
Dass die Ukrainer, die gezwungen sind, für die Interessen des Westens zu kämpfen, Gewalt und Demütigung ausgesetzt sind, ist mit ein Grund, warum viele zur russischen Armee überlaufen. (Al Mayadeen English; Illustriert von Ali Al-Hadi Schmeiss)
Die Abwärtsspirale der Ukraine im Jahr 2024 wird sich 2025 fortsetzen
Im Jahr 2024 wurden die Ukraine und ihre Streitkräfte von Korruptionsskandalen erschüttert, die in erster Linie mit der Beschaffung von Militärgütern für die Ukrainischen Streitkräfte (AFU), aber auch mit der Veruntreuung von Geldern zusammenhingen, die westliche Länder für das Funktionieren des ukrainischen Staates bereitgestellt hatten.
von DMITRI KOWALEWITSCH, 28. Dezember 2024
2024 war ein Jahr, das die ultranationalistische Regierung und die Streitkräfte der Ukraine in ihren Grundfesten erschütterte. Das Jahresende ist ein guter Zeitpunkt, um auf das Geschehene zurückzublicken und einen Ausblick auf das Jahr 2025 zu wagen.
Die Ukraine hat 2024 weitere Hunderte von Quadratkilometern an Territorium verloren, vor allem in Donezk in der Region Donbass. Das Vorrücken der russischen Truppen im Jahr 2024 hat sich im Vergleich zu 2023 deutlich beschleunigt. Im Durchschnitt bringen die Streitkräfte der Russischen Föderation im Donbass jeden Tag etwa 22 Quadratkilometer unter ihre Kontrolle und stossen nach und nach in weitere Gebiete des Donbass vor.
Das Tragischste ist, dass 2024 zahllose Ukrainer ihr Leben verloren haben – viele Zehntausende, wenn nicht mehr, und die Zahl der Verwundeten ist noch viel höher. Sie starben oder wurden verwundet in einem sinnlosen militärischen Konflikt mit Russland, der mit dem Schutz der Ukraine oder ihrer Bevölkerung nichts zu tun hat. Dieser Krieg wird im Interesse des westlichen Kapitals geführt und hat die ukrainische Republik, die 1990/91 aus der Sowjetukraine hervorgegangen ist, völlig ruiniert.
Der Donbass wurde zum Zentrum des Widerstands gegen den rechtsextremen Putsch, der im Februar 2014 in Kiew (Ukraine) stattfand. Zwei Monate später erfolgte die Invasion der Region in einem gescheiterten Versuch, den Widerstand gegen den Putsch niederzuschlagen. Die Invasion wurde von rechtsextremen ukrainischen Paramilitärs angeführt, während die ukrainische Armee gleichzeitig komplett überholt und umgestaltet wurde, um sie mit der rechtsextremen Politik des Putsches in Einklang zu bringen.
Die Invasion und der dadurch ausgelöste Krieg sollten gemäss dem Friedensabkommen «Minsk-2» vom Februar 2015 beendet werden. Das Abkommen zwischen dem Putschregime und den damals neu gegründeten Volksverteidigungskräften sah vor, dass die künftigen Volksrepubliken Donezk und Lugansk politische und kulturelle Autonomie innerhalb der Ukraine erhalten sollten. Minsk 2 wurde von Russland, Deutschland und Frankreich gebilligt und dann am 17. Februar 2015 vom UN-Sicherheitsrat bestätigt. Doch die Ukraine und ihre westlichen Sponsoren – insbesondere die USA, Grossbritannien, Frankreich und Deutschland – haben Minsk 2 verraten. Die Putschisten begannen stattdessen, die schweren Befestigungen zu bauen, die Russland heute angreift und stürmt.
2024 ist das dritte Jahr der formellen militärisch-zivilen Diktatur in der Ukraine. Im Februar 2022 wurde das Kriegsrecht verhängt, und die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die nach der ukrainischen Verfassung im April 2024 hätten stattfinden sollen, wurden einfach abgesagt.
