Stimme aus Gaza: Aufstand Franceafriques, Europas Ukraine-Albtraum, Netanyahu-Proteste
In Gazainfo 118 geht der regelmässige Interviewpartner auf die Abfuhr ein, die dem französischen Präsidenten Macron auf seinem kurzen Afrika-Tripp widerfuhr. Er kam mit kurzen Hosen zurück und musste wie andere westliche Afrika-Fahrer zur Kenntnis nehmen, dass dank der aufziehenden multipolaren Weltordnung mit Arroganz bei den afrikanischen Staaten nichts mehr zu erreichen ist. Aufmerksam verfolgt wird in Gaza, wie sich die Haltung in Europa zum Krieg der Nato gegen Russland in der Ukraine weiter entwickelt, vor allem auch die unsägliche Kriegslüsternheit, die besonders in sozialdemokratischen und grünen Parteien zu Tage tritt. Die Protestbewegung in Israel gegen die faschistische Netanyahu-Regierung schätzt der Gaza-Kommentator als Machtkampf zwischen zwei rivalisierenden Lagern ein. Mit den Protesten versucht die ashkenazische Elite, ihren alten Einfluss wieder zu gewinnen. Aber in der Apartheidspolitik gegenüber den Palästinensern haben sie das gleiche Ziel. Das Gespräch wurde am 11. März 2023 geführt.
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Wir beobachten aktuell eine nervöse Reisetätigkeit europäischer Regierungen. Unter anderem war Macron auf Afrikatournee, während in Frankreich selbst Hunderttausende gegen ihn auf die Strasse gehen. Wie beurteilst du diese Reise aus antikolonialer Sicht?
Als Macron auf Afrikatournee war, hat er den Kongo besucht. Der Präsident vom Kongo hat ihn unterbrochen und zu ihm gesagt: «Hör zu, spiel nicht den Papa oder versprich nichts, was ihr hier machen wollt usw. Eure Kolonialgeschichte ist bekannt, als Hunderttausende Leute ermordet wurden und der Rest in Armut lebte. Während unsere Leute verhungert sind, habt ihr uns bestohlen, was bis heute fortgesetzt wird.»
Und er hat einen wunden Punkt angesprochen, denn Frankreich lebt im Wohlstand, weil es bis heute alles von dort klaut. Ihre Geldreserven müssen die angeblich unabhängig gewordenen Länder wie der Kongo laut Vertrag bis zu 80 Prozent in französischen Banken lagern. Die Banknoten werden in Frankreich gedruckt und das Vermögen landet in der französischen Zentralbank. Damals wurde von diesen Ländern unterschrieben, welche Bedingungen sie erfüllen müssen, um unabhängig zu werden. Ihre Wirtschaft und ihre Finanzen blieben in französischen Händen, von damals bis zum heutigen Tage. Noch dazu geniessen die Franzosen Privilegien und das Recht, die Ressourcen und Bodenschätze für geringe Kosten aus allen Minen rauszuholen.
Heute können die afrikanischen Länder lauter auftreten, denn sie werden von den Chinesen und Russen unterstützt. Sie arbeiten mit der russischen und chinesischen Führung in Bereichen wie Infrastruktur usw. auf verschiedene Art und Weise zusammen. Bei Flughäfen, Häfen oder Strassen, Brücken oder Elektrizität oder Wasseraufbereitungsanlagen, Schulen, Spitäler, Fabriken, Firmen. Es gibt auch Beteiligungen an der Industrie usw. Statt mit US-amerikanischen oder europäischen Firmen arbeiten viele jetzt mit chinesischen und russischen Firmen auf partnerschaftlicher Ebene.
Und Macron hat dasselbe gesagt wie Jaques Chirac: Ohne Afrika ist Frankreich Dritte Welt.
Wie ist deine aktuelle Einschätzung der sogenannten «militärischen Sonderoperation» in der Ukraine?
Was die Ukraine betrifft: da habe ich einen Artikel gelesen, dass die Österreicher gegen Flüchtlinge aus der Ukraine protestieren. Dass sie sich darüber beschweren, dass ihre Lebenskosten steigen, aber die würden mit modernen Autos kommen, usw. Ich habe auch einen Artikel gelesen, wo die polnische Regierung sagt, die ukrainischen Flüchtlinge müssen sich an den Kosten für die Unterkunft beteiligen. Sie müssen einen täglichen Beitrag leisten, denn was von der EU kommt, sei nicht genug, um sie zu finanzieren. Zwischen zehn und fünfzehn Euro pro Tag. Denn es leben fast eine Million neue Flüchtlinge in Polen. Sie müssen auch für das Gesundheitssystem, Schulen, Verkehrsmittel usw. zahlen.
Laut den Informationen von UNO und der EU sind 2 bis 3 Millionen nach Russland geflohen und 6 bis 7 Millionen ins westliche Ausland. In die USA, nach Kanada, in die EU-Länder, nach Grossbritannien usw. Auch nach Australien. Es gibt auch einige Millionen Binnenflüchtlinge. Aber ins Ausland sind fast 17 Millionen geflohen. Von einer Gesamtbevölkerung von mehr als 43 Millionen.
