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Ein Bataillon bestehend aus 400 kenianischen Polizisten traf am 25. Juni in Haiti ein, um die von Washington konzipierte und finanzierte Multinationale Sicherheitsunterstützungsmission (MSS) zu starten.

Haiti: Eine Carte Blanche für die Schwarzen Masken

Der Kampf zwischen kenianischen Polizisten und dem haitianischen Volk beginnt in Kürze.

von KIM IVES, 26. Juni 2024

Unter der Schirmherrschaft und im Hauptquartier von Washingtons Ministerium für Koloniale Angelegenheiten, auch bekannt als Organisation Amerikanischer Staaten (Organization of American States, OAS), unterzeichneten Gandy Thomas, Haitis amtierender Botschafter bei der OAS, und Lazarus O. Amayo, Kenias Botschafter in den USA, am Freitag, 21. Juni 2024, ein Abkommen über den Status der Streitkräfte (Status of Forces Agreement, SOFA), das die Parameter der Multinationalen Sicherheitsunterstützungsmission (Multinational Security Support [MSS] Mission) festlegt. Kenianische Polizisten werden als Kommandanten der MSS auftreten, obwohl sie in Wirklichkeit die Befehle und Anweisungen ihres Auftraggebers – Washingtons – befolgen werden.

Der Hauptzweck des SOFA besteht darin, die Soldaten der US-Stellvertretertruppe vor jeglicher Strafverfolgung zu schützen für die Verbrechen, die sie in den kommenden Tagen mit Sicherheit begehen werden, wenn sie versuchen, den haitianischen Widerstand gegen ihren illegalen Einsatz in Haiti zu ersticken.

«Das gesamte Personal der MSS, einschliesslich des vor Ort rekrutierten Personals, geniesst Immunität vor gerichtlicher Verfolgung für alle Handlungen, die es in Ausübung seiner offiziellen Funktionen begeht (einschliesslich seiner Worte und Schriften)», heisst es im SOFA (Hervorhebung des Verfassers). «Die Immunität gilt auch dann noch, wenn die Betroffenen nicht mehr zum Personal gehören oder nicht mehr im Dienst der Mission stehen und nachdem die anderen Bestimmungen des Abkommens abgelaufen sind.»

Mit anderen Worten: Die MSS könnte Bomben auf dicht besiedelte Slumviertel abwerfen, mit Maschinengewehren auf Demonstranten schiessen, Wasserläufe und Seen mit Abwasser und Chemikalien vergiften oder haitianische Jungen und Mädchen vergewaltigen, aber das haitianische Volk wird nichts dagegen unternehmen können … rechtlich gesehen.

Schliesslich hat die Immunitätsklausel der MSS fast genau denselben Wortlaut wie diejenige der Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Haiti (Mission des Nations Unies pour la stabilisation en Haïti, MINUSTAH), die all das oben Genannte tat, als sie Haiti von 2004 bis 2017 besetzte.

MINUSTAH-Truppen, die Haiti von 2004 bis 2017 besetzten, hatten praktisch das gleiche SOFA-Abkommen wie die MSS.

Als die nepalesischen MINUSTAH-Truppen Ende 2010 ihre mit Cholera verseuchten Abwässer achtlos in den Oberlauf des Flusses Artibonite sickern liessen, versuchten die Vereinten Nationen zunächst, diese kriminelle Fahrlässigkeit zu verharmlosen und zu vertuschen. Dadurch verschlimmerte sich eine jahrzehntelange Cholera-Epidemie (die erste in Haiti), an der über 10 000 Haitianer starben und fast eine Million erkrankten.

Anwälte der haitianischen Opfer bemühten sich um Entschädigung für die Cholera-Epidemie, zuerst über das UNO-System und dann vor US-Gerichten, aber sie hatten keinen Erfolg. Die «Immunität» der UNO (die Haitianer nennen es «Straflosigkeit») wurde von Washingtons Anwälten hartnäckig verteidigt.

Auch die brasilianischen Truppen, die Cité Soleil mit Brandbomben bewarfen und viele Demonstranten erschossen, sowie die srilankischen und uruguayischen Truppen, die Kinder vergewaltigten, wurden in Haiti nicht strafrechtlich verfolgt, so wie viele andere von den MINUSTAH-Truppen begangene Verbrechen.

