SLIFT (ein Makler): Die Hauptsache, wo stehen Sie, Mann? Diesseits oder jenseits der Barrikade?
SNYDER (Major der Schwarzen Strohhüte): Die Schwarzen Strohhüte stehen über dem Kampf, Herr Slift. Also diesseits.
(aus: Bertolt Brechts Stück “Die heilige Johanna der Schlachthöfe”, 1931)
Auf welcher Seite der Barrikade steht der «Vorwärts»?
Die Rede ist vom «Vorwärts», einer Zeitung, die der Partei der Arbeit der Schweiz und den deutschschweizerischen PdA-Sektionen gehört. Im Vorjahr rührte der «Vorwärts» die Kriegstrommeln: die Linke habe den Krieg gegen Libyen “nicht nur … zu akzeptieren, sondern” – man hörte und staunte: – “ein Stück weit … zu begrüssen”. Gleichzeitig unterschlug der Vorwärts die Stellungnahme der Partei gegen den Angriff der NATO-Mächte auf Libyen.
Dieses Jahr steht Syrien oben auf der Agenda des Imperialismus. Die PdA Schweiz hat die Teilnahme der Schweiz an der Finanzierung des imperialistischen Kriegstreibens gegen Syrien unmissverständlich verurteilt.1 Wohl eher der lästigen Pflicht gegenüber der Partei entsprechend, als der eigenen Neigung folgend, bequemte sich die «Vorwärts»-Redaktion, das entsprechende Communiqué der Mutterpartei abzudrucken. In der Ausgabe vom 28. September zeigt der «Vorwärts», wes Geistes Kind er ist. Im Artikel Which side are you on? von Maurizio Coppola und Thomas Schwendener, die beide seit kurzem als Redaktoren aufgeführt werden.
Werfen wir einen kurzen Blick auf die Argumentationskette der «Vorwärts»-Redaktoren. Im Abschnitt “Imperialismus und Antiimperialismus” halten sie Lenin schulterklopfend die reinsten Absichten zugute und richten ihre Schläge grammtikalisch streng genommen nicht gegen Lenin, sondern gegen “eine falsche Diskussion zu Imperialismus und Antiimperialismus”, die in der Linken stattfindet. Und dann, gemünzt auf die Positionen der PdA Schweiz und der Jungkommunisten:
Imperialismus und Antiimperialismus Wieso ergreifen heute KommunistInnen zumin- dest implizit Partei für das Assad-Regime? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich die Ideologie des Antiimperialismus genauer anschauen. In der Linken findet oft eine falsche Diskussion zu Imperi- alismus und Antiimperialismus statt. Diese basiert meist auf einem vereinfachten Bild der kapitalisti- schen Verhältnisse. Statt die weltweiten Beziehungen der Nationalstaaten an einem bestimmten Punkt des kapitalistischen Zyklus– zu reflektieren, wird mit ver- einfachenden Stadien-Theorien hantiert. Man greift dabei gerne auf die Imperialismus-Theorie von Lenin zurück. Man muss Lenin dabei allerdings zugutehal- ten, dass er seine Theorie für die proletarische Eman- zipation entwickelte. Diese Dimension geht heute bei den antiimperialistischen Planspielen fast immer verloren.
Zum Vorwurf der Parteinahme für das Assad-Regime
Die Herren Redaktoren eröffnen diesen Abschnitt ihres Artikels mit einem Vorwurf, den sie der Rhetorik halber in einen Fragesatz kleiden. Der Vorwurf an die hiesigen Kommunisten lautet, dass sie angeblich für das Assad-Regime Partei ergreifen würden. Wenn die Autoren formulieren, dass die PdA und die Jungkommunisten “zumindest implizit” (d.h. ohne es auszusprechen) für Assad Partei nehmen, so ändert das nichts am Charakter und an der Tragweite des Vorwurfs. Der Vorwurf könnte nicht lächerlicher sein. Die Solidarität der Schweizer Kommunisten gilt der syrischen Arbeiterklasse und dem syrischen Volk, das sich nach aller Erfahrung der Völker in ähnlicher Lage, besonders der Völker Afghanistans, Iraks und Libyens, weiss Gott nichts Gutes von einem Krieg und und nichts Besseres von einer Zukunft erhoffen kann, in welcher die heutigen politischen Strukturen einem Regime von imperialistischen Gnaden weichen. Wie sieht denn der “day after” aus, wenn die Terroranschläge der Söldnertruppen und die NATO-Bomben ihr verbrecherisches Ziel erreichen sollten? Die typischen Etappen der NATO-Kriege sind bekannt: Entfachung langjähriger und blutiger Bürgerkriege unter Ausnützung ethnischer und religiöser Unterschiede sowie von Rivalitäten unter den angehenden Warlords, die schon heute aus den Kommandoebenen der eingesetzten Terrorgruppen herausgezüchtet werden. Anschliessend Einrichtung einer oder mehrerer militärisch schwer gesicherten Zone für alle Bedürfnisse der imperialistischen Konzerne und des politischen und militärischen Besatzungsregimes, dem eine einheimische Statthalter-Regierung von US-Gnaden beigegeben wird. Das ist, in groben Zügen, der absehbare Verlauf des “day after”, der dem syrischen Volk droht, wenn die Pläne der imperialistischen Aggressoren aufgehen sollten.
