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Unterstützer der Hamas-Bewegung nehmen am Festival zum 35. Jahrestag der Gründung der Organisation in Gaza Stadt am 14. Dezember 2022 teil. (Foto: Omar Ashmawy / APA Bilder

Hamas und die Linke

Die Linke muss sich der grundlegenden Tatsache stellen, dass man nicht Solidarität mit Palästina einfordern und die Hamas ablehnen, ignorieren oder ausklammern kann.

von ABDALJAWAD OMAR1, 31. Mai 2024

In letzter Zeit sind zahlreiche Artikel erschienen, in denen die westliche Linke dafür kritisiert wird, die Hamas zu «feiern». Die meisten dieser Kritiken behaupten, dass es den Palästinensern einen schlechten Dienst erweise, wenn man die Unterstützung des palästinensischen Widerstands auf die Unterstützung der Hamas reduziere, da die Palästinenser eine Vielzahl von Stimmen mit unterschiedlichen politischen Ansichten vertreten. Stattdessen wird die westliche Linke aufgefordert, sich mit der Komplexität und Vielfalt der palästinensischen Politik auseinanderzusetzen.

Der Jacobin-Artikel «Der palästinensische Widerstand ist kein Monolith» von Bashir Abu Menneh prangert an, dass die Linke eine «sozial regressive» Bewegung wie die Hamas feiert. Der Artikel liest sich eher wie eine versteckte Kritik am bewaffneten Widerstand überhaupt als an der Hamas. Matan Kaminer schrieb als Antwort auf einen Artikel von Andreas Malm – beides im Verso-Blog veröffentlicht –, dass die globale «Solidaritätsbewegung sich mit der Vielfalt der palästinensischen Politik auseinandersetzen muss», wobei er «gegensystemische» Kräfte wie die Hamas kritisiert, denen eine linke Agenda fehlt. In der Boston Review reagierte Ayça Çubukçu auf Jodi Deans Artikel «Palästina spricht für alle», weil Dean forderte, die globale Solidaritätsbewegung solle sich an die Seite der organisierten Linken in Palästina stellen und die gegenwärtige Hamas-Führung im Kampf um die Befreiung unterstützen.

Natürlich ist es unerlässlich, sich mit der palästinensischen Politik, ihrer Geschichte und ihrer aktuellen Lage und Vielfalt zu befassen. Trotz der relativ geringen Anzahl von Palästinensern und trotz der Tatsache, dass Palästina zwischen dem Fluss und dem Meer ein kleines, stark umkämpftes Gebiet ist, kann man eine Vielzahl von Palästinensern finden, die eine Vielzahl von Fantasien oder Ideologien über den Konflikt vertreten – einschliesslich Palästinensern, die bereitwillig die zionistische Ideologie befürworten.

Aber komischerweise ist es genau das, was westliche linke Kritiker der Hamas falsch verstehen. Sie verstehen nicht, dass die Vielfalt in der palästinensischen Gesellschaft und Politik sich auch in unterschiedlichen Haltungen zum Widerstand gegen den Kolonialismus niederschlägt. Sie fordern zwar ein nuanciertes Verständnis der palästinensischen Politik, aber diese Nuancierung erstreckt sich nicht auf das Verständnis der Dynamiken und Kräfte, die den antikolonialen Widerstand einerseits antreiben und andererseits hemmen (oder aktiv bekämpfen).

Die Ignoranz gegenüber der palästinensischen Politik ist fast schon vorsätzlich. Sie hegt eine heimliche Feindseligkeit gegenüber dem Widerstand – insbesondere dem bewaffneten Widerstand –, behauptet aber, die Hamas aus ganz anderen, etwa ideologischen Gründen abzulehnen. Doch um die innerpalästinensischen Dynamiken wirklich zu begreifen und den «Monolithen» zu entschlüsseln, müssen wir erst verstehen, wie sich die palästinensischen politischen Kräfte bezüglich der Idee des Widerstands überhaupt entwickelt haben.

