An den Haaren herbeigezogen: Cassis’ EDA erlässt eine Reisewarnung für Kuba
Tiefschwarze Photoshop-Wolken hängen über Havanna. Die Illustration im Online-Portal Travelnews soll die verbal nicht minder düsteren Reisehinweise, mit denen das Eidg. Departement des Äussern (EDA) von Reisen auf die Karibikinsel abrät, verstärken. «Versorgungsengpässe, zunehmende Kriminalität und instabile Infrastruktur» lassen es laut EDA ratsam erscheinen, auf eine Reise nach Kuba zu verzichten. Nimmt man die vom Departement selbst festgelegten Kriterien zum Massstab, bei denen vom Besuch eines Landes abgeraten wird, ist im Fall von Kuba kein einziges erfüllt. Die Reisewarnung des EDA ist mithin also politisch motiviert und soll ganz einfach Kuba wirtschaftlichen Schaden zufügen.
Auf der Website der Eidgenossenschaft wird dargelegt, wann der Bund welche Reisehinweise erlässt. Unter dem Zwischentitel «Abraten» ist zu lesen, dass «vom Besuch des ganzen Landes … nur dann abgeraten» wird, wenn
- praktisch keine staatlichen Strukturen mehr funktionieren oder
- befürchtet werden muss, dass die staatliche Ordnung in unmittelbarer Zukunft zusammenbrechen könnte oder
- mehrere unterschiedliche Risiken zusammen eine grosse Gefahr für Reisende darstellen oder
- Einzelereignisse mit aussergewöhnlichen Auswirkungen eine Reise nicht ratsam erscheinen lassen oder
- ein hohes Entführungsrisiko durch terroristische Gruppierungen besteht.
Es ist absolut schleierhaft, welches dieser Kriterien für die negative Reiseempfehlung des Departements von Bundesrat Cassis gedient haben könnte. «Zunehmende Kriminalität»? Da muss man nur schon den Kopf schütteln, wenn man sieht, was die Reisebüros laut Umfrage des Tourismus-Portals Travelnews ihren Kunden als alternative Reiseziele anbieten: die Dominikanische Republik und Kolumbien. Glaubt da im Ernst jemand, in diesen beiden Ländern sei die Kriminalität geringer? Travelnews widerlegt das selbst mit seiner Risk Map 2025, die es am 5. Dezember 2024 neu publizierte – drei Tage nach der EDA-Reisewarnung! Kuba ist dort bei den Ländern mit «geringem Risiko» aufgeführt, zusammen mit Staaten wie den USA, Frankreich, Italien, England, den Niederlanden oder Schweden. Kolumbien und die Dominikanische Republik hingegen tragen die Farben der Staaten mit «mittlerem Risiko». In der Kommentarspalte zur Meldung schreibt denn auch ein Leser: «Ich hätte mehr Bedenken in eine US-Großstadt zu fahren als erneut nach Kuba. Kriminalität gibt es überall – in Habana sowie in Viñales habe ich mich aber zu jeder Tageszeit sehr sicher gefühlt.»
«Versorgungsschwierigkeiten» ist für das EDA ein weiterer Grund, weshalb Bürger auf eine Reise nach Kuba verzichten sollen. Niemand stellt in Abrede, dass Kuba vor allem in Folge der seit 60 Jahren andauernden Blockade durch seinen grossen imperialistischen Nachbarn die Versorgung nur unter enormen Herausforderungen sicherstellen kann. Dies und vieles anderes, was in der Reisewarnung an Gründen angeführt wird, «könnte praktisch auf ganz Zentral- und Südamerika angewendet werden». Das ist in einem Brief von Suzanne Schreiber und René Lechleiter von der Vereinigung Schweiz-Cuba (VSC), Sektion Zürich, die sich zurzeit gerade zu einem Projektbesuch in Havanna aufhalten, zu lesen.
Die beiden haben das Aussenministerium im Verdacht, mit dieser Reisewarnung dem sozialistischen Staat bewusst schaden zu wollen. Sie weisen zudem auf den Zynismus des Bundes hin, Kuba mit pauschalen Etikettierungen einerseits als Reisedestination schlecht zu machen, und anderseits in Havanna das Büro für Entwicklungszusammenarbeit zwischen der Schweiz und Kuba zu schliessen.