Haben die Kommunisten und Demokraten aller Welt, als sie 1934 Mussolinis Überfall auf Abessinien verurteilten, etwa für das Regime des äthiopischen Kaisers Partei ergriffen? Nein, sie ergriffen Partei für die Unabhängigkeit und territoriale Integrität des angegriffenen Landes.
Und wie steht es mit den griechischen Kommunisten wie KKE-Generalsekretär Nikos Zachariadis, die 1940 bei Mussolinis Überfall auf Griechenland – aus den Gefängnissen der Metaxas-Diktatur heraus und trotz Bestehens einer faschistischen Staatsführung – die Arbeiter aufriefen, am nationalen Verteidigungskrieg teilzunehmen. Das war keine Parteinahme für die Metaxas-Diktatur, sondern eine patriotische Tat und ein Beitrag zur Schaffung von Ausgangsbedingungen für die stürmischen Klassenkämpfe der Zukunft gegen die eigene schwächliche Bourgeoisie, welche die letzte Sicherung ihrer Klassenherrschaft schon immer in der Schirmherrschaft einer imperialistischen Grossmacht gesucht hat.
Und haben Marx und Engels 1870 “implizit” für das preussische Bismarck-Regime Partei ergriffen? Sie riefen die deutschen Arbeiter 1870 zum nationalen Verteidigungskrieg gegen die französischen Eindringlinge auf, nicht um Preussens “Bismarck-Regime” zu unterstützen, sondern in Verbindung mit der expliziten Warnung vor dem Umschlagen dieses Verteidigungskrieges in einen Krieg für dynastische Interessen. Als die Franzosen militärisch geschlagen waren, widersetzte sich die von August Bebel und Wilhelm Liebknecht geführte Arbeiterklasse der Fortsetzung des Krieges, und protestierte gegen die Annexion von Elsass-Lothringen. Diese Politik, welche die nationalen und internationalistischen Pflichten konsequent miteinander verbindet, trug viel zum internationalen Prestige der deutschen Sozialdemokratie bei. Die standhafte Verfechtung dieser Haltung durch die Arbeiter war einer der Hauptgründe, welche Bismarck zum “Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie” veranlassten.
Nun mag einer einwenden, dass Beispielen und Vergleichen keine Beweiskraft zukommt, dass sie nicht auf den konkreten Fall Syrien anwendbar seien. Kommen wir also auf dieses Land zurück, und stellen die gleiche Frage: Ergreifen die beiden kommunistischen Parteien Syriens etwa Partei für das Assad-Regime, wenn sie – trotz bestehender Differenzen untereinander – einmütig darin sind, die blutige imperialistische Politik gegen ihr Land und sein Volk und gegen die syrischen Institutionen zu verurteilen? Beide Parteien gehören zur Opposition. Beide sprechen sich für eine politische Lösung der Krise aus und weisen jede fremde Einmischung, Subversion, Einschüchterung, wirtschaftliche und militärische Aggressionen gegen ihr Land zurück. Als Patrioten wehren sie sich gegen die Versuche von ausländisch finanzierten und ausländisch zusammengesetzten Terrroristenbanden, welche die Opposition gegen Assad für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versuchen.2
Kurzum: Der Vorwurf der «Vorwärts»-Leute an die Kommunisten erweist sich als plumpe Unterstellung.
