In Frankreich erpressen die Polizeigewerkschaften die Regierung und fordern mehr Repression
Seit Tagen findet in Frankreich eine starke soziale Mobilisierung gegen die Regierung von Emmanuel Macron statt. Der Auslöser für die Unruhen in vielen Arbeitervierteln war die Ermordung des 17-jährigen Nahel durch einen Polizisten. Aber natürlich schwelt die Unzufriedenheit in den französischen Vorstädten schon seit langem, und die Ursachen sind sozialer Natur: die immer weiter verbreitete Armut, die grassierende Arbeitsplatzunsicherheit, aber auch die Sanktionen gegen Russland, die die Lebensbedingungen der Arbeitnehmer weiter verschlechtert haben. Der arrogante französische Präsident, der stets darauf bedacht ist, den Autoritarismus und das Fehlen von «Menschenrechten» in anderen Ländern anzuprangern, aber offensichtlich nicht in seinem eigenen Land, hat, anstatt den Dialog mit seinen Bürgern zu suchen, die harte Linie angeordnet, um den Aufstand niederzuschlagen, indem er nicht weniger als 40 000 bewaffnete Agenten mobilisiert hat, die von verschiedenen Spezialeinheiten unterstützt werden. Doch das Ziel sind nicht Kriminelle oder Terroristen, sondern ganz normale Bürger, vor allem junge Leute, die mit den pro-europäischen Sparmassnahmen unzufrieden und über den Machtmissbrauch der Polizei besorgt sind.
Die Polizei sieht sich «im ‘Krieg» gegen das Volk!
In einer Pressemitteilung mit martialischen Tönen gingen zwei französische Polizeigewerkschaften, die «Alliance Police Nationale» und die UNSA-Police, jedoch noch weiter und riefen zu einer autoritären Wende der Regierung auf und forderten nicht weniger als eine härtere Repression, um die «wilden Horden» zu «entwaffnen». Ein Drohtext, um mehr repressive Mittel zu erhalten und die bereits brutale Offensive gegen die Demonstranten zu intensivieren. «Es reicht nicht mehr aus, um Ruhe zu bitten, wir müssen sie erzwingen», erklärten die Vertreter der Agenten, die sogar ein «Ende des Leidens der Verhafteten» forderten. Töne, die eines Polizisten unwürdig sind, der einen Eid auf die französische Verfassung geleistet hat, die die demokratischen Institutionen und die Demonstrationsfreiheit schützt. Was die Situation noch ernster macht, ist die Tatsache, dass es sich nicht um eine Minderheitengewerkschaft handelt, die sich in den Händen einiger rechtsextremer Übertreiber befindet, sondern um eine Gewerkschaft, die bei den Gewerkschaftswahlen im vergangenen Dezember fast 50% der Stimmen erhalten hat und damit die wichtigste organisierte Kraft unter den Polizeibeamten ist. Praktisch die Hälfte der französischen Polizisten wünscht sich einen Kriegszustand gegen die Zivilbevölkerung. Aber das ist noch nicht alles …
Mélenchon: «unverantwortliche Polizisten»!
… die Pressemitteilung geht tatsächlich weiter und die Töne werden schlimmer: «… heute kämpft die Polizei, weil wir im Krieg sind. Morgen werden wir im Widerstand sein, und die Regierung wird das erkennen müssen». Diese Formulierungen sind äusserst ernst und grenzen an eine Verleumdung: Wenn eine bewaffnete Organisation nicht nur eine Angelegenheit der öffentlichen Ordnung (wie eine Protestdemonstration) in eine Kriegssituation verwandelt, sondern dann auch noch die eigene Regierung erpresst, dann hat man eine Grenze überschritten und die Demokratie ist gefährdet. Ein Agent spricht nicht so, wenn er keine Rückendeckung hat! Jean-Luc Mélenchon, informeller Führer der gegenwärtig grössten linken Formation «France Insoumise», hat dies sofort bemerkt und die beiden Berufsverbände der Polizei als «unverantwortlich» bezeichnet, weil sie dem eigenen Volk und der Verfassung den Krieg erklärt haben, und sie sogar des Verrats an ihrem Land beschuldigt! Selbst der nationale Sekretär des weitaus gemässigteren Parti Socialiste, Sébastien Vincini, hat den Ernst der Lage erkannt: «schockierende und beunruhigende Äusserungen, die nicht mit dem vereinbar sind, was die republikanische Polizei sein sollte, die im Dienste des Rechtsstaates steht»!
