Ein Reisebericht aus Venezuela
Das Recht auf kostenlose Bildung für alle
von Natalie Benelli
Tag 2: 12. April 2019 in Caracas
Heute nahmen wir an einer Ofrenda floral bei der Statue des Libertador Simon Bolivar auf der Plaza Bolivar teil. Bolivar ist der venezolanische Nationalheld, der im 19. Jahrhundert für ein vereintes Lateinamerika – La Patria Grande – zur Befreiung Lateinamerikas aus der spanischen Kolonialherrschaft kämpfte. Zu seinen Ehren heisst Venezuela heute «Bolivarische Republik Venezuela». Bolivar konnte seinen Traum nicht verwirklichen und heute findet der gleiche Kampf statt, aber gegen die US-Vorherrschaft in Lateinamerika. Die Länder Lateinamerikas, die für ihre Unabhängigkeit und Souveränität kämpfen, werden von den USA abgestraft.
Der heutige Kampf Venezuelas ist vor allem auch ein Kampf für nationale Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Entgegen dem, was unsere Medien schreiben, stehen die meisten Menschen hier hinter der Bolivarischen Revolution und dem demokratisch gewählten Präsidenten Nicolas Maduro. Und sie sind bereit, die Errungenschaften der letzten 20 Jahre zu verteidigen. Das sieht man auch auf der Plaza Bolivar. Eine Bühne ist dort fix aufgestellt. Es finden regelmässig Darbietungen und Podiumsdiskussionen statt. Plaza Bolivar – wie auch andere wichtige Plätze der Stadt – wird so physisch und politisch Tag und Nacht von den Anhängern des Bolivarischen Prozesses, den Chavistas, «besetzt». Die in einem kleinen Zelt untergebrachte «esquina caliente» – die «heisse Ecke» – ist seit dem gescheiterten Putschversuch gegen Chavez im Jahr 2002 Tag und Nacht hier, um mit der Besetzung des öffentlichen Raums zu verhindern, dass dieser von der Opposition eingenommen wird.
«Das Volk», das ist in erster Linie die armutsbetroffene Bevölkerung, deren Lebensbedingungen sich dank den unter Chavez und Maduro eingeführten und verbreiteten Sozialprogrammen, den «misiones» – kostenlose Gesundheitsversorgung, kostenlose Bildung, günstiger Wohnraum, günstige Lebensmittel – massiv verbessert haben. Sie verteidigen diese Errungenschaften u.a., indem sie den öffentlichen Raum für sich beanspruchen und gegen die Einnahme durch die Opposition verteidigen. In Venezuela ist die während Jahrzehnten marginalisierte und diskriminierte, ökonomisch ausgebeutete Bevölkerung der Werktätigen zum politischen Subjekt geworden – eine Ungeheuerlichkeit für die lokalen und internationalen Eliten.
Am späteren Nachmittag in einem grossen Festzelt auf der Plaza Bicentenario beim Regierungsgebäude, Palazo Miraflores, ein Treffen von Präsident Maduro mit Delegierten des Weltverbandes der Demokratischen Jugend und des Weltfriedensrates statt. Hunderte vor allem junge Leute füllen das Festzelt. Wir sind als Gäste eingeladen. Die Vereinigung Venezolanischer UniversitätsstudentInnenen markiert lautstark Präsenz. Dadurch, dass mit dem Bolivarischen Prozess der Zugang zur Bildung bis auf Universitätsstufe kostenlos wurde, haben heute auch junge (und ältere) Menschen aus den ärmeren sozialen Schichten Zugang zu einer Schulbildung – bis hinauf zur tertiären Stufe. Durch grossangelegte Alphabetisierungskampagnen wurde der Analphabetismus in Venezuela in der ersten Hälfte der 2000er Jahre grösstenteils besiegt. – eine Revolution in sich selbst, nachdem Millionen von Menschen bis in die späten 1990er Jahre nicht lesen und schreiben konnten. Auch hier gilt: Der Grossteil der Bevölkerung weiss sehr wohl, was sie zu verlieren hat, sollte die Opposition wieder an die Macht kommen.
Während des Treffens mit Präsident Maduro verlesen der Präsident des Weltbundes der Demokratischen Jugend (aus Zypern) und die Präsidentin des Weltfriedensrates (eine Brasilianerin) Solidaritätsbotschaften und versichern Venezuela die Unterstützung ihrer Organisationen gegen die imperialistischen Angriffe der USA. In seiner Rede verkündet Präsident Maduro offiziell die Übergabe der 2,6-millionsten Wohnung an eine venezolanische Familie, die vorher 25 Jahre lang bei der Mutter der Frau gelebt hatte, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten konnte. Bis Ende Dezember 2019 sollen es 3 Millionen Wohnungen werden, bis 2025 5 Millionen – kostenlos.
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