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Taliban-Kämpfer in Kabul im Jahr 2012. Im Rahmen einer Reintegrationszeremonie übergaben sie ihre Waffen an die Regierung der Islamischen Republik Afghanistan. Foto: isafmedia, Wikimedia Commons / CC BY 2.0 (Weitere Informationen zu den Rechten an diesem Werk finden Sie im unten stehenden Artikel).

Sechs Dinge, die man über Afghanistan und die Taliban wissen sollte

Von MARC VANDEPITTE

Wenn es um Afghanistan geht, verschweigen die Mainstream-Medien die für den Westen unbequemsten Fakten. Berücksichtigt man sie, ergibt sich ein ganz anderes Bild als das vermittelte.

1. Monster-Allianz mit Dschihadisten

Die Geschichte beginnt im Jahr 1979. Afghanistan hatte eine linksgerichtete Regierung, die den USA natürlich nicht gefiel. Brzezinski, der Berater von Präsident Carter, entwickelte den Plan, die Dschihadisten – damals noch Mudschaheddin genannt – in Afghanistan zu bewaffnen und auszubilden. Ziel war es, eine sowjetische Invasion zu provozieren, um Moskau ein Vietnam-Szenario aufzubürden.

Carter folgte seinem Rat und gewährte den Mudschaheddin die notwendige Unterstützung. Der Plan ist aufgegangen. Die Regierung in Kabul geriet in Schwierigkeiten und bat den Kreml [gemäss einem bestehenden Beistandspakt] um Hilfe. Der afghanische Sumpf zwang die Sowjetunion, zehn Jahre lang in dem zentralasiatischen Land zu bleiben.

In dieser Zeit pumpte die CIA 2 Mrd. USD in Form von Hilfe, Waffen und logistischer Unterstützung in die Mudschaheddin. Sie wurden sogar mit den berüchtigten Stinger-Raketen ausgestattet, mit denen sie sowjetische Flugzeuge und Hubschrauber abschiessen konnten. Rambo III von Silver Star Stallone ist eine Hollywood-Version dieser Zusammenarbeit.

Die CIA versorgte die Mudschaheddin mit 2 Milliarden Dollar an Hilfsgütern, Waffen und logistischer Unterstützung. Rambo III von Sylvester Stallone ist eine Hollywood-Version dieser Zusammenarbeit.

Solange sowjetische Truppen im Lande blieben, konnte die Regierung in Kabul standhalten. 1989 beschloss Gorbatschow jedoch, die Militärhilfe einzustellen. Nachdem die sowjetischen Truppen das Land verlassen hatten, brach der Bürgerkrieg aus. Die am besten organisierte und brutalste Gruppe, die Taliban, setzte sich schliesslich durch und übernahm 1996 die Macht.

2. Gründung von Al Qaida

Die prominenteste Figur, die in dieser Zeit auftauchte, ist Osama bin Laden. Im Jahr 1988 gründete er die Al-Qaida, eine fundamentalistische und skrupellose Terrorgruppe. Über Pakistan konnte er auf eine grosse Unterstützung durch die USA zählen. Im Gegenzug für diese Unterstützung gewährte Al-Qaida den USA und ihren westlichen Verbündeten eine Reihe von Vergünstigungen.

Über Pakistan konnte Osama Bin Laden auf eine grosse Unterstützung durch die USA zählen. Im Gegenzug für diese Unterstützung gewährte Al Qaida den USA und ihren westlichen Verbündeten eine Reihe von Vergünstigungen.

Während des Bürgerkriegs in Jugoslawien (1992–1995) flog das Pentagon Tausende von Al-Qaida-Kämpfern nach Bosnien, um die dortigen Muslime zu unterstützen. Während des Krieges gegen Jugoslawien im Jahr 1999 kämpfte Al-Qaida Seite an Seite mit den UCK-Terroristen (die für die Abtrennung des Kosovo von Jugoslawien und für ein Grossalbanien kämpften), die von der NATO aus der Luft gedeckt wurden. Al-Qaida-Kämpfer tauchten auch in Tschetschenien, Xinjiang (Uiguren), Mazedonien und in vielen anderen Ländern der Region und weit darüber hinaus auf1.

Die Zusammenarbeit zwischen der Bush-Regierung und Osama Bin Laden wird in Michael Moores Dokumentarfilm Fahrenheit 9/11 auf beunruhigende Weise deutlich.