Inzwischen ist ein Bataillon bestehend aus 400 kenianischen Weisshelmen am 25. Juni in Haiti gelandet, obwohl ein hoher Gerichtshof im vergangenen Januar den Einsatz untersagt hatte. Das kenianische Kontingent der MSS soll schlussendlich aus etwa 1000 Polizisten bestehen, ergänzt durch eine kleinere Anzahl von Polizisten aus Benin, Tschad, Senegal, Burundi, Chile, Jamaika, den Bahamas, Barbados, Ecuador und den Seychellen, sodass sich die Gesamtzahl auf etwa 2600 belaufen wird.

Am selben Tag stürmten Tausende von Kenianern das Parlament in Nairobi. Es war der jüngste Höhepunkt monatelanger massiver Demonstrationen gegen die Kürzung der Treibstoffsubventionen und die geplanten Steuererhöhungen um 2,7 Milliarden Dollar, alles nur, damit Kenia dem Internationalen Währungsfonds (IWF) weiterhin Zinszahlungen leisten kann für seine erdrückenden Schulden in Höhe von 48 Milliarden Dollar, die es niemals wird zurückzahlen können. Anführer der Proteste wurden entführt, und es hat sich bestätigt, dass in den letzten Tagen mindestens zwei Demonstranten von Polizisten getötet wurden.

Nach langjährigen Aussagen zahlreicher Menschenrechtsgruppen und UNO-Sonderberichterstatter ist die kenianische Polizei die brutalste und korrupteste in ganz Afrika. Sie unterhält ihre eigenen Todesschwadronen, und vor weniger als einem Jahr, im Juli 2023, erklärte das UNO-Menschenrechtsbüro, es sei «sehr besorgt über die weit verbreiteten Übergriffe und die Vorwürfe unnötiger oder unverhältnismässiger Gewaltanwendung – auch durch den Einsatz von Schusswaffen – durch die Polizei bei Protesten in Kenia. Berichten zufolge sind bei den Demonstrationen in der vergangenen Woche bis zu 23 Menschen getötet und Dutzende verletzt worden.»

Andere Dokumente, die die MSS regeln, wie die Konzeption der Operationen (Conception of Operations, CONOPS) und die Einsatzregeln (Rules of Engagement), wurden noch immer nicht veröffentlicht, obwohl sie bereits fertiggestellt sind.

«Sie versuchen, viele Dinge geheim zu halten», sagte eine anonyme Quelle im Büro der Vereinten Nationen in Haiti (BINUH) gegenüber Haïti Liberté. «Das ist das Problem mit dem ganzen Plan.»

Als die Kenianer in Haiti eintrafen, begann am 25. Juni eine psychologische Operation gegen Viv Ansanm (Zusammen leben), das Bündnis der bewaffneten haitianischen Nachbarschaftskomitees. In einer anonymen Tonaufnahme, die über die sozialen Medien Haitis verbreitet wurde, behauptet ein Mann, Jimmy «Barbecue» Cherizier sei aus seinem Stadtteil Lower Delmas geflohen und untergetaucht.

«Ich bin im Stress, Mann», sagt der Mann in der Aufnahme. «Ich habe schon den ganzen Morgen lang herumtelefoniert und versucht, General Barbecue zu finden, aber er scheint aus dem unteren Delmas geflohen zu sein …»

«Es ist die Stimme von jemandem, der diese Botschaft verbreitet hat, um das Bündnis Viv Ansanm zu destabilisieren», erklärte Cherizier gegenüber Haïti Liberté auf die Frage nach der Aufnahme. Zu dem Zeitpunkt fuhr Cherizier mit einem Jeep auf der Ruelle Maillart in der Nähe seines Stadtviertels. «Indem er behauptet, ich sei geflohen, versucht er, die anderen Jungs von Viv Ansanm zur Flucht zu bewegen. Damit will er uns destabilisieren.»

Einige, meist anonyme Konten in den sozialen Medien haben angedeutet, dass sich das Bündnis Viv Ansanm auflösen oder um eine Einigung mit der Regierung von Gary Conille flehen werde. Die Tageszeitung Le Nouvelliste titelte: «Jimmy Chérizier dit Barbecue veut dialoguer.» (Jimmy Cherizier sagt, er wolle verhandeln.)