Fragmentierte Geografie, fragmentierte Politik

Die Palästinenser sind verschiedenen Spaltungen unterworfen, die von Israel akribisch ausgearbeitet wurden. Es wäre in der Tat sehr überraschend, wenn die Palästinenser vereint wären, wo sich doch ihr alltägliches Leben so radikal unterscheidet – sie sind über die ganze Welt verstreut und verschiedenen Regierungsformen und Modalitäten israelischer Kontrolle unterworfen. Die Spaltungen sind nicht nur geografisch bedingt, sondern gehen auch mit unterschiedlich ausgeprägten Privilegien und Ausgrenzungen einher, die durch den Kolonialstaat auferlegt werden. Ich spreche von Gaza, dem Westjordanland, Jerusalem, den Gebieten von 1948 und der Diaspora.

Zudem hat diese radikale Zersplitterung viele Palästinenser dazu veranlasst, die Idee unserer Einheit als Volk in Frage zu stellen und darüber nachzudenken, ob die Diskrepanz in der palästinensischen Widerstandsfähigkeit ein Ausdruck der Bedeutung geografischer Trennungen und unterschiedlicher kolonialer Regierungsformen der letzten 75 Jahre sei.

Der genozidale Krieg in Gaza hat die simple Tatsache offenbart, dass die Palästinenser an ihren unterschiedlichen Orten – abgesehen von Gaza – nicht in der Lage waren, Macht aufzubauen, neue Taktiken zu entwickeln, neue Organisationen zu bilden oder ein neues intellektuelles und materielles Fundament zu errichten, um der Herausforderung entgegenzutreten, die der Siedlerkolonialismus für das palästinensische Volk überall darstellt. Nichts verdeutlicht dieses Versagen mehr als die lähmende Angst, die die palästinensische Gesellschaft ausserhalb des Gazastreifens und jenseits einiger der fortgeschritteneren Artikulationen des Kampfes und neuer Formen des Widerstands, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind, erfasst hat, einschliesslich der vorrangigen Anwendung von Taktiken wie atomisierten Widerstandshandlungen im Westjordanland und im 48er Palästina sowie der Verbreitung von bewaffneten Selbstverteidigungszonen im nördlichen Westjordanland.

Die Vielfalt ist nicht nur eine Folge der unterschiedlichen politischen Ideologien unter den Palästinensern, die verschiedenen Formen struktureller Kontrolle unterworfen sind. Vielmehr entspringt sie dem Gewebe der individuellen palästinensischen Psyche. Es entwickelt sich ein intensiver innerer Dialog, in dem die Palästinenser hin- und hergerissen sind zwischen dem radikalen Potenzial des Widerstands und der Angst vor dem unerbittlichen israelischen Moloch. Man bedenke das Paradox zwischen dem Wunsch nach Befreiung und der nagenden Angst, dass jede Störung des Alltagslebens – selbst wenn sie durch den Widerstand verursacht wird – den fragilen Anschein von Normalität zerstören könnte. Das ist der wahre Austragungsort des ideologischen Kampfes, nicht nur in der öffentlichen Sphäre, sondern auch auf individueller Ebene, wo die erhabene Möglichkeit von Freiheit der traumatischen Realität potenzieller Vernichtung durch eine überlegene Militärmaschine gegenübersteht.

Mit ihren je eigenen Forderungen treiben diese Kräfte die Palästinenser zu einer Reihe existenzieller Entscheidungen – Revolution oder Resignation, Auswandern oder Durchhalten, symbolische Vernichtung oder volles Festhalten an der Identität durch Taten der Aufopferung. Der stille innere Dialog manifestiert sich in verschiedenen politischen Ausdrucksformen – im Oszillieren zwischen der Haltung des Intellektuellen und Märtyrers Bassel Al-Araj, der erklärte, dass «Widerstand mit der Zeit immer wirksam ist», und der zynischeren Resignation, die Positionen wie die von Mahmoud Abbas implizieren, wenn sie verkünden: «Es lebe der Widerstand, aber er ist bereits tot und muss getötet werden, wo immer er erneut auftaucht!»

