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Zur grossen sozialistischen Oktoberrevolution vor 90 Jahren

Wenn wir heute die Frage nach der Bedeutung der Oktoberrevolution stellen, so tun wir das nicht aus gemütlicher Distanz, sondern werfen eine hochaktuelle Frage auf. Bekanntlich wurde und wird der Kommunismus pausenlos für tot und erledigt erklärt und die Sieger feiern ihren Triumph, als wäre das letzte Wort der Geschichte schon gesprochen. Dennoch erleben wir, dass der Antikommunismus in einigen Ländern im Stechschritt voranmarschiert und in anderen verstärkt propagiert wird. Fürchten sich die Kapitalherren etwa vor einem Toten? Was stimmt da nicht?

Greife nie in ein Wespennest, …

… doch wenn du greifst, dann greife fest. Einige zehntausend Pariser Kommunarden haben es 1871 mit dem Leben oder mit Deportation zur lebenslänglichen Zwangsarbeit bezahlt, diese Empfehlung missachtet zu haben. Auch im Schweizer Bauernkrieg gingen die Revolutionäre nicht mit der von der Geschichte verlangten Entschlossenheit und Zielorientierung an die Sache heran, so dass die reaktionären Kräfte Gelegenheit fanden, sich zum erfolgreichen Gegenstoss zu formieren und erbarmungslos über die Bauernklasse herzufallen. Vergleichbar die Novemberrevolution 1918, mangelhaft vorbereitet, indem die Linke es jahrelang verschlafen hatte, sich vom Opportunistenflügel innerhalb der SPD organisatorisch zu trennen, also überrumpelt wurde, und die nicht mehr aufschiebbare Trennung unter ungünstigsten Umständen mitten im Krieg vollziehen musste? Die Liste liesse sich endlos fortsetzen. Gewiss sind wir verpflichtet, unter allen geschichtlichen Erfahrungen, die sich auf dem Weg zum Sozialismus ansammeln, besonders die teuer erkauften Erfahrungen von Niederlagen zu studieren und ganz zuvorderst jene Fehlentwicklungen, welche zu Stagnation, Niedergang und Verschwinden der Sowjetunion geführt haben.

Die Arbeiterklasse an der Macht

Dennoch wird das 20. Jahrhundert in die Geschichte eingehen als die Zeit der Oktoberrevolution, geprägt durch die Machtergreifung des Proletariats und den – in der gesamten Menschheitsgeschichte erstmaligen – dauerhaften Aufbau einer Gesellschaft ohne Klassenausbeutung. Der Beweis, dass die Werktätigen auf keine Ausbeuterklasse angewiesen sind, lag vor aller Augen. Eben deswegen bedeutete der Sieg der Bolschewiki einen revolutionären Sprung für die gesamte Weltpolitik und eine grundlegende Wendung in Kultur und Geistesleben der unterdrückten Massen der Weltbevölkerung. Schon zum 10. Jahrestag der Revolution sagte Stalin: “Darin liegt auch die Wurzel jener tiefen Sympathie, die die unterdrückten Klassen aller Länder der Oktoberrevolution entgegenbringen, in der sie das Unterpfand ihrer eigenen Befreiung sehen.” Heute versucht die Bourgeoisie krampfhaft, die Erinnerung daran auszulöschen und zu verfälschen. Es wird also nicht überflüssig sein, auch 90 Jahre danach einige Dinge in Erinnerung zu rufen, die nicht vergessen werden dürfen.

Eine sozialistische Revolution stellt unvergleichlich grössere und schwierigere Aufgaben als eine bürgerliche. Der Kapitalismus war hinsichtlich Akkumulation von Produktionsmitteln, Verbreitung der Lohnarbeit, Einfluss auf die Politik usw. schon im Schosse der Feudalgesellschaft und des absoluten Fürstentums prächtig entwickelt. Die bürgerlichen Revolutionäre konnten sodann einen gebrauchsfertigen Staatsapparat übernehmen, denn der Staatszweck blieb mehr oder weniger derselbe, nämlich Sicherung der Herrschaft über ausgebeutete Klassen. Die Oktoberrevolution und der Aufbau des Sozialismus sind umso höher zu würdigen, wenn man von der Tatsache ausgeht, dass die erdrückende Mehrheit der Ausgebeuteten in Russland von den tiefen Narben der Niederhaltung und Verkrüppelung gezeichnet waren, welche ihr Dasein prägten: Analphabetismus, blinder Pfaffenglauben, Alkoholismus, Rohheit. Natürlich kann man nicht erwarten, dass in revolutionärer Stunde sämtliche Arbeiter, Bauern und Soldaten auf einen Schlag alle Verkümmerungen abschütteln würden, die ihnen von der entmachteten Klasse anerzogen wurden. Darum ist es auch keine Überraschung, wenn sich solche “Erziehung” zuweilen gegen die Erzieher gekehrt hat, anstatt wie vorgesehen zur Niederknüppelung von Streikenden, zur Bauernschindung, zur Vergewaltigung der nichtrussischen Völker, zum Judenpogrom oder zur Verprügelung von Frau und Kind.

Der Sozialismus in einem Lande

Wann und wo anders auf der Welt als in den Pionierzeiten der Sowjetunion hat man gesehen, dass sich in so kurzer Zeit für soviele Millionen die Hülle der Begriffe von Humanismus, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit mit konkreten Inhalt anfüllten, und dass die garantierten Rechte auch aufhörten, Privilegien einer schmalen Klasse zu sein? Die Geschichte wird über die bahnbrechenden Entwicklungen des sozialistischen Rechts (demokratischer Zentralismus, Eigentumsrecht, Wirtschaftsorganisation, Planung, Verfassung 1936) ein gerechteres Urteil sprechen als die Historiker im Solde der Ausbeuterklasse dies heute tun. Sie wird die Fortschritte in den Sozialrechten hervorheben und auf die ungeheuren Anstrengungen verweisen, welche in den sozialistischen Staaten unternommen wurden (und noch werden, wohlgemerkt), um die Verfassungsrechte auf Arbeit und Erholung, Gesundheit, Bildung, Wohnung und auf Gleichberechtigung der Nationalitäten und der Geschlechter in die Lebenswirklichkeit umzusetzen.