Zum Vorwurf des Hantierens mit Theorien
Der Leser möge den oben zitierten Abschnitt aus dem «Vorwärts» noch einmal durchgehen und sich dann die Frage stellen, was er am Schluss eigentlich in Händen hat. Er vernimmt bis Ende des gesamten Abschnitts nicht ein Sterbenswörtchen darüber, was eigentlich an der Auffassung der Kommunisten falsch sein soll, oder welche Aussage der Leninschen Imperialismustheorie fehlerhaft (bzw. von den Heutigen falsch angewendet) sein soll. Der Leser hat bis hierher nicht mehr als folgendes in den Händen
1. “Argument”: Es herrsche eine falsche Diskussion! (Was daran falsch ist, erfährt man nicht.)
2. “Argument”: Dafür offeriert der «Vorwärts» eine hilfreiche Antwort zur Frage, warum “es” (wir wissen nicht was) falsch ist. Das Falsche, die unbekannte Grösse, sei falsch, weil es auf einem vereinfachenden “Bild” basiere. Geduldig fragt sich der neugierige Leser um was für ein verhängnisvolles Bild es sich handle, worin seine unzulässige Vereinfachung bestehe und inwiefern es die Basis der falschen Diskussion abgebe. Wieder bleibt der «Vorwärts» im abstrakten Halbschatten, wenn er zwei Richtungen seines Vorwurfs andeutet:
3. “Argument”: Vereinfachend sei das “Bild” erstens, weil die Kommunisten angeblich die weltweiten Beziehungen der Nationalstaaten nicht reflektieren. Begründet wird dieser Vorwurf nicht, und er kann auch nicht begründet werden. Die Bolschewiki waren gerade die einzige Partei unter allen Parteien und Strömungen der II. Internationale, die eine konsequente und allseitige Analyse des Kapitalismus, seiner neueren Erscheinungen und Entwicklungen (Imperialismus, staatsmonopolistischer Kapitalismus, Opportunismus) hervorbrachten . Sie waren die einzigen, denen es gelang, die Aufgaben der proletarischen Partei in der angebrochenen Epoche nicht nur korrekt formulieren, sondern auch praktisch zu lösen. Der «Vorwärts» präzisiert sein Verlangen nach Reflexion näher. Die vermisste Reflexion (der weltweiten Beziehungen der Nationalstaaten) soll nicht einfach so erfolgen, sondern “an einem bestimmten Punkt des kapitalistischen Zyklus”. Was welcher “kapitalistische Zyklus” hier soll, von welchem Punkt in welchem Zusammenhang zum Thema die Rede ist, bleibt schleierhaft. Möglicherweise kennen die Autoren Marx nur vom Hörensagen und gebrauchen den Terminus, ohne einen Begriff davon zu haben. Vielleicht unterliegen die dem Irrtum zu meinen, dass sie mit Stelzen besser über die Runden kommen, eingedenk aller Schwierigkeiten, die einem beim Erlernen des aufrechten Gangs begegnen können.
4. “Argument”: Die andere Seite der “Begründung” des Vorwurfs besteht in der Behauptung, dass bei der PdA und den Jungkommunisten “mit vereinfachenden Stadien-Theorien hantiert” werde. Der Ausdruck “Stadien-Theorien” ist wiederum erklärungsbedürftig, wird aber nicht erklärt. Ersichtlich ist nur, dass der Vorwurf sich auf den Titel von Lenins Schrift bezieht, die den Imperialismus als letztes und höchstes Stadium des Kapitalismus analysiert. Die Autoren gestatten sich eine herabwürdigende Etikettierung von Lenins Theorie, ohne ein einziges Argument gegen Lenins Thesen anzuführen. Das einzige was sie tun, ist Lenins Werk mit negativ beladenen abstrakten Formulierungen und willkürlichen Etikettierungen herunterzumachen.
Jeder ernsthafte Marxist wird zugeben, dass der wissenschaftliche Sozialismus nicht bei unseren klassischen Lehrern und Meistern stehenbleiben kann und nicht stehen geblieben ist. Er wird die Möglichkeit zugeben, dass ein theoretisches Modell die Entwicklungen der objektiven Realität nicht mehr getreu widerspiegelt, so dass die Praxis mit einem Modell nicht mehr weiterkommt, und daher der Theorie vertiefte Anstrengungen abfordern muss.
Wenn es sich erweisen sollte, dass dieser oder jener Satz von Lenin oder Stalin heute nicht mehr anwendbar ist, dann ist das von aller Interesse und darf nicht geheim gehalten werden. Aber das ist nicht die Absicht der «Vorwärts»-Redaktioren. Sie gehen jeder ernsthaften Auseinandersetzung mit der Theorie aus dem Weg. Zwischensumme: haufenweise Schlamm gegen Lenin, aber noch nicht eine konkrete Aussage Lenins erwähnt, der die Autoren zu widersprechen wagten. Soviel zum Vorwurf des “Hantierens”.
