kommunisten.ch

kommunisten.ch

US-Strategiepapier von 2009 enthält Plan für den aktuellen Krieg gegen den Iran

von BRIAN BERLETIC*, 15. April 2024

Anm. d. Red.: Dieser Artikel ist über ein Jahr alt, nimmt aber die aktuellen Ereignisse vorweg.

Seit dem 7. Oktober 2023 scheint eine spontane Kette von Ereignissen den Nahen Osten immer tiefer in einen Konflikt zu treiben. Von den anhaltenden Militäroperationen Israels im Gazastreifen über die Angriffe auf die Hisbollah im Südlibanon und wiederholte Angriffe in Syrien (einschliesslich des jüngsten Angriffs auf die iranische Botschaft in Damaskus) bis hin zur anhaltenden Konfrontation der USA mit dem Jemen im Roten Meer scheint es, als könne eine schlechte Diplomatie eine Eskalation nicht verhindern und führe stattdessen zu wachsenden Spannungen und einem steigenden Potenzial für einen grösseren Krieg.

In Wirklichkeit entsprechen die diplomatischen Bemühungen (oder deren Fehlen) und die Militäroperationen der USA und Israels fast wortwörtlich einer sorgfältig ausgearbeiteten Strategie, die im Dokument «Which Path to Persia? Options for a New American Strategy Toward Iran» (Welcher Weg nach Persien? Optionen für eine neue amerikanische Strategie gegenüber dem Iran) der Brookings Institution aus dem Jahr 2009 beschrieben ist.

Washingtons Strategie für Westasien

Die Brookings Institution ist ein Think Tank mit Sitz in Washington, der sowohl von der US-Regierung und dem Militär als auch von den grössten Unternehmens- und Finanzinteressen des gesamten Westens finanziert wird. Zu ihrem Vorstand und ihren Experten zählen die prominentesten Persönlichkeiten der US-Aussenpolitik und der politischen Kreise. Was in den Veröffentlichungen der Institution zu lesen ist, ist alles andere als Spekulation oder Kommentar, sondern spiegelt vielmehr einen Konsens über die Ausrichtung der US-Aussenpolitik wider.

Das Dokument aus dem Jahr 2009 bildet da keine Ausnahme. Wer die 170 Seiten im Jahr 2009 las, erfuhr von laufenden oder zukünftigen Plänen, die iranische Regierung zu stürzen oder einzudämmen.

Es gibt ganze Kapitel über «diplomatische Optionen», in denen Pläne dargelegt werden, wie man den Anschein erwecken könnte, mit dem Iran über sein Atomprogramm zu verhandeln, um dieses Vorhaben dann einseitig aufzugeben und dessen Scheitern als Vorwand zu nutzen, um weiteren Druck auf die iranische Regierung und Wirtschaft auszuüben (Kapitel 2: Teheran in Versuchung führen: Die Option der Annäherung).

Es gibt Kapitel, die detailliert beschreiben, mit welchen Methoden man im Iran Unruhen schüren könnte, sowohl durch den Einsatz von US-finanzierten Oppositionsgruppen (Kapitel 6: Die Samtene Revolution: Unterstützung eines Volksaufstands) als auch durch die Unterstützung von Organisationen, die vom US-Aussenministerium als ausländische Terrororganisationen eingestuft werden, wie beispielsweise die Volksmudschahedin (MEK) (Kapitel 7: Anstiftung zum Aufstand: Unterstützung iranischer Minderheiten und Oppositionsgruppen).

Andere Kapitel befassen sich mit einer direkten US-Invasion (Kapitel 3: Alle Register ziehen: Invasion) und einer weniger umfangreichen Luftkampagne (Kapitel 4: Die Osiraq-Option: Luftangriffe).

Schliesslich ist ein ganzes Kapitel der Frage gewidmet, wie Israel genutzt werden kann, um einen Krieg auszulösen, in den sich die USA dann scheinbar nur widerwillig einmischen könnten (Kapitel 5: Überlass es Bibi: Einen israelischen Militärschlag zulassen oder fördern).

