Die Juso ruft zur Isolation der SVP auf, weil sie … anti-EU ist!
von Luca Frei1
Die Delegiertenversammlung der Schweizer Jungsozialisten, die am Sonntag, 24.September in Uster stattfand, hat erneut gezeigt, dass diese Jugendorganisation Schwierigkeiten hat, die aktuellen politischen Prioritäten zu erkennen. Das diskutierte und angenommene Dokument «Wieso die SVP unsere Freiheit und Demokratie gefährdet» ist ein weiteres Beispiel dafür. Um diese Aussage zu belegen, folgt eine Reihe von Überlegungen:
1. Zunächst muss eine Prämisse gemacht werden: Die SVP ist eine Partei, die sich hinter einer Rhetorik versteckt, die Nähe zur Bevölkerung suggeriert, und die gleichzeitig die Interessen der herrschenden Klasse verteidigt. Obwohl Sie sich als Verteidiger der Schweizer Souveränität und Neutralität bezeichnen, agieren viele SVP-Vertreter tatsächlich gegen diese Konzepte. Beispielhaft dafür ist der Kauf der Nato-Militärflugzeuge, die von der SVP dringend gewünscht wurden.
2. Ungeachtet dieser notwendigen Prämisse muss betont werden, dass die Verherrlichung der Abschaffung der SVP («Die Schweiz hat keinen Platz für die SVP. Die SVP muss weg»), immerhin die wählerstärkste Partei der Schweiz, nicht nur eine fragwürdige Festlegung politischer Prioritäten darstellt, sondern auch kontraproduktiv ist, da sie dem politischen Zentrum nützt, das ihrer Wählerschaft so zeigen kann, dass die Linke intolerant ist.
Die Jahre vergehen, aber die Fehler der Jusos bleiben …
3. Ich habe bereits mehrfach gesagt, dass die politischen Prioritäten andere sind, aber worauf beziehe ich mich? Die Prioritäten sind zurzeit die Verteidigung der nationalen Souveränität und der Schweizer Neutralität, denn ohne sie geht es in Richtung eines EU-und Nato-Beitritts, was auch katastrophale Folgen für unsere sozialen Rechte haben würde. Ein Teil der SVP verteidigt diese Konzepte noch immer: zu behaupten, dass die SVP so schnell wie möglich isoliert werden muss («Dafür gilt es, die SVP zu isolieren»), bedeutet, nicht zu wissen, wie man primäre und sekundäre Widersprüche unterscheidet.
4. Über das bisher zum Ausdruck Gebrachte hinaus ist die Position der Schweizer Jusos auch besonders heuchlerisch: man spricht von dem Vormarsch der extremen Rechten in Europa («In ganz Europa sind rechtsextreme Parteien auf dem Vormarsch. In Italien ist die postfaschistische Meloni an der Macht, in Deutschland und Frankreich stellt die extreme Rechte mittlerweile die stärkste Opposition dar»), aber man ignoriert völlig, was in der Ukraine passiert, wo die extreme Rechte beim Staatsstreich von 2014 eine zentrale Rolle gespielt hat und immer von der ukrainischen Regierung toleriert und sogar unterstützt wurde, die alle linken Bewegungen, einschliesslich der Sozialdemokraten, unterdrückt. Diese Rechtsextremisten, die Bandera und damit die Kollaborateure der Nazis während des Zweiten Weltkriegs loben, werden vom Westen als Helden behandelt (was in den letzten Tagen in Kanada passiert ist, wo der Sprecher des Unterhauses ein kanadisch-ukrainisches Mitglied einer SS-Division als Vorbild und «Held» bezeichnet hat). Die Schweizer Sozialdemokraten wollen sogar die Wiederausfuhr von Schweizer Kriegsmaterial zulassen, das so direkt in die Hände dieser Leute gelangen würde, die (vor 2022) in die ukrainische Armee integriert wurden. Kurz gesagt, wenn die Schweizer Juso wirklich daran interessiert wären, gegen den Faschismus zu mobilisieren, dann sollten sie die Ukraine nicht mit Waffen unterstützen und im Gegenteil beginnen, für die Solidarität mit der ukrainischen antifaschistischen Linken zu mobilisieren.
5. Das Dokument der Juso Schweiz enthält einen Satz, der besonders symbolisch ist und die Prioritäten der jungen Sozialdemokraten aufzeigt: «Die SVP hat in den letzten Jahren versucht, jeglichen Fortschritt zu blockieren. So kann die Partei beispielsweise die Versenkung des CO2-Gesetzes im Sommer 2021 verbuchen, sie torpediert jegliche Annäherungsversuche an die EU, stellt sich konsequent gegen mehr Sicherheit für FLINTA-Personen und bekämpft Massnahmen für eine lebenswerte Zukunft der 99% fundamental.» Die Tatsache, dass das CO2-Gesetz und die Annäherung an die EU zitiert werden, zeigt, dass diese Jugendbewegung keineswegs revolutionär oder eine Alternative zur SP ist, wie sie gerne glauben machen wollen. Das CO2-Gesetz war zutiefst antisozial und deshalb hatte auch die Linke (KP, Jungkommunisten, PdA, Teile der Klimastreikbewegung, die Juso Tessin und andere) dagegen gekämpft. Die von der SP gewollte Annäherung an die EU sollte unbedingt vermieden werden, da sie noch mehr Privatisierungen, mehr Deregulierung, mehr Prekariat, weniger soziale Rechte und weniger Souveränität mit sich bringen würde. Es ist nichts Revolutionäres und Populäres daran, diese Dinge zu unterstützen: Man sollte nicht überrascht sein, wenn die Arbeiterklasse und die Landarbeiter die den Glauben an eine Salonlinke verloren haben, auf die SVP schauen.
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Der Text ist am 7. Oktober 2023 in sinistra.ch erschienen.
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1 Luca Frei, geboren 1998, wurde im März 2020 zum Koordinator der Kommunistischen Jugend Schweiz gewählt. Nach dem Abitur begann er ein Universitätsstudium der Geschichte. Er ist in der Unabhängigen Studenten- und Lehrlingsvereinigung (SISA) aktiv.