Korruptionsskandale überschatten die ukrainischen Streitkräfte
Das ganze Jahr über wurden die Ukraine und ihre Streitkräfte von Korruptionsskandalen erschüttert, die in erster Linie mit der Beschaffung von Militärgütern für die Ukrainischen Streitkräfte (AFU) zusammenhängen, aber auch mit der Veruntreuung von Geldern, die westliche Länder für das Funktionieren des ukrainischen Staates bereitgestellt haben. Diese Gelder werden von den Staats- und Regierungsapparaten verwendet, oft zur persönlichen Bereicherung. Das ist zum Standard geworden bei der Finanzierung und Überwachung des ukrainischen Staates und der ukrainischen Regierung durch die westlichen Länder.
Seit Anfang 2024 ist das Durchschnittsgehalt der ukrainischen Beamten um 20 000 Griwna (500 US-Dollar) auf durchschnittlich 58 000 (14 000 US-Dollar) pro Jahr gestiegen. Selbst das Gehalt eines kleinen Beamten übersteigt das Durchschnittsgehalt im Lande um mehr als das Dreifache. Für jene, die nicht das Glück haben, einen Regierungsposten zu bekleiden, wurden die Gehälter und Renten in der Ukraine nicht nur eingefroren, sondern infolge von Steuererhöhungen und Militärabgaben im Jahr 2024 gänzlich gekürzt.
Die umstrittenen Zahlen der ukrainischen Streitkräfte
Am 1. Januar 2024 arbeiteten in der Ukraine 169 000 Menschen in 108 staatlichen Zivilbehörden. Zusammen mit den Polizeibehörden und den angestellten Offizieren und Soldaten der Streitkräfte ergibt sich eine Gesamtzahl von mehr als einer Million bezahlter Staatsangestellter. Wolodymyr Selenski zufolge sind 41 000 ukrainische Soldaten im Krieg gefallen. Im Jahr 2022 gaben ukrainische Beamte jedoch an, dass die Streitkräfte des Landes mehr als eine Million Mann umfassen. Seitdem herrscht eine weitreichende Wehrpflicht, und jeder Urlaub vom Militär wird routinemässig verweigert. Glaubt man den Angaben von Selenski, so dürften die ukrainischen Streitkräfte etwa zwei Millionen Mann stark sein. Da stellt sich die Frage: Wo ist die fehlende Million?
Die Taktik der ukrainischen Armee hat sich nicht geändert, obwohl sie immer mehr militärische Rückschläge erleidet. Es handelt sich nach wie vor um einen Krieg, der vom ukrainischen Kommando auf Kosten der eigenen Soldaten geführt wird, die weiterhin zwangsrekrutiert werden, um die Toten und Verwundeten zu ersetzen. Aber nach Aussage der Militärkommandanten kann selbst die Zwangsrekrutierung, durch die täglich Hunderte von Männern, manchmal auch mehr, von den Strassen ihrer Dörfer und Städte weggeholt werden, die täglichen schweren Verluste nicht angemessen ersetzen. Das hat die westlichen Unterstützer der Ukraine dazu veranlasst, höchst provokative und umstrittene Forderungen nach einer Herabsetzung des Wehrpflichtalters von 25 auf 18 Jahre zu stellen. Das Thema ist so brisant, dass Wolodymyr Selenski sich bislang geweigert hat, diese Forderung zu unterstützen, mit der Begründung, dass der Westen zuerst mehr Waffen liefern solle.
Auch im dritten Kriegsjahr kämpfte die Ukraine mit einer zahlenmässig grösseren Armee im Vergleich zu den russischen Streitkräften – und doch ist es die russische Armee, die immer weiter vorrückt.
