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Rafah wird bombardiert (SAWA-Agentur)

Gazainfo 121: Steht Gaza vor einer neuen Aggression?

Die Situation im Gazastreifen eskaliert erneut. Am 10. Mai wurde daher ein weiteres Gespräch mit dem Gewährsmann in Gaza geführt. Interessant ist in diesem Gespräch auch die Einordnung der verschiedenen Kräfte in Gaza und der Strategie, welche die USA mit dem Arabischen Frühling verfolgt hatten.

Wie sind die momentanen Bedingungen im Gazastreifen und wie beurteilst du die neuerliche Eskalation, die nach der Ermordung der drei Anführer von Jihad Islami und mehrerer Menschen aus der Zivilbevölkerung ausgebrochen ist?

Es fliegen jetzt Drohnen über unseren Köpfen. Der Raketenbeschuss hat nicht aufgehört. Es gibt pausenlosen Beschuss aus den F16 wie auch durch die Artillerie. Sie haben neue moderne Waffen mit GPS-Systemen, da können sie 40 bis 80 km nach Gaza hineinschiessen, theoretisch sogar 150 km.

Sie haben aber gewartet, wie der Widerstand auf die Tötung der Widerstandskämpfer und der Familien reagiert. Der Widerstand hat sich fast 32 Stunden lang zurückgehalten, bis er zurückgeschlagen hat. Sie haben seither pausenlos bombardiert, es gibt bis jetzt mindestens 20 Tote, mehr als 65 Verletzte. Das kommt wohl nicht in euren Medien. Vor kurzem haben sie mitgeteilt, dass zwei junge Kämpfer der Ali Mustafa-Brigaden getfallen sind. Vier Angehörige dieser Einheit wurden in Rafah von Drohnen angegriffen und auf der Stelle getötet.

Unter den Toten des Jihad Islami, die vor 2 Tagen durch Raketen getroffen wurden, befand sich auch Jahed Ahnam, der Leiter des Militärrats, der wichtigste Kommandant für die Al-Quds-Brigaden in ganz Palästina. Er war seit langem gefährdetes Ziel der Israelis. Mit dem Haus haben sie auch Frauen und Kinder getötet, eine Familie ausgelöscht. Seither haben sie noch mehrere Menschen umgebracht, Es wurden bereits mehrere Häuser in Schutt und Asche gelegt.

Die Antwort des Widerstands erfolgte gestern um 13.30 Uhr. Innerhalb 1,5 Stunden von flogen 300 Raketen nach Israel, einige sogar nach Tel Aviv oder ins Umfeld von Tel Aviv. In allen grösseren Städten Israels gab es Raketenalarm, auch in der Nähe von Jerusalem, Ashkelon, Ashdod, ausser auf die Negevwüste, die ist bis jetzt verschont geblieben.

Ob diese Schlacht noch Tage oder Wochen dauern wird, ist unklar. Es haben aber bereits grosse Vermittlungsversuche stattgefunden, von der UNO, von den Europäern, von Katar, von Ägypten, usw. um diese Eskalation zu stoppen. Die Israelis haben ihre Ziele erreicht , sie haben drei Anführer liquidiert. Und sie haben mit den Frauen und Kindern ihre Familien ausgelöscht. Alle wurden getötet.

Was denkst du, war das Motiv der Israelis, gerade jetzt zuzuschlagen?

Zum einen gibt es innere Widersprüche, zwischen den Parteien. Zum anderen wollen sie die Medien und die Öffentlichkeit davon ablenken und woandershin orientieren. Und die dritte Sache ist: Sie haben gedacht, sie können Jihad Islami so eliminieren, durch die Tötung von ihren Führern und Angriffe auf ihre Lager. Sie haben auch gedacht, sie können eine Spaltung innerhalb des Widerstands erreichen, denn sie glauben, dass die Hamas nicht bereit ist, in dieser Schlacht weiterzumachen. Denn sie schätzen die Hamas so ein, dass sie sich nicht beteiligt, wegen der Privilegien, die sie als Machtinhaber im Gazastreifen hat, die Millionen, wenn nicht Milliarden an Dollars verwaltet und damit die eigene Partei begünstigt. Israel spekuliert darauf, dass ihnen ihre Macht und Privilegien wichtiger sind.

