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Paradoxerweise dürften gerade die regierungsfeindlichen Demonstrationen gegen das sogenannte Agentengesetz vom Frühjahr 2024 in Georgien ein Umdenken über eine zu enge Westbindung eingeleitet haben. Die unverschämte Einmischung in Georgiens innere Angelegenheiten – gleich 4 Aussenminister aus Nato-Staaten waren an den Protesten öffentlich aufgetreten, und die USA erliessen Sanktionen gegen georgische Parlamentarier wegen unliebsamen Abstimmungsverhaltens – haben die Augen für die Gefahr einer totalen Abhängigkeit vom Westen geöffnet.

Kollabierendes Imperium: Georgien und Russland stellen Diplomatie wieder her

von KIT KLARENBERG, 15. Juni 2024

Wie georgische Medien berichten, arbeitet Tiflis nun «aktiv» an der Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen des Landes zu Moskau, die Tiflis im August 2008 nach seiner Niederlage in einem verhängnisvollen fünftägigen Krieg mit Russland abgebrochen hatte. Auch wenn das für aussenstehende Beobachter banal erscheinen mag, so handelt es sich doch um eine seismische Entwicklung, die das aussergewöhnliche Tempo und Ausmass des selbstverschuldeten Zusammenbruchs des US-Imperiums verdeutlicht.

Über Jahrzehnte hinweg hat Washington enorm viel Energie und Geld investiert, um Georgien gegen Russland aufzuhetzen. Tiflis ist kulturell, wirtschaftlich und historisch eng mit seinem grossen Nachbarn verbunden. Heute herrscht eine weit verbreitete Nostalgie gegenüber der Sowjetunion, und Josef Stalin ist für die überwiegende Mehrheit der Bürger nach wie vor ein lokaler Held. Obwohl eine euro-atlantische Integration und Mitgliedschaft in der EU und NATO von der Öffentlichkeit stark unterstützt wird, haben die jüngsten Entwicklungen viele Georgier dazu veranlasst, die Beziehungen ihres Landes zum Westen zu überdenken.

Seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2012 hält die Regierungspartei Georgischer Traum eine delikate Balance zwischen der Stärkung der Beziehungen zum Westen und der Aufrechterhaltung der zivilen Koexistenz mit Moskau. Nach dem Ausbruch des Stellvertreterkonflikts in der Ukraine ist das zu einem immer schwierigeren Unterfangen geworden, da der Druck von aussen, Sanktionen gegen Russland zu verhängen und Waffen nach Kiew zu liefern, ständig zunimmt. Vor diesem Hintergrund gab es mehrere offensichtliche Versuche, die Regierung zu stürzen und eine kriegslustigere Regierung zu installieren.

Um die Gefahr eines Staatsstreichs durch die in- und ausländischen Gegner des Georgischen Traums zu neutralisieren, wurde ein Gesetz verabschiedet, das aus dem Ausland finanzierte Nichtregierungsorganisationen (NRO) – von denen es in Tiflis über 25 000 gibt – unter Druck setzt. Die Verabschiedung des Gesetzes führte zu einer erbitterten Auseinandersetzung mit der EU und den USA, die damit endete, dass die Parlamentarier, die für das Gesetz gestimmt hatten, von Washington sanktioniert wurden unter Androhung weiterer Massnahmen. Dabei wurden die georgischen Bürger mit der giftigen Realität ihrer Beziehungen zum Westen konfrontiert. Und sie waren nicht begeistert.

‹Ausländische Hilfe›

In den zeitgenössischen Medienberichten über die ukrainische Maidan-«Revolution» von 2014 wird entweder die eindeutige Rolle des Westens beim Schüren der «Revolution» ignoriert oder als russische «Desinformation» oder «Verschwörungstheorie» abgetan. Seit dem Beginn des Stellvertreterkonflikts weisen westliche Journalisten jegliche Andeutungen, dass es sich bei dem Aufstand in Kiew um etwas anderes als einen überwältigenden – wenn nicht gar universellen – Volksaufstand gehandelt habe, noch aggressiver zurück.

Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass das Imperium ungeniert damit prahlte, im gesamten Gebiet der ehemaligen Sowjetunion «farbige Revolutionen» orchestriert zu haben, von denen der Maidan in Zukunft sicherlich als die letzte Folge gelten wird. Im Jahr 2005 veröffentlichte der Geheimdienstausschuss USAID ein schickes Magazin mit dem Titel «Democracy Rising», das ausführlich dokumentiert, wie Washington in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts hinter einer Welle aufständischer Unruhen stand – in Georgien, Kirgisistan, Libanon, der Ukraine, Jugoslawien und anderswo.