Die ukrainischen Behörden behaupten, dass die Streitkräfte des Landes heute mehr als eine Million Menschen umfassen. Die ukrainische Online-Tageszeitung Strana berichtete am 12. Dezember, dass die Zahl der russischen Truppen, die direkt am Krieg beteiligt sind, laut verschiedenen Quellen zwischen 550 000 Soldaten und Unterstützungspersonal (nach Angaben des ukrainischen Geheimdienstes) und 800 000 (die kürzlich von Wolodymyr Selenski genannte Zahl) liegt. Wladimir Putin spricht von 700 000.
Die Korruption in den Ukrainischen Streitkräften ist allgegenwärtig
Einer der Gründe, warum es trotz der Wehrpflicht an ukrainischen Truppen mangelt, ist die allgegenwärtige Korruption, die sich auf alle Operationen auswirkt. Für einen bestimmten Geldbetrag werden ukrainische Militärangehörige und sogar ganze Einheiten von Kampfeinsätzen verschont und stattdessen mit Unterstützungsaufgaben im Nachhutgebiet betraut.
Strana schreibt am 14. Dezember: «Die Korruption in den AFU ist nicht mehr bloss ‹Korruption›, sondern eine Katastrophe. Wenn man Geld hat und nicht an die Front will, kann man sich freikaufen. Mit Geld kann man sich auf jeder Ebene die Möglichkeit erkaufen, in den Nachhutgebieten zu dienen. Das kann bis zu 5000 US-Dollar [umgerechnet] kosten, manchmal auch weniger, je nachdem, was man vereinbart. Es handelt sich nicht um systemische Korruption, sondern um Korruption direkt an der Basis. Sie wird auf der Ebene der einzelnen Kommandanten entschieden, und ‹das Phänomen ist überall›, sagt eine Quelle im Verteidigungsministerium.»
Die Abgeordnete Anna Skorokhod sprach sich Anfang Dezember auf Telegramm gegen die Praktiken von Militärkommandanten aus, die Bestechungsgelder als Gegenleistung für die Befreiung vom Fronteinsatz verlangen. «Ich bekomme jeden Tag zwei oder drei Beschwerden über Kommandanten von Zügen, Kompanien und Brigaden, die von ihren Untergebenen Geld für eine bevorzugte Behandlung verlangen. Früher betrugen die Summen bis zu 5000 Griwna (125 US-Dollar), jetzt sind sie fünfmal so hoch. Wenn man nicht zahlt, wird man an die Front geschickt, und zwar an die gefährlichsten Positionen. Wer einmal dort ist, wird dort bleiben oder nie mehr zurückkommen.»
Skorokhod verwies auf mehrere Untersuchungskommissionen, die eingesetzt wurden, um einzelne Soldaten vor körperlicher Misshandlung oder Erpressung zu schützen, aber über diese Arbeit wird nach wie vor nicht berichtet.
Ukrainische Soldaten werden misshandelt und sogar gefoltert
Ukrainische Militärangehörige werden von Befehlshabern auch als moderne Sklaven zur persönlichen Bereicherung eingesetzt. Am 17. Dezember berichtete Strana über den Fall von vier Soldaten, die angeblich im Kampfgebiet der Region Nikolajew eingesetzt waren und Gehälter und Sonderzahlungen für den Kriegseinsatz erhielten, aber stattdessen damit beauftragt worden waren, ein neues Haus für ihren Befehlshaber zu bauen.
Im Dezember wurde die ukrainische Armee von einem neuen Skandal erschüttert, bei dem es darum ging, dass ein Offizier einen Untergebenen gefoltert hatte. Die Befehlshaber der 211. Ponton- und Brückenbrigade der AFU-Unterstützungskräfte verlangten Geld von Soldaten, die beim Alkoholkonsum und anderen Vergehen erwischt worden waren. Diejenigen, die sich weigerten zu zahlen, wurden geschlagen und in Käfige gesperrt, berichtete die Ukrainska Pravda am 16. Dezember.