Aber lassen wir uns nicht täuschen. Die ideologische Maschinerie, die mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) verbunden ist und behauptet, einen unvermittelten Zugang zur «nackten Realität» zu haben, operiert gerade dadurch, dass sie ihre eigene Ideologie leugnet. Sie brüstet sich damit, die Welt ohne ideologische Scheuklappen zu sehen, und behauptet, dass ihre Klarheit ein autoritäres politisches System erfordert, das den Widerstand gegen den Kolonialismus als eine «Farce» und die Kooperation mit der Kolonialmacht als ein «heiliges» Gebot betrachtet. Diese realistisch-pragmatische Haltung verleitet die Palästinenser zu einer Art Negation – einer symbolischen, politischen und materiellen Selbstauslöschung, die jedoch raffiniert verschleiert wird durch den Schein politischer Repräsentation und der Gründung eines Staates.

Währenddessen hält die herrschende Klasse in ihrem Streben nach Kontinuität und Kontrolle an einem «politischen Realismus» fest, der ihre eigenen klassenbedingten und sozialen Vorurteile bequemerweise übersieht. Eine kleine Elite aus dem Kreis der Kolonisierten profitiert. Der Pragmatismus zielt letztlich darauf ab, eine Realität zu erschaffen, in der allein schon der Gedanke des Widerstands in den Annalen einer kompromittierten Realität verschwindet. Aber es ist nichts weiter als eine ausgeklügelte Rhetorik, die Sicherheit und wirtschaftliche Allianz mit einem kolonialen Siedlerregime rechtfertigt und die Kolonisierten durch die Kolonisierer ersetzt.

Das Ergebnis ist ein kontinuierliches Spektrum palästinensischer Politik mit unterschiedlichen Einstellungen zum Widerstand. Man stelle sich Figuren wie Mahmoud Abbas und Mansour Abbas am einen Ende des Spektrums und politische Formationen wie den Islamischen Dschihad und die Hamas am anderen Ende vor, wobei in der Mitte fast keine ernstzunehmenden politischen Kräfte zu finden sind.

Das alles zeigt uns, dass die Haupttrennlinie zwischen den palästinensischen politischen Gruppierungen nicht in der Spaltung zwischen Säkularismus und Islamismus, dem Kampf um unterschiedliche sozioökonomische Programme oder der Bevorzugung einer bestimmten Befreiungstaktik besteht. All dies sind für sich genommen wichtige Themen, aber was die palästinensische politische Arena tatsächlich spaltet, ist die Kluft zwischen einer Politik des blanken Trotzes und einer Politik des Entgegenkommens, der Kooperation und der Zusammenarbeit.

Letztendlich übersieht die westliche Linke bei ihrer quixotischen Suche nach einer säkularen, progressiven Alternative zur Hamas eine einfache Tatsache: Zu diesem spezifischen historischen Zeitpunkt kommen die politischen Kräfte, die immer noch an einer Widerstandsagenda festhalten und diese anführen, nicht von der säkularen Linken.

Das alles ist kein Zufall. Israel und seine Verbündeten kultivieren und formen akribisch eine palästinensische Führung, die sich ihren kolonialen Ambitionen anpasst, während sie gleichzeitig diejenigen, die sich für Alternativen einsetzen, verhaften, einschüchtern und ermorden.

Das ist für antikoloniale Bewegungen nicht ungewöhnlich. Zu den Kolonisierten zu gehören, bedeutet nicht automatisch, dass man den antikolonialen Bestrebungen die Treue hält. In Palästina hat ein Jahrhundert Kolonialismus viele Deformationen in der palästinensischen Politik verursacht und die einst revolutionäre PLO in ein Vichy-artiges Regime verwandelt, das die Nation im Namen der Nation tötet. Andere Palästinenser haben neue Zugehörigkeiten und Identitäten entwickelt, zu denen auch die Identifikation mit Israel gehört (insoweit es möglich ist, sich mit einer Entität zu identifizieren, deren Hauptmerkmal der jüdische Suprematismus ist). Die Geschichte lehrt uns, dass es auch Fälle gibt, in denen Menschen für ihre Knechtschaft kämpfen, und man muss nicht über Figuren wie Joseph Haddad und Mosab Hassan Yousef hinausschauen, um zu verstehen, was das bedeutet.

