Internationale Konferenz in Weissrussland gegen historischen Revisionismus und Faschismus
Nil Malyguine1
«Wenn wir vergessen, was passiert ist, werden wir in diesen Gruben liegen.» Das sagt der Generalstaatsanwalt der Weissrussischen Republik, Andrej Šved, während er der Öffentlichkeit die neuesten Erkenntnisse aus der strafrechtlichen Untersuchung des Völkermords am belarussischen Volk vorführt. Es ist ein Satz, der den Geist der Konferenz in Minsk gut zusammenfasst.
Es ist an der Internationalen Universität Minsk (MITSO), wo am 23.und 24. November 2023 die internationale Konferenz «Der Nürnberger Prozess in den aktuellen Aspekten des Völkerrechts, der Geschichte und der Politik» stattgefunden hat. Ziel der Konferenz war es, die historische Erinnerung an die Verbrechen des Nazifaschismus zu bekräftigen und zu verteidigen. Dies an einem historischen Zeitpunkt, an dem der kollektive Westen gegenläufig eine radikale Neuinterpretation des Zweiten Weltkriegs begünstigt – bis zur expliziten Rehabilitierung der Nazi-Verbrecher. Gast der Veranstaltung war auch eine Delegation der Kommunistischen Partei der Schweiz, vertreten durch den Schriftsteller und den Historiker Davide Rossi.
Die Schweizer Delegation an der internationalen Konferenz in Minsk, zusammen mit dem Rektor der Universität.
Die Konferenz
Der Morgen des 23. November beginnt mit der Begrüssungsrede von Mikhail Orda, Präsident des Gewerkschaftsbundes von Weissrussland. Er hatte die Ehre, die Arbeit der Konferenz zu eröffnen, da der Gewerkschaftsbund der Hauptorganisator und Förderer der Veranstaltung war: «Einige Politiker haben die Lehren aus dem Krieg und aus Nürnberg vergessen. Wieder einmal wollen sie anderen beibringen, wie sie leben sollen. Sie halten es für gerechtfertigt, Sanktionen zu ergreifen, die, wie die Geschichte zeigt, oft den Krieg vorwegnehmen. Sie halten es für gerechtfertigt, Millionen von Menschen und Kindern die notwendigen Nahrungsmittel und Medikamente zu entziehen, mit einem einzigen Ziel: ihre politische und wirtschaftliche Vormachtstellung zu etablieren.»
Präsident Orda zog eine deutliche Parallele zwischen der heutigen europäischen Situation und jener der 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts: Wieder einmal stehen wir vor der Tür eines grossen Weltkrieges. Aus diesem Bewusstsein ergibt sich die Notwendigkeit, die historische Erinnerung an die tragischen Ereignisse zu verteidigen, die zum Zweiten Weltkrieg geführt hatten, um zu verhindern, dass sich bestimmte Fehler wiederholen.
Völkermord am weissrussischen Volk
Nach Abschluss der Begrüssungsrede wurde die Plenarversammlung der Konferenz eröffnet, deren erster Referent der bereits erwähnte Generalstaatsanwalt Andrej Šved war. In seiner Rede erläuterte der Staatsanwalt der Öffentlichkeit den Verlauf und die neuesten Aktualisierungen des Strafverfahrens, das im April 2021 in Weissrussland eingeleitet wurde, um einen Völkermord auf belarussischem Gebiet in den Jahren der deutschen Besatzung festzustellen. Dass Belarus Schauplatz zahlloser Massenvernichtungen gegen die Zivilbevölkerung gewesen war, ist seit der unmittelbaren Nachkriegszeit bekannt. In den letzten Jahren wurde jedoch auf Initiative von Präsident Aleksander Lukaschenka ein Regierungsprogramm gestartet, um die Nazi-Verbrechen auf weissrussischem Boden gründlicher und systematischer zu untersuchen. In diesem Zusammenhang hat die Generalstaatsanwaltschaft ein Strafverfahren eröffnet. Die Ermittlungen brachten eine Realität an die Oberfläche, die noch dunkler war als die bereits in der Sowjetzeit traurige und allgemein bekannte. Tausende neue Tatorte, die den Nachkriegsuntersuchungen verborgen geblieben waren, sind in den letzten zwei Jahren ans Licht gekommen. Der Staatsanwalt zeigte Fotos von einigen Massengräbern, die gerade gefunden wurden. Die Überreste der Opfer ermöglichen es heute, genauere Schätzungen über die Zahl der Grausamkeiten der der deutschen Nazi-Besatzungstruppen zu erstellen. Selbst im Vernichtungslager Malyj Trostenec bei Minsk, wo man zuvor von 200 000 ermordeten Menschen ausgegangen war, wurden nach neuen Forschungen über eine halbe Million Menschen getötet. Die Gesamtbilanz des Völkermords beläuft sich nach neuen Erkenntnissen auf drei Millionen Tote, ein Drittel der damaligen belarussischen Bevölkerung.
Verkohlte menschliche Überreste im Konzentrationslager Malyj Trostenec.
