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Der kenianische Präsident William Ruto und US-Präsident Joe Biden mit ihren Frauen treffen sich am 23. Mai 2024 vor einem Staatsessen im Weissen Haus.

Offener Brief an Kenias Präsidenten William Ruto

Ngugi wa Thiong’o ‒ 12.Juni 2024

Lieber William Ruto,

Die Bilder deines kürzlichen Staatsbesuchs in den USA haben mich und jeden patriotischen Kenianer sehr beunruhigt.

Ich sah dich grinsend auf einem Stuhl sitzen, während Biden hinter dir stand und sein Gesicht zufrieden strahlte. Warum nicht? Er hatte gerade angekündigt, dass du unser geliebtes Kenia abgeschrieben hast, um es zu einem Nichtmitgliedsalliierten der Nato zu machen.

Mit anderen Worten, du hast zugestimmt, der Laufbursche der Nato im Kampf Amerikas mit Russland und China um den Zugang zu Ressourcen des Kontinents zu werden.

Ruto, weisst du, dass die Nato Muammar Gaddafi ermordet hat, damit die libyschen Ölfelder, die Gaddafi verstaatlicht hatte, an den Westen zurückkehren? Gaddafi war einst Vorsitzender der Afrikanischen Union, deren Gründungsmitglied Kenia war.

Ruto, siehst du die Ironie deines Handelns?

Aber dieses andere Bild war nicht weniger beunruhigend. Während du im Weissen Haus warst, demonstrierten Haitianer auf den Strassen und nannten dich Sklave. Kennst du die Geschichte von Haiti? Bitte lese «The Black Jacobins», das Buch eines ehemaligen panafrikanischen Verbündeten von Jomo Kenyatta, C. L. R. James.

Haiti, heute ein schwarzer Volksstaat, war früher eine Sklavenkolonie Frankreichs. Aber unter der Führung von Toussaint Louverture kämpfte Haiti, die reichste Kolonie seiner Zeit, gegen die französische Sklaverei und erlangte 1804 seine Unabhängigkeit. In den USA war die Sklaverei damals in voller Blüte. Amerika wollte nicht, dass seine afrikanischen Sklaven Haiti nachahmen. Es hat Haiti das nie vergeben, und so begann die Geschichte von Amerikas Destabilisierung Haitis.

Ruto, erkennst du die Ironie deiner Handlungen? Die USA waren ursprünglich eine Siedlerkolonie, die das Land übernahm, das den amerikanischen Ureinwohnern gehörte. 1776 erklärten die weissen Siedler ihre Unabhängigkeit von ihrem englischen König. Aber die kolonisierten amerikanischen Ureinwohner blieben kolonisiert. Kenia war auch eine britische Siedlerkolonie.

Die weissen Siedler wollten eine ähnliche Art von Unabhängigkeit haben. Aber die Mau Mau, angeführt von Dedan Kimathi, stoppten sie. Jahre später folgten Algerien, Rhodesien und Südafrika dem Beispiel Kenias.

So war das Land, das du jetzt führst, das erste, das den historischen Trend stoppte, dass weisse Siedler sich für unabhängig erklärten, wie in Amerika, Kanada, Neuseeland und Australien.

Ruto, du hast dich entschieden, diese Geschichte des Stolzes zu verraten.

Ruto, du hast dich entschieden, ein Agent des Westens zu werden?

Ruto, du hast dich entschieden, dein Land billig zu verkaufen.

Warum, oh, Warum?

Ngugi wa Thiong’o

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Der offene Brief wurde ursprünglich veröffentlicht in AsheNews. Ngugi wa Thiong’o ist ein kenianischer Autor und Akademiker, der als «führender Schriftsteller Ostafrikas» beschrieben wurde. Sein Werk umfasst Romane, Theaterstücke, Kurzgeschichten und Essays, die von Literatur- und Gesellschaftskritik bis hin zu Kinderliteratur reichen.