Einer der Soldaten sagt, er sei geschlagen und dann an ein Holzkreuz gebunden worden. Sein Befehlshaber hat ein PR-Desaster ausgelöst, indem er sich fotografieren liess, als er vor dem ans Kreuz gefesselten Soldaten kniete. Der Kopf des Soldaten hängt bis auf die Brust herab.
Strana berichtet, dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt. Militäroffiziere sagen, dass es in allen Militäreinheiten Erpressungssysteme gibt. «Die Kommandanten der Einheiten erpressen und stehlen Geld von ihren Untergebenen über die so genannten ‹gemeinsamen Fonds›. Ukrainische Militäroffiziere haben gegenüber ukrainischen Journalisten erklärt, dass in allen Einheiten monatlich Geld von allen Soldaten für einen so genannten ‹gemeinsamen Fonds› gesammelt wird. Einige Offiziere haben eingeräumt, dass ein Soldat gegen Bezahlung einen Kampfeinsatz an der Front vermeiden kann. Je nach Einheit kann das zwischen 10 000 und 20 000 Griwna (250 bis 500 US-Dollar) kosten.»
«NATO-Militärstandards» in Aktion, kombiniert mit Massendesertionen
Die Kiewer Behörden verkünden seit 2014, dass sie auf «NATO-Militärstandards» umstellen. Die Resultate sind auf erschreckende Weise offensichtlich geworden. Das Foto des ukrainischen Soldaten, der von seinem Befehlshaber an ein Kreuz gefesselt wurde, hat sich im Internet verbreitet. Für viele Bürgerinnen und Bürger der Ukraine ist das Land zu einem Symbol für die sichtlich abstossenden NATO-Standards geworden. Das ukrainische Militär ist wie das amerikanische Militär geworden, dessen Soldaten 2004 dabei gefilmt wurden, wie sie im Gefängnis von Abu Ghraib im Irak Häftlinge folterten. Diese Bilder haben das Ansehen und den Ruf des US-Militärs nachhaltig geschädigt.
Ende Dezember berichteten die ukrainischen Medien, dass die Brigade «Anna von Kiew», die lange Zeit in Frankreich ausgebildet und bewaffnet und dann in einem schwierigen Bereich der Front eingesetzt worden war, sich nahezu vollständig aufgelöst hat. Nach Angaben des Journalisten Jurij Butusow, Chefredakteur der ukrainischen Zeitschrift Censor, bestand die Brigade ursprünglich aus mehreren tausend zwangsrekrutierten Männern. Sie wurden schlecht ausgebildet, in Uniformen gesteckt und dann zu einer vollwertigen Brigade erklärt. Als sie an der Front eintrafen und mit den Kampfbedingungen konfrontiert wurden, desertierten mehr als 1000 von ihnen sofort und kehrten nach Hause zurück.
Ein ukrainischer Kommandant erklärte im Dezember gegenüber der polnischen Publikation Wiadomosci, dass es in den AFU nach einem Einsatz manchmal mehr Deserteure als Tote und Verwundete gibt. Er führt die massenhaften Desertionen auf die schlechte Ausbildung und die Unerfahrenheit in Kampfsituationen zurück. Neue Rekruten ergreifen oft die Flucht, sobald sie das erste Mal unter Beschuss geraten.
Der ukrainische Telegramkanal Rubicon kommentiert die Massendesertionen und Missbrauchsfälle in der ukrainischen Armee. Er schreibt: «Etwas Ähnliches geschah während des Ersten Weltkriegs, als 1917, nach der Februarrevolution, Soldaten der ehemaligen Kaiserlichen Russischen Armee massenhaft die Front ‹in alle Richtungen› verliessen. Zu den damaligen Argumenten der Deserteure und der zahlreichen politischen Agitatoren für die Fahnenflucht in den Reihen der Soldaten gehörten ähnliche Geschichten wie heute über systematische Verprügelungen von Soldaten durch Offiziere.»
