwohner) ab. Transnistrien (Transnistrische Republik Moldau, Einwohnerzahl etwa 500 000) trennten sich in den 1990er Jahren von Grossmoldawien als Reaktion darauf, dass die moldauischen Behörden dem Nationalismus huldigten und die Zusammenarbeit mit der Nato verfolgten.
In diesem Jahr fanden Wahlen in der Autonomen Republik Gagausien (Einwohnerzahl etwa 135 000). Die Republik liegt im Süden Moldawiens mit ihrer Hauptstadt in der Stadt Comrat und wird überwiegend von Gagausen, einem türkischen Volk, bewohnt. Prosowjetische Gefühle waren dort immer stark.
Die Wahl des Baschkan (Präsidenten) des autonomen Gagausien wurde von der gagausischen Führerin Eugenia Gutsol gewonnen. Aber die moldauische Präsidentin Maia Sandu hat sich geweigert, die Abstimmung anzuerkennen, und Gutsol entlassen, weil sie «pro-russisch» und gegen einen Pro-Nato-Kurs sei. Im September erklärte Präsidentin Sandu, dass die Macht in Gagausien «in den Händen einer prorussischen kriminellen Gruppe» liege. Premierminister Dorin Recean fügte hinzu, dass sein Kabinett nicht mit einer Politikerin zusammenarbeiten werde, die die Stärkung der Beziehungen zu Russland befürworte. So droht die Nichtanerkennung eines nicht genehmen Wahlausgangs des winzigen Moldawien zu einem weiteren Konflikt mit einem ganzen Volk zu führen, den Gagausen.
Transnistrien wird hauptsächlich von russischsprachigen bevölkert, mit einer bedeutenden ukrainischen Bevölkerung im Norden. Gagausien hat eine grosse ethnische bulgarische Bevölkerung im Südosten. Es ist offensichtlich, dass die Politik des ethnischen Nationalismus, die von der Zentralregierung in der Hauptstadt zunehmend gefördert wird, nur zum politischen Zusammenbruch des Landes führen kann.
Aber kehren wir zu den Wahlen in den ehemaligen ukrainischen Gebieten zurück. Während der Regionalwahlen in ganz Russland am 10. September, einschliesslich der neuen, ehemaligen ukrainischen Gebiete, wurde den Fragen im Zusammenhang mit der militärischen Intervention in der Ukraine und der Geopolitik wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Schliesslich waren dies Wahlen zu kommunalen und regionalen Körperschaften, nicht für die Präsidentschaft und die nationale Regierung. Alexei Makarkin vom Russischen Zentrum für politische Technologien fasste den Wahlkampf in der Zeitschrift Profile zusammen und schrieb: «Die Mehrheit der Wähler möchte ihr gewohntes Leben führen, während die Kandidaten natürlich ihr Bestes geben, um dies nicht zu stören.»
Einer der unerwarteten Momente der Regionalwahlen in Russland war die Tatsache, dass der amerikanische MMA-Boxer und Anarchokommunist Jeff Monson, der Donezk in seinem Konflikt mit Kiew unterstützt hat und russischer Staatsbürger geworden ist, zum Abgeordneten des Kurultai (gesetzgebende Versammlung) von Baschkortostan, einer muslimischen autonomen Republik der Russischen Föderation, gewählt wurde. Monson hatte zuvor die Politik der US-Regierung und den Kapitalismus im Allgemeinen verurteilt.
Wahlen in den beiden russischen Donbass-Republiken und den beiden neuen Territorien
Die vier neuen Regionen der Russischen Föderation hielten am 10. September Wahlen mit dem Rest des Landes ab. Wladimir Putins Partei Einiges Russland gewann überall die überwältigende Mehrheit der Stimmen, von 74 Prozent auf 83 Prozent. Die Plätze zwei und drei teilten sich die Kommunistische Partei der Russischen Föderation und die Liberaldemokratische Partei. Die Partei Gerechtes Russland (Sozialdemokraten) belegte überall den vierten Platz, ausser in der Region Saporischschja, wo sie die Kommunistische Partei vom dritten Platz verdrängte.