Cherizier antwortete am 25. Juni in einem langen Interview mit dem Journalisten Ralph Laurent in dessen viel beachteter YouTube-Sendung Tanbou Verité ausführlich auf die Anschuldigungen.

Jimmy «Barbecue» Cherizier: «Die Kenianer schützen die Interessen der amerikanischen Oligarchen. Deswegen hat man sie hierher gebracht.» Bild: Uncaptured Media

«Ich rufe das haitianische Volk dazu auf, seine Kraft zu bewahren. Haiti wird nicht auf ewig unterdrückt bleiben. Eines Tages wird das haitianische Volk seine Befreiung vollziehen, sodass Haiti den Weg der Entwicklung einschlagen kann.»

«Menschen mit einer Militär- oder Polizeiausbildung wissen, dass es keine ewigen Kriege gibt. Russland kämpft mit der Ukraine, aber manchmal gibt es Verhandlungen und Diplomatie, um zu schauen, wie man Frieden finden kann. Ebenso sind wir in der Viv Ansanm Patrioten und Nationalisten, die das Land lieben, im Gegensatz zu dem, was manche Leute denken. Man kann immer viele Fehler beklagen, die gemacht wurden, Taten, die die Gesellschaft beunruhigt haben. Und deshalb brauche ich keine Lobeshymnen; aber eines Tages wird die Nation erkennen, welche Opfer ich für sie erbracht habe, denn jeden Tag kämpfe ich mit den Jungs von Viv Ansanm und sage ihnen: Wenn ihr sagt, dass ihr eine Revolution machen wollt, dass ihr das Land entwickeln wollt, dass ihr dafür kämpft, die Lebensbedingungen der Ärmsten zu verbessern, dann gibt es eine Reihe von Taten, die ihr nicht begehen sollt.»

«Einige Leute können feststellen, dass die Zahl der Entführungen in den letzten Tagen gesunken ist – ich sage nicht, dass die Entführungen aufgehört haben – aber das ist die Frucht der Arbeit, die Jimmy Cherizier geleistet hat. Es ist nicht der Staat oder die Polizei, die eine Struktur geschaffen haben, damit die Entführungen zurückgehen. Das ist das Ergebnis unserer Arbeit, bei der wir uns in Viv Ansanm untereinander austauschen, und jetzt werden einige Dinge, die früher getan wurden, nicht mehr getan.»

«Wenn Le Nouvelliste nun sagt, Jimmy Cherizier wolle einen Dialog: Ich war schon immer offen für einen Dialog. Einige Journalisten […] sagen, wir hätten Angst. Wir haben vor niemandem Angst. Wir sind die Kinder von [dem haitianischen Gründervater Jean-Jacques] Dessalines […]. Aber wenn wir ein Blutbad vermeiden können, werden wir sehen, was wir tun können, um es zu vermeiden. Denn es gibt zu viele Tote und zu viele Opfer in diesem Land. Je mehr wir uns hinsetzen und reden können, desto mehr werden wir uns hinsetzen und reden.»

«Aber Viv Ansanm im Allgemeinen und Jimmy Cherizier ‹Barbecue› im Besonderen hat keine persönliche Initiative ergriffen, um mit jemandem in der Regierung zu sprechen. Ich nutze die Gelegenheit, um eine Reihe von Opportunisten anzuprangern, Leute, die von [Premierminister] Garry Conille einen Job wollen, die zu allen Hotels gehen und sagen, sie hätten sich mit uns getroffen und mit uns gesprochen und wir hätten sie geschickt, um in unserem Namen zu verhandeln […]. Offiziell hat Viv Ansanm, Jimmy Cherizier, keine Verhandlungen mit der Regierung von Conille aufgenommen […]. Aber wir sind offen für einen Dialog […]. Conille könnte eine Kommission einsetzen, in der alle vertreten sind: Die evangelische und die katholische Kirche, die Vodouisten, die Zivilgesellschaft, die Vertreter der bewaffneten Gruppen, die Regierungsvertreter, die Vertreter der Polizei und der Armee. Gemeinsam könnten wir einen Dialog führen und sehen, wie wir die Waffen zum Schweigen bringen können, und wenn ein echtes Vertrauen aufgebaut ist, [könnte das geschehen, […] aber] niemand sollte uns für kleine Babys halten, die man in den Schlaf lullt, damit wir unsere Waffen niederlegen, so dass man sie nehmen und uns dann töten kann […].»