3. Es ist das Öl, Dummkopf!

Rund um das Kaspische Meer gibt es vielversprechende Öl- und Gasvorkommen. Aber um diese Energie in den Westen zu transportieren, gibt es nur drei Möglichkeiten: durch Russland, durch den Iran oder durch Afghanistan.

Die USA werden es natürlich nicht an die Russen abgeben, und seit dem Sturz des Schahs 1979 hat Washington seinen Einfluss im Iran verloren. Es bleibt also nur eine Möglichkeit: Afghanistan. Ab Ende 1994, mitten im Bürgerkrieg, hatten die USA die Taliban im Visier: Sie verfügten zu diesem Zeitpunkt über die besten Voraussetzungen, um das Land zu «stabilisieren». Dies war eine Notwendigkeit für den Bau der Pipeline. Nach Angaben der CIA wurden die Taliban als «ein mögliches Instrument im ‹Great Game›, dem Wettlauf um die Energieressourcen in Zentralasien,» betrachtet.

Nach Angaben der CIA wurden die Taliban als “potenzielles Instrument im ‘Great Game’, dem Wettlauf um die Energieressourcen in Zentralasien” betrachtet.

Es spielte keine Rolle, dass die Taliban zu dieser Zeit die schlimmsten Menschen­rechts­ver­letzungen der Welt begingen, denn die USA wurden zum Haupt­sponsor dieses neuen Schurken­regimes. Einem amerikanischen Diplomaten zufolge würden sich die Taliban «wie die Saudis weiterentwickeln. Es gibt Aramco, Pipelines, einen Emir, kein Parlament und viel Scharia. Damit können wir leben.»

4. Aber: die Taliban liefern nicht

Die Taliban erzielten zunächst einen militärischen Erfolg nach dem anderen, konnten aber letztlich nicht das ganze Land erobern. Die erhoffte Stabilisierung, die für die Pipeline notwendig ist, trat also nicht ein. Die USA änderten daraufhin ihre Strategie und strebten eine Versöhnung aller Kriegsparteien an.

Washington forderte die Taliban auf, Gespräche mit der Nordallianz aufzunehmen, um eine Koalitionsregierung zu bilden. Die Gespräche, die bis Ende Juli 2001 dauerten, scheiterten. Die USA warnten, dass sie dabei nicht stehen bleiben würden: «Entweder ihr nehmt unser Angebot eines Goldteppichs an, oder wir werden euch unter einem Bombenteppich begraben,» lautete die Botschaft der US-Vertreter an die Taliban Ende Juli.

Die Taliban haben nicht nachgegeben. Im Oktober begannen die Bombenangriffe. Etwas später wurde bekannt, dass die entsprechenden Pläne bereits zwei Tage vor dem 11. September auf dem Schreibtisch von Präsident Bush lagen. In der Washington Post vom 19. Dezember 2000 schrieb Professor Starr, dass die USA «im Stillen begonnen haben, eine Front mit denjenigen in der russischen Regierung zu bilden, die militärische Massnahmen gegen Afghanistan fordern und mit der Idee einer weiteren Razzia zur Ausschaltung Bin Ladens spielen».

Die Pläne für eine Invasion in Afghanistan lagen bereits zwei Tage vor dem 11. September auf dem Schreibtisch von Präsident Bush.

Ende Juni 2001, mehr als zwei Monate vor den Anschlägen auf die Zwillingstürme und das Pentagon, berichtete die Zeitschrift Indiareacts.com, dass «Indien und der Iran die Pläne der USA und Russlands für eine ‘begrenzte militärische Aktion gegen die Taliban unterstützen werden».

5. Präsidentschaftspipeline

Die Anschläge vom 11. September waren in jedem Fall der perfekte Vorwand für Washington, in Afghanistan einzumarschieren und die Taliban zu entmachten. Auf diese Weise konnten die Pläne für die Pipeline vorerst realisiert werden.

«Die Eroberung Afghanistans hatte nichts mit Osama Bin Laden zu tun. Es war lediglich ein Vorwand, um die Taliban durch eine relativ stabile Regierung zu ersetzen. Eine solche Regierung sollte dem kalifornischen Ölkonzern Union Oil erlauben, seine Pipeline unter anderem zum Nutzen der Cheney-Bush-Junta zu verlegen,» sagte Gore Vidal, ein führender US-Kolumnist.