Doch dahinter verbirgt sich ein tiefgreifenderer Kampf: Die Palästinenser kämpfen seit langem nicht nur um die Anerkennung ihrer Notlage, sondern vor allem auch darum, dass die Welt die Notwendigkeit des Widerstands anerkennt. Die Anerkennung der Notwendigkeit des Widerstands und des Rechts auf diesen Widerstand ist umso wichtiger in einem globalen Kontext, in dem das Narrativ des palästinensischen Widerstands manipuliert und zynisch benutzt wird, um Israels jahrhundertlange Angriffe auf die palästinensische Existenz und Handlungsfähigkeit zu rechtfertigen und zu legitimieren. Es ist ein perverses Szenario, wo der Akt des Widerstands, der für das Überleben und die Möglichkeit von Gerechtigkeit unerlässlich ist, zur Rechtfertigung jener Unterdrückung umgedeutet wird, die er zu überwinden sucht.

Die Hamas ist hierfür eine geeignete Vogelscheuche. Sie ist eine islamistische politische Gruppierung, die sowohl eine Politik des Widerstands verfolgt als auch eine soziale Agenda vorantreibt, die das palästinensische Subjekt wiederherstellen soll. Kritiker des Widerstands haben es leicht, auf Unzulänglichkeiten in der sozioökonomischen Perspektive der Hamas hinzuweisen oder deren «sozial regressive» Agenda zu verspotten. Aber sie interessieren sich nicht wirklich dafür, die soziale Agenda der Hamas zu untergraben. In Wahrheit wollen sie die Widerstandsform, für die sich die Hamas entschieden hat, untergraben oder sich davon distanzieren. Viele Kritiker der Hamas haben jedoch weder in ihrem Bündnissystem noch in ihren Kampfmethoden oder auch nur in ihrem intellektuellen Wirken etwas zu bieten, das sich mit der Leistung der Hamas messen könnte, im Gazastreifen Macht akkumuliert und eine strategische Büchse der Pandora geöffnet zu haben, die das koloniale Regime überflutet und deformiert hat, sodass sich ein historischer Moment eröffnet, der unter seinen zahlreichen Möglichkeiten auch das Potenzial für die palästinensische Befreiung enthält.

Die Politik der ‹Muzawada›

«Muzawada» ist ein Begriff aus dem arabischen Politiklexikon, der grob mit «politischer Übertrumpfung» übersetzt werden könnte. In seiner langen Tradition wurde Muzawada als Mittel zur Verunglimpfung politischer Rivalen eingesetzt, wobei seine Hauptfunktion in der Praxis darin bestand, den politischen Konkurrenten zu diffamieren und zu demoralisieren, indem seine Heuchelei, sein unrealistischer Diskurs oder seine Unfähigkeit, Rhetorik in die Tat umzusetzen, blossgestellt wurden. Der syrische marxistische Intellektuelle Elias Murkus führt als Beispiel an, wie die syrischen Baathisten die Muzawada einsetzten, um Jamal Abdul Nasser in den 1960er Jahren zu unterminieren, indem sie auf die Kluft zwischen seiner Rhetorik und seinen Taten in Bezug auf die Befreiung Palästinas hinwiesen. Murkus stellt jedoch fest, dass diese Verunglimpfung nicht so sehr einer echten Sorge um die Befreiung Palästinas entsprang, sondern vielmehr dem Wunsch, Nassers charismatischen Einfluss in Syrien und im Libanon zu schwächen.

In diesem Kontext ist es nicht verwunderlich, dass Palästina in der Geschichte der arabischen politischen Landschaft zum Hauptschauplatz solcher politischer «Übertrumpfungen» geworden ist. Entscheidend ist, dass die Muzawada nicht auf rhetorische Wettkämpfe beschränkt ist, auch wenn sie historisch gesehen auf diese Weise eingesetzt wurde. In Palästina entwickelte sich Muzawada in den 1990er Jahren vom rhetorischen Übertrumpfen zum «realisierten Übertrumpfen», bei dem die politischen Gruppierungen miteinander auf der Basis ihrer Fähigkeit konkurrierten, Widerstand aufzubauen und zu verwirklichen.