Beim letzten Konflikt gab es bereits von den anderen Fraktionen im Widerstand Vorwürfe an die Hamas, dass sie nicht am Kampf gegen Israel teilgenommen hat und Jihad Islami im Regen stehen lässt. Der Vorwurf ist, dass sie damals passiv blieb und damit einverstanden ist, wenn andere Organisationen, die ihr ihren Alleinvertreungsanspruch streitig machen könnten, durch Israel geschwächt werden.

Das ist das Problem: Die Al-Quds-Brigaden oder Jihad Islami haben nicht diese Möglichkeiten und diese Infrastruktur, wie sie die Hamas hat. Auch die Abu Ali Mustafa-Brigaden (PFLP) haben nicht diese Waffen und diese Schlagkraft. Sie können nicht so lange durchhalten und haben nicht diese Kapazität. Die Hamas hat sich 15 Jahre vorbereitet, sie haben ein Waffenarsenal und die Infrastruktur, mit der sie monatelang kämpfen könnten. Vieles davon befindet sich 20 oder 30 Meter unter der Erde, ihre Waffen mit Mörsern und Raketen, ihre Fabriken, ihre Kommunikationssysteme, ihre eigene Elektrizität, eigene Wassersysteme. Sogar Spitäler. Sie könnten da 2 bis 3 Monate unten bleiben und überleben. Das war notwendig, denn im Gazastreifen hast du keine Berge, keine Wälder und Möglichkeiten, um das vor den israelischen Aggressionen zu verstecken, das Land ist flach. In diese Tunnels und Bunker haben sie Tausende Millionen reingesteckt. Und sie haben gelernt, von der Hisbollah, vom Iran, auch von Vietnam und anderen Revolutionen. Und sie haben Spezialeinheiten, die sind militärisch den Sondereinheiten der israelischen Armee überlegen, das sind wirkliche Profis. Das Problem ist aber die Führung der Hamas. Ihr ist Palästina nicht so wichtig wie andere Ziele. Deshalb wird viel davon abhängen, ob sich die Hamas beteiligt oder ob Israel mit seiner Einschätzung recht behält.

Dieses Problem besteht, seit die Palästinafrage besteht. Immer gab es Probleme mit der Führung, seit mehr als 100 Jahren. Immer gab es diesen Opportunismus der Führungen, die eine ausländische Agenda bedienten. Was die Hamas betrifft: Ihre Anführer leben zum Teil im Ausland wie Khaniye (Haniyya) oder Maschal. Nicht nur in den arabischen Ländern, sie sind auch in London usw. Und in Verbindung mit allen Geheimdiensten der Welt.

Als der sogenannte Arabische Frühling ausgebrochen ist, haben sich im Vorfeld schon die Anführer getroffen, da gab es die Pläne der Ihwan, also der Moslembrüder, wie sie die Macht im Arabischen Raum übernehmen, unter dem Einfluss von Katar und damit der USA, mit Erdogans Türkei im Zentrum und Erdogan als neuem Sultan. Die AKP kam in der Türkei und die Hamas im Gazastreifen an die Macht. Sie hatten diesen Wahn von sich als einziger Macht im sogenannten Nahen Osten und darüber hinaus – die Herrschaft der Moslembrüder als Teil der Macht der USA. Von Tanger in Marokko bis Jakarta in Indonesien. Aber dieser Plan ist gescheitert.

Wir müssen abwarten, was jetzt passiert: Entweder gibt es weitere Verhandlungen, die in einer sogenannten Waffenruhe enden, mit einer Entspannung, oder es eskaliert völlig. Es wird wie gesagt, viel von der Hamas abhängen, auf deren Führung viele derzeit keinen Groschen setzen. Palästina könnte zur Hölle gehen, es wäre ihnen egal … Wir werden in den nächsten Stunden sehen, wie sich der Konflikt weiterentwickelt.

(Während des Gesprächs ist im Hintergrund Artilleriefeuer zu hören).
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Herausgeber: Gazainfo, Stiftgasse 8, 1070 Wien