Seit 2009 wurde jede einzelne dieser Optionen entweder ausprobiert (in einigen Fällen sogar mehrfach) oder befindet sich derzeit in der Umsetzung. Das sogenannte Atomabkommen mit dem Iran, das während der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama unterzeichnet, von der Trump-Regierung einseitig aufgekündigt und unter der Biden-Regierung blockiert wurde, ist ein Beispiel nicht nur dafür, wie konsequent die US-Aussenpolitik den Inhalt des Dokuments umgesetzt hat, sondern auch dafür, dass dieser Kurs unabhängig von der Besetzung des Weissen Hauses und der Mehrheitsverhältnisse im Kongress fortgesetzt wurde.

Heute sieht es danach aus, dass eine der gefährlichsten Optionen, die in Betracht gezogen wurden, in vollem Gange ist: Die USA und Israel schaffen in Westasien bewusst ein Umfeld, das Krieg begünstigt, und provozieren den Iran immer wieder, damit er den ersten Schritt macht.

«Überlass es Bibi1»

Die Brookings Institution verdeutlicht mehrere Punkte. Erstens ist der Iran weder an einem Krieg mit den Vereinigten Staaten noch mit Israel interessiert. Zweitens müssen die USA grosse Anstrengungen unternehmen, um die Welt davon zu überzeugen, dass nicht Washington, sondern der Iran einen von den USA gewünschten Krieg provoziert hat. Und drittens besteht selbst bei wiederholten Provokationen eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Iran nicht zurückschlagen wird, wodurch den USA und/oder Israel ein Vorwand für einen grösseren Krieg verwehrt bliebe.

Der Bericht stellt fest:

… es wäre wesentlich besser, wenn die Vereinigten Staaten eine Provokation seitens des Iran als Rechtfertigung für ihre Luftangriffe anführen könnten, bevor sie diese starten. Je empörender, tödlicher und unprovozierter die iranische Aktion ist, desto besser für die Vereinigten Staaten. Natürlich wäre es für die Vereinigten Staaten sehr schwierig, den Iran zu einer solchen Provokation zu verleiten, ohne dass der Rest der Welt das Spiel durchschaut, wodurch es untergraben würde.

Weiter heisst es:

(Eine Methode, die eine gewisse Aussicht auf Erfolg hätte, bestünde darin, die verdeckten Bemühungen um einen Regimewechsel zu verstärken, in der Hoffnung, dass Teheran offen oder zumindest halb offen Vergeltungsmassnahmen ergreift, die dann als unprovozierte iranische Aggression dargestellt werden könnten.)

Das Dokument gibt zu, dass die USA einen Krieg mit dem Iran anstreben, aber die Welt davon überzeugen wollen, dass der Iran selbst den Krieg provoziert.

Es entwirft den Rahmen für eine Strategie unaufrichtiger Diplomatie, die Washington gegenüber Teheran verfolgen könnte, um die Illusion zu verstärken, dass der Iran für einen Krieg zwischen sich selbst und den USA (oder Israel) die Schuld tragen würde:

In ähnlicher Weise dürfte jede militärische Operation gegen den Iran weltweit auf grosse Ablehnung stossen und einen geeigneten internationalen Kontext erfordern – sowohl um die logistische Unterstützung für die Operation sicherzustellen als auch um die Gegenreaktionen zu minimieren. Der beste Weg, um internationale Kritik zu minimieren und die Unterstützung (wenn auch widerwillig oder verdeckt) zu maximieren, besteht darin, nur dann zuzuschlagen, wenn die Überzeugung weit verbreitet ist, dass den Iranern ein vorzügliches Angebot unterbreitet, aber von ihnen abgelehnt wurde – ein so gutes Angebot, dass nur ein Regime, das entschlossen ist, Atomwaffen zu erwerben, und zwar aus den falschen Gründen, es ablehnen würde. Unter diesen Umständen könnten die Vereinigten Staaten (oder Israel) ihre Operationen so darstellen, als seien sie aus Sorge und nicht aus Wut ergriffen worden, und zumindest ein Teil der internationalen Gemeinschaft würde zu der Schlussfolgerung gelangen, dass die Iraner «sich das selbst eingebrockt haben», indem sie ein sehr gutes Angebot abgelehnt haben.

