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3 Fragen über die Freilassung von Julian Assange

von GRÉGOIRE LALIEU, 25. Juni 2024

Julian Assange konnte das Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh verlassen, in dem er seit 2019 in Erwartung einer möglichen Auslieferung an die USA inhaftiert war. Dort hätte ihm nach dem Espionage Act der Prozess gemacht und eine 175-jährige Haftstrafe verhängt werden können. Es konnte jedoch eine Einigung mit den US-Behörden erzielt werden. Der WikiLeaks-Gründer erklärte sich bereit, sich der «Verschwörung zur Beschaffung und Weitergabe von Informationen der nationalen Verteidigung» schuldig zu bekennen. Auf dem Weg zu einem US-Gericht auf den Marianen sollte Assange eine 52-monatige Haftstrafe erhalten, die er bereits in der Untersuchungshaft in Belmarsh verbüsst hat. Nach dieser Formalität kann er in sein Heimatland Australien zurückkehren. Viktor Dedaj, der sich seit vielen Jahren für die Freilassung von Assange einsetzt, reagiert auf diese letzte Wendung.

Investig’Action: Assange war Gegenstand einer regelrechten Hetzjagd der USA. Er starb einen langsamen Tod unter folterähnlichen Bedingungen im Belmarsh-Gefängnis. Und seine Zukunft war mehr als ungewiss, da immer noch die Gefahr einer Auslieferung bestand. Wie ist es zu erklären, dass jetzt eine Vereinbarung über seine Freilassung getroffen wurde?

Viktor Dedaj: Unter denjenigen, die den Fall genau verfolgen, gab es schon seit einiger Zeit Gerüchte über eine mögliche Einigung. Für die USA ist es eine Möglichkeit, das Gesicht nicht zu verlieren und doch eine Verurteilung zu erreichen. Bei einer Auslieferung und einem Prozess wegen Spionage auf US-Territorium drohten Assange jedoch bis zu 175 Jahre Haft. Hier würde er eine Haftstrafe von 52 Monaten erhalten, die er bereits in Belmarsh verbüsst hat. Dies zeigt, wie wenig die Justiz in dieser Geschichte eine Rolle spielte, sie wurde vor allem politisch instrumentalisiert.

Dass es jetzt zu dieser Einigung kommen konnte, liegt in erster Linie daran, dass das Establishment in den USA gespalten ist. Gewiss, die Geheimdienste wollten Assange das Fell über die Ohren ziehen. Aber im Rennen um das Weisse Haus ist diese Freilassung wahrscheinlich das einzig Positive, das Biden bei einem Teil seiner Wählerschaft geltend machen kann.

Zweitens hatten sich die USA selbst auf ein Nebengleis manövriert. Als der britische High Court im Februar über die Möglichkeit der Verteidigung von Assange, eine letzte Berufung einzulegen, zu entscheiden hatte, forderte er von Washington Garantien. Es war das erste Mal, dass zwei Richter den Fall wirklich ernst zu nehmen schienen. Sie waren insbesondere darüber besorgt, ob Assange als australischer Staatsbürger in einem möglichen Verfahren auf US-amerikanischem Boden vom ersten Verfassungszusatz profitieren könnte. Die Antwort auf diese Garantien kam am letzten Tag der gesetzten Frist. Sie stammte nicht vom Justizministerium, sondern von der US-Botschaft. Und der Beamte, der sie wahrscheinlich gekritzelt hatte, antwortete, dass Julian sich auf den ersten Verfassungszusatz berufen könne. Diese Form der Beiläufigkeit deutete an, dass für Washington der Fall von vornherein gewonnen war. Das gefiel den beiden britischen Richtern wahrscheinlich nicht. Die USA mussten also einen Rückzieher machen und eine Einigung erzielen, um ihr Gesicht zu wahren. Zugegeben, die Strafe, die Assange auferlegt wurde, entspricht wahrscheinlich nicht Ihren Erwartungen. Aber man muss dennoch anmerken, dass er sich für etwas schuldig bekennen musste, was er nicht getan hat. Darüber hinaus ist Assange kein US-Bürger und hat keine Straftat auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten begangen. Die Verurteilung bestätigt also den extraterritorialen Charakter der US-Gesetze. Es bleibt zu hoffen, dass die Entscheidung nicht in den Marmor der Rechtsprechung eingehen wird.

Was wird aus Julian Assange? Wird er seinen Kampf mit WikiLeaks fortsetzen?

Das Verfahren unterliegt ausgehandelten Bedingungen. Soweit ich weiss, wurden sie nicht veröffentlicht. Und sie werden es wahrscheinlich auch nie sein, wenn dies Teil der Vereinbarung ist.

Ich habe heute Nacht eine Diskussion mit einigen Leuten verfolgt, die Julian Assange gut kennen. Dabei kam heraus, dass er sich erst einmal eine Auszeit nehmen wird, dass er nicht aufhören, aber wahrscheinlich in anderen Bereichen weiterarbeiten wird.

Ich erinnere daran, dass die Technologie von WikiLeaks den Mainstream-Medien zur Verfügung gestellt worden war, die aber nichts damit gemacht haben. Das ist nicht überraschend. Als Bradley, aus dem Chelsea Manning geworden war, seine Enthüllungen über Kriegsverbrechen im Irak liefern wollte, hatte er sich zunächst an die New York Times und die Washington Post gewandt. Diese grossen Zeitungen gingen jedoch nicht darauf ein. Es gibt rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Für einen durchschnittlichen Journalisten in den USA sind diese drei Dinge heilig: Gott, das Tragen von Waffen und die nationale Sicherheit. WikiLeaks hatte die rote Linie in Bezug auf die nationale Sicherheit überschritten. Wir haben es gekostet, es war sehr gut, aber für den Koch ist es teuer geworden, und er verdient es, dass wir ihn jetzt in Ruhe lassen. Vielleicht wird in ein paar Generationen jemand die Fackel übernehmen. In der Zwischenzeit könnte sich Julian Assange mit anderen Kämpfen beschäftigen, die er schon lange führte, insbesondere im Internet. Er hatte zum Beispiel ein Projekt, um die Authentizität der im Netz archivierten Daten zu gewährleisten.

Welche Lehren ziehen Sie aus diesem Fall?

Ich werde die Anti-Oscar-Verleihung machen und mit denen beginnen, denen man nicht dankt: den grossen Medien, die nichts für die Freilassung von Assange getan haben; und den Politikern mit Ausnahme von führenden Politikern in Lateinamerika und einigen mutigen Menschen in Europa.

An dieser Geschichte konnte man erkennen, wie gefährlich das Recht auf Wissen als Waffe ist. WikiLeaks stellte eine existentielle Bedrohung für alle korrupten Mächte dar. Wir werden auch festhalten, dass sich der Kampf auszahlt. Ich wage zu behaupten, dass die starke Mobilisierung der Bürger und der alternativen Medien den Ausschlag gegeben hat. Ohne sie hätten die USA ihr Katz-und-Maus-Spiel mit Assange fortsetzen können.
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Quelle: Investig’Action. Das Format «Michel Midi» der belgisch-französischen Plattform Investig’Action war der erste Ort auf europäischem Boden, auf dem nach dem Beginn der Verfolgung Julian Assanges eine öffentliche Solidaritätsveranstaltung stattfand.