Die beiden Erscheinungsformen – die rhetorische und die realisierte Muzawada – sind von zentraler Bedeutung für das Verständnis der innerpalästinensischen politischen Rivalitäten. Während der Zweiten Intifada war das Auftauchen der Figur des «istishadi» eine solche Form der aktualisierten Übertrumpfung, da sie über die traditionelle «fidaʼi» hinausging. Die fidaʼi war eine Form der Selbstaufopferung, durch die man den Feind angriff, aber möglicherweise zum eigenen Stützpunkt zurückkehrte, während die istishadi eine Form der Selbstaufopferung von Kämpfern darstellte, die nicht vorhatten, zum Stützpunkt zurückzukehren, sondern töteten und getötet wurden, wodurch sie zu Märtyrern wurden.

Die Entstehung dieser neuen gegenhegemonialen Kraft um die Jahrhundertwende, die weitgehend auf die Initiative der Hamas und des Islamischen Dschihad zurückgeht, führte zu einer Neuformulierung des Widerstands durch die Schaffung neuer oppositioneller Modalitäten und einer neuen Form der Aufopferung für den Widerstand.

In der Zweiten Intifada bedeutete «übertrumpfen», seinen politischen Rivalen durch konkrete Widerstandsaktionen zu übertrumpfen. Bei dieser Form des innerpalästinensischen Wettbewerbs diente die Arbeit des Widerstands als ein Mittel, um interne politische Missstände nach aussen gegen den Kolonisator zu richten. Die palästinensischen Gruppierungen waren sich in der Ausrichtung ihrer politischen Aktionen einig, wetteiferten aber auch darum, ihre Rivalen durch die Verwirklichung diverser Widerstandshandlungen auszustechen.

Die aktuelle innere Zerrissenheit in Palästina beruht jedoch nicht auf einer Form des Übertrumpfens wie in der Zweiten Intifada und auch nicht auf der Idee, den internen Rivalen auszustechen. Vielmehr handelt es sich um eine Spaltung, die entstand, als die Palästinensische Autonomiebehörde die Zusammenarbeit mit Israel zur «heiligen» Sache erhob und die Fortführung des Widerstands als Farce bewertete. Am anderen Ende dieser Spaltung erwiesen sich die Hamas und der Islamische Dschihad als die aktivsten und führenden Kräfte des organisierten Widerstands. Die Spaltung nahm geografische, ideologische und politische Formen an.

Bei dieser Form des Übertrumpfens nutzte eine Seite der politischen Gleichung Israels militaristische Antwort auf den Widerstand, um zu verkünden: «Seht ihr? Das passiert, wenn ihr Widerstand leistet!» Damit wird die Suche nach einer Politik des Widerstands aufgegeben und stattdessen für politische Paralyse, Stillstand und Anpassung an Israel geworben, auf Kosten der langfristigen Fähigkeit der Palästinenser, Widerstand zu leisten.

Im Rahmen dieses Telos haben sich drei linke palästinensische Ansätze herausgebildet. Die erste ist eine Linke, die sich auf der Basis des «Säkularismus» und aufgrund ihrer organisatorischen Schwäche mit der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Kompradorenklasse verbündet, wie zum Beispiel die Palästinensische Volkspartei (PPP, ehemals Kommunistische Partei). Eine andere Linke positioniert sich mit islamistischen Kräften auf der Basis des gemeinsamen Widerstands gegen Kolonialismus, distanziert sich aber von ihnen im Hinblick auf die soziale Agenda, wie etwa die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). Eine dritte Linke setzt die Hamas mit der Palästinensischen Autonomiebehörde gleich, in der Hoffnung, als Alternative zu diesen beiden wahrgenommen zu werden. Sie vertritt scheinbar die Auffassung, dass «beide gleich schlecht sind», ist aber nicht in der Lage, eine soziale oder politische Alternative zu organisieren, so zum Beispiel die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP).

Der Gedanke, in der aktuellen politischen Landschaft Palästinas «sozial regressiv» oder «sozial progressiv» zu sein, ist, um es vorsichtig auszudrücken, ausserordentlich komplex. Wie können wir beispielsweise linke Parteien als «progressiv» bezeichnen, die Formen des sozialen Rückschritts und des politischen Autoritarismus im Westjordanland unterstützen, wie es derzeit die Überbleibsel der Kommunistischen Partei praktizieren? Wie definieren wir überhaupt «sozialen Rückschritt» im Kontext eines fortschreitenden Siedlerkolonialismus, der darauf abzielt, eine ganze Gesellschaft auszulöschen? Ist Widerstand gegen diesen Kolonialismus nicht an und für sich ein fortschrittlicher Akt, der die Enteigneten ermächtigt? Und ist die Kollaboration an sich nicht eine sozial regressive Kraft, weil sie die Kolonisierten unterwirft? Oder ist die verkündete Ideologie derjenigen, die Widerstand leisten, von grösserer Bedeutung?