Israel spielt in dieser Strategie eine Schlüsselrolle. Während Washington versucht, den Anschein zu erwecken, als distanziere es sich von der Brutalität Israels hinsichtlich dessen Operationen im Gazastreifen und dem jüngsten Angriff auf die iranische Botschaft in Damaskus, sind solche Provokationen von zentraler Bedeutung für Washingtons Bestreben, den Iran in einen Krieg zu ziehen, den Teheran – wie Washington selbst zugibt – nicht führen will.

Ein zusätzliches Element könnte sein, dass die Vereinigten Staaten die Israelis dazu ermutigen – und vielleicht sogar dabei unterstützen – würden, die Angriffe selbst durchzuführen, in der Erwartung, dass sowohl die internationale Kritik als auch die iranischen Vergeltungsmassnahmen von den Vereinigten Staaten weg und auf Israel umgelenkt würden. – Brookings: Which Path to Persia?

Das Dokument aus dem Jahr 2009 geht davon aus, dass israelische Angriffe auf den Iran möglicherweise «einen grösseren Konflikt zwischen Israel und dem Iran entfachen würden, in den auch die Vereinigten Staaten und andere Länder hineingezogen werden könnten».

In Wirklichkeit ist Israels Brutalität bei seinen Operationen im Gazastreifen und seinem jüngsten Angriff auf die iranische Botschaft nur dank der politischen, diplomatischen und militärischen Hilfe der USA möglich. Die USA geben Israel nicht nur die militärischen Mittel, um diese Gewalt auszuüben, sondern nutzen auch ihre Position in den Vereinten Nationen, um Israel Straffreiheit zu gewähren, wie der Artikel «U.S. approved more bombs to Israel on day of World Central Kitchen strikes» (USA genehmigen weitere Bomben für Israel am Tag der Angriffe auf World Central Kitchen) in der Washington Post vom 4. April 2024 veranschaulicht.

Viele Analysten scheinen von Washingtons paradoxem Verhalten überrascht zu sein und geneigt zu glauben, dass die derzeitige Biden-Regierung einfach inkompetent und nicht in der Lage ist, ihre israelischen Verbündeten zu zügeln. Angesichts der zentralen Rolle, die solche eklatanten Provokationen dabei spielen, die erklärten aussenpolitischen Ziele der USA gegenüber dem Iran voranzutreiben, sollte dies jedoch keineswegs überraschen.

Jetzt bedarf es nur noch einer iranischen Vergeltungsmassnahme oder eines Vorfalls, den die USA und Israel der Welt als iranische Vergeltungsmassnahme verkaufen können.

Washingtons grösste Sorge ist, dass der Iran nicht zurückschlagen wird

Der Iran leidet seit Jahrzehnten unter Provokationen seitens der USA und Israels. Die vielleicht gravierendste Provokation in den letzten Jahren vor dem israelischen Angriff auf die iranische Botschaft in Damaskus war die Ermordung des hochrangigen iranischen Militärs Qasem Soleimani durch die USA im Irak im Jahr 2020. Der Iran reagierte zwar mit Vergeltungsmassnahmen, ging dabei jedoch zurückhaltend vor.

Der Angriff auf die iranische Botschaft am 1. April 2024 war gezielt darauf ausgerichtet, das Ausmass des Attentats von 2020 zu übertreffen, in der Hoffnung, Teheran derart unter Druck zu setzen, dass es angesichts seiner bisherigen strategischen Geduld endlich zu einer Überreaktion gezwungen würde. Möglicherweise sollte auch unerträglicher Druck auf den Iran ausgeübt werden, um einen inszenierten Angriff, der dem Iran angelastet würde, glaubwürdiger erscheinen zu lassen.

Das Brookings-Papier «Which Path to Persia?» aus dem Jahr 2009 brachte das Problem klar auf den Punkt (Hervorhebung hinzugefügt):

