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Demiral von der UEFA suspendiert; aber ist der «Wolfs­gruss» wirklich faschistisch?

Der türkische Nationalspieler Merih Demiral schoss zwei Tore gegen Österreich und jubelte, indem er den «Bozkurt Selami», den sogenannten Wolfsgruss, zeigte. Die UEFA leitete daraufhin eine Untersuchung ein und suspendierte den Spieler für zwei Tage. Auslöser war die Beschwerde der deutschen Innenministerin, der Ultra-Atlantikerin Nancy Faeser, die erklärte: «Das Symbol der türkischen Rechtsextremisten hat in unseren Stadien nichts zu suchen.» Natürlich entbrannte eine Kontroverse: Der deutsche Botschafter in Ankara wurde einbestellt und der türkische Präsident Recep T. Erdogan änderte seine Pläne, dem nächsten Spiel der Nationalmannschaft persönlich beizuwohnen, um ein Zeichen der Solidarität mit dem sanktionierten Spieler und der Verbundenheit mit der türkischen Diaspora in Europa zu setzen, die sich mit der nationalistischen Tradition identifiziert. Aber ist das Zeichen des grauen Wolfs wirklich ein faschistischer Gruss? Tatsächlich gilt er nicht nur für die Türkei, sondern ist auch in Aserbaidschan und anderen Republiken von Turk-Völkern weit verbreitet, und die frühesten Belege gehen auf die Göktürk-Ära um 500 n. u. Z. zurück.

Schon der grosse Führer der türkischen Revolution Mustafa Kemal Atatürk hatte den Grauen Wolf als nationales Symbol anerkannt

Er ist ein nationales und patriotisches Symbol, aber kein faschistisches!

Das türkische Nachrichtenportal OdaTV, das der Linken nahesteht und daher nicht mit dem türkischen Nationalismus sympathisiert, hat das Thema ausführlich dokumentiert und bestreitet die direkte Verbindung zum Faschismus: «Der Graue Wolf ist als heiliges Tier und nationales Symbol aller Türken bekannt und Teil der türkischen Mythologie.» Die eurasische Geschichtsforschung (die offensichtlich nicht von der EU-Propaganda autorisiert ist) erklärt, dass dieses Symbol aus der buddhistischen Kultur an die Türken weitergegeben wurde. Es wurde auch von den türkischen Khans der vorislamischen Goktürk-Periode als Siegeszeichen verwendet, und selbst die in den Westen eingewanderten Hunnen, Kiptschaken und Peschenegs benutzten dieses Zeichen als Symbol für Abstammung und Ethnizität. Es findet sich sogar im Şeyhname des iranischen Dichters Firdevsi aus dem 10. Jahrhundert. In seinem Werk, das Miniaturen von Frauen enthielt, wurde das Zeichen des grauen Wolfs verwendet.

Der Vorsitzende der Sozialdemokraten Kılıçdaroğlu macht den gleichen Gruss wie … Faschisten?

Kurzschluss auf der Linken: Sozialisten grüssen wie … die extreme Rechte?

Der Wolfsgruss auch auf dem Kongress der postmaoistischen Kommunisten in der Vatan Partisi

Der graue Wolf ist heute das Symbol für alle Strömungen des türkischen Patriotismus. Er wurde von keinem Geringeren als dem Gründer der Republik, Mustafa Kemal Atatürk, Schöpfer der Doktrin des «Staatssozialismus» und Führer der antiimperialistischen kemalistischen Revolution, zum nationalen Symbol erklärt. In den ersten Jahren nach der Erlangung der Unabhängigkeit und der Gründung der modernen Republik Türkei wurden Bilder des grauen Wolfs sogar auf Ladentische gedruckt.

Eine kurze Suche im Internet zeigt, dass viele türkische Politiker mit unterschiedlichem politischem Hintergrund im Laufe der Jahre den grauen Wolf getragen haben: von Faschisten bis zu Sozialdemokraten, von Liberalen bis zu Islamisten.