«Die Eroberung Afghanistans hatte nichts mit Osama Bin Laden zu tun. Es war lediglich ein Vorwand, um die Taliban durch eine relativ stabile Regierung zu ersetzen, die es der Union Oil Company ermöglichen sollte, ihre Pipeline zu verlegen.»
Die Tatsachen vor Ort beweisen es, sobald die Pulverdämpfe abgeklungen sind. Am 22. Dezember wird Hamed Karsai neuer afghanischer Premierminister. Er ist eine Vertrauensperson der CIA und hat als Berater für Unocal: gearbeitet. Es handelt sich dabei um ein sehr grosses amerikanisches Erdölunternehmen, das seit langem Pläne für eine Pipeline durch Afghanistan hat.

Ein weiterer Berater dieses Unternehmens, Zalmay Khalilzad, wurde neun Tage später von Bush zum Sondergesandten in Afghanistan ernannt. Khalilzad hatte in der Vergangenheit an Gesprächen mit Taliban-Vertretern über die Möglichkeit des Baus von Gas- und Ölpipelines teilgenommen. Er hatte die Clinton-Regierung gedrängt, eine weichere Linie gegenüber den Taliban einzuschlagen.

Beide Männer haben ihre Aufgaben ordnungsgemäss erfüllt. Am 30. Mai 2002 berichtete die BBC, dass Karzai mit seinem pakistanischen und turkmenischen Amtskollegen eine Vereinbarung über eine Pipeline von Turkmenistan zu einem Hafen in Pakistan durch Afghanistan getroffen habe.

Einige Wochen zuvor kommentierte «Business Week» die Entwicklung in der Region wie folgt: «Amerikanische Soldaten, Ölarbeiter und Diplomaten haben diesen entlegenen Winkel der Welt sehr schnell kennengelernt. Es ist der Unterleib der Sowjetunion und eine Region, die seit Alexander dem Grossen von westlichen Armeen fast unberührt geblieben war. Das Spiel, das die Amerikaner dort spielen, steht auf einem sehr hohen Niveau. Was sie versuchen, ist nichts Geringeres als die grösste Eroberung einer neuen Einflusssphäre, seit sich die USA vor fünfzig Jahren im Nahen Osten engagiert haben.»

Es sollte nicht sein. Die Taliban wurden besiegt, gaben aber nicht auf. Sie hatten auch eine viel bessere Moral als die Regierungsarmee, die nur dank der Nato-Luftunterstützung und anderer logistischer Hilfe durchhalten konnte. Als Biden vor einigen Wochen beschloss, diese Unterstützung zurückzuziehen, brach – woe jetzt zu sehen ist – alles wie ein Kartenhaus zusammen.

6. Kosten und «Ergebnisse» des Krieges

Nach Angaben der New York Times hat der längste Krieg in der Geschichte der USA mehr als 2000 Milliarden Dollar gekostet. Jährlich sind das 100 Milliarden Dollar oder fast 20 Mal so viel wie der gesamte Staatshaushalt Afghanistans.

USA haben das Zwanzigfache des afghanischen Staatshaushalts in den Krieg gesteckt.

Trotz der enormen Hilfsgelder sind die Ergebnisse erschütternd. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt heute in Armut. Die Kindersterblichkeit gehört zu den höchsten der Welt und die Lebenserwartung zu den niedrigsten.

In der Vorkriegszeit wurde der Opiumanbau fast vollständig ausgerottet. Heute liefert Afghanistan 80 Prozent des weltweit produzierten Heroins. Der Krieg führte zu 5,5 Millionen Flüchtlingen. Diese Zahl wird nun wahrscheinlich stark ansteigen.

Der Preis für Menschenleben ist hoch. In den letzten zwanzig Jahren haben 47 000 Zivilisten ihr Leben verloren. Auf der militärischen Seite gibt es 66 000 afghanische Soldaten und Polizisten, 51 000 Taliban und andere Rebellen. Auf westlicher Seite starben fast 4000 US-Soldaten und 1100 Soldaten aus anderen Nato-Ländern.

Nach 20 Jahren der Besatzung stehen wir wieder am Anfang. Der Radiojournalist Rudi Vranckx bezeichnet es als «eine Katastrophe, ein Scheitern des westlichen Modells, ein Land wie Afghanistan zu verändern».

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1 Chossudovsky M., Krieg und Globalisierung. The Truth Behind September 11, Ontario 2002; Howard S., ‘The Afghan Connection: Islamic Extremism in Central Asia’ in National Security Studies Quarterly Volume VI, No. 3 (Sommer 2000); Rashid A., L’ombre des Taliban, Paris 2001.
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Dieser Text ist erstmals am 16. August in de wereld morgen erschienen.