Seit 120 Jahren eine Konstante deutscher wie österreichischer Aussenpolitik: Niederhaltung jeder souveränen Staatlichkeit in Jugoslawien (rassistische Karikatur aus einer österreichischen Zeitung von 1914).
Wie seit Franz-Josefs Ultimatum nicht mehr: Serbiens Souveränität unter grossem Druck
Die USA und die EU gestehen Serbien keine selbständige Aussenpolitik zu. Anders als die Schweiz, lässt sich Serbien diese aber nicht einfach abkaufen. Das Land will sich auch bald 25 Jahre nach dem Nato-Überfall von Brüssel und Washington nicht vorschreiben lassen, mit wem es welche Beziehungen pflegt, auch wenn der eingeschlagene Weg schwierig ist. Vor kurzem führte das zu einem taktischen Rücktritt des sozialistischen Ministers Aleksandar Vulin.
von BERND DUSCHNER, 29. 11. 2023
Aleksandar Vulin gehört zu den wichtigsten Vertrauten und Stützen des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić. Seit 2014 führt dessen Fortschrittspartei (SNS) die Regierungen in Serbien und seit 2014 war Vulin stets Mitglied des Kabinetts, zunächst als Minister für Arbeit und Soziales, dann als Verteidigungsminister und zuletzt als Innenminister, bevor ihm Vucic im Dezember 2022 die Leitung des serbischen Geheimdienstes (BIA) anvertraute.
Aleksandar Vulin
Auf Druck der USA sah sich Vulin Anfang November gezwungen, von seinem Posten zurückzutreten1. Mit seinem Rücktritt wollte der Spitzenpolitiker verhindern, dass gegen Serbien Sanktionen verhängt werden.
Vor dem Hintergrund der mittlerweile offenkundigen Niederlage in der Ukraine haben Washington, Brüssel und Berlin ihren Druck auf Serbien und die Republik Srpska als Teilrepublik Bosnien-Herzegowinas erheblich verstärkt. Serbien soll endgültig auf seine abtrünnige Provinz Kosovo verzichten, ihr Geschöpf als eigenständigen Staat anerkennen und Sanktionen gegen Russland verhängen. Die Republik Srpska soll gezwungen werden, den deutschen EU-Statthalter Christian Schmidt als sogenannten «Hohen Repräsentanten für Bosnien-Herzegowina» mit nahezu unbeschränkten Vollmachten in ganz Bosnien-Herzegowina anzuerkennen. Dies käme einem Verzicht der serbischen Teilrepublik auf ihre Eigenständigkeit gegenüber der EU-hörigen bosnischen Zentralregierung in Sarajevo gleich. Und Serbien soll sich ebenfalls in die Front gegen Russland und China einreihen2.
Aleksandar Vulin, Gründer und Vorsitzender der Pokret Socijalista («Sozialistische Bewegung»), hat sich diesen Forderungen stets energisch widersetzt. Er war in der serbischen Koalitionsregierung in Belgrad der entschiedenste Vertreter einer Politik der militärischen Neutralität, Befürworter freundschaftlicher Beziehungen zu Russland und China und einer engen Zusammenarbeit mit der Republik Srpska.
