kommunisten.ch

kommunisten.ch

Die westliche Art Krieg zu führen – Der Besitz des Narrativs übertrumpft die Realität

Die in Kursk sichtbare deutsche Ausrüstung hat alte Geister geweckt und das Bewusstsein für die feindlichen Absichten des Westens gegenüber Russland geschärft. «Nie wieder» ist die unausgesprochene Antwort.

von ALASTAIR CROOKE1, 26. August 2024

Kriegspropaganda und Finten sind so alt wie die Berge. Das ist nichts Neues. Neu ist jedoch, dass der Infokrieg nicht mehr eine Ergänzung zu umfassenderen Kriegszielen darstellt, sondern zum Selbstzweck geworden ist.

Der Westen ist zu der Auffassung gelangt, dass es wichtiger ist, das siegende Narrativ zu «besitzen» – und das Narrativ des Anderen als plump, unstimmig und extremistisch darzustellen – als sich den Fakten vor Ort zu stellen. Das siegende Narrativ zu besitzen bedeutet dieser Ansicht nach zu gewinnen. Der virtuelle «Sieg» übertrumpft somit die «echte» Realität.

Der Krieg wird damit zum Anlass, einer breiten globalen Allianz eine ideologische Linie aufzuzwingen und diese über willfährige Medien durchzusetzen.

Dieses Ziel geniesst eine höhere Priorität als etwa die Sicherstellung einer ausreichenden Produktionskapazität, um militärische Ziele zu erreichen. Eine imaginäre «Realität» zu erschaffen ist wichtiger, als die Realität vor Ort zu gestalten.

Der Punkt ist, dass dieser Ansatz – eine Funktion der gesamtgesellschaftlichen Ausrichtung (sowohl im Inland als auch im Ausland) – dazu führt, dass man sich in falschen Realitäten und falschen Erwartungen verstrickt, aus denen ein Ausstieg (wenn er notwendig wird) nahezu unmöglich wird, eben weil die aufgezwungene Ausrichtung die öffentliche Meinung versteinert hat. Der Staat verliert teilweise oder ganz die Möglichkeit, seinen Kurs zu ändern, wenn sich die Ereignisse entwickeln; die akkurate Interpretation der Fakten vor Ort bewegt sich in die politisch korrekte Richtung und weg von der Realität.

Die kumulative Wirkung einer «siegreichen virtuellen Erzählung» birgt jedoch das Risiko, nach und nach in einen unbeabsichtigten «echten Krieg» zu rutschen.

Nehmen wir zum Beispiel den von der NATO inszenierten und ausgerüsteten Einmarsch in den symbolträchtigen Oblast Kursk. Im Hinblick auf einen Narrativsieg ist die Verlockung für den Westen offensichtlich: Die Ukraine «bringt den Krieg nach Russland».

Wäre es den ukrainischen Streitkräften gelungen, das Atomkraftwerk Kursk einzunehmen, hätten sie ein wichtiges Druckmittel in der Hand gehabt und möglicherweise russische Streitkräfte von der stetig kollabierenden ukrainischen «Linie» im Donbas weggeleitet.

Ausserdem waren die westlichen Medien (im Hinblick auf den Infokrieg) darauf vorbereitet und abgestimmt, Präsident Putin angesichts des Überraschungsangriffs als «erstarrt» darzustellen und «zitternd» vor Angst, dass sich die russische Bevölkerung in ihrer Wut über die Demütigung gegen ihn wenden würde.

Bill Burns, Leiter des CIA, vertrat die Ansicht, dass «Russland in Bezug auf die Ukraine keine Zugeständnisse machen wird, solange Putins übersteigertes Selbstvertrauen nicht angegriffen wird und die Ukraine keine Stärke zeigen kann». Andere US-Beamte fügten hinzu, dass der Einmarsch in Kursk – für sich genommen – Russland nicht an den Verhandlungstisch bringen werde; es sei notwendig, auf die Kursk-Operation mit anderen gewagten Operationen aufzubauen (um Moskaus Kaltblütigkeit [sang froid] zu erschüttern).

