Die Rand Corporation, einer der Thin-Tanks, welche die Hegemonie des US-Imperialismus sichern sollen: «… jeder Widerstand kann überwunden werden, wenn ausreichend Personal, Ressourcen und Zeit zur Verfügung stehen».
«State Building» nach Rezept der USA
Der US-Präsident Joe Biden zeigt sich derzeit sehr besorgt um die Wahrung des Völkerrechts angesichts der Forderung der russischen Regierung, dass der Westen völkerrechtlich verbindlich garantieren soll, dass die Nato sich in Europa nicht weiter nach Osten ausdehnen wird und dass in der Ukraine und in Georgien keine Russland bedrohenden Waffensysteme in Stellung gebracht werden dürfen. Von STEFAN HOFER.
Dass das Völkerrecht die USA nur interessiert, wenn und soweit es ihren geostrategischen Interessen dient, ist aus jahrzehntelanger Erfahrung hinlänglich bekannt. Als Beispiele aus jüngster Zeit seien Serbien-Kosovo, der Irak und Syrien erwähnt.
Wenn es darum geht, in Staaten, die nicht nach der Pfeife der USA tanzen, prowestliche Regime an die Macht zu bringen, einen Regime-Change zu organisieren und auch mit militärischer Gewalt durchzusetzen, interessiert das Völkerrecht die USA nicht wirklich. Solche völkerrechtswidrige militärische Interventionen in fremden Staaten werden dann oftmals euphemistisch als State-Building bezeichnet. Was damit gemeint ist, konnte man in der «Neuen Zürcher Zeitung» (einstiges Leibblatt Konrad Adenauers) vom 8. Februar 2022 in unverschämter Offenheit nachlesen. Wörtlich heisst es dort:
«Die geopolitische Voraussetzung für die neue Doktrin war der Sieg des Westens im Kalten Krieg. Die Sowjetunion war zerfallen, Russland unter Jelzin geschwächt und der Aufstieg Chinas zu einer Führungsmacht des 21. Jahrhunderts noch nicht absehbar. Die USA waren die ‹übrig gebliebene› Supermacht, der niemand Paroli bieten konnte: weder der Hard Power ihres Militärs noch der Soft Power ihrer Zivilisation. Unterstützt von westlichen ‹Koalitionen der Willigen› hatten sie freie Hand.
Die innenpolitische Voraussetzung dafür, dass diese Macht auch mehrfach genutzt wurde, war eine aussergewöhnliche ideologische Konstellation. Von links insistierten ‹liberale Falken› wie die Demokratin Hillary Clinton für ‹humanitäre Interventionen› um im Namen der Menschenrechte in die aufflammenden Bürgerkriege der neunziger Jahre einzugreifen. Von rechts betrieben republikanische Neokonservative vom Schlage des Verteidigungsministers Donald Rumsfeld den Regimewechsel in ‹Schurkenstaaten› – und nach dem Schock von 9/11 auch immer öfter die Intervention in ‹failing states›, die als Brutstätten des Terrorismus betrachtet wurden.
Gemeinsam war beiden Denkrichtungen die Überzeugung, die USA seien dank militärischer Stärke, planerischem Sachverstand und finanzieller Potenz in der Lage, fast überall auf der Welt zu intervenieren, um nach militärischen Interventionen staatliche Strukturen aufzubauen, die dem westlichen Vorbild zumindest glichen.
Eine Anleitung zur Umsetzung des ‹neuen liberalen Imperialismus›, wie britische Akademiker die Doktrin nannten, lieferte die Rand Corporation. Der grösste Think-Tank des Landes zog 2007 die Summe aus einer grossen Zahl von Fallstudien. Das Produkt hiess ‹The Beginner’s Guide to Nation-Building›. Sein Ansatz lautet: Je umfassender eine Mission ist, desto zäher ist der Widerstand dagegen. Doch jeder Widerstand kann überwunden werden, wenn ausreichend Personal, Ressourcen und Zeit zur Verfügung stehen.»
Und mit Bezug auf den Krieg gegen den Irak heisst es weiter:
«Dass Vollmachten und Know-how der Schüssel zum Erfolg seien, glaubte auch Paul Bremer, der amerikanische Zivilverwalter im Irak. Getragen von der Euphorie des schnellen Sieges der Koalitionstruppen gegen Saddam Hussein erliess er zu Beginn seines Mandats 2003 zwei Dekrete. Dekret Nummer 1 verfügte die Abschaffung der Baath-Partei und schloss Mitglieder der ehemaligen Regimepartei von staatlichen Posten aus. Dekret Nummer 2 befahl die Auflösung der Armee. Dann schritt er zur Privatisierung der Staatsindustrie und schrieb die Curricula an den Universitäten um. Beabsichtigt waren die ‹Enthauptung› des Regimes und eine Auswechslung der Eliten, um Raum für den Um- und Neubau des Staates zu gewinnen.»
Für die USA sind völkerrechtliche Bedenken dann nicht angebracht, wenn es darum geht, mit Regime-Change ein demokratisches – sprich prowestliches – Regime zu installieren. Ohne arrogant zu sein, kann man wohl feststellen, dass sich die Russen, was die Respektierung des Völkerrechts angeht, von den USA nicht belehren lassen müssen.
Ausgerechnet aus dem Lager, das vor nicht langer Zeit völkerrechtswidrig Serbien hat bombardieren lassen, tönt es jetzt im Brustton moralischer Überlegenheit, der Einsatz militärischer Mittel zur Durchsetzung politischer Forderungen gehe in der heutigen Zeit gar nicht mehr.