Die Eruption des Arbeitslosenversicherungsfonds
Von Thomas Näf, Präsident Komitee der Arbeitslosen und Armutsbetroffenen (KABBA)
Plünderung der Arbeitslosenkasse durch Überwälzung von Betriebsrisiken
Nach Artikel 32 Absatz 3 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) kann der Bundesrat die Kriterien festlegen, nach denen Arbeitsausfälle «wegen behördlicher Massnahmen und anderer nicht vom Arbeitgeber zu vertretender Umstände» als Versicherungsschaden anrechenbar sind. Der Bundesrat erklärt in der Arbeitslosenversicherungsverordnung (AVIV) solche Arbeitsausfälle für anrechenbar, wenn der Arbeitgeber sie nicht durch geeignete, wirtschaftlich tragbare Massnahmen vermeiden oder keinen Dritten für den Schaden haftbar machen kann (Art. 51 Abs. 1 AVIV). Anrechenbar sind insbesondere fünf Fallgruppen von Ausfällen, darunter Ausfälle, die durch Transportbeschränkungen oder Sperrung von Zufahrtswegen werden (Art. 51 Abs. 2 lit. c AVIV). Allerdings ist der Bundesrat bei seiner Kompetenz an den gesetzlichen Rahmen und Zweck der Kurzarbeitsentschädigung gebunden. Ihr Zweck besteht nicht darin, den Unternehmern Umsatzausfälle zu ersetzen und deren viel gepriesenes Unternehmerrisiko oder Betriebsrisiko des Arbeitgebers zu sozialisieren. Das wird auch in Art. 33 Abs. 1 AVIG ausdrücklich festgehalten für das normale Betriebsrisiko ( (lit. a.) und für branchen-, berufs- oder betriebsübliche Ausfälle (lit. b.).
Wie eindeutig aus der Entstehungsgeschichte der Kurzarbeitsentschädigung hervorgeht, besteht ihr Zweck allein im Schutz der Arbeitnehmer gegen das Risiko, wegen der Arbeitsausfälle entlassen zu werden und damit in Arbeitslosigkeit bzw. Tagelöhnerei zu geraten, was zu vermeiden auch im Interesse der Versicherungskasse liegt:- Die Einführung der Kurzarbeitsentschädigung wurde vom Bundesrat seinerzeit folgendermassen begründet: «Sowohl aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen als auch im Hinblick auf die finanzielle Belastung der Arbeitslosenversicherung ist es vorzuziehen, Kurzarbeitsentschädigung zur Aufrechterhaltung von Arbeitsverhältnissen zu zahlen, statt im Falle von vorübergehendem Arbeitsmangel die Entlassung von Arbeitnehmern in Kauf zu nehmen.» (Botschaft zu einem neuen Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 2. Juli 1980, Bundesblatt 1980 III 531)
- Die Anrechenbarkeit von nicht ökonomisch verursachten Arbeitsausfällen wurde in der ersten grösseren Teilrevision des AVIG 1990 neu geregelt. Im Zusammenhang mit der Schlechtwetterentschädigung und der Kurzarbeit bekräftigte der Bundesrat 1989 seine Auffassung: «Schliesslich handelt es sich bei der ALV um eine Arbeitnehmerversicherung, die Betriebsunterbrüche nicht als solche decken kann, sondern nur insofern, als die Leistungen an den Arbeitgeber der Erhaltung von Arbeitsplätzen dienen.» (Botschaft zu einer Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes, Bundesblatt 1989 III, 380)
- Auch bei der konkreten Ausgestaltung der Entschädigung verweist der Bundesrat auf deren Zweck als «Anreiz …, eine voraussichtlich längerdauernde wetterbedingte Arbeitseinstellung mit der Schlechtwetterentschädigung statt durch vorübergehende Entlassungen von Arbeitnehmern zu überbrücken. (Botschaft 1989, S. 384) Hier wurde – nicht für die Kurzarbeit, aber für den analogen Fall der Schlechtwetterentschädigung – deutlich unterstrichen, dass es sich um eine voraussichtlich länger dauernde Arbeitsunterbrechung handeln muss, will heissen um eine, in welcher die Arbeitgeber normalerweise mit Entlassungen reagieren. Kurzarbeits- und Schlechtwetterentschädigungen beruhen auf der erklärten Philosophie, dass sie einem gemeinsamen Interesse der Betriebe und der Belegschaften an der Fortsetzung der Arbeitsverhältnisse entspreche, dass sie dem Arbeitgeber eine Alternative zu Entlassungen oder zum Übergang auf die Tagelöhnerei bieten soll. «Dies kommt die ALV nicht grundsätzlich teurer zu stehen als die Ausrichtung von Taggeldern an Ganzarbeitslose, hat aber sowohl für den Arbeitnehmer wie für den Arbeitgeber erhebliche Vorteile.» (Botschaft 1989, S. 384)
- Diese Sichtweise findet ihren Ausdruck auch in der folgenden Bestimmung: «Der Arbeitsausfall wegen eines Schadenereignisses ist nicht anrechenbar, solange er durch eine private Versicherung gedeckt ist. Hat sich der Arbeitgeber gegen einen solchen Arbeitsausfall nicht versichert, obwohl dies möglich gewesen wäre, so ist der Arbeitsausfall frühestens nach Ablauf der für das einzelne Arbeitsverhältnis geltenden Kündigungsfrist anrechenbar.» (Art. 51 Abs. 4 AVIV). Diese Regel ist auch abgesehen von diesem konkreten Gegenstand einsichtig, denn während der Kündigungsfrist befindet sich der Arbeitgeber in einem Annahmeverzug, so dass der ungekürzte Lohnanspruch aufrecht bleibt (Art. 322 Abs. 1 OR).