Der Sozialismus erwies sich nicht nur als (in einem Land) existenzfähig, sondern auch imstande, den immensen kulturellen und technischen Rückstand Russlands gegenüber dem Westen aufzuholen. Während in den 1930er Jahren die Produktion in den kapitalistischen Ländern unter das Vorkriegsniveau zurückfiel, entwickelten sich die sowjetischen Produktivkräfte in schwindelerregendem Tempo. Die grossen Errungenschaften der ersten Jahrzehnte wären undenkbar gewesen ohne die Heranziehung von Millionen und Abermillionen von Werktätigen in die politischen Kämpfe (die sich nach der Revolution nicht abschwächten, sondern verschärften), ohne Heranziehung der Massen zur Lösung der ökonomischen Aufgaben, ohne die allergrösste Einsatz-, Lern- und Opferbereitschaft der Massen. Millionen von Werktätigen wurden als Delegierte der Betriebe in Bezirks- und Unionsversammlungen, als Gewerkschaftsvertreter oder auf Parteiversammlungen in die Verwaltungsarbeit einbezogen, die Gerichte wurden mit Hunderttausenden von Proletariern aufgefüllt, ganze Ministerien (Volkskommissariate) wurden aus den Arbeiterquartieren von Petersburg, aus den Belegschaften der Putilow-Werke und anderer Grossbetriebe rekrutiert, die Tätigkeit der Staatsorgane unterstand der Kontrolle durch die Arbeiter- und Bauerninspektion. Auch unter den allerdemokratischsten bürgerlich-parlamentarischen Demokratien findet sich kein Land, wo die werktätigen Klassen je einen auch nur annähernd vergleichbaren Einfluss ausgeübt hätten.

Das sozialistische Staatensystem

Alle diese Fortschritte erreichten die Werktätigen der Sowjetvölker unter unvorstellbaren menschlichen Opfern und materiellen Entbehrungen, die ihnen durch die imperialistischen Rüstungen und Kriege aufgezwungen wurden, und dies praktisch vom ersten bis zum letzten Tag des Sowjetsstaates. Am Ende des Zweiten Weltkriegs beklagte die sowjetische Bevölkerung den Verlust von über 25 Millionen Toten. Ein Drittel des weissrussischen Volks wurde von 1941-45 ausgelöscht. Im Ergebnis der militärischen Niederwerfung des deutschen und japanischen Faschismus bildete sich ein sozialistisches Staatensystem heraus, das ein gewaltiges Prestige genoss und machtvoll in das internationale Geschehen eingriff, den Befreiungskampf der Kolonialvölker unterstützte und den Imperialismus strategisch in Schach halten konnte. Ab 1955 waren die USA zum militärisch verwundbaren Territorium geworden. Diese Kräftekorrelation schuf weltweit günstigere Bedingungen für das fortschrittliche Lager (welches ja überhaupt erst seit Stalingrad wieder frische Luft atmen konnte) und zwang das Kapital, den Werktätigen eine bedeutende Hebung der materiellen Lebenslage und Sicherheit zuzugestehen.

Der Niedergang der UdSSR

War das alles nichtig? Jedenfalls Anlass genug, um differenziert an die sowjetischen Geschichte heranzugehen und anzuerkennen, dass sich eine Unterscheidung aufdrängt: Wir beobachten eine aufbauende Linie, die 1917 einsetzt und stellen fest, dass die Ausstrahlungskraft des Sozialismus auf allen Gebieten (Wirtschaft, Kultur, Politik, Forschung) um Mitte des Jahrhunderts ihren Gipfelpunkt erreicht.

Anderseits festzustellen ist eine absteigende Linie der zunehmenden Entfernung von den Idealen der Revolution, mit Erscheinungsformen wie: Zentralisierung und Bürokratisierung der Macht, administratives Herangehen an Probleme, Kristallisierung und Verkrustung der Theorie zum Dogma, repressives Herangehen an Kritik, Herausbildung von Keimen neuer Klassenherrschaft, Verlust der Verbindung der Leitungsorgane mit den werktätigen Massen, polternder Voluntarismus in Politik und Oekonomie, tölpelhafte Misswirtschaft nebst Clanwirtschaft, Vergeudung von materiellen und menschlichen Ressourcen, mangelnde Akkumulation, Stagnation auf allen Ebenen, Ausweichen vor Herausforderungen und strategische Kapitulation im “Wettbewerb der Systeme”.

(mh/2007)

Zitate zur Oktoberrevolution

“Die Fälschungen der offiziellen Geschichtsschreibung, die verleumderischen und gewaltigen antikommunistischen Kampagnen, dazu die Verleugnung der eigenen Vergangenheit durch einige, zwingen die Kommunisten dazu, in Erinnerung zu rufen, was die russische Revolution von 1917 und der Aufbau der Sowjetunion waren und was sie bedeuteten. Wir müssen daran erinnern und festhalten, dass es sich um das wichtigste geschichtliche Ereignis des 20. Jahrhunderts und um eines der bemerkenswertesten der Menschheitsgeschichte handelt.” (Alvaro Cunhal: 6 Merkmale einer KP )