Welche Antwort der Linken?
Frankreich braucht eine Antwort auf Augenhöhe mit der Arbeiterbewegung: Es hat nur drei Tage gedauert, bis die reaktionärsten Kräfte auf die Strasse gegangen sind und zu Gewalt und einer Verschärfung des Klassenkampfes gegen die Bewohner der Arbeiterviertel aufgerufen haben. Die linken Parteien und die fortschrittlichen Gewerkschaften ihrerseits beschränkten sich vorerst auf symbolische Erklärungen in den Medien und verwiesen auf Schwierigkeiten bei der Organisierung von Studenten und Arbeitern. Während sich die extreme Rechte auf den Kampf vorbereitet, duckt sich die Linke, denn sie ist zwar an intellektuelle Salons und Modethemen gewöhnt, aber nicht mehr an den Kampf und die Konfrontation vor Ort. Die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF) selbst überhäuft sich mit vagen «Brandreden», während sich inzwischen die Appelle insbesondere an die CGT, die Gewerkschaft, die eine kämpferische Haltung beibehalten hat, mehren, einen Generalstreik auszurufen und die Arbeiterklasse zu mobilisieren, die in Frankreich noch über ein organisiertes Gewicht verfügt, um die Revolten anzuführen und zu verhindern, dass sie von den extremistischen Rändern in blosses Rowdytum umgelenkt werden. Stattdessen gilt es, sie in politische Kanäle des echten Fortschritts zu lenken.
«Soziale Ungleichheiten treiben die nationale Zersetzung voran»
Auf der Linken ist es der marxistisch-leninistisch und republikanisch inspirierte Pol der kommunistischen Renaissance in Frankreich (PRCF), der am vehementesten die Alarmglocken läuten lässt und davor warnt, dass Le Pens Rechtsextreme, aber auch Macrons rechte Regierungspartei «das Klima vor dem Bürgerkrieg» nur noch verschlimmern. Der Vorwurf der Kommunisten an die Pariser Elite ist deutlicher: Macron verfolge in der Praxis eine «Politik der Auflösung Frankreichs im europäischen Bundesstaat». In einem Kontext, in dem «die politische und gewerkschaftliche Linke es mit ihrer gescheiterten Strategie nicht geschafft hat, die Renten-Gegenreform zu blockieren [… ] und sich weigert, sich gegen die EU zu stellen, die die nationale Zersetzung Frankreichs und den Marsch in Richtung Weltkrieg unter der Ägide der Nato und der ukrainischen Neonazis orchestriert, müssen sich die kommunistischen, gewerkschaftlichen, antifaschistischen und authentisch republikanischen Kräfte so schnell wie möglich zu einer Aktion zusammenschliessen, indem sie sich gegen die EU und die Nato, gegen den Polizeistaat der Macronisten, gegen die rassistische extreme Rechte und gegen das Grosskapital vereinen, eine Plattform des Kampfes für den sozialen Fortschritt, die demokratischen Freiheiten, die nationale Unabhängigkeit und die Verteidigung des Friedens». Die neogaullistische Linkspartei «Solidarité et Progrès» warnt ihrerseits ebenfalls vor den Risiken: «Wenn wir uns weiterhin mit der unmittelbaren Gewalt beschäftigen, über sie kommunizieren, ohne ihre Wurzeln auszugraben, werden die Institutionen der Republik zusammenbrechen».
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Der Text ist erstmals am 2. Juli 2023 in sinistra.ch erschienen.