Uniterre: für eine partizipative Agrarpolitik im Interesse der Schweizer Bauern und Bäuerinnen
Mit einer symbolischen Aktion auf dem Bundesplatz hat die Kleinbauerngewerkschaft Uniterre den pessimistischen Aussichten, die sie mit der aktuellen Agrarpolitik verbindet, Ausdruck gegeben. Kinder fuhren mit Spieltraktoren in eine Kartonwand. Sie steht sinnbildlich für die Wand, an welche die Existenz der Bäuerinnen unseres Landes durch die Agrarpolitik gefahren wird. An einer Pressekonferenz wurden die Grundzüge des Antrags von Uniterre zur Agrarpolitik 2030 vorgestellt.
Der Antrag von Uniterre-Vorschlag setzt auf der Motion 22.4251 «Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik, Konkretisierung des Konzepts» auf. Als wichtigste Punkte wurden hervorgehoben:
- Preise dürfen nie unter den Produktionskosten liegen und müssen einen Lohn für die Bäuerinnen und Bauern von 40 Franken pro Stunde garantieren. Der Standardarbeitsvertrag für Landarbeiterinnen und Landarbeiter auf nationaler Ebene muss vereinheitlicht werden und ein Mindestlohn von 30 Franken in der Stunde brutto ist zu garantieren.
- Stärkung der Protektionsmassnahmen an der Grenze, um Sozial-, Wirtschafts- und Umweltdumping entgegenzuwirken; die Landwirtschaft von allen Verhandlungen über Freihandelsabkommen ausschliessen.
- Beendigung der Kalibrierung von Obst und Gemüse im Detailhandel, um der Lebensmittelverschwendung entgegenzuwirken.
- Unterstützung des Generationswechsels und Einführung von Instrumenten zur Erleichterung des Zugangs zu Land für Personen, die nicht aus dem landwirtschaftlichen Umfeld stammen.
- Eine Liste unlauterer Handelspraktiken aufstellen, die verboten werden sollen.
- Transparenz der Margen in der gesamten Wertschöpfungskette mit der Einrichtung einer Preisbeobachtungsstelle als erstem Schritt.
- Verbot der Kumulierung von Mandaten in Branchenverbänden, um ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen Käufern und Produzenten zu gewährleisten.
- Das Recht auf Nahrung in der Agrarpolitik 2030 verankern und eine Sozialversicherung für Ernährung einführen.
- Die Laufzeit einer Agrarpolitik auf mindestens 10 Jahre verlängern.
- Einführung von Kontrollmethoden, die auf autonomere und partizipativere Systeme ausgerichtet sind: Peer-to-Peer-System, dessen Überlegungen auf der allgemeinen Einführung der Diagnostik einer bäuerlichen Landwirtschaft (Diagnostic Agriculture Paysanne) basieren.
Uniterre hat ausserdem Vorschläge für konkrete Massnahmen für jede Branche vorgelegt.
Neues Direktzahlungssystems auf 3 Säulen
Uniterre stellte an der Pressekonferenz ferner einen Entwurf für eine vollständige Neugestaltung des Direktzahlungssystems vor, das auf drei Säulen beruhen soll: Säule I bezieht sich auf die Produktionsförderung, Säule II betrifft die Förderung der Verarbeitung durch Kleineproduzenten, und die Säule III befasst sich mit dem Konsum lokaler Produkte. Ziel ist es dabei, den laufenden strukturellen Trend umzukehren, indem die Zahl der diversifizierten bäuerlichen Betriebe mit Mischkulturen und Viehzucht drastisch erhöht wird. Uniterre schlägt vor, dass die Direktzahlungen nach Arbeitskraft und nicht mehr nach Hektar ausgezahlt werden. So soll die Diversifizierung und eine bäuerliche Landwirtschaft in «menschlicher Grösse» gefördert werden, die Arbeitsplätze schafft.
