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Camp Bondsteel, eine der grössten US-Militärbasen in Europa, wurde 1999 in die kosovarische Landschaft hineingepflanzt. Offiziell das Hauptquartier für den Einsatz der Besatzungstruppen im Kosovo (KFOR). Von der Dimension her wohl vor allem ein strategischer Stützpunkt der Nato auf ihrem steten Drang nach Osten. Bild: Wikipedia

Die kosovarischen Wurzeln des Ukraine-Konflikts

Am 24. März 1999, als sie die Luftangriffe gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (damals bestehend aus Serbien und Montenegro) begann, hatte die Nato das fragile Gleichgewicht gebrochen, das seit dem Ende des kalten Krieges bestand. In der Tat haben sich die Westmächte durch diese ausgeprägte Aggression gegen einen Staat, der sie in keiner Weise bedroht hatte, von den Regeln des Völkerrechts auf doppelte Weise gelöst. Zum einen wurde der sogenannte Kosovo-Krieg nicht vom UN-Sicherheitsrat genehmigt, dem einzigen Gremium, das befugt ist, eine bewaffnete Intervention von aussen zu genehmigen. Auf der anderen Seite bestand das Ziel dieses Krieges, der als «humanitär» bezeichnet wurde, – wie sich bald herausstellen sollte – darin, ein Staatsgebilde aus einem Teil seines Territoriums zu amputieren, was 2008 durch die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo formalisiert wurde. Diese ist dann auch von den meisten Westmächten gefördert oder sogar organisiert worden [unter tatkräftiger Mitwirkung der Schweiz].

In diesem März 1999 hatte auch die erste Erweiterung der Nato seit 1982 stattgefunden, indem drei ehemalige Mitglieder des Warschauer Vertrags (Ungarn, Tschechien, Polen) in das atlantische Bündnis aufgenommen wurden, was eindeutig gegen das Versprechen verstiess, das mehrere westliche Regierungsvertreter gegenüber Gorbatschow abgegeben haben, darunter US-Aussenminister James Baker, der ihm zugesichert hatte, dass sich die Nato «nicht einen Zentimeter nach Osten» ausdehnen werde1.

Moskauer Warnungen ignoriert

Während der Krieg es Washington ermöglichte, seine Rolle als Führer über seine europäischen Vasallen und als Weltpolizist zu bekräftigen, belastete er ernsthaft die Beziehungen der USA zu Moskau. Dieses musste plötzlich erkennen, dass das Völkerrecht keine Leitplanke für seine westlichen Partner darstellte. Trotz der Schocktherapie und dem Zusammenbruch des Lebensstandards, den das Regime von Boris Jelzin der russische Bevölkerung auferlegte, hatte diese bis dahin gewisse Illusionen über das westliche Wohlwollen ihr gegenüber. Durch die 78-tägige Bombardierung eines «Bruderlandes», das mehrheitlich slawisch und orthodox ist und in allen kriegerischen Konflikten des 19. und 20. Jahrhunderts verbündet war, hat sich die Nato für die Mehrheit der Russen eindeutig als feindliche Macht entpuppt2. In der Folge ernannte ein völlig diskreditierter Jelzin im August 1999 Wladimir Putin zum Regierungschef und überliess ihm neun Monate später den Präsidentenstuhl. Zusammen mit einer dramatischen wirtschaftlichen Erholung begann Moskau, seine Besorgnis über den Unipolarismus der Vereinigten Staaten offen zu zeigen.

Aber Washington scherte sich nicht um diese Alarmzeichen und marschierte der Reihe nach in Afghanistan und den Irak ein. Obwohl sich einige europäische Länder von diesen neuen Verstössen gegen das Völkerrecht distanzierten, vertieften sie das Misstrauen Moskaus gegenüber dem westlichen Lager weiter. Die neue Nato-Erweiterung von 2004 – sieben neue Mitglieder, darunter drei ehemalige Sowjetrepubliken – wurde von Russland offen als Bedrohung seiner Sicherheit angeprangert. In seiner berühmten Münchner Rede vom Februar 20073 zögerte Putin nicht länger, die Erweiterung der Nato offen zu kritisieren; er plädierte dabei für «universelle und unteilbare» Sicherheit, ein Konzept, das für westliche Führer so gute wie unverständlich war. Aber es bestand kein Zweifel mehr, dass die «Ost-West-Idylle» damit zu Grabe getragen war.