Selbst sozialdemokratische Wahlkämpfer bejubeln die «Grauen Wölfe»

Angesichts der Empörung gewisser europäischer Linker, die eher an Mode als an Analyse gewöhnt sind, fällt auf, wie der ehemalige Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei (CHP), dem türkischen Ableger der Sozialistischen Internationale, Kemal Kılıçdaroğlu, der mit der Schweizer SP und der deutschen SPD verbündet ist, sowohl 2017 bei einer Kundgebung der säkularen Opposition in Kayseri als auch 2014 während des Kommunalwahlkampfs die Bürger mit dem Zeichen des grauen Wolfs begrüsste. Kılıçdaroğlu ist zudem kurdisch-zazakischer Abstammung und bekennt sich zur schiitisch-alevitischen Kultur: Er gehört also zu einer Minderheit, die in der Vergangenheit von eben jener faschistischen Organisation «Ülku Ocaklari» verfolgt wurde, die gemeinhin als «Graue Wölfe» übersetzt wird. Warum benutzt er dann deren angebliches Symbol? Gehört er auch zur «extremen Rechten»? Und im Netz findet sich auch ein Foto vom Kongress 2015 der Vatan Partisi, der Partei der pro-chinesischen Strömung der türkischen revolutionären Linken, das zwei Delegierte zeigt, die auf diese Weise grüssen.

Dieser Gruss ist nicht nur eine Geste der MHP

Es stimmt, dass die Nationalistische Aktionspartei (MHP), die (zumindest in der Vergangenheit) Verbindungen zur extremistischen Bewegung der «Grauen Wölfe» hatte, dieses Symbol ständig als Parteigruss verwendet, aber es ist nicht nur auf sie zurückzuführen. Auch Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der nie Mitglied der MHP war, verwendet das «Bozkurt»-Zeichen. Der islamistische Führer und derzeitige Präsident der Republik rief beispielsweise in einer Rede in Mersin vor dem religiösen Gruss der «Rabia» die Parole «eine Nation, eine Flagge, ein Staat, ein Heimatland» aus und begrüsste die Menge ausgerechnet mit dem Zeichen des grauen Wolfes. Sein Kollege Binali Yıldırım, ehemaliger Ministerpräsident der Türkei, grüsste sogar in der Sitzung der Parlamentsfraktion der AKP, der religiös inspirierten Regierungspartei, mit dem Wolfsgruss.

Die Gründerin der liberal-konservativen Partei «Iyi Parti» Meral Akşener, Erdogans Gegnerin, sagte: «Der graue Wolf ist nicht das Symbol einer politischen Partei, er ist das Symbol der grossen türkischen Nation, links und rechts, Ost und West. Von den von Atatürk geprägten Münzen bis zu den ersten Statuen der Republik sind seine Spuren überall zu finden».

Meral Akşener, Historikerin und ehemalige Ministerin, ist Gründerin einer liberalen Oppositionspartei

Kommentare von Schweizer Politikern

Der Präsident der Partei der Arbeit der Schweiz (PdA), Alexander Eniline, stellt sich auf die Seite des Mainstreams und bezieht sich auf die Communiqués der pro-amerikanischen kurdischen Separatisten. Auf Instagram verbreitete er einen befremdlichen Kommentar: «Der türkische Spieler hat die Geste der faschistischen Gruppe Graue Wölfe gemacht. Der türkische Faschismus ist überall: im Fussball, in der Kunst, auf der Strasse.»