Wie formulieren wir eine sozial fortschrittliche Agenda in konkreten Umständen wie jenen im Westjordanland, wo die Palästinensische Autonomiebehörde eine Kombination aus autoritären Methoden anwendet, auf Formen der Bankiers-Erziehung insistiert, auf traditionelle soziale Strukturen wie Familien und Clans setzt und im inneren Feind den ultimativen Feind sieht, wodurch sie die Voraussetzung für andauernden Bürgerkrieg und Spaltung schafft, da ein Teil der Palästinenser versucht, sich gegen koloniale Übergriffe und Verdrängung zu wehren. Nach rein «westlichen» Massstäben gibt es in Palästina keine vollkommen progressive Kraft, sondern nur progressive Elemente oder Tendenzen – selbst in politischen Formationen, die als regressiv abgestempelt werden.

Versteckte Kritik am bewaffneten Widerstand

In einer Reihe von Artikeln stossen wir auf eine verblüffende Verdrehung, die darauf abzielt, die Unterstützung für den Widerstand, insbesondere den bewaffneten Widerstand, zu untergraben. Immer mehr Menschen im «Westen» erkennen die Notwendigkeit und Wirksamkeit des Widerstands, oder zumindest, dass man nach dem jahrzehntelangen Versäumnis, die Ursachen und die Notwendigkeit des Widerstands zu ergründen, damit anfangen könnte, sich mit seiner Realität auseinanderzusetzen. Dazu gehört, dass man sich mit ihm befasst, ohne ihn zu banalisieren. Der Wandel in der westlichen Linken bedeutet nicht, dass diese sich plötzlich dem Islamismus verschrieben hätte, sondern dass sie das Wesen der Verhältnisse anerkennt, in denen die Palästinenser gefangen sind – eine brutale Siedlerkolonie, die sich weigert, mit den von ihr unterdrückten Menschen eine politische Sprache zu sprechen, die sich auf exzessive Gewalt sowie diplomatische und rechtliche Straffreiheit stützt und die ein komplexes System architektonischer, technologischer und indirekter Formen der Kontrolle anwendet.

Beunruhigender ist jedoch, dass die Beharrlichkeit und die Weiterentwicklung des bewaffneten Widerstands einigen der gängigen Theorien, Interessen und politischen Einstellungen der palästinensischen Intelligenz widersprechen, darunter auch der Angst vor einem echten Bruch mit dem kolonialen Regime, der es ermöglichen würde, mit der Dekolonisierungsarbeit zu beginnen.

Das sind Theorien, die seit Jahrzehnten fortbestehen und sich eines weit verbreiteten Arguments bedienen, wonach die Palästinenser auf bewaffneten Widerstand verzichten sollten, um im Westen und auf der Weltbühne im Allgemeinen ein positives Image zu pflegen.

Nach der vorherrschenden Meinung ist bewaffneter Widerstand grundsätzlich unvereinbar damit, Sympathien für die palästinensische Sache zu erlangen. Es wird eine bestimmte Lesart der Ersten Intifada als beispielhaftes Modell eines weitgehend gewaltlosen und gross angelegten Volksaufstandes fetischisiert, der in der Lage war, die Unterstützung der Massen, der Zivilgesellschaft und internationaler Rechtsorgane zu gewinnen und somit an die liberale Gesinnung westlicher Mainstream-Gesellschaften zu appellieren.