Es wäre zwar nicht unvermeidlich, dass der Iran auf eine amerikanische Luftkampagne mit Gewalt reagieren würde, aber kein amerikanischer Präsident sollte leichtfertig davon ausgehen, dass er es nicht tun würde. Der Iran hat nicht immer mit Vergeltungsmassnahmen auf amerikanische Angriffe reagiert. Nach der Zerstörung des Pan-Am-Flugs 103 im Dezember 1988 glaubten viele zunächst, dass dies eine iranische Vergeltungsmassnahme für den Abschuss des Iran-Air-Flugs 455 durch den amerikanischen Kreuzer USS Vincennes im Juli desselben Jahres war. Heute deuten jedoch alle Beweise darauf hin, dass Libyen für diesen Terroranschlag verantwortlich war, was bedeuten würde, dass der Iran nie Vergeltung für seinen Verlust geübt hat. Auch auf die amerikanische Operation Praying Mantis, die 1988 zur Versenkung der meisten grossen iranischen Kriegsschiffe führte, reagierte der Iran nicht mit Vergeltungsmassnahmen. Folglich ist es möglich, dass der Iran im Falle eines Angriffs durch die Vereinigten Staaten einfach die Opferrolle spielen würde, da er (wahrscheinlich zu Recht) davon ausgeht, dass dies dem klerikalen Regime sowohl im Inland als auch international beträchtliche Sympathien einbringen würde.

Washington hat versucht, die Welt davon zu überzeugen, dass es eine Eskalation zwischen Israel und dem Iran befürchtet. Newsweek zitierte in seinem Artikel vom 4. April 2024 mit dem Titel «Weisses Haus ‹sehr besorgt› über Aussicht auf Krieg zwischen Israel und Iran» sogar den Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats des Weissen Hauses, John Kirby, mit den Worten: «Niemand will, dass dieser Konflikt eskaliert.»

Entgegen den Worten Washingtons zeigen seine Handlungen einen eifrigen Wunsch nach Eskalation. Der Brookings-Bericht von 2009 räumt ein, dass selbst eine «halb offene» Vergeltungsmassnahme des Iran als Vorwand dienen könnte, woraus zu befürchten ist, dass die USA und Israel jeden Angriff, unabhängig davon, wer dafür verantwortlich ist, anführen könnten, um den Iran zu beschuldigen und eine weitere Eskalation zu rechtfertigen.

In vielerlei Hinsicht haben sowohl die USA als auch Israel dies bereits im Hinblick auf die Hamas-Angriffe vom 7. Oktober 2023 versucht, obwohl sie einräumen, dass es keine Beweise für eine Beteiligung des Iran gibt.

Washington und seine Stellvertreter sind verzweifelt und gefährlich

Strategische Geduld hat sich für den Iran ausgezahlt. Indem er einen offenen Krieg mit den USA oder Israel vermieden hat, konnten er und seine Verbündeten die Region langsam aber sicher neu gestalten. Der Iran hat dies durch die Umgehung der US-Sanktionen erreicht. Ausserdem überwindet er die künstlichen Gräben, die die USA seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs geschaffen haben, um Westasien zu spalten und zu beherrschen. […]

Die einzige Möglichkeit für die USA, ihre Vorherrschaft in der Region wiederherzustellen und ihre Politik des Regimewechsels gegenüber dem Iran voranzutreiben, besteht darin, einen gross angelegten Krieg zu provozieren, damit die USA (und/oder Israel) mit direkter militärischer Gewalt erreichen können, was jahrzehntelange Sanktionen und Subversion nicht geschafft haben. Irgendwann wird auch diese Möglichkeit den USA und Israel versperrt sein, da der Iran und der Rest der multipolaren Welt weiter wachsen und die USA und ihre Vasallen zunehmend isoliert sind.

Wie sich in Europa im Zusammenhang mit dem Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland in der Ukraine gezeigt hat, löst dieses sich rasch schliessende Zeitfenster in Washington eine gefährliche Verzweiflung aus.

Nur die Zukunft wird zeigen, wie weit diese Verzweiflung die US-Aussenpolitik in Westasien und die Handlungen ihrer Stellvertreter, insbesondere Israels, noch treiben wird. Washingtons andere Stellvertreterin, die Ukraine, hat zu verzweifelten Massnahmen gegriffen, die von extraterritorialem Terrorismus bis hin zu Angriffen auf das Kernkraftwerk Saporischschja reichen, in dem gefährlichen Versuch, das Blatt zu wenden. Israel verfügt sogar über Atomwaffen, was Washingtons Verzweiflung in Westasien umso gefährlicher macht.

1 Bibi Netanjahu

___

Brian Berletic ist ein in Bangkok ansässiger geopolitischer Forscher und Autor, insbesondere für das Online-Magazin «New Eastern Outlook».

Quelle: New Eastern Outlook. Übersetzt mit Hilfe von DeepL.