Die Solidarität gilt [im Westen] nicht den Flüchtlingen , sondern was sich so nennt, beschränkt sich nur auf die Kriegshetze gegen Russland.
Für uns in den nichteuropäischen Ländern ist es wichtig zu wissen, wie sich die Haltung bei euch in den imperialistischen Ländern zur Ukraine entwickelt, ob die Medien noch immer dieselbe Symphonie spielen? Es zeigt sich, dass die Masken gefallen sind, besonders bei diesen sogenannten sozialistischen, sozialdemokratischen oder grünen Parteien. Sie haben sich als Kriegsparteien entlarvt. Früher sind sie für Menschenrechte und Frauenerechte oder gegen Umweltverschmutzung usw. auf die Strasse gegangen, und heute siehst du, wie sehr sie auf Kriegskurs gehen. Glauben sie echt den Lügen der Medien und dass die Nato den Krieg gewinnen kann?
Ich habe ein Interview im Figaro gelesen mit einem französischen Historiker namens Emmanuel Todd, der darüber geschrieben hat, dass der Westen geglaubt hat, mit den Sanktionen Russland in die Knie zu zwingen. Aber die Hoffnung des westlichen Imperialismus, dass Russland zusammenbrechen wird, dieser Versuch ist fehlgeschlagen. Die Konsequenzen müssen die westlichen Länder tragen, wo es Teuerung, Inflation, Preiserhöhungen gibt, steigende Energiepreise und soziale Widersprüche in den westlichen Gesellschaften, verbunden mit den Widersprüchen zu den Flüchtlingen als Sündenböcke in Bezug auf Wohnen, Lebensmittel, Inanspruchnahme des Gesundheitssystems usw. Die Ukraine wird im Krieg mit Milliarden auf Kosten der Steuerzahler der Länder subventioniert.
Das war bei den Bundestagswahlen im Herbst 2021 ein Wahlplakat der deutschen Grünen
Todd sagt auch, Russland hat keine Wahl, es kann keinen Schritt zurückgehen. Denn das würde den Zusammenbruch der russischen Einheit bedeuten. Die USA streben danach, Russland zu zerstückeln und zu zerstören, so wie sie es mit Jugoslawien gemacht haben und dadurch könnten sie alle russischen Ressourcen klauen, die für die westliche Industrie notwendig sind. Bodenschätze für Energie oder Metalle und Eisen, Kohle oder Uranium usw. Gleichzeitig dachten sie, Russland sollte als Absatzmarkt für westliche Produkte dienen. Da sagt er klar, ein Land, das 6500 Atomsprengköpfe hat, kann nicht in die Knie gezwungen werden. Russland wird für seine Einheit alle Mittel einsetzen, sogar Atomwaffen. Denn es gibt keine Welt ohne Russland. Russia Today hat ebenfalls über diesen Artikel berichtet. Auch das arabische RT, das nach den europäischen Ausgaben in der EU nun vor kurzem ebenfalls verboten wurde.
Aber was sie versuchen, ist nicht gelungen. Das war ein Schuss nach hinten. Das weiss jeder und diese Geschichte kann man nicht leugnen oder zurückdrehen. Die Herrschaftszeit der USA und der EU hat ein Ende.
Das ist also die multipolare Weltordnung?
Nein, denn das neue liberale System ist schon jetzt am Ende. Weil der Westen ohne Raub nicht existieren kann. Da brauchen sie Waffen und Ressourcen gleichzeitig, da brauchen sie Märkte für ihre Produkte. Wenn hier andere Kräfte in der internationalen Politik eine Führungsrolle spielen, haben sie keine Chance mehr.
In Israel demonstrieren Bürger gegen die Justizreform und die rechteste Regierung seit der Gründung Israels. In Palästina gehen die Menschen wie schon seit Jahrzehnten auf die Strasse und die aktuellen Proteste werden seit längerem als neue Intifada bezeichnet. Trotzdem erhält die Protestbewegung in Israel eine ungleich grössere Aufmerksamkeit. Wie erklärst du dir das?
Was heute läuft in Tel Aviv oder Jerusalem oder in anderen israelischen Städten ist nur ein interner Machtkampf. Zwischen zionistischen religiösen Parteien und säkularen. Was die Demonstrationen betrifft, die vom sogenannten säkularen Lager gegen die neue faschistische Regierung in Israel durchgeführt werden: Die werden von jenen Parteien angeführt, die sich bis vor kurzem selbst in einer Koalitionsregung mit Netanyahu befanden. Weil Lapid und Gantz und Bennet die Wahlen verloren haben. Aber früher waren sie unter anderem Namen in einer Regierungskoalition und heute sind sie Opposition, das mögen sie nicht. Alle diese zionistischen Parteien, ob jetzt Likud oder Yesh Atid oder Israel Beituna von Liebermann oder von Yahuda Thora oder von der Zionistischen Partei von Smorich oder die nationalreligiöse Siedlerpartei von Ben Gvir, alle sind sich einig, was Palästina oder das palästinensische Volk betrifft.