Freilich blendet diese Sichtweise den psychischen und ideologischen Druck aus, dem die Palästinenser nach der Zweiten Intifada ausgesetzt waren. Er zielte darauf ab, in das palästinensische Bewusstsein einzuhämmern, dass Widerstand zwecklos sei, dass bewaffneter Widerstand nur Schaden anrichte und dass die Palästinenser wegen der Machtasymmetrie nicht in der Lage seien, Israel militärisch zu konfrontieren, und dies entsprechend auch nicht tun sollten. Wie bei der Palästinensischen Autonomiebehörde wurde eine trotzige Alternative, die sich auf «Volkswiderstand» oder «friedlichen Volkswiderstand» stützt, lediglich als ideologisches und psychologisches Instrument verwendet, um das aufrechtzuerhalten, was Abu Mazen und die PA als «heilige Sicherheitszusammenarbeit» bezeichneten. Es gab nur sehr wenige Versuche, den Volkswiderstand zu organisieren. Zudem wurden diese Versuche häufig von der PA und ihrem Sicherheitssystem bekämpft und sowohl in Gaza als auch im Westjordanland mit schwerer Gewalt beantwortet.

Zu behaupten, dass die westliche Linke sich nun plötzlich zu Anhängern der Hamas entwickelt habe, ist zutiefst unredlich. Jodi Dean hat die Hamas nicht gefeiert, aber vielleicht empfand sie den Akt des Trotzes – den Aufstand zur Zerschlagung des kolonialen Regimes, das den Gazastreifen umgibt – als etwas Erheiterndes. Sie solidarisierte sich mit dem Teil der palästinensischen Linken, der sich am Widerstand beteiligt. Die meisten Palästinenser schlossen sich an diesem Tag Deans Meinung an, darunter viele, die später desillusioniert wurden oder ihre Ansichten revidierten, entweder aufgrund von ethischen Erwägungen oder wegen Israels Kampagne der Flächenbombardierung und des Völkermords, die manche zur Schlussfolgerung veranlasste, dass «es sich nicht lohnte».

Ja, es gibt viele Stimmen in Gaza, im Westjordanland und im übrigen palästinensischen Gemeinwesen, die die Hamas verabscheuen – aus einer Vielzahl von Gründen. Unter ihnen sind viele palästinensische «Linke», die ihre ideologischen Differenzen und die islamistisch-säkulare Kluft als Deckmantel für ihre generelle Ablehnung des «Widerstands» nutzen. Bassel Al-Araj sagte, wenn die Linke in Palästina mit den Islamisten mithalten wolle, so müsse sie sich durch Widerstand behaupten. Muzawada durch Aktion.

Letztlich ist die Hamas die zeitgenössische Artikulation einer langen Geschichte des Widerstands, zu der die Bauern des Palästina vor der Nakba gehören wie auch die palästinensischen Revolutionäre im Exil während der Anfangsjahre der PLO sowie die Islamisten, die in den 80er Jahren und danach auf breiter Ebene die Initiative übernommen haben.

Viele Vertreter der säkularen Linken sind mittlerweile verblasst und lehnen den Widerstand der Hamas nicht deshalb ab, weil sie von seinem unvermeidlichen Scheitern überzeugt sind, sondern vielmehr aus einer tiefsitzenden Angst vor seinem potenziellen Erfolg.

Es handelt sich dabei nicht nur um eine ethische Ablehnung der Gewaltanwendung, sondern auch um die Befürchtung, dass sich die Islamisten tatsächlich als effektiver erweisen könnten als die eigene, inzwischen weitgehend melancholische und demobilisierte politische Haltung. Derweil betrachten bestimmte Fraktionen innerhalb der palästinensischen Elite Israel als Leuchtturm der Moderne und werden von einer tiefen Angst vor ihrer eigenen, als «rückschrittlich» empfundenen Gesellschaft angetrieben – ein bezeichnendes Indiz für ihre ideologischen Veranlagungen, die der Verlockung des Anderen anheimfallen und sich vor dem emanzipatorischen Potenzial der palästinensischen Massen fürchten.

Es ist eines, mit der Hamas politische und ideologische Differenzen oder taktische Meinungsverschiedenheiten zu haben, zu denen ethische Bedenken gegenüber ihrer Zielsetzung oder ihren Kriegsführungsfähigkeiten gehören können. Aber das Mindestmass an Verständnis dafür zu untergraben, warum die Palästinenser in all ihren ideologischen Ausformungen und historischen Artikulationen den Widerstand in all seinen bewaffneten und unbewaffneten Formen als eine Notwendigkeit ansehen, ist eine andere. In der Tat ist es geradezu dreist, vor allem in einem Umfeld, in dem Professoren dafür gefeuert werden, dass sie auch nur die geringste Gefühlsregung oder symbolische Unterstützung für den palästinensischen Widerstand zum Ausdruck bringen.