«Instabile Infrastruktur» ist der dritte Punkt, den das EDA Kuba ankreidet. Dabei hat Kuba bei den jüngsten Naturkatastrophen bewiesen, dass es trotz mangelnden Ressourcen in der Lage ist, die Bevölkerung effektiv zu schützen und Schäden rasch zu beheben. Ein grosses Problem für Kuba sind überlastete und veraltete Anlagen für die Stromversorgung, was immer wieder zu Stromausfällen führt. Auch in diesem Fall wird die Sanierung durch die US-Blockade erschwert, wenn nicht verunmöglicht.
Der Brief der beiden Projektbeauftragten der VSC Zürich, der an diesem 4. Dezember abgefasst wurde, lohnt sich zu lesen. Es ist viel über das aktuelle Kuba zu erfahren. Wie die Kubanerinnen und Kubaner trotz allen Widrigkeiten ihren Alltag bewältigen. Wie sie den Auswirkungen des Wirtschaftskrieges der USA trotzen. Wir publizieren den Brief hier im Anschluss.
Zynismus und Komplizenschaft
Ein aktueller Bericht direkt aus Kuba
Erste Tage im Dezember 2024. Kuba im Auge von mehreren Hurrikanen, natur- und menschgemachten. Und dazwischen eine Bevölkerung, die sich mit viel Bereitschaft zur Improvisation ihr Leben organisiert. Der Paternalismus des Sozialismus der früheren Jahre hat seine Spuren hinterlassen: Die einen schimpfen gegen «die da oben», andere verharren abwartend, und wiederum andere packen die Chancen, die ihnen vor etwa zehn Jahren durch die Freigabe diverser privatwirtschaftlicher Bereiche eröffnet worden sind, insbesondere im Tourismus (Casa particular, Taxi, Gastronomie) oder auch in der Kultur. Zur Zeit sichtbar durch die Biennal in öffentlichen Bereichen und Galerien in ganz Havanna, oder auch in Matanzas zum Beispiel.
Eindrücklich ist erneut die hohe Arbeitsmoral, zu erleben in den Institutionen die von der Vereinigung Schweiz-Cuba Zürich seit Jahren unterstützt werden – dies unabhängig davon, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter denselben, oft schwierigen Lebensumständen (Rationierung von Strom, Wasser und Gas, Transport, Knappheit von Milch, Fleisch, Reis, Zucker usw.) unterworfen sind. Hauptproblem bleibt seit der Währungsreform vor bald drei Jahren die Schere, die zwischen den Löhnen und den ständig steigenden Preisen aufgeht. Es ist praktisch alles erhältlich für diejenigen, welche die entsprechende Kaufkraft haben – während die hoch subventionierten Produkte, die durch die Libreta erhältlich wären, oft fehlen und nur verknappt vorhanden sind.
Die Entwicklung im Land hat sich trotz aller Anstrengungen der Regierung im laufenden Jahr nicht verbessert, insbesondere aufgrund der beiden verheerenden Hurrikane Oscar und Rafael sowie dem starken Erdbeben (6,7 auf der Richter-Skala). Zur Zeit ist es sehr windig, kühl, regnerisch, der Malecon von Havanna von den Wellen überspült … Im Tourismus wurde vom Januar bis Ende Oktober lediglich die Zahl von 2,7 statt der angestrebten 3 Mio. Besucher erreicht.
Was tut die Schweiz?
In diese Situation platzen zwei negative Ereignisse. Zwar hat die Schweizerische Eidgenossenschaft im November – zusammen mit 187 Nationen – in der Vollversammlung der UNO für ein sofortiges Ende der umfassenden und kriminellen US-Blockade gestimmt. Dies bereits zum x-ten Mal, doch erneut bleibt diese fast einstimmige Entscheidung ohne irgendwelche konkreten Folgen.
Schlimmer noch: Wenige Wochen danach erlässt das EDA eine geharnischte «Reisewarnung» gegen Kuba. Sie wird durch das Portal Travelnews verbreitet und hat letztlich zum Ziel, Reisende von einem Besuch auf der Karibikinsel abzuhalten. Nicht einmal Hotels seien von Stromausfällen und dem Treibstoffmangel verschont … Während vor unseren Augen die alten 58er-Chevrolets, Taxis und auch viele Privatautos zirkulieren.