Die Republik Donezk wählte eine Regionalversammlung (‹Volksrat›) mit 90 Abgeordneten, während die Republik Lugansk 50 Abgeordnete in eine ähnlich benannte Versammlung wählte. Saporischschja wählte 40 Abgeordnete in seine ‹Gesetzgebende Versammlung›, während Cherson 36 Abgeordnete in seine ‹Regionalduma› wählte.
Einwohner der neuen Regionen stimmten mit russischen oder ukrainischen Pässen als Ausweis ab; Vertriebene aus diesen Regionen, die in anderen Regionen der Russischen Föderation leben, stimmten ähnlich ab. Nach Angaben des Zentralen russischen Wahlausschusses waren zum 31. August insgesamt 1313 Personen als Kandidaten für Regionalparlamente in den neuen Regionen registriert. Ukrainische Medien versuchten, die Kandidaten zu diskreditieren, indem sie ihren «niedrigen» sozialen Hintergrund betonten. Die überwiegende Mehrheit der Kandidaten in diesen Regionen stammte aus der Arbeiterklasse. Viele waren Hausfrauen, Studenten, Rentner und Arbeitslose, was von Kiew verspottet wurde.
Zu den bekannten ukrainischen Persönlichkeiten, die für ein Amt kandidierten, gehörten die amtierenden Führer der Region Saporischschja (Jewgeni Balitski), der Region Cherson (Vladimir Saldo) und die amtierenden Führer der beiden Donbass-Republiken. Kandidat Dmitro Tabatschnik in der Region Saporischschja war Regierungschef des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma (1994 bis 2005) und ehemaliger Bildungsminister (2010 bis 2014).
Viele der Kandidaten auf den Listen waren zuvor Mitglieder von in der Ukraine verbotenen Parteien, darunter die Kommunistische Partei der Ukraine, die Oppositionsplattform, die Scharidsch-Partei und die Sozialistische Partei.
Die Wahlbeteiligung in den neuen Regionen (ehemalige ukrainische Regionen) war viel höher als in den bestehenden russischen Regionen. Während die durchschnittliche Wahlbeteiligung in der Russischen Föderation 43,5% betrug, lag sie in den neuen Gebieten zwischen 65% und 94%. In der Republik Donezk waren es 94,34% und in der Republik Lugansk 72,53%. Die Wahlbeteiligung in der Region Cherson betrug 65,14%, in der Region Saporischschja etwa 70%. Eine hohe Wahlbeteiligung ist seit 2014 auch für die Krim charakteristisch.
Die neuen Regionen der Russischen Föderation sind in der Regel Moskau gegenüber loyaler als die russischen Regionen im Allgemeinen. Die Abstimmung dort unter neuen und anderen Gesetzen für neue und andere Parteien sowie die Angst vor möglichen Vergeltungsmassnahmen durch die Ukraine haben die Wahlbeteiligung möglicherweise leicht gesenkt.
Vorhersehbar haben die Ukraine und die westlichen Länder die Wahlzahlen zurückgewiesen. Keine offiziellen Vertreter von dort waren bereit, den Abstimmungs- und Auszählungsvorgang zu beobachten und zu überwachen. Die Russische Föderation reagierte auf abfällige westliche Kommentare damit, dass die Wahlen eine «interne» Angelegenheit seien.
In der Ukraine selbst werden wahrscheinlich nicht bald Wahlen abgehalten. Der Chef des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Alexej Danilow, warnte Anfang September davor, dass die Wahlen in der Ukraine von Russland zur «Destabilisierung» genutzt werden könnten. «Die Abhaltung von Wahlen unter den Bedingungen, in denen sich unser Land befindet, ist einfach eine Frage der inneren Destabilisierung,» sagte Danilow. Er sagte auch, dass Wahlen Diskussionen und Debatten erfordern und eine öffentliche politische Diskussion in der heutigen Ukraine unmöglich ist, weil diejenigen in der Ukraine, die pro-russische Ansichten vertreten, noch nicht von allen Institutionen der Regierung und des Staates gesäubert wurden.