Rosa wird in Stellung gebracht
Schon Rosa Luxemburg kritisierte die Vorstellun- gen Lenins aber deutlich. In ihrer Junius-Broschüre wies sie darauf hin, dass der Imperialismus eben nicht bloss die Beherrschung und Ausplünderung von rück- ständigen Nationen durch mächtige Kapitale ist oder dass es nicht hier einen altersschwachen und dort einen jungen noch progressiven Kapitalismus gebe, sondern dass der Kapitalismus eine weltweite Totali- tät darstellt. Sie schrieb: «Die imperialistische Politik ist nicht das Werk irgendeines oder einiger Staaten, sie ist das Produkt eines bestimmten Reifegrads in der Weltentwicklung des Kapitals, eine von Hause aus internationale Erscheinung, ein unteilbares Ganzes, das nur in allen seinen Wechselbeziehungen erkenn- bar ist und dem sich kein einzelner Staat zu entziehen vermag.» Ausgehend von dieser Analyse ist es verfehlt, den Westen als imperialistisch und Teile des Ostens als antiimperialistisch zu bezeichnen, bloss weil die- se Länder im internationalen Wettbewerb gegen die Interessen des Westens agieren. Sowohl die internen sozialen Kämpfe wie auch die Interventionen im Aus- land zeigen, dass die Regierungen im Iran, in China und in Russland Interessen verfolgen, die ihre kapita- listische Entwicklung ankurbeln und ihrer Position in der internationalen Konkurrenz dienen.
Im obigen Abschnitt zitieren die Redaktoren einen isolierten Satz von Rosa Luxemburg. Leider verraten sie uns nicht, weshalb sie ausgerechnet in diesem Satz von Rosa eine Kritik an Lenins “Vorstellungen” erkennen wollen. Soll der Leser erraten, welche von Lenins Thesen wohl gemeint sei?
Leider versäumen es die Reaktoren auch, auf historische Zusammenhänge und das Umfeld der zitierten Schrift einzugehen. Das möchte ja noch angehen, wenn der «Vorwärts» davon ausgehen könnte, dass seine Leserschaft in den zurückliegenden Ausgaben dieser Zeitung reichliches Material findet, um sich einen Überblick zum Imperialismus in Geschichte und Gegenwart zu verschaffen. Bekanntlich ist aber der Imperialismus für die Redaktion des nach wie vor unter dem Namen «Vorwärts» erscheinenden Blattes zum Tabu-Thema geworden.
Die deutsche Linke (darunter Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Klara Zetkin, Franz Mehring) hatte es vor dem Krieg versäumt, die organisatorische Trennung von den Opportunisten zu vollziehen. Die Bolschewiki hatten diese Aufgabe schon lange vor dem Krieg gelöst. Mit dem August 1914 trat in Deutschland die schwierige Situation ein, dass der unvermeidliche Bruch mit den Opportunisten (a.) unaufschiebbar wurde, und (b.) nun unter denkbar ungünstigen Bedingungen (Kriegszustand, Höhenflüge des Kriegstaumels, Militärdiktatur, schwere Zensur) vollbracht werden musste. Während alle anderen Klassen geschlossen hinter der Bourgeoisie standen, war die Arbeiterklasse 1914 völlig überrumpelt worden. Auch die Parteilinken hatten kaum damit gerechnet und waren nicht auf eine illegale Tätigkeit vorbereitetet. So kam es, dass Rosa Luxemburg ihre im April 1915 verfasste Streitschrift “Die Krise der Sozialdemokratie” erst 1916 herausgeben konnte. Diese erschien unter dem Pseudonym “Junius” in Zürich, wo sie von Lenin mit Begeisterung gelesen wurde.