Das übergeordnete Ziel bestand natürlich darin, Russland als schwach und verletzlich darzustellen, im Einklang mit dem Narrativ, dass Russland jeden Moment zerbrechen und sich in tausend Einzelteile auflösen könnte. Wobei der Westen als Sieger dastehen würde, logisch.

Tatsächlich ging die NATO mit dem Einmarsch in Kursk ein grosses Risiko ein: Sie verpfändete die militärischen Reserven und Waffen der Ukraine wie Chips auf dem Roulettetisch und wettete darauf, dass ein vorübergehender Erfolg in Kursk das strategische Gleichgewicht stören würde. Die Wette hat sie verloren und die Chips verspielt.

Kurz gesagt, die Kursk-Affäre veranschaulicht das Problem des Westens mit Narrativsiegen: Ihr inhärenter Fehler besteht darin, dass sie auf Emotivismus beruhen und sich der Argumentation entziehen. Sie sind zwangsläufig vereinfachend. Sie dienen lediglich dazu, eine gemeinsame Ausrichtung der «gesamten Gesellschaft» zu fördern. Das heisst, dass alle Mainstreammedien, Unternehmen, Bundesbehörden, Nichtregierungsorganisationen sowie der Sicherheitssektor dazu angehalten sind, allen «Extremismen» entgegenzutreten, die «unsere Demokratie» bedrohen.

Dieses Ziel setzt voraus, dass die Erzählung anspruchslos und relativ unumstritten ist: «Unsere Demokratie, unsere Werte und unser Konsens». Der Nationale Parteitag der Demokraten (DNC) beispielsweise setzt auf «Freude» (die endlos wiederholt wird), «Vorwärtsbewegung» und «Widerstand gegen Verrücktheit» als Kernaussagen. Sie sind banal, aber diese Memes beziehen ihre Energie und ihren Schwung nicht so sehr aus dem Inhalt, sondern vielmehr aus der bewusst gewählten Hollywood-Kulisse, die ihnen Glanz und Glamour verleiht.

Es ist nicht schwer zu erkennen, inwiefern dieser eindimensionale Zeitgeist dazu beigetragen haben könnte, dass die USA und ihre Verbündeten falsch eingeschätzt haben, wie sich das «gewagte Abenteuer» von Kursk auf die russischen Normalbürger auswirkt.

Kursk hat Geschichte. Im Jahr 1943 überfiel Deutschland Russland in Kursk, um von den eigenen Verlusten abzulenken, wobei Deutschland schliesslich in der Schlacht von Kursk besiegt wurde. Die Rückkehr des deutschen Kriegsgeräts in die Umgebung von Kursk muss bei vielen ein ungläubiges Staunen hervorgerufen haben; das heutige Schlachtfeld um die Stadt Sudscha ist genau der Ort, an dem sich 1943 die 38. und 40. sowjetische Armee zu einer Gegenoffensive gegen die 4. deutsche Armee zusammenschlossen.

Im Laufe der Jahrhunderte wurde Russland immer wieder an seiner verwundbaren Flanke vom Westen her angegriffen, in jüngerer Zeit von Napoleon und Hitler. Es überrascht nicht, dass die Russen für diese blutige Geschichte äusserst stark sensibilisiert sind. Haben Bill Burns und Konsorten das gut durchdacht? Haben sie sich vorgestellt, dass ein Einmarsch der NATO in das russische Kernland dazu führen würde, dass Putin sich «bedroht» fühlt, dass er mit einem zusätzlichen Schubser einknicken und einem «eingefrorenen» Ausgang des Ukrainekriegs zustimmen würde – mit Beitritt der Ukraine zur NATO? Vielleicht haben sie das gedacht.

Letztlich war die Botschaft der westlichen Dienste, dass der Westen (die NATO) kommt, um sich Russland zu holen. Das ist es, was die bewusste Entscheidung für Kursk bedeutet. In den Runen von Bill Burns Botschaft steht: Macht euch bereit für einen Krieg mit der NATO.