Der Beitrag des Bundes für dieses neue Direktzahlungssystem würde gemäss Uniterre mit der Zeit tendenziell sinken, da das vorgeschlagene Modell die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit der Bauernhöfe stärken und zunehmend lohnende Preise für die Produzentinnen und Produzenten bewirken würde. Die neuen Direktzahlungen sollen aus dem bestehenden Direktzahlungsgefäss und dem Budget für marktbezogene Massnahmen finanziert werden.
Säule I: Produktionsbeihilfe. Die Vergütungen für die Produktionsbeihilfe basieren hauptsächlich auf den Kriterien der Diagnostik einer bäuerlichen Landwirtschaft (Diagnostic Agriculture Paysanne). Dabei handelt es sich um ein Analyseraster, das es ermöglicht, jeden Hof aus der Sicht der bäuerlichen Landwirtschaft und nicht aus der Sicht der industriellen Landwirtschaft zu bewerten. Die sechs übergreifenden Themen der Diagnostik spiegeln die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Funktionen des bäuerlichen Landwirtschaftsprojekts wider. Die Diagnostik einer bäuerlichen Landwirtschaft wird in Frankreich seit rund 30 Jahren eingesetzt und im Kanton Genf seit 2022 getestet. Die Direktzahlungen werden pro Vollzeitäquivalent (VZÄ) statt pro Hektar und anhand eines Verteilungsschlüssels ausgezahlt, der auf der Grundlage von : a) Kriterien und Punkte der Diagnostik einer bäuerlichen Landwirtschaft; b) Anzahl der Jahre des Betriebs; c) Beihilfen in schwierigen Gebieten festgelegt wird.
Säule II: Unterstützung für die Verarbeitung durch Kleinproduzenten. Mit Säule II soll die lokale handwerkliche Verarbeitung aufgewertet und diversifiziert werden. Nach und nach werden die öffentlichen Gelder, die heutzutage in den Taschen der Verarbeiter und der grossen Detailhändler landen (marktbezogene Zulagen und Massnahmen, Exportbeihilfen, Käseverarbeitungsprämie), in kleine lokale handwerkliche Verarbeitungseinheiten umgeleitet. Ein Fonds zur Unterstützung der Gründung neuer Verarbeitungseinheiten wird eingerichtet. Parallel dazu werden Beihilfen für die Einrichtung von Lager-, Vertriebs- und Verkaufseinheiten (partizipative Lebensmittelläden, Einkaufsgemeinschaften) gewährt.
Säule III: Konsumbeiträge. Säule III besteht aus der Einführung eines Systems der Ernährungssozialversicherung (ESV): Basierend auf dem Modell der AHV wird die ESV eine neue Säule des Sozialversicherungssystems bilden, gegliedert in drei Säulen:
- Die Universalität: Jede und jeder zahlt nach seinen bzw. ihren Möglichkeiten ein und nimmt die Leistungen nach seinen/ihren Bedürfnissen in Anspruch.
- Demokratische Verwaltung: Bei der ESV wird die Konventionierung von Orten und Produkten demokratisch gehandhabt. In Bezug auf die Governance der ESV-Kassen gibt es mehrere Denkansätze: Losverfahren, Abstimmung usw.
- Finanzierung durch Beiträge: Diese Beiträge werden zur Hälfte vom Arbeitgeber gezahlt (0,95%) und zur Hälfte vom Arbeitnehmer (0,95%), insgesamt = 1,9 Beitragsprozente. Dieses Geld wird auf einer Karte hinterlegt, die jeden Monat bei vertraglich vereinbarten Orten eingelöst werden kann. Die nicht in Anspruch genommene Rente wird nicht kumuliert und kann daher nicht als langfristiges Sparguthaben dienen. Jeder Erwachsene mit Wohnsitz in der Schweiz erhält einen Check von 80 Franken pro Monat und 40 Franken pro Kind, ein Vier-Personen-Haushalt hätte somit 240 Franken pro Monat. Das errechnete Gesamtbudget beläuft sich auf etwa 7,6 Milliarden Franken pro Jahr.
Das Projekt Ernährungssozialversicherung wird derzeit im Rahmen von zwei Pilotprojekten im Kanton Genf getestet.
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Quelle: Pressecommuniqué von Uniterre