Die Welt kann sehr wohl anerkennen, dass Widerstand notwendig ist und dass es Menschen gibt, die kämpfen, um das Verlorene zurückzugewinnen. Das geht über das Konzept der Opferschaft hinaus, auf das viele Liberale in Palästina und einige Linke unseren Kampf beschränken wollen – eine Form der palästinensischen Subjektivität, die nur Mitleid hervorruft.

Widerstand ist präpolitisch

Selbst ohne formelle bewaffnete Bewegungen oder strikte ideologische Formationen bildeten sich im Westjordanland kleine, informelle Gruppen – Vertrauenszirkel, Freundeskreise und kleine bewaffnete Einheiten, die über ideologische Grenzen hinausgingen. Folglich muss jede Analyse von konkreten Realitäten ausgehen. Idealisierte, starre Strukturen auf politische Gruppen zu projizieren, ist nicht nur sinnlos, sondern zeugt auch von intellektueller Faulheit und ausgeprägter Ignoranz gegenüber der Tatsache, dass diese Generation weiterhin Widerstand leisten wird.

Widerstand ist präpolitisch. Er entsteht organisch unter dieser Generation von Palästinensern, die weiterhin aus ihrem Land vertrieben werden und ihre Freunde und Angehörigen verlieren. Sie sind diejenigen, denen es gelingt, den latenten Widerstand zu organisieren und zu einer Kraft zu werden, mit der in der palästinensischen Gesellschaft zu rechnen ist. Widerstand ist eine Notwendigkeit, und selbst in seiner militarisierten Form erwächst er aus konkreten materiellen Realitäten und nicht nur aus ideologischen Entscheidungen.

Wie immer besteht die Befürchtung, dass unsere Kritik am Widerstand unter dem Vorwand erheblicher ideologischer Differenzen (die auch ich vertrete) dazu dient, die Möglichkeit von Widerstand schlechthin auszulöschen.

Die Hamas repräsentiert nur eines von vielen politischen Projekten und historischen Bemühungen, die von Israel auferlegte Eiserne Mauer zu durchbrechen. Sie mag scheitern oder erfolgreich sein, doch hat sie nichts getan, was andere progressive Kräfte in Palästina nicht auch versucht hätten. Vor allem aber ist die Hamas im Gazastreifen nicht nur ein externer Einfluss oder Import; sie ist untrennbar mit dem gesamten sozialen Gefüge verwoben und verdient zumindest, dass man sie nicht mit der simplen Begründung, sie sei «regressiv» oder «progressiv», pauschal zurückweist.

Die Hamas wird nicht aus der palästinensischen Politik verschwinden. Sie ist eine tatkräftige politische Einheit, die aus den Fehlern ihrer Vorgängerin, der PLO, gelernt hat, sowohl in der Kriegsführung als auch bei Verhandlungen. Sie hat ihre intellektuellen, politischen und militärischen Ressourcen akribisch darauf verwendet, Israel und sein psychisches Gravitationszentrum zu verstehen. Ob es uns nun gefällt oder nicht: Die Hamas ist jetzt die primäre Kraft, die den palästinensischen Kampf anführt.

Die Linke muss sich dieser grundlegenden Tatsache stellen. Man kann Solidarität mit Palästina nicht auf einer Politik gründen, die die Hamas ablehnt, ignoriert oder ausklammert. Eine solche Haltung verkennt die Komplexität und die Widersprüche, die dem palästinensischen Kampf innewohnen. So übersieht die Linke zu ihrem eigenen Nachteil die Trennlinie zwischen Kollaboration und Widerstand.
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1 Abdaljawad Omar ist Doktorand und Teilzeitdozent im Fachbereich Philosophie und Kulturwissenschaften an der Universität Bir Zait (Westjordanland).

Englischer Originaltext in Mondoweiss. Übersetzt mit Hilfe von DeepL.