Ein Auszug aus «Democracy Rising»

Zwei Jahre zuvor hatte die von Washington finanzierte Rosenrevolution den langjährigen georgischen Staatschef Eduard Schewardnadse gestürzt und ihn durch den handverlesenen, in den USA ausgebildeten Micheil Saakaschwili, einen engen Vertrauten von George Soros, ersetzt. Schewardnadse hatte seit Tiflis’ Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahr 1991 eifrig als engagierter Agent des Imperiums gedient und sein Land für weitreichende Privatisierungen zugunsten westlicher Investoren und für eine umfassende gesellschaftliche und politische Unterwanderung durch westlich finanzierte Organisationen geöffnet.

Es ist eine bittere Ironie, dass diese Unterwürfigkeit Schewardnadse letztlich zum Verhängnis wurde. Brüssel und Washington nutzten den Spielraum, um die Weichen für seinen Sturz zu stellen, indem sie Personen und Organisationen finanzierten, die in der Rosenrevolution als Schocktruppen dienen sollten. So enthüllt «Democracy Rising», dass im Jahr 1999 US-Gelder «den Georgiern dazu verhalfen, ein Gesetz über die Informationsfreiheit auszuarbeiten und zu unterstützen, das dann von der Regierung verabschiedet wurde». Dadurch gelang es den westlich finanzierten Medien und Nichtregierungsorganisationen, «die Haushaltspläne der Regierung zu untersuchen und die Entlassung eines korrupten Ministers zu erzwingen».

Darüber hinaus finanzierten die USA die Ausbildung von «Anwälten, Richtern, Journalisten, Parlamentsmitgliedern, Nichtregierungsorganisationen, Parteiführern und anderen», um einen Krieg gegen deren Regierung zu führen. Offiziell sollte diese Grosszügigkeit dazu dienen, «den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie die Regierung kontrollieren sollten». Laut «Democracy Rising» war «die Rosenrevolution der Höhepunkt dieser Bemühungen». Nach den Wahlen in Tiflis im November 2003 ergaben US-finanzierte Meinungsumfragen das Meinungsbild, dass das offizielle Ergebnis, das den Sieg einer Koalition von Pro-Schewardnadse-Parteien anzeigte, gefälscht war.

Scharen von regierungskritischen Aktivisten aus dem ganzen Land strömten daraufhin mit von Washington bezahlten Bussen zum Parlamentsgebäude in Tiflis. Wochenlang kam es zu landesweiten Demonstrationen, die von US-finanzierten NRO und Aktivistengruppen angeführt wurden und am 23. November ihren Höhepunkt erreichten, als die Aktivisten das Parlament stürmten und dabei Rosen schwenkten. Schon am nächsten Tag erklärte Schewardnadse seinen Rücktritt. Ein Empfänger westlicher Hilfsgelder bemerkte in «Democracy Rising»: «Ich bin mir nicht sicher, ob wir ohne ausländische Hilfe hätten erreichen können, was wir erreicht haben, ohne dass es zum Blutvergiessen gekommen wäre.»

Wie die USAID-Broschüre anmerkt, sind viele von den US-finanzierten und -geschulten Akteuren in Georgien, die in der Rosenrevolution eine zentrale Rolle spielten, später zu Beamten in Saakaschwilis Regierung aufgestiegen. Einer von ihnen, Surab Tschiaberaschwili, wurde von 2003 bis 2004 zum Vorsitzenden der Zentralen Wahlkommission von Tiflis ernannt. Anschliessend war er Bürgermeister von Tiflis. «Democracy Rising» zitierte ihn mit folgenden Worten:
«Mit Hilfe der USA wurden neue Führungspersönlichkeiten geboren [… Die USA] halfen guten Menschen, eine schlechte und korrupte Regierung loszuwerden [… Diese Hilfe] erweckte zivile Akteure zum Leben, und als der kritische Moment kam, verstanden wir uns wie eine eingespielte Fussballmannschaft.»

‹Demonstrationen des Willens›

Foreign Policy, die Hauszeitschrift des Imperiums, hat eingeräumt, dass die Ergebnisse der «Rosenrevolution» «furchtbar enttäuschend» waren. Weitreichende Veränderungen seien «nie wirklich eingetreten», und «die Korruption der Eliten ging unvermindert weiter». Saakaschwili war weder demokratischer noch weniger autoritär als sein Vorgänger – tatsächlich war seine Herrschaft in vielerlei Hinsicht brutaler und diktatorischer als die von Schewardnadse. Seine Verwicklung in mehrere verdächtige Todesfälle wirft Fragen auf; er wies die Sicherheitsdienste an, Rivalen zu ermorden, und auf sein persönliches Geheiss hin entwickelten sich Gefängnisse zu politisierten Folter- und Vergewaltigungsanstalten.