Am 11. Juli 2023 hatte das Office of Foreign Assets Control (OFAC) des US-Finanzministeriums gegen den serbischen Politiker Sanktionen verhängt. Ohne jeden Beleg und obwohl, wie Serbiens Präsident Vučić bissig bemerkt hat, im Weißen Haus und nicht im Büro von Aleksandar Vulin Kokain gefunden wurde3, erhob das OFAC gegen den serbischen Spitzenpolitiker den Vorwurf, in die organisierte Kriminalität und illegale Drogengeschäfte verwickelt zu sein. «Er hat», so die OFAC weiter, «seine öffentlichen Ämter genutzt, um Russland zu unterstützen und damit Russlands bösartige Aktivitäten begünstigt, die die Sicherheit und Stabilität des westlichen Balkans beeinträchtigen, und Russland eine Plattform geboten, seinen Einfluss in der Region auszubauen.»4
Engste Beziehungen zu Russland, China und den BRICS-Staaten wünschen sich, wie eine aktuelle Umfrage belegt, 63,4% der Bürger in Serbien. Für die Regierungen in Washington, Brüssel und Berlin haben die Wünsche der serbischen Bevölkerung jedoch keine Rolle zu spielen5.$
In seiner Rücktrittserklärung schrieb Aleksander Vulin:
«Präsident Vučić und Serbien sind mit Drohungen und Erpressungen konfrontiert, die man nur mit dem österreichisch-ungarischen Ultimatum von 1914 vergleichen kann. Von uns wird verlangt, dass wir Kosovo anerkennen, die Republik Srpska aufgeben und, indem wir Sanktionen gegen Russland verhängen, aufhören, ein souveränes Land und Nation zu sein. Falls wir dem zugestimmt hätten, wäre die nächste Forderung, Schluss mit den chinesischen Investitionen zu machen, eine vollständige technologische und wirtschaftliche Abhängigkeit vom Westen, sowie die weitere politische und territoriale Desintegration Serbiens und die Übernahme westlicher Werte gewesen. In ihnen gibt es keinen Platz für die traditionelle Familie und Nation, und letztlich auch nicht für soziale Gerechtigkeit.
USA und EU fordern meinen Kopf als Bedingung dafür, keine Sanktionen gegen Serbien zu erlassen. Ich bin nicht der Grund für die Erpressung und den Druck auf Serbien und die serbische Nation, aber ich werde nicht zulassen, dass ich zum Vorwand für Erpressung und Druck auf Serbien und die serbische Nation genommen werde. Deshalb trete ich unwiderruflich als Leiter der serbischen Nachrichtendienste zurück (…). Mein Rücktritt wird die Politik der USA und EU gegenüber Serbien nicht ändern, aber er wird weitere Forderungen und Erpressungen hinauszögern.»6
Dies ist leider zu befürchten, denn auch auf dem Balkan dulden USA und EU nur Vasallen.
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Anmerkungen:
1 Politika, 3. 11.23: Vulin podneo ostavku na mesto direktora BIA
2 Novosti, 9.10.23: Autorski Tekst Milorada Dodika, predsednika Republike Srpske: Spremamo tužbe protiv svih razbijača “Dejtona”.
Die Republik Srpska weigert sich Christian Schmidt als Hohen Repräsentanten der EU anzuerkennen, weil seine Ernennung ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates und ohne Zustimmung der Republik Srpska als Vertragspartner des Dayton Abkommens erfolgt ist. Ihm fehlt, so Milorad Dodik, Präsident der Republik Srpska, jede demokratische Legitimation.
3 BalkanInsight, 12.7.2023: https://balkaninsight.com/2023/07/12/serbian-president-us-sanctioned-vulin-for-russia-ties-not-corruption/
4 Treasury Sanctions Official Linked to Corruption in Serbia. https://home.treasury.gov/news/press-releases/jy1606.
N1: Direktor BIA Aleksandar Vulin na spisku lica pod američkim sankcijama. Pripisuju mu se poslovi u vezi sa trgovinom narkoticima i veze za Slobodanom Tešićem
5 Politika, 3.11.23: https://www.politika.rs/sr/clanak/581900/Vulin-podneo-ostavku-na-mesto-direktora-BIA
6 Nova srpska politicka misao: nspm.rs/istrazivanja-javnog-mnjenja/srbija-novembar-2023.-sns-392-odsto-srbija-protiv-nasilja-25.8.html?alphabet=l
63,4% der Befragten sprachen sich für engste Beziehungen zu Russland, China und den BRICS-Staaten aus, weitere 13,3% waren eher dafür, als dagegen. Nur 9,3% sprachen sich dagegen aus.
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Bernd Duschner ist Sprecher der Hilfsorganisation Freundschaft mit Valjevo e. V. und Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes, aus dessen Pressedienst dieser Text entnommen wurde.