Dass die Ukrainer, die gezwungen sind, für die Interessen des Westens zu kämpfen, Gewalt und Demütigung ausgesetzt sind, ist mit ein Grund, warum viele zur russischen Armee überlaufen. Die ukrainischen Sicherheitsdienste leiten fast täglich Strafverfahren wegen Vorfällen wie etwa dem folgenden ein: «Ein Bewohner der Region Kiew hat zwei ukrainische Soldaten getötet, einen Pick-up in Brand gesetzt, ist zu den Russen übergelaufen und kämpft jetzt in der russischen Einheit ‹Maksym Krywonis›.» Diese Einheit besteht aus ukrainischen Soldaten, die sich ergeben haben. Sie ist nach dem berühmten Bauernaufständischen benannt, der vor mehreren Jahrhunderten gegen die Herrschaft von Polen-Litauen über das Gebiet der späteren Ukraine kämpfte.
Immer mehr Ukrainer ziehen nach Russland und in die neuen russischen Gebiete
Es sind nicht nur militärische Rekruten, sondern auch Tausende von Zivilisten, die die Seiten wechseln. Ende November schrieb der Abgeordnete Maxim Tkatschenko von Selenskis Partei «Diener des Volkes» auf Telegram, dass etwa 150 000 Binnenvertriebene in der Ukraine beschlossen haben, zurückzukehren und in den «besetzten Gebieten» zu leben (wie die mehrheitlich von ethnischen Russen bewohnten Gebiete, die unter die Kontrolle der Russischen Föderation geraten sind, von der ukrainischen Führung bezeichnet werden). Er schätzt, dass 70 000 von ihnen in die Stadt Mariupol an der Schwarzmeerküste zurückgekehrt sind, die in den ersten Kriegsmonaten durch den Widerstand der stark verschanzten ukrainischen rechtsextremen Paramilitärs schwer beschädigt worden war. Mariupol wird seit mehr als zwei Jahren umfassend wiederaufgebaut und erneuert.
Tkatschenko zufolge haben sie die Ukraine verlassen, weil sie vom ukrainischen Staat keine angemessene Unterstützung erhalten haben – «keine Wohnung, keine soziale Unterstützung, keine Arbeitsstelle und keine Entschädigung für den Verlust von Eigentum und Habseligkeiten».
Die Zahl der 150 000 Binnenvertriebenen ist relativ gering, wenn man bedenkt, dass die Bevölkerung der Ukraine bei Kriegsbeginn 35 bis 40 Millionen Menschen umfasste (in der Ukraine wird seit etwa 25 Jahren keine Volkszählung mehr durchgeführt). Die geringe Zahl ist jedoch darauf zurückzuführen, dass es Männern zwischen 18 und 60 Jahren und Frauen mit medizinischer oder militärischer Ausbildung gesetzlich verboten ist, das Land zu verlassen. Die Einreise in die Russische Föderation ist für Ukrainer äusserst schwierig, da es nur einen einzigen Flughafen gibt – den Flughafen Moskau-Scheremetjewo –, der aufgrund der westlichen Sanktionen gegen den Reiseverkehr nach Russland nur von Passagierflugzeugen aus Asien und Afrika angeflogen werden kann.
Von der anderen, westlichen Seite der Ukraine sind Hunderttausende von Bürgern in die Länder der Europäischen Union abgewandert. Personen, denen die legale Ausreise untersagt ist, überqueren die Grenze auf illegale Weise, indem sie Nebenstrassen und Gebirgspfade benutzen oder die Überquerung von Grenzflüssen riskieren.
In Europa angekommen, können die Ukrainer über Istanbul (Türkei) zum Flughafen Scheremetjewo fliegen. Dort müssen sie jedoch tagelang warten, bis sie die Erlaubnis bekommen, in die Russische Föderation einzureisen oder sogar in ihr Heimatgebiet, die ehemalige Ukraine, zurückzukehren. Eine Rückkehr birgt grosse Risiken, da die Kämpfe dort möglicherweise noch andauern und das Gebiet mit Minen übersät sein könnte.