Es geht nur um einen inneren Machtkampf. In den wesentlichen Fragen bestehen keine Differenzen zur Regierung, was ihre Haltung zu Palästina betrifft: kein palästinensischer Staat, keine Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge, kein Abzug der israelischen Armee von der Westbank oder dem Jordantal, kein Rückzug aus den sogenannten C-Gbieten, keine Räumung der Siedlungen von Westbank und Jerusalem, Einigkeit in der Frage, dass Israel ein ausschliesslich jüdischer Staat vom Meer bis zum Fluss ohne Palästinenser sein soll. D. h. alle Palästinenser, die in den 1948 besetzten Gebieten oder in der Westbank oder im Gazastreifen leben, sollen deportiert werden, entweder in Richtung Syrien, Libanon oder Jordanien oder sogar vom Gazastreifen auf die Sinai-Halbinsel oder nach Ägypten. Es gibt auch Einigkeit über Israel als Apartheidstaat, der nur für jüdische Bürger bestehen soll.
Aber was die Widersprüche zwischen den Parteien betrifft: Es gibt eine Orientierung nach rechts und zum Faschismus in der israelischen Gesellschaft. Die meisten Mitglieder von Parteien wie die von Smorich oder der Shas-Partei oder dem Likud sind Sephardim oder orientalische Juden. Während es sich bei den meisten Anhängern der anderen Parteien wie der traditionellen Arbeiterpartei von Meretz oder Yesh Atid von Lapid um Ashkenazim handelt. Sie kommen aus Europa und haben Angst, ihre Macht und ihren Einfluss in der Gesellschaft zu verlieren. Besonders, da die israelischen Sicherheitsapparate oder das Militär wie auch die High Tech-Manager und Firmen und Banken dieser Ashkenazim-Elite gehören. Und sie fürchten, dass mit der Zeit ihr Einfluss schwindet. Deshalb mobilisieren sie die Gesellschaft gegen die Bande von Smorich, Ben Gvir, Netanyahu und der Shas Partei.
Aber Tatsache ist, seit der Gründung des zionistischen Gebildes bis zum heutigen Tage, seit der Zeit der Kibbuzbewegung und der Blütezeit sogenannter linker Parteien wie der Mapai, von Merav oder der Arbeiterpartei: Sie waren die führenden Köpfe von Jaffa, von Kfar Kassim, von Deir Yassin, Khan Younis und Rafah, und sie waren die Väter der Siedlerbewegung, des 1967er-Kriegs und der Besetzung von Westbank, Gazastreifen und Ostjerusalem. Und sie waren die treibenden Kräfte für die Deportationen und die Vertreibungen von Hunderttausenden Palästinensern in die Diaspora. Und was heute von Ben Gvir oder Smorich oder Netanyahu und seiner Bande durchgeführt wird, ist die gleiche Politik, wie sie schon die Gründer des zionistischen Gebildes gegen das palästinensische Volk und die arabischen Länder vorgeführt haben, mit Siedlungen, Expansionen und Kriegen, mit Aggressionen und Landraub, wie den Golanhöhen, dem Jordantal oder der Sinaihalbimsel oder dem Südlibanon.
Deshalb gehen die Palästinenser ihren Weg, für sie gibt es keinen Unterschied zwischen dieser oder jener Partei, zwischen dieser Regierung oder einer anderen. Denn die alle richten sich seit der Gründung nach dem zionistischen Plan des sogenannten Grossisrael vom Nil bis zum Euphratfluss und dem Slogan: Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land. Seit Herzl halten sie sich für die zivilisierte Gesellschaft, die einen Wall gegen die asiatische bzw. arabische Barbarei errichtet, um die kolonialistischen Interessen in diesem Raum zu verwirklichen.
Das zionistische Gebilde ist ein Instrument des Imperialismus und der Kolonialmächte, um die westlichen Interessen in dieser Region zu schützen. So, wie es schon der ehemalige österreichische Innen- und Aussenminister Erwin Lanc sagte, dass Israel nur ein Flugzeugträger der USA ist, um deren Interessen im arabischen Raum zu sichern. Und dass Israel trotz umfangreicher Militär- und Finanzhilfe den USA billiger kommt als etwa der Ronald Reagan- oder der Nimitz Flugzeugträger usw. kostet.
Trotzdem wird das palästinensische Volk auf seinem Weg weitergehen und führt seinen Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit gegen die israelische Militärmacht als letztem Apartheidsystem auf dieser Erde, das von den USA und der EU und anderen Ländern unterstützt wurde und wird. Das tagtäglich Massaker am palästinensischen Volk verübt, mit Landraub und der Erweiterung und dem Bau von Siedlungen, durch Verhaftungen, Liquidierungen und Häuserzerstörungen, der Errichtung von Checkpoints und Stützpunkten auf den Strassen. Israel hat Blut von Kindern, Frauen und alten Menschen an den Händen. Der Kampf geht weiter, bis das palästinensische Volk seine Rechte, Freiheit und Unabhängigkeit erreicht.