Nur um das klarzustellen: Das Genre des «Narrativsieges» rund um Kursk ist weder Trug noch Finte. Die Minsker Vereinbarungen waren Beispiele für Betrug, aber der Betrug beruhte auf einer rationalen Strategie (d. h. er war historisch normal). Die Minsker Täuschungen sollten dem Westen Zeit verschaffen, um die Militarisierung der Ukraine voranzutreiben – bevor sie den Donbass angreift. Die Täuschung hat funktioniert, aber nur zum Preis, dass das Vertrauen zwischen Russland und dem Westen zerbrochen ist. Die Minsker Täuschungen haben aber auch das Ende der 200-jährigen Ära der Verwestlichung Russlands beschleunigt.

Kursk ist dagegen ein anderer «Fisch». Er beruht auf der Vorstellung von westlichem Exzeptionalismus. Der Westen sieht sich selbst auf der «richtigen Seite der Geschichte». «Narrativsiege» bekräftigen im Wesentlichen – in säkularem Format –, dass die westliche eschatologische Mission zur globalen Erlösung und Konvergenz unvermeidlich ist. In diesem neuen Erzählkontext werden die Fakten vor Ort zu blossen Irritationen und nicht zu Realitäten, die es zu berücksichtigen gilt.

Das ist ihre Achillesferse.

Der DNC-Kongress in Chicago hat jedoch ein weiteres Problem verdeutlicht:

So wie der hegemoniale Westen aus der Ära des Kalten Krieges hervorgegangen ist, geformt und gestärkt durch die dialektische Opposition zum Kommunismus (in der westlichen Mythologie), so sehen wir heute einen (angeblich) totalisierenden «Extremismus» (ob in der Form von MAGA oder als externe Variante: Iran, Russland usw.) – dargestellt in Chicago als hegelianisch-dialektische Opposition, wie früher zwischen Kapitalismus und Kommunismus; aber im heutigen Fall ist es der «Extremismus», der im Konflikt steht mit «unserer Demokratie».

Die Erzählthese des DNC Chicago ist in sich selbst eine Tautologie der Identitätsdifferenzierung, die sich als «Zusammengehörigkeit» unter dem Banner der Vielfalt und im Konflikt mit «Weisssein» und «Extremismus» ausgibt. «Extremismus» wird faktisch einfach als Nachfolger der ehemaligen Antithese des Kalten Krieges – des Kommunismus – eingeführt.

Die «Hinterzimmer» in Chicago stellen sich vielleicht vor, dass eine Konfrontation mit dem Extremismus – im weitesten Sinne – wieder zu einer Verjüngung Amerikas führen wird, wie es in der Zeit nach dem Kalten Krieg der Fall war. Das bedeutet, dass ein Konflikt mit dem Iran, Russland und China (in anderer Form) ins Auge gefasst werden könnte. Die Anzeichen dafür sind da (und auch das Bedürfnis des Westens, seine Wirtschaft neu auszurichten, was regelmässig durch Krieg ermöglicht wird).

Der Schachzug von Kursk erschien London und Washington zweifellos clever und kühn. Doch mit welchem Ergebnis? Es gelang weder, das AKW Kursk einzunehmen, noch die russischen Truppen von der Kontaktlinie wegzuleiten. Die ukrainische Präsenz im Oblast Kursk wird beseitigt werden.

Was er jedoch erreicht hat, ist, dass er allen Aussichten auf eine eventuelle Verhandlungslösung in der Ukraine ein Ende gesetzt hat. Russlands Misstrauen gegenüber den USA ist jetzt absolut, und Moskau ist entschlossener denn je, die Spezialoperation zu Ende zu führen. Die in Kursk sichtbare deutsche Ausrüstung hat alte Geister geweckt und das Bewusstsein für die feindlichen Absichten des Westens gegenüber Russland geschärft. «Nie wieder» ist die unausgesprochene Antwort.
___

Alastair Crooke ist ein ehemaliger britischer Diplomat. Er ist Gründer und Leiter des Conflicts Forum mit Sitz in Beirut.

___

Englischer Originaltext in Strategic Culture Foundation. Übersetzt mit Hilfe von DeepL.