Die heutige Entscheidung, den in Belarus durch Nazi-Deutschland und seine Verbündeten ausgeführten Völkermord anzuerkennen, mag fadenscheinig und verspätet erscheinen. Die Realität ist, dass die slawischen Völker der Sowjetunion mit jedem Recht behaupten können, in den Jahren des Zweiten Weltkriegs Opfer eines Völkermords geworden zu sein. Es gibt nicht nur reichlich materielle Beweise, die ihn stützen, sondern auch zahlreiche dokumentarische Beweise, die belegen, dass der Völkermord von der NS-Führung lange vor Ausbruch des Konflikts sorgfältig geplant worden war. Warum wurde der Völkermord nicht schon vor langer Zeit anerkannt, auch nicht von den sowjetischen Institutionen? Nach dem Zweiten Weltkrieg war dies einfach nicht als angemessen erachtet worden. Die Politik der Sowjetunion war bestrebt, die Vergangenheit nicht wieder aufzuwärmen, zum einen, um eine Annäherung an die Deutschen zu erreichen, die nun in Gestalt der Deutschen Demokratischen Republik Verbündete waren, zum anderen, um die eklatanten Fälle von Kollaboration bei bestimmten Völkern der UdSSR, wie den Ukrainern in Galizien und den baltischen Völkern der Esten, Letten und Litauer, nicht zu verdeutlichen. Heute scheint die Entscheidung der weissrussischen Regierung jedoch völlig gerechtfertigt. In einer Zeit, in der sie von den westlichen Mächten verzerrt und instrumentalisiert wird, um ihre gegenwärtigen geopolitischen Projekte zu rechtfertigen, ist es von grundlegender Bedeutung, eine ehrliche Behandlung der Geschichte mit Nachdruck zu bekräftigen. Als Opfer der Nazi-faschistischen Aggression versucht man heute, die UdSSR zusammen mit dem Dritten Reich als mitverantwortlich für den Ausbruch des Weltkriegs darzustellen. Aber in Weissrussland hat man sich nicht daran gewöhnt, sich hinter einem Finger zu verstecken: die offizielle Position von Minsk ist, dass die sowjetische Annexion der östlichen Gebiete Polens als Folge des Molotow-Ribbentrop-Abkommens ein völlig legitimer Akt war. Sie ermöglichte die Wiedervereinigung von Gebieten mit Weissrussland, die von Weissrussen bewohnt wurden, als sie in den 20er-Jahren von Warschau besetzt und während der Zwischenkriegszeit einer Polonisierung unterworfen wurden. Auch im Westen fehlt es nicht an der ausdrücklichen Verherrlichung des Nationalsozialismus, wie wir im Fall der ukrainischen Neonazi-Bataillone oder des jüngsten «freudianischen Lapsus» im kanadischen Parlament sehen, mit der Einladung des ukrainischen SS-Veteranen Jaroslaw Hunka. Darüber hinaus scheint die Anerkennung des Völkermords am weissrussischen Volk (und sowjetischen im Allgemeinen) heute auch für die historische und akademische Debatte nützlich zu sein, die ansonsten vom jüdischen Exklusivismus erstickt wird und ausserdem als Ufer für die instrumentelle Nutzung des Holocaust als beständiges Alibi aller Gräueltaten Israels zum Nachteil des palästinensischen Volkes dient.
Kollaborateure von gestern und heute
Eine Flagge mit düsterer Geschichte.
Interessant war auch der Bericht von Igor Marzaljuk, Direktor des Ständigen Ausschusses für Bildung und Kultur bei der weissrussischen Nationalversammlung. Mit unzähligen fotografischen Beweisen zeigte er, dass die weiss-rot-weisse Flagge, mit der sich die liberale und proeuropäische weissrussische Opposition zeigt, auch das Banner der belarussischen Kollaborateure unter nationalsozialistischer Besatzung war. Ein Zufall? Sicher nicht! Der Versuch einer Farbrevolution, der im Sommer 2020 nach den Präsidentschaftswahlen stattgefunden hatte, als die pro-europäische Opposition unter der Leitung der unterlegenen Kandidatin Svetlana Tichanovskaja den Sieg von Lukaschenka nicht anerkannte, folgte offensichtlich Mustern, die dem Euromaidan in der Ukraine sehr ähnlich waren. Wenn in Kiew gerade die rechtsextremen politischen Kräfte mit klarer Nostalgie für die Kollaboration der 30er- und 40er-Jahre der Motor des proatlantischen Putsches waren, ist es nicht verwunderlich, dass auch die weissrussische Opposition diese Art von Symbolik wieder hervorgeholt hat.
Erziehung zum Patriotismus
Die internationale Konferenz Ende November war Teil eines viel umfassenderen Regierungsplans, der darauf abzielt, die patriotische Erziehung der weissrussischen Gesellschaft zu stärken. Ein Projekt, das nach den Ereignissen von 2020 gestartet wurde, als die pro-europäische Opposition versuchte, die Macht mit Gewalt zu erobern.
Obwohl der grosse Teil der Bevölkerung den Institutionen treu blieb, war damals klar geworden, dass die westliche Propaganda in einem nicht unerheblichen Teil der Gesellschaft, insbesondere der jüngeren Generationen, die Oberhand zu gewinnen drohte. Gerade junge Menschen sind heute der Hauptadressat der von der Regierung angestrebten patriotischen Erziehung. Die Konferenz wurde denn auch von jungen Menschen, hauptsächlich Studenten, besucht.
Es bleibt nur zu hoffen, dass wir dank dieser Initiativen in Zukunft nicht mehr erleben müssen, dass die belarussische Jugend die kollaborationistische Flagge schwenkt. Nur wenn wir die Vergangenheit richtig deuten, können wir Missverständnisse in der Gegenwart vermeiden.
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1 Nil Malyguine, geboren 1997, hat einen Abschluss in Geschichte an der Universität Padua. Er interessiert sich besonders für die Geschichte Russlands und der Sowjetunion. Seit 2020 ist er Mitglied der Kommunistischen Jugend Schweiz.
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Der Text ist am 29. Dezember 2023 in sinistra.ch erschienen. Übersetzt mit Hilfe von Yandex Translator.