Und die Gründe, welche das EDA ins Feld führt, könnten praktisch auf ganz Zentral- und Südamerika angewendet werden.
Wenn das EDA mit der Aufzählung der Naturkatastrophen, Versorgungsengpässen und weiteren Schwierigkeiten im Land nicht unrecht hat, dann ist und bleibt es zynisch, wenn im selben Moment in der Schweizer Botschaft in Havanna das SECO (hier: COSUDE) am Packen der Koffern ist, respektive an der definitiven Schliessung des kleinen, aber für Kuba wichtigen Büros der Entwicklungszusammenarbeit. Dies geht auf die Politik von Bundesrat Cassis zurück, gemäss der sich die Schweiz, unabhängig von der jeweiligen Lage in den einzelnen Ländern, vollständig aus Lateinamerika zurückzieht. Gerade auch aus dem einzigen Land, das sich weder dem Diktat der USA noch des IWF unterworfen hat.
Völlig unverständlich und schlimm ist dabei, dass im Ukas des EDA unerwähnt bleibt, welch grosse Anstrengungen die Regierung und der Zivilschutz auch in diesem Jahr unternommen haben, um angesichts der Naturereignisse (die auch in der Karibik immer heftiger werden) Leben zu schützen und darnach in möglichst kürzester Zeit, mit den knapp vorhandenen Ressourcen die Schäden zu beheben, insbesondere die Stromversorgung wieder herzustellen, Schulen und Häuser zu reparieren.
Hierzu bleibt das EDA stumm und die offizielle Schweiz steht total abseits. Genau so verhält es sich, wenn es darum ginge, den extraterritorialen Auswirkungen der US-Blockade etwas Konkretes entgegenzustellen. Insbesondere die Schweizer Banken, inklusive Postfinance, praktizieren eine minutiös durchgezogene Kuba-Finanzblockade. Selbst humanitäre Hilfe wie sie z. B. mediCuba Suisse betreibt, ist auf vielfältige Weise von der Blockade betroffen.
Durch all dieses Abseitsstehen und nun mit dieser «Warnung an Reisende» macht sich die Schweiz letztlich zur Komplizin der US-Aussenpolitik, der bisherigen und auch der neuen. Der Miami-Hardliner Marco Rubio ist designierter Aussenminister.
Was bei dieser im Westen vereinheitlichten Sichtweise völlig untergeht, sind zwei essentielle Erfahrungen die wir in wiederholten Besuchen auf Kuba immer wieder machen können:
Erstens. Angesichts der unzweifelhaft gewaltigen Probleme in diesem kleinen, unabhängigen Land – seien sie verursacht durch die US-Blockade, durch Naturkatastrophen oder eine Anhäufung eigener Fehler – ist es nicht das Unvermögen der Regierung und schon gar nicht deren Ziel, eine Austeritätspolitik gegen die Interessen der Bevölkerung zu betreiben. Das heisst, es werden keine neoliberalen Abbaumassnahmen in den Bereichen Bildung, Gesundheit oder Kultur vorangetrieben, wie sie der IWF allenthalben an seine Kreditvergabe knüpft.
Was geschieht, geschieht der Not gehorchend – und dabei wird Kuba trotz all seiner Errungenschaften, seiner friedlichen Politik und der bewundernswerten Bevölkerung von (fast) der ganzen Welt der Rücken zugedreht. Die Karibikinsel mit ihren 10 Mio. Einwohnern wird kaltherzig ihrem weitgehend von äusseren Umständen aufoktruierten Schicksal überlassen – um dann mit aller Häme auf die Unzulänglichkeiten hinzuweisen.
Demgegenüber stellen sich zweitens die Menschen auf der Insel (diejenigen, die hier geblieben sind), mit relativer Ruhe, Würde und erfinderischen Massnahmen der schwierigen Situation. Manchmal auch mit einer Faust im Sack – doch im Bewusstsein, dass ihre Alternative so etwas wie Guatemala oder gar Haiti bedeuten würde.
VSC Zürich
René Lechleiter
Suzanne Schreiber Lechleiter
Habana, 4. Dezember 2024