Der Sekretär der Kommunistischen Partei der Schweiz, Massimiliano Ay, der auch ein Kenner der türkischen Politik ist, vertritt eine ausgewogenere und rigorosere Position: «Der Fussballer hat einen Fehler gemacht, er hätte es vermeiden sollen, auf einem Sportplatz solche spaltenden politischen Gesten zu machen. Es ist in der Tat respektlos gegenüber einem grossen Teil der türkischen Gesellschaft, die dieses Symbol nicht teilt, und zwar in erster Linie, weil es in den 1970er Jahren von dem von der CIA bewaffneten Putschisten- und Antikommunistennetzwerk ‹Gladio› verwendet wurde. Allerdings muss man sich vor einer antihistorischen Vereinfachung hüten: Das ist nicht der Gruss, der einer einzigen politischen Organisation, z. B. den Grauen Wölfen, zugeschrieben wird, sondern wird von einem grossen Teil der türkischen Politik mit nationalistischer Ausrichtung verwendet. Es ist zwar immer noch das Symbol der Mitglieder der nationalkonservativen rechten MHP-Partei, die an der Regierung war und jetzt mit 50 Abgeordneten im Parlament sitzt, aber auch viele Führer anderer Parteien, sogar der linken Opposition, haben es getragen, weil es ein nationaler Gruss vieler türkischer Völker ist.»

Aber der kosovarische UCK-Gruss wird toleriert …

Ay warnt: «Demiral zu kriminalisieren bedeutet daher, einen grossen Teil der türkischen Gesellschaft anzugreifen, ganz zu schweigen von der türkischen Gemeinschaft in Europa, also genau dem Teil, der bereits gegen die EU und die Nato ist. Wurde bei der Geste des Adlers, die von Spielern kosovarischer Herkunft gemacht wurde und die auch ein Symbol einer paramilitärischen Gruppe wie der UCK ist, die gleiche Sorgfalt walten gelassen?» In diesem Fall hatte sich die FIFA auf eine Geldstrafe beschränkt, ohne eine Disqualifikation auszusprechen.

Stehen wir vor einer Spaltung der UEFA?

Die politische Tatsache ist genau das! Das Salutieren albanischer separatistischer Terroristen gegen Serbien wird toleriert, weil es den Interessen der EU und der Nato dient. Es gibt keinen Mangel an Fällen, in denen die UEFA ein Auge zugedrückt hat, als Spieler, die dem israelischen Zionismus anhängen, ihre Unterstützung für den Völkermord an den Palästinensern zum Ausdruck brachten. Doch der Ausschluss Russlands und Weissrusslands von den Wettbewerben ist eine Realität. Der Sport ist nicht nur in den Händen multinationaler Konzerne gelandet, sondern ist auch ein wichtiges Instrument der sozialen Kontrolle über die Massen und der geopolitischen Intervention. Dies hat der marxistische Historiker Davide Rossi in seinem Buch über die politische Geschichte der Fussballweltmeisterschaften («Palloni politici, una storia dei mondiali di calcio 1930–2010», Mimesis, 2014) gut erklärt. Die UEFA, die ein Ort des internationalen Dialogs sein müsste, legt ihre Maske ab, indem sie die imperialistischen Züge annimmt: jene Nationen verteufeln, die sich von der unipolaren und atlantischen internationalen Ordnung emanzipieren. Müssen wir damit rechnen, dass sogar die Sportwettbewerbe nach der politischen Ideologie aufgeteilt werden, die die Regierungen der verschiedenen Länder leitet? Sollte dies geschehen, wäre dies eine Variante des «kalten Krieges», die noch schlimmer wäre als die erste, und vielleicht die Vorbereitung auf einen «heissen Krieg». In der Türkei, wo sogar die Sozialdemokratie der CHP die UEFA wegen ihres Entscheides kritisiert, hat die rechtsnationale MHP durch ihren Vorsitzenden Devlet Bahçeli den Rückzug der Nationalmannschaft aus den europäischen Wettbewerben gefordert, weil «die Ehre des Vaterlandes nicht für ein Fussballspiel verkauft wird» …
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Der Text ist erstmals am 5. Juli 2024 in sinistra.ch erschienen. Übersetzt mit Hilfe von DeepL Translate.