«Die Geschichte wiederholt sich hier […]. Die Oligarchen führten 2004 zusammen mit den traditionellen Politikern einen Kampf gegen Präsident Jean-Bertrand Aristide, bei dem sie die Armenviertel und Politiker benutzten, um die Regierung von Aristide zu destabilisieren. Als sie sahen, dass das nicht funktionierte, schritten die Vereinigten Staaten ein und entfernten Aristide aus dem Land.»

«Jetzt haben die Oligarchen, die die Armenviertel mit Waffen versorgt haben, die Kontrolle über die Waffen verloren. Als sie die Kontrolle verloren, kam es zu Gewalt, Entführungen, Menschen starben. Dieselben Oligarchen holten zusammen mit den USA die MINUSTAH nach Haiti. Als die MINUSTAH kam, wurden sie von vielen für die Rettung gehalten. Aber als die MINUSTAH kam, waren die Ghettos nicht so, wie sie heute aussehen, und die MINUSTAH hat es nicht geschafft, das Land zu befrieden. Stattdessen importierten sie Cholera und Vergewaltigung, sie vergewaltigten kleine Mädchen, kleine Jungen, so wie die uruguayischen Soldaten mit einem kleinen 10-jährigen Jungen in Port Salut verfuhren, und sie gaben uns die Cholera. Die Menschen hatten das satt. Dieselben Leute, die auf die Strasse gegangen waren, um die MINUSTAH zu begrüssen, forderten den Abzug der MINUSTAH […].»

«Die Geschichte wiederholt sich jetzt. Die [Oligarchen] haben viele Waffen in den Armenvierteln verteilt, um die Regierung von Jovenel Moïse zu destabilisieren. Als sie sahen, dass die Demonstrationen und alle anderen Massnahmen nicht ausreichten, um Jovenel Moïse aus dem Amt zu entfernen, haben sie ihn schliesslich zusammen mit den Imperialisten […] ermordet […]. Jetzt haben sie die Kontrolle über die Waffen verloren, die sie in den Armenvierteln deponiert hatten. Deshalb mussten sie eine Gruppe von Mördern und Söldnern aus Kenia anheuern, die unter dem Vorwand, die Banden zu zerschlagen, gegen Viv Ansanm kämpfen. Sie werden kämpfen. Viv Ansanm wird kämpfen. Die Kenianer schützen die Interessen der amerikanischen Oligarchen […]. Zu diesem Zweck wurden sie hierher gebracht […].»

«Man kann 10 oder 20 Menschen töten, aber man kann nicht ein ganzes Volk töten. Die Haitianer sind in ihrer DNA Rebellen […]. Wir kämpfen gegen ein System. Um sich zu erneuern, ruft das System die kenianischen Kräfte auf den Plan […].»

«Die Ankunft der kenianischen Truppen wird uns direkt in einen Bürgerkrieg führen […], wenn sie [die Regierung von Conille] nicht mit uns reden, sondern die Diener der Ausländer sein wollen, die bereit sind, alles zu tun, was die Ausländer von ihnen fordern oder wünschen. Die Ausländer wollten, dass eine ausländische Truppe kommt; sie suchten ein afrikanisches Land, um uns zu demütigen. Es ist fast so, als wollten sie uns sagen: ‹Seitdem es Afrika gibt, haben die Schwarzen einander verraten.› Mit dieser Lüge haben sie uns schon immer gespalten […].»

«Haiti ist seit jeher die Mutter der Freiheit. Die Typen zertrampeln den Nährboden der Freiheit. Aber es gibt eine Armee von jungen Männern und Frauen, die bereit sind, bis zum letzten Blutstropfen für die Befreiung von Haiti zu kämpfen.»
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Englischer Originaltext in Haiti Liberté. Übersetzt mit Hilfe von DeepL.