Antwort des Hirten an die Hirtin

Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Februar 2008 und seiner sofortigen Anerkennung durch die Mehrheit der Nato-Mitglieder unter Verstoss gegen das Abkommen, das den Krieg von 19994 beendet hatte, zeigte Moskau, dass es nicht mehr gewillt ist, bei verbalen Proteste zu verharren. Einige Monate später, im August, wurde die russische Reaktion deutlich: von den Streitkräften Georgien angegriffen, appellierten zwei sezessionistische Regionen der Kaukasus-Republik – Abchasien und Südossetien – an die russische Armee, die die Angreifer dann auch abwehrte; und der Kreml anerkannte die Unabhängigkeit dieser beiden Gebiete.

Wenn das Schicksal Serbiens und des Kosovo Russland (und dem Rest der Welt) gezeigt hat, dass der Westen das «Recht des Stärkeren» bevorzugt, ist es durchaus verständlich, dass Moskau die Einkreisungsmanöver der Nato nicht länger tolerieren konnte. Im April 2008 beschloss der Bukarester Gipfel, dass zwei weitere Republiken der UdSSR, die Ukraine und Georgien, zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt «Nato-Mitglieder» werden sollen. Während die Wahl von Viktor Janukowitsch zum ukrainischen Präsidenten im Januar 2010 dieses Projekt der Nato-Annäherung des Landes vorläufig zum Erliegen brachte, wurde sie während seines Sturzes im Februar 2014 anlässlich der Ereignisse auf dem Maidan sogleich wiederbelebt, gefolgt von der Entstehung eines russophoben und prowestlichen Regimes in der Ukraine. Die Fortsetzung ist bekannt: Anschlussreferendum der Krim, wo Russland den grössten Teil seiner Flotte konzentriert hatte, Unterstützung für Donbass-Aufständische, von der Ukraine mit Billigung des Westens nicht eingehaltene Minsker Abkommen, und der aktuelle Krieg.

Die von Moskau vorgebrachten Kriegsziele – Entnazifizierung, Entmilitarisierung, Unterstützung der Russischsprachigen in der Ukraine – sind sicherlich zweitrangig gegenüber der grossen «roten Linie», die darin besteht, eine weitere Erweiterung der Nato zu vermeiden. Dass mit einem Nato-Beitritt Kiews Russland plötzlich eine 1500 Kilometer lange direkte Grenze zum aggressiven Militärpakt erhält, konnte für Russland nicht akzeptabel sein. Ob Russland die Intervention von 2022 als einzige Option blieb, mag dahingestellt bleiben. Aber der Westblock, der ein solches Vorgehen seit der Bombardierungskampagne gegen die Bundesrepublik Jugoslawien vor 25 Jahren mehrmals missbräuchlich [und ohne selbst direkt bedroht gewesen zu sein] angewendet hat, ist besonders schlecht positioniert, um Russland zu kritisieren. [Und hätte die Nato im April 2022 den Friedensschluss nicht hintertrieben, wäre der Konflikt eine kurze Episode geblieben].
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1 M. E. Sarotte, Not One Inch. America, Russia, and the Making of Post-Cold War Stalemate, the Henry L. Stimson Lectures Series, Yale University Press, 30.

2 Roman Shumov, Ruins of Yugoslavia: How Russia learned that Nato poses a threat, Russia Today, 24.

3 Wladimir Putin, Rede des russischen Präsidenten zur Sicherheit, Weltperspektive, 10. Februar 2007.

4 Resolution 1244 (1999), angenommen vom Sicherheitsrat auf seiner 4011. Sitzung, Vereinte Nationen, 10. Juni 1999.
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Dieser Artikel beruht auf einem Text von Georges Berghezan, im Mai 2024 bei Alerte Otan des Comité Surveillance OTAN erschienen.