Die Junius-Broschüre geisselt das Verhalten der SPD-Reichtstagsfraktion als Verrat an der Arbeiterklasse. Sie brandmarkt den sozialchauvinistischen Kurs der Parteileitung. Dem stimmte Lenin lebhaft zu, bemängelte indessen die unzutreffende Bezeichnung der rechten Parteiführer als “Sozialpatrioten” (richtig: Sozialchauvinisten). Lenin verweist auf zwei Mängel der Broschüre: (1.) Sie bohrt nicht nach der tieferen Ursache, die dem Verrat der gesetzmässig zugrundeliegt. Diese Ursache ist der Opportunismus in der Arbeiterbewegung. (2.) Die Junius-Broschüre stellt keine Verbindung her zwischen dem Sozialchauvinismus (als politischem Kurs) und dem Opportunismus (als Strömung). Lenins Kritik datiert vom Juli 1916, das ist kurz nach Niederschrift seines Buches “Der Imperialismustheorie als höchstes Stadium des Kapitalismus”. Diesem Werk verdanken wir eine Entdeckung von grösster allgemeiner Tragweite, nämlich die Entdeckung der materiellen Grundlage des Opportunismus in der Arbeiterbewegung im imperialistischen Extraprofit.
“Es ist klar, dass man aus solchem gigantischen Extraprofit (denn diesen Profit streichen die Kapitalisten über den Profit hinaus ein, den sie aus den Arbeitern ihres ‘eigenen’ Landes herauspressen) die Arbeiterführer und die Oberschicht der Arbeiteraristokratie bestechen kann. Sie wird denn auch von den Kapitalisten der ‘fortgeschrittenen’ Länder bestochen – durch tausenderlei Methoden, direkte und indirekte, offene und versteckte.” (Lenin)
Der 1. Weltkrieg von 1914-1918 war ein Krieg unter imperialistischen Räubern. Beide Seiten führten ihn mit gleichen Zielen: Eroberung, Raub und Plünderung, Neuaufteilung der Kolonien. Die rechten Opportunisten der SPD-Führung und der meisten ihrer Schwesterparteien der II. Internationale unterwarfen sich bei Kriegsausbruch im August 1914 ihrer jeweiligen Bourgeoisie. Mit diesem Akt des Verrats an der Arbeiterklasse hörte die II. Internationale auf zu existieren.
In der Junius-Broschüre vertritt Rosa diesbezüglich keine andere Haltung als Lenin. Sie schreibt etwa:
“Haben die Streifzüge des deutschen und österreichischen Imperialismus im Orient den Weltbrand zweifellos entzündet, so hatten zu ihm der französische Imperialismus durch die Verspeisung Marokkos, der englische durch seine Vorbereitungen zum Raub Mesopotamiens und Arabiens wie durch alle Massnahmen zur Sicherung seiner Zwingherrschaft in Indien, der russische durch seine auf Konstantinopel zielende Balkanpolitik Scheit für Scheit den Brennstoff zusammengeschleppt und aufgeschichtet.” (R. Luxemburg)
Rosa Luxemburg spricht vom “Raubkrieg” Englands in Mesopotamien und Arabien, der damals auf Kosten des osmanischen Reichs ging. Nach der “Logik” der «Vorwärts»-Redaktoren hat die gute Rosa damit für das Regime des Sultans Partei ergriffen.
Sogar im Satz, den die «Vorwärts»-Leute selbst zitieren, finden wir kein einziges Element, das sich gegen Lenin richten würde. Im Gegenteil, dort bezeichnet Rosa Luxemburg (annähernd wie Lenin und entgegen Kautsky) die imperialistische Politik als Produkt eines bestimmten Reifegrads in der Weltentwicklung des Kapitals. Das heisst, dass die imperialistische Politik aus der ökonomischen Basis folgt, eben dem Reifegrad des Kapitals, das heisst seiner Konzentration und Zentralisation in wenigen Händen. Das ist allerdings Pech für die «Vorwärts»-Redaktoren. Um gegen Lenins “Stadien-Theorie” zu wettern, hätten sie – bei Luxemburg nach Hilfe tappend – kaum einen weniger geeigneten Satz finden können als ausgerechnet diesen einen, in welchem auch Rosa von einem Reifestadium spricht.
Vom “also” zur Quintessenz
Was heisst das für uns? Wer sich also aus antiimperialistischer Sicht ge- gen die Intervention der NATO ausspricht, soll gleich- zeitig die realen imperialistischen Interventionen des Irans (Brigaden und «Sniper» im Dienste von Assad) und Russlands (Waffenlieferungen an Assad) in Syri- en verurteilen. Gleichzeitig dürfen wir die Prioritäten nicht auf eine einfache Verurteilung von Interventio- nen setzen – denn die haben auf jeden Fall katastro- phale Folgen, unabhängig davon, auf welcher Seite sie passieren. Es muss uns um Formen der Solidarität mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten gehen, denn der Antiimperialismus ist kein Ziel an sich, vielmehr dient er wenn schon unserer Unterstützung für die Emanzipation der ProletarierInnen. Entsprechend stellen wir uns nicht auf den Standpunkt dieses oder jenes Nationalstaates oder dieser oder jener Fraktion der herrschenden Klasse, sondern fragen immer nach der Entwicklung und dem internationalen Kräftever- hältnis zwischen den Klassen.