Korruption in der Ukraine hält sich hartnäckig
Die Zurückhaltung bei der Abhaltung von Wahlen hängt mit den sinkenden Bewertungen von Selenskyj zusammen. Eine im September in der Ukraine veröffentlichte Umfrage ergab, dass 78 Prozent der Ukrainer glauben, dass Selenskyj persönlich für Korruption in der Regierung und den lokalen Verwaltungen verantwortlich ist. Die New York Times veröffentlichte kürzlich eine Analyse der Ukraine unter der Schlagzeile ‹Korruption ist eine existenzielle Bedrohung für die Ukraine, und die Ukrainer wissen es›.
Korruptionsskandale in der Ukraine hören keinen einzigen Tag auf. Ganze Lieferungen humanitärer Hilfsgüter wurden als gestohlen gemeldet. Die Zahlung hoher Bestechungsgelder zur Vermeidung der Wehrpflicht oder zur Flucht ins Ausland ist üblich. Das Militär kauft oft Lebensmittel und andere Vorräte zu viel höheren Preisen als die vorherrschenden Marktpreise. Erst kürzlich wurde in der Region Kiew die stillgelegte Trilessky-Brennerei in der Stadt Saporischschja vom ukrainischen Staatseigentumsfonds für umgerechnet 176 US-Dollar verkauft. Der Verkauf umfasst angrenzendes Land von 104 Hektar mit Lagerhäusern, Heizölanlagen, einem Lokomotivdepot, einer Autowerkstatt, Kellern, Werkstätten, Alkohollagern und sogar einem Sommerkino.
Selenskyj wird von vielen Ukrainern als persönlich verantwortlich für all diese Probleme angesehen, zum Teil aufgrund seiner früheren Massnahmen zur wirksamen Unterdrückung der Operationen der lokalen Selbstverwaltung im Land und zur Ersetzung gewählter Körperschaften in einer Reihe von Regionen durch von ihm ernannte Militärverwaltungen. Die gewählten Bürgermeister einer Reihe von Städten wurden unter verschiedenen Vorwänden entmachtet, wie von niemand geringerem als der Carnegie Endowment for International Peace, einem führenden US-Think-Tank in Washington, ausführlich beschrieben wurde.
Die Regierung und der Staat nach 2014 in der Ukraine sind stark zentralisierte Regierungen mit nur wenigen wirklichen Befugnissen, die von lokalen oder regionalen Regierungen ausgeübt werden. Westliche Medien befleissigen sich, dies völlig zu übersehen. Die Carnegie-Analyse erklärt: «Die Regierung untergräbt zunehmend die Idee der lokalen Selbstverwaltung.» Und weiter: «Die Konfrontation zwischen der Zentralregierung und den Bürgermeistern in der Ukraine dauert seit den Kommunalwahlen 2020 an, der letzten grossen Abstimmung vor der Intervention Russlands. Damals wurde die Partei «Diener des Volkes» von Präsident Wolodymyr Selenskyj bei den Bürgermeisterwahlen in Schlüsselstädten geschlagen.»
Der Autoritarismus und die Diktatur, die Selenskyj in der Ukraine aufgebaut hat, haben eine Kehrseite, die sehr zu seinem Nachteil und dem seiner Verbündeten wirkt. Der ukrainische Telegramkanal «Kriogen» erklärt: «Bei einer solch beispiellosen Machtkonzentration in den Händen einer Person und einer politischen Kraft gibt es niemanden andern, den man verantwortlich machen könnte.»
Ungeachtet aller gegenteiligen Beweise präsentieren westliche Regierungen und Medien die Ukraine weiterhin als Demokratie, während sie Russland und seine gewählten lokalen, regionalen und nationalen Regierungen als «autoritär» abtun.
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Der Text ist erstmals am 26. September in Orinoco Tribune erschienen. Übersetzt mit Hilfe von Yandex Translate .