Aus alledem ergibt sich, dass die Kurzarbeit im Falle der Fluggesellschaften dem versicherten Arbeitnehmer nichts einbringt. Er hat gar keine Veranlassung, die damit verbundene Lohneinbusse zu akzeptieren, denn er besitzt den vollen Lohnanspruch. Und die ALV hat nicht das geringste Interesse, ihre Gelder einzuwerfen, um dem Arbeitgeber die Lohnzahlungspflicht abzunehmen.
Offener Rechtsbruch bei den Anmeldefristen
Gemäss Artikel 36 Absatz 1 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) muss Kurzarbeit der kantonalen Amtsstelle mindestens zehn Tage vor Beginn durch den Arbeitgeber schriftlich angemeldet werden. «Der Bundesrat kann für Ausnahmefälle kürzere Anmeldefristen vorsehen.» (Von einer noch weiterreichenden Kompetenz des seco zur Fristverschiebung und Einführung von rückwirkenden Voranmeldungen sagt das Gesetz nichts.) Von seiner Kompetenz machte der Bundesrat in der Arbeitslosenversicherungsverordnung (AVIV) Gebrauch: «Die Anmeldefrist für Kurzarbeit beträgt ausnahmsweise drei Tage, wenn der Arbeitgeber nachweist, dass die Kurzarbeit wegen plötzlich eingetretener Umstände, die nicht voraussehbar waren, eingeführt werden muss.» (Art. 58 Abs. 1 AVIV). «Hängt die Arbeitsmöglichkeit in einem Betrieb vom täglichen Auftragseingang ab und ist es nicht möglich, auf Lager zu arbeiten, so kann Kurzarbeit bis vor ihrem Beginn, allenfalls auch telefonisch, angemeldet werden. Der Arbeitgeber muss die telefonische Meldung unverzüglich schriftlich bestätigen.» (Abs. 2). Auch die Rechtsfolge einer versäumten Meldung ist in der Verordnung unmissverständlich geregelt: «Hat der Arbeitgeber die Kurzarbeit ohne entschuldbaren Grund verspätet angemeldet, so wird der Arbeitsausfall erst anrechenbar, wenn die für die Meldung vorgeschriebene Frist abgelaufen ist.» (Art. 58 Abs. 4 AVIV).
Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht festhielt, handelt es sich bei den Fristen zur Voranmeldung der Kurzarbeit (Art. 36 Abs. 1 AVIG) um «Verwirkungsfristen mit der Folge, dass der Arbeitsausfall bei verspäteter Meldung ohne entschuldbaren Grund gemäss Art. 58 Abs. 4 AVIV erst anrechenbar wird, wenn die für die Meldung vorgeschriebene Frist abgelaufen ist.» (BGE 110 V 334 ).
Das seco scheint sich einfach über diese gesetzliche Verwirkungsfristen und die Rechtsprechung hinwegzusetzen.
Stoppt diesen kühnen Griff in die ALV-Kassen!
Rechtlich fragwürdig: Das seco will ALV-Gelder freimachen, um Betriebe für vulkanbedingte Arbeitsausfälle zu entschädigen.
Krass widerrechtlich: Es verletzt dabei zugunsten der Betriebe die Voranmeldefristen.
Unsozial: Seine «Lösung» verschlechtert die Position der vom Ausfall betroffenen Arbeitnehmer (Kurzarbeitsentschädigung 80% statt 100% Lohn)
Wir fordern, dass dieser Unfug abgestellt wird, und dass die Fluggesellschaften und andere von Betriebsausfällen wegen des Vulkanausbruchs und der Schliessung des Luftraums für den Flugverkehr betroffene Betriebe angehalten werden, ihrer gesetzlichen und vertraglichen Lohnzahlungspflicht unvermindert nachzukommen. Sofern es zu Auszahlungen von Kurzarbeitsentschädigungen kommen sollte, sind diese als ungerechtfertigt zurückzufordern. Wir fordern die Widerrufung der vom seco unbefugtermassen angekündigten widerrechtlichen Sonderfristen.
24. April 2010
Thomas Näf
Präsident Komitee der Arbeitslosen und Armutsbetroffenen (KABBA)
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