In diesem Abschnitt präzisieren die Autoren die Schlussfolgerungen, auf die sie immer schon hinaus waren. Diese Schlussfolgerungen ziehen sie nach eigener Erklärung “also”. Dieses prächtige “also” soll verschleiern, dass es sich um Ableitungen aus “Argumenten” handelt, welche die Autoren selbst Rosa Luxemburg unterschoben haben.
Im Gegensatz zum 1. Weltkrieg, der von beiden Seiten ein ungerechter Krieg war, ist der Verteidigungskrieg eines Landes wie Syrien gegen einen imperialistischen Raubkrieg ein gerechter Krieg, ein patriotischer Akt der Verteidigung des Vaterlands, seiner Souveränität, Unabhängigkeit, territorialen Integrität, seines Rechtes auf Kontrolle der Ressourcen und auf Selbstbestimmung über den eigenen Weg in die Zukunft.
Ist diese Redaktion noch haltbar?
Die pro-imperialistische Tendenz der «Vorwärts»-Redaktion ist nun schon hinlänglich bekannt.
Weniger bekannt ist, dass der Vorwärts selbst als Sponsor von Aktivitäten zur Diffamierung der syrischen Regierung auftritt. Eine Alexandra M. bezeugt dies auf dem Internet:
“Heute lernte ich die Sozialistische Zeitung Vorwärts kennen. Ich musste für unsere Kundgebung gegen Asad und das Blutvergiessen in Syrien Flugblätter kopieren. Jemand von dieser Zeitung besuchte unsere Demo beim ersten Mal, hier ist zu erwähnen, dass sie jeden Freitag stattfindet, und machte meinem Kollegen das Angebot, dass wir bei ihm in der Redaktion die Blätter drucken dürfen.”
Ob der Syrien-Artikel reicht, um das Fass zum Überlaufen zu bringen? In der Deutschschweiz haben namentlich die PdA Bern und die Neue PdA Basel mehrfach ihre antiimperialistische Haltung bekräftigt. Ebenso die Jungkommunisten.
Jedenfalls regen sich in verschiedenen Sektionen der PdA die Widerstände gegen die aktuelle Redaktion unter Chef-Redaktor Siro Torresan. Dieser kann sich nur noch auf die Hausmacht in seiner Zürcher Sektion verlassen, wo der Vorstand hinter ihm steht. Aber diese Hausmacht ist nicht imposant. Die PdA Zürich wird als Anhängsel von alternativen Grüppchen betrachtet, denen der Promille-Anteile der Parteiliste dank einer Listenverbindung zugute kommen könnte. Zudem bröckelt diese Hausmacht. Die Zürcher Jungkommunisten haben kürzlich den Reformismus des Kantonalvorstandes gebrandmarkt und bekannt gegeben, dass sie die Zusammenarbeit mit demselben einstellen.
Verantwortlich für die Zustände im «Vorwärts» sind die Genossen in der PdA. Die nationale Partei, die Vorstände der Kantonalparteien, der von ihnen eingesetzte Verwaltungsrat der Verlagsgenossenschaft. Wenn sie sich zum Handeln entschliessen, werden sie die Basis hinter sich haben.
_________
Fussnoten:
1 siehe PdA-Pressecommuniqué zur bundesrätlichen Haltung im Syrienkonflikt: «Wo ist die Schweizer Neutralität?» (6.8.2012) und Appell der Kommunistischen Jugend für Frieden in Syrien (15.8.2012)
2 Vgl. die neueren verfügbaren Parteidokumente beider Parteien im Archiv des internationalen kommunistischen Portals solidnet.org
(23.10.2012/mh)
- PdA: «Wo ist die Schweizer Neutralität?» (Pressecommuniqué der Partei der Arbeit der Schweiz zur bundesrätlichen Haltung im Syrienkonflikt (vom 6. August 2012)
- Kommunistische Jugend der Schweiz: Appell für den Frieden in Syrien (vom 15. August 2012)
- Der «Vorwärts» begrüsst den Libyenkrieg (2011)