In Scheremetjewo werden die Hintergründe von Ukrainern auf frühere Verbindungen zur ukrainischen Polizei oder zu den Streitkräften eingehend überprüft. Dieser Prozess kann mehrere Tage dauern. Strana schreibt am 25. November auf Telegram, dass nicht alle Personen akzeptiert werden, die in Scheremetjewo ankommen. Diejenigen, die abgewiesen werden, müssen mit einem jahrelangen Ausschluss aus der Russischen Föderation rechnen, bevor sie sich erneut bewerben können. Strana sagt, dass es schwierig, wenn nicht gar unmöglich sei, genaue Angaben über die Annahme- und Ablehnungsquoten zu machen. Ohne die Kontrollen am Flughafen und das damit verbundene Risiko der Ablehnung wäre die Zahl der 150 000 Ukrainer, die nach Russland einreisen, viel höher.
Der ukrainische Abgeordnete Oleksandr Dubinsky, ehemals Mitglied von Selenskis Partei, sagte Ende Dezember, dass die Menschen in Massen aus der Ukraine fliehen werden, sobald die Grenzen des Landes wieder geöffnet sind. «Hunderttausende, möglicherweise Millionen, werden die Ukraine verlassen. Das Konzentrationslager, in das Selenski die Ukraine verwandelt hat, wird seinen Bürgern wenig oder nichts zu bieten haben, um sie zum Bleiben zu bewegen.» Er beschreibt das Selenski-Regime als einen Parasiten, der auf dem Baum namens Ukraine wächst, und fügt hinzu, dass der Rumpfstaat Ukraine, der aus dem Krieg hervorgehen wird, zur Unterentwicklung und zum Scheitern verurteilt ist, solange er sich als «Anti-Russland» definiert.
Der Zerfall von Selenskis öffentlichem Ansehen
Im Jahr 2024 fanden in der Ukraine weder Präsidentschafts- noch Parlamentswahlen statt, obwohl das von der Verfassung vorgesehen wäre. Als Vorwand diente der im Februar 2022 verhängte Kriegszustand. Die Regierung Selenski beabsichtigt, den militärischen Konflikt und das damit einhergehende Kriegsrecht so lange zu verlängern, bis es zu einer mythischen «Niederlage» der russischen Streitkräfte kommt. Doch mit einer ukrainischen Armee, die aus zwangsrekrutierten Soldaten besteht, von denen viele zu modernen Sklaven degradiert wurden, ist das unmöglich zu erreichen.
«Echte Friedensgespräche werden erst dann beginnen, wenn die Russische Föderation nicht mehr über die Mittel verfügt, den Krieg fortzusetzen», meinte Andrij Jermak am 17. Dezember und betonte, dass die Ukraine bis dahin ihre militärischen Kräfte aufrechterhalten müsse. Er ist seit 2020 Leiter des Präsidialamtes der Ukraine und lässt durchblicken, dass Selenski und seine Administration auf Gedeih und Verderb an der Macht bleiben wollen.
Historiker werden die Zeit ab Ende 2024 als den Beginn des endgültigen Zerfalls des Heldenbildes betrachten, das von der Regierung Selenski und ihren westlichen medialen Cheerleadern propagiert wurde. Dieser Zerfall verschärft sich im öffentlichen Bewusstsein der Ukrainer immer mehr, obwohl die lokalen und westlichen Medien versuchen, das Gegenteil darzustellen. Der ehemalige Komiker Selenski kehrt zu seiner früheren Fernsehrolle und seinem Image als Clown zurück, aber dieses Mal ist es ein Clown, der sich verzweifelt an die Macht klammert und bereit ist, dafür noch viel mehr ukrainische Leben zu opfern.
Die Ukrainer scherzen bereits, dass Donald Trump am 20. Januar die Fernbedienung von Selenski erhalten wird, woraufhin der ukrainische Präsident je nach Kurs der neuen US-Regierung möglicherweise ein anderes Lied anstimmen wird.
