250’000 in Lissabon: Zeit dass die Regierung geht
Nach übereinstimmenden ersten Schätzungen der Polizei und der Veranstalter beteiligten sich fast eine Viertel Million Portugiesen an den Massenprotesten in Lissabon vom 5. Juni, die von der Gewerkschaftszentrale CGTP organisiert wurden.
Eindrucksvolle Massenproteste mit vielen Zehntausenden von Manifestanten prägen nicht zum ersten Mal das Bild der Hauptstadt von Portugal. Mit 80’000 Teilnehmern war Lissabon auch dieses Jahr Schauplatz der grössten 1. Mai-Feier in ganz Europa. Allein die Lehrer brachten diesen Frühling ebenfalls 80’000 Kollegen auf die Strasse. Die Kommunistische Partei (PCP) bot ihre Anhänger kürzlich zu einer Manifestation vor das Verfassungsgericht auf. Damit reagierte sie auf einen der zahlreichen Versuche der Regierung, mit juristischen Mitteln gegen die KP vorzugehen. Socrátes wollte nämlich die Kommunisten zwingen, anhand von Mitgliedskarteien zu beweisen, dass sie die erforderliche Mitgliederzahl von 5000 aufweisen. Dem Aufruf der Partei folgten über 50’000. Schon vor einem Jahr nahmen 150 Tausend an einer CGTP-Demonstration in Lissabon teil. Etwa 200 Tausend manifestierten im Oktober gegen die Flexicurity-Politik der EU und ihrer Statthalter in Lissabon.
Aber wohl noch nie hat die Avenida da Liberdade in Lissabon eine so gewaltige Manifestation erlebt wie gestern. Jerônimo de Sousa, Generalsekretär der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP), sprach am Nachmittag von einem “historischen Markstein für die CGTP”. Jerônimo de Sousa verwies auf die Zahl und Kampfentschlossenheit der Manifestanten:
“Seit der Aprilrevolution von 1974 war die Avenida da Liberdade noch nie so dicht gefüllt, und zwar – und das ist das Entscheidende! – gefüllt mit Werktätigen, die bereit sind weiter zu kämpfen, weil sie die Gefahren sehen, die ihnen ohne Kampf drohen würden”.
Der KP-Führer zweifelt nicht daran, dass dieser Kampftag der Regierung Sócrates zu denken geben wird. Aber das Bündnis zwischen SP-Regierung und Grosskapital ist sehr stark. Um ihre Pläne zur Zerstörung des Arbeitsrechts zu verhindern, müssen die Werktätigen ihren Kampf noch weiter verstärken. Gewerkschaftsführer Carvalho da Silva gab sich gleichermassen gewiss, dass dieser Tag ein deutliches Signal an Sócrates gesetzt hat. Hunderttausende sind nach wie vor überzeugt, dass eine grundlegende Önderung erreichbar ist.
Die portugiesischen Arbeiter sind es gewohnt, dass Mitglieder der regierenden SP und des Linksblocks immer in den Stunden des Kampfes irgendeinen Grund zum Kneifen finden und die Geschlossenheit der Arbeiter aufzubrechen versuchen. Diesmal haben sich einzelne Gewerkschaftsfunktionäre mit SP-Parteibuch mitten in der Schlacht aus dem Staub gemacht. Dies mit dem Vorwand, die Arbeiter hätten sich nicht an die verabredeten Parolen gehalten. Gerufen wurde: “Está na hora do Governo se ir embora”. Auf deutsch: “Es ist an der Zeit, dass die Regierung geht”. Die SP-Leute wollten, dass nicht die Regierung, sondern nur “diese Politik” in die Wüste geschickt werde. Dabei ist die SP-Regierung Sócrates von allen Regierungen seit Sturz des Faschismus die weitaus arbeiterfeindlichste. Der Massenaufmarsch von einer Viertelmillion hat nun deutlich gezeigt, dass das Volk dieser Regierung dieser Regierung den Kampf ansagt, auch wenn die SP-Parlamentsmehrheit kürzlich einen Misstrauensantrag der PCP niedergestimmt hat. (6.6.08 – mh)
Quellen: PCP | CGTP-Intersindical
Siehe auch:
»¢ Aufschwung der Klassenkämpfe in Portugal
Ȣ Generalstreik in Portugal
Ȣ Nelkenrevolution vom 25. April 1974
Ȣ PCP-Dokumente