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Ex-Diplomat zum Bürgenstock: Die Schweiz hat den nützlichen Idioten gespielt.

Als «widersinnig, eine totale Absurdität» hat der Schweizer Diplomat im Ruhestand Georges Martin die sogenannte Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock bezeichnet. So, wie das Treffen angelegt war, entbehre es jeglicher Bedeutung, erkärte er auf einem vom französisch-schweizerischen Plateau «Anti | Thèse» geführten Gespräch. Für ihn ist klar: Da waren nicht Diplomaten am Werk. Hier hat die Politik mit ihren narzisstischen Bedürfnissen über die Köpfe der Diplomaten hinweg bestimmt.

Ob Russland überhaupt an der Konferenz teilgenommen hätte oder nicht, sei nicht von Bedeutung, erklärt der Ex-Diplomat im Gespräch mit «Anti | Thèse». Aber man hätte die Russische Föderation auf jeden Fall einladen müssen, wollte man der Konferenz ein Minimum an Glaubwürdigkeit zugestehen. Das hier gezeigte Vorgehen sehe nach einer Verschwörung aus. Wenn die Schweiz eine Konferenz durchführen will, müsse sie das schon richtig machen. Was da auf dem Bürgenstock organisiert worden war, widerspreche jeglichen Regeln der Diplomatie.

Normalerweise stehe eine Friedenskonferenz erst am Ende eines Prozesses. Ihr gingen dabei mehrere vertrauliche Treffen im kleinen Rahmen mit beiden Seiten voraus. Den Prozess mit einer Beteiligung von 100 Staaten einzuleiten, mache jedoch überhaupt keinen Sinn. Ein Erfolg müsse vorher mit aufwendiger diplomatischer Arbeit sichergestellt sein. Für die Abschlusskonferenz wäre dann im Prinzip nicht mehr als die Teilnahme der Ukraine und der Russischen Föderation sowie einige wenige einflussreiche Staaten als «Paten», z. B. China, die Türkei und Nachbarstaaten der Ukraine, notwendig. Diese Konferenz hier war jedoch unnötig und absurd, und dann habe sie der Schweiz und ihrem ohnehin schon angeschlagenen Ansehen geschadet.

Gemäss der Einschätzung Martins wurde mit der Konferenz versucht, was man schon immer getan hat und wofür die Schweiz bekannt war: als erfahrene und berufene Vermittlerin und Friedensstifterin aufzutreten. Hier sei man allerdings voll in einen Flop gelaufen. Man habe das zwar eine Friedenskonferenz genannt, aber faktisch konnte es das nie sein. Das Gespann Amher/Cassis hat sich anscheinend vom ukrainischen Staatschef etwas aufoktroyieren lassen. Das Programm Selenskyjs ist einfach als das Programm der Schweiz verkauft worden. Dieser hatte natürlich nichts dagegen, er macht ja momentan sowieso nichts anderes als möglichst vielen Staatsvertretern die Hände zu schütteln. Er ist sich bewusst, dass das auf dem Bürgenstock faktisch seine eigene Konferenz war und nicht jene der Schweizer Regierung.

Alles an dieser Konferenz war schlecht gemacht. Als der Flop sich schon vor der Konferenz abzuzeichnen begann, wurde versucht, sich aus der Affäre zu ziehen, indem man kurzfristig erklärte, man werde nicht über Frieden sprechen, sondern über Menschenrechte, Gefangenenaustausch, freie Schifffahrt auf dem Schwarzen Meer und die Sicherheit in den Atomkraftwerken. So wichtig diese Inhalte auch sind – dazu sieht der Ex-Diplomat keine Notwendigkeit der Anwesenheit von Staatschefs.

Weshalb konnte das alles so schief laufen? Für Martin scheint klar: Da waren keine Diplomaten am Werk, sondern Politiker. Selenskyj hatte während des WEF im Januar der Bundespräsidentin wohl diesen Floh ins Ohr gesetzt. Auf der Suche nach einem glanzvollen Höhepunkt in ihrem Amtsjahr, packte diese dann die Gelegenheit am Schopfe und machte am andern Tag die grosse Ankündigung, die Schweiz werde noch dieses Jahr eine Friedenskonferenz veranstalten. Und das alles offenbar, ohne vorher den diplomatischen Dienst zu konsultieren! Dieser war so überrascht wie die Öffentlichkeit und versuchte zu retten, was noch zu retten ist. Zu machen war da allerdings nicht mehr viel. Nach Meinung Martins ist es ein grosses – und nicht nur schweizerisches – Problem, dass heute nicht mehr auf die Diplomaten gehört wird. Politiker denken nicht mehr strategisch, sie leben im Augenblick, und sie überlegen sich auch nicht, welche Wirkungen ihre Aussagen haben könnten. Das sei weniger gravierend im Inland, auf das die Äusserungen in der Regel auch gemünzt sind, könne aber eine verheerende Wirkung im Ausland haben.

Es ist denn auch so gekommen wie es kommen musste. Es gab wenig zu feiern auf dem Bürgenstock, was auch aus den Gesichtern abzulesen war. Das Bürgenstock-Treffen war nie als echte Friedenskonferenz gedacht. Mit der Veranstaltung wollte man die Russische Föderation einem internationalen Druck aussetzen als Kompensation für die sich abzeichnende militärische Niederlage der Ukraine. Die Schweiz, so der Ex-Diplomat, habe sich mit der Konferenz zum nützlichen Idioten der Nato-Länder gemacht.

Schliesslich versuchten die Schweizer Mainstream-Medien in der lieben Not die Negativbilanz des Bürgenstock-Events noch etwas zu verbrämen mit dem Hinweis, dass dadurch 100 Staatschefs die Schönheit der Urschweiz kennengelernt hätten. Martin dazu trocken: «Das hätte man auch Schweiz Tourismus übertragen können.» Und seeehr vieeel preiswerter, möchten wir da noch anfügen!
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Das Gespräch auf dem Plateau ANTI | THÈSE wurde unmittelbar vor der Konferenz am 13. Juni 2024 geführt. Die knapp 10 Minuten sind Teil eines mehr als eineinhalbstündigen, französisch geführten Gesprächs, das viele aktuelle Aspekte der Diplomatie und der Geopolitik berührt. Der Einstieg zur Sequenz «Bürgenstock»: 32:45.