Dass Selenski es nicht schafft, die gleiche Botschaft an die ukrainische wie an die westliche Öffentlichkeit zu richten, trägt nicht unwesentlich zu seinem Imageverlust bei. In der Ukraine gibt er sich als heldenhafter und siegreicher Militärführer. Im Westen hingegen tritt er als Bettler auf, der um immer mehr Geld bettelt, während er Verbrechen anprangert, die angeblich von Russland und seinen Streitkräften begangen werden. Mit aufgeblähten Wangen versichert er den Ukrainern, dass seine Regierung und ihr Militär «unbesiegbar» seien. Im Westen hingegen bettelt er um Geld und Waffen und bietet westlichen Investoren im Gegenzug die Bodenschätze der Ukraine und die Leben der ukrainischen Soldaten an. Ein solches Doppelspiel könnte funktionieren, wenn das ukrainische Publikum vollständig vom Internet und von westlichen Medienquellen abgeschnitten wäre. Aber das entspräche einer anderen, früheren Welt, nicht der Welt des 21. Jahrhunderts.
Selenski wird von seinen ehemaligen Parteikollegen, anderen ukrainischen Nationalisten und Militärangehörigen bereits offen verspottet. Das liegt an der Nervosität angesichts des bevorstehenden Regierungswechsels in den Vereinigten Staaten und eines möglichen Regierungswechsels in der Ukraine selbst.
Im Jahr 1917, zwischen den beiden russischen Revolutionen im Februar und Oktober jenes Jahres, durchlief das Ansehen von Alexander Kerenski, dem damaligen Vorsitzenden der provisorischen Regierung, eine ähnliche Transformation. Anfang 1917 war Kerenski ein beliebter Redner und Sozialist, der in der Bevölkerung grosse politische Unterstützung genoss. Als er jedoch an der Macht war, weigerte er sich, einen Waffenstillstand mit Deutschland zu schliessen, und zog es stattdessen vor, den Krieg fortzusetzen, den die gestürzte Monarchie im August 1914 im Bündnis mit England und Frankreich begonnen hatte. Kerenski rekrutierte weiterhin Soldaten, hauptsächlich aus den ländlichen Gebieten des überwiegend ländlichen Russlands (ehemaliges Zarenreich), und schickte sie dann in den grausamen Grabenkrieg. In der öffentlichen Wahrnehmung mutierte er schnell zu einem lächerlichen Clown und war bald gezwungen, aus dem Land zu fliehen, und zwar verkleidet als Frau.
Kerenski wurde von den rebellischen Arbeitern, Bauern, Soldaten und Matrosen Russlands, die sich nach einem besseren Leben und einer besseren Welt ohne Ausbeutung von einer Person durch eine andere sehnten, entmachtet und aus dem Land vertrieben. Die Tage des Imperiums waren vorbei. In der Revolution von 1917 ging es um nichts Geringeres, als die damals bestehende, «regelbasierte» imperialistische Weltordnung zu zerstören, die der ganzen Welt einen katastrophalen Weltkrieg beschert hatte. Die heutige Iteration dieses Imperiums und seiner Bündnisse in Form der NATO-Militärallianz droht mit neuen Kriegen oder führt sie herbei. So scheint sich der Kreis der Geschichte zu schliessen, wenn auch durch völlig unerwartete und unvorhersehbare Wendungen.
Die Erben der Russischen Revolution von 1917 in der heutigen Russischen Föderation, angeführt von ihren Streitkräften, schliessen sich mit den antiimperialistischen Kräften auf der ganzen Welt zusammen, um die «regelbasierte» imperialistische Weltordnung des 21. Jahrhunderts zu beenden. Damals wie heute ist es ihr Ziel, eine Welt zu schaffen, in der alle Völker und Länder gleiche Rechte und die gleiche Achtung ihrer Souveränität und sozialen Entwicklung geniessen.
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Quelle: Al Mayadeen. Übersetzt mit Hilfe von DeepL.