Doch das Imperium konnte Saakaschwili all das verzeihen, zumal er die wirtschaftliche Vergewaltigung und Plünderung seines Landes erleichterte und – was noch entscheidender war – die antirussische Agitation seitens Tiflis auf lokaler und internationaler Ebene anheizte. Der Kreuzzug erreichte im August 2008 einen blutigen Höhepunkt, als georgische Streitkräfte mit Unterstützung der USA begannen, zivile Stellungen in den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien zu beschiessen. Moskau griff ein und verteidigte die beiden Gebiete entschlossen. In den darauf folgenden Gefechten wurden 200 000 Einheimische vertrieben und Hunderte getötet.

Nach dem Ende des Krieges besuchte der dissidente Journalist Mark Ames die Orte der Kampfhandlungen. Dort wurde er Zeuge einer «epischen historischen Wende» – «den ersten Ruinen von Amerikas imperialem Niedergang». Die georgische Armee war jahrelang von den USA ausgebildet, bewaffnet, gekleidet und verpflegt worden, nur um dann in einem russischen Blitzkrieg vernichtend geschlagen zu werden – und da war «keine amerikanische Kavallerie im Anmarsch». Aufgrund dieser Erkenntnisse aus erster Hand bezeichnete Ames den Zeitpunkt des Kriegsausbruchs in jenem Jahr als «den Tag, an dem Amerikas Imperium starb».

Eine Strasse in Tiflis, Georgien

Ames hatte Georgien bereits im Jahr 2002 besucht, um über die Ankunft von US-Militärberatern in dem Land zu berichten. Der Journalist schreibt: «Damals befand sich das amerikanische Imperium im Höhenflug.» Das TIME-Magazin hatte kurz zuvor den Amtsantritt von George W. Bush mit einer Kolumne gefeiert, die erklärte, Washington sei «die dominierende Macht in der Welt, dominanter als jede andere seit Rom», und daher in der Lage, «Normen umzugestalten, Erwartungen zu verändern und neue Realitäten zu schaffen», und zwar durch «kompromisslose und unerbittliche Demonstrationen des Willens».

Die militärische Expansion der USA nach Georgien war eine dieser kühnen «Demonstrationen des Willens». Amerikanische Berater wurden angeblich entsandt, um Tiflis’ Soldaten für den Kampf gegen den «Terrorismus» auszubilden. Doch in Wirklichkeit, so schrieb Ames, ging es darum, sie «für wichtige ausgelagerte imperiale Pflichten» zu schulen. Man erwartete, dass «Georgien für das amerikanische Imperium das tun würde, was die Callcenter in Mumbai für Delta Airlines geleistet haben: grössere Erträge zu einem Bruchteil der Kosten zu liefern». Der Vorstoss würde auch Washingtons «strategische Kontrolle über das unerschlossene Öl in der Region» sicherstellen.

Der Vorteil für Georgien? «[Moskau] würde sich nicht mit ihnen anlegen, denn das hiesse, sich mit uns anzulegen – und das würde niemand wagen.» Tatsächlich erwies sich Saakaschwilis innige Freundschaft mit dem Westen jedoch keineswegs als abschreckend. Ausserdem sei Russland nach dem erfolgreichen Blitzkrieg «betrunken von seinem Sieg und den Möglichkeiten, die er mit sich bringen könnte»:
«Jetzt ist es aus für uns. Das ist vor Ort klar ersichtlich. Aber es wird Jahre dauern, bis Amerikas politische Elite diese Tatsache auch nur ansatzweise zu erfassen beginnt […] Wir sind in einen gefährlichen Moment der Geschichte eingetreten – das im Niedergang begriffene Amerika reagiert hysterisch, jammert und kreischt und schlägt wild um sich, verzweifelt bemüht, zu beweisen, dass es noch Zähne hat. Russland ist derweil so beflügelt von seinem Sieg wie ein Hollywood-Speedballer […]. Wenn wir Glück haben, überleben wir den demütigenden Niedergang […] ohne uns oder dem Rest der Welt allzu grossen Schaden zuzufügen.»

Der Maidan-Putsch hat deutlich gezeigt, dass das Imperium keine Lehren aus dem Krieg von 2008 gezogen hat, und dass sich Ames’ Hoffnung, Washingtons «demütigender Niedergang» könne von US-Bürgern und -Politikern gleichermassen verkraftet werden, «ohne uns selbst oder dem Rest der Welt allzu grossen Schaden zuzufügen», als vergeblich erwies. Der Westen ringt nun damit, sich mit seiner unbestreitbaren Niederlage in der östlichen Steppe der Ukraine auseinanderzusetzen und zu akzeptieren, dass seine langjährigen Bemühungen, Moskaus «nahes Ausland» zu absorbieren, gescheitert sind, wobei er offen über ein direktes Einschreiten in den Stellvertreterkonflikt nachdenkt. Gott, hilf uns allen.
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Englischer Originaltext in Global Delinquents. Übersetzt mit Hilfe von DeepL.