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Der jüngste Angriff auf Mali weist die Fingerabdrücke des westlichen Imperialismus auf. Er reiht sich ein in eine Serie von Ereignissen, die zur bewährten imperialistischen Methode gehören, Chaos und Terror zu entfachen, um die Voraussetzungen für Interventionen zu kreieren. Dieser zyklische Prozess muss durch revolutionäre Aktion gestoppt werden.

Der imperialistische Angriff auf die Allianz der Sahelstaaten

von ESSAM ELKORGHLI1, KRIBSOO DIALLO2 und MATTEO CAPASSO3, 14. August 2024

Am 27. Juli 2024 griffen bewaffnete Tuareg-Kämpfer und Mitglieder des Islamischen Staates in der Sahelzone einen malischen Militärkonvoi an, der sich auf dem Weg in den Norden des Landes, nach Tinzawaten, nahe der Grenze zu Algerien, befand. Bei diesem Hinterhalt wurden zahlreiche malische Militärangehörige und die sie begleitenden Kader der privaten Militärfirma Wagner Group getötet. Da der Überfall gegen einen mit Russland verbündeten Staat in der Sahelzone gerichtet war, beeilte sich die westliche Marionettenpresse in voyeuristischer Manier, die Gewalt zu verherrlichen. Viel wichtiger ist jedoch, dass die Ukraine das Massaker bejubelte und in einem Facebook-Post ihrer Botschaft in Dakar behauptete, das Land habe den militanten Tuareg allgemeine und geheimdienstliche Informationen sowie militärische Unterstützung zur Verfügung gestellt.

Diese Behauptung wurde in Umlauf gebracht, um die Ukraine als ein Land darzustellen, das in der Lage ist, Russland und seine Interessen überall anzugreifen, und um zu versuchen, den reaktionären Kampf für «Demokratie» unter der Schirmherrschaft der NATO zu globalisieren. Als Reaktion brachen Mali und Burkina Faso die diplomatischen Beziehungen zur Ukraine ab, während Senegal, das kürzlich einen Präsidenten gewählt hat – Bassirou Diomaye Faye –, der die Position seines Landes gegenüber dem Westen überdenkt, den ukrainischen Botschafter vorlud, weil er im befreundeten Nachbarland Mali Gewalt verherrlicht und Hass geschürt hatte. Angesichts der Welle der Empörung wurde der ukrainische Beitrag auf Facebook inzwischen gelöscht. Doch die Gründe für den Angriff, die Geschichte der Destabilisierung in der Region und die eigentlichen Ursachen der Gewalt werden bei solch zusammenhangslosen banderistischen Gewaltverherrlichungen völlig ignoriert.

Gewalt, Minderheiten und Revolution in der Sahelzone

Die Sahelzone genoss in den Jahren vor 2011 eine relative Stabilität, verglichen mit der heutigen Situation im Jahr 2024. Ein zentraler Faktor, der zur anhaltenden Destabilisierung der Region geführt hat, ist die von der NATO veranlasste Zerstörung der Libysch-Arabischen Dschamahirija im Jahr 2011 durch massive Finanzierung und Bewaffnung so genannter Rebellen, einschliesslich der reaktionärsten und obskurantesten Kräfte im Land, welche gemeinsam das Ziel verfolgten, die libysche Regierung zu stürzen. Nachdem die NATO ihre Ziele erreicht hatte, gelangten die vom Westen und den Golfstaaten bereitgestellten Waffen und Rüstungsgüter binnen kürzester Zeit in die Nachbarländer, zumal sich die Grenzgebiete über Tausende Kilometer von Wüste erstrecken. Infolgedessen kam es 2012 zu einem drastischen Anstieg von Terroranschlägen und gewaltsamen Überfällen. Militante islamistische Gruppen begannen, die Region zu zerstören und immer mehr Gebiete zu erobern.

Die Kämpfer versprachen den Minderheitsgruppen in der Region Selbstbestimmung, also etwas, das viele Tuareg – eine Bevölkerungsgruppe, die seit Jahrhunderten in Algerien, Burkina Faso, Libyen, Mali, Mauretanien, Marokko und Niger beheimatet ist – anstreben, zumal sie sich aus historischen Gründen über ihren Status beschweren, der von den Regierungen einiger dieser Länder vernachlässigt worden ist. Seitdem haben die NATO-Staaten eine jahrzehntelange Kampagne gestartet, die mit einem katastrophalen Misserfolg endete. In diesem Kontext spielte Frankreich die reaktionärste Rolle in der Geschichte der vergangenen und gegenwärtigen Plünderung Afrikas und der Sahelzone, insbesondere weil es durch den CFA-Franc seit langem finanzielle Dominanz ausübt. Nachdem Frankreich 2011 die Zerstörung Libyens angeführt hatte, nutzte es die Gelegenheit, seine militärische Präsenz in der Region auszuweiten, indem es 2014 eine sogenannte Aufstandsbekämpfungsoperation – Operation Barkhane – startete. Sie erstreckte sich über die gesamte Sahelzone und diente angeblich der Bekämpfung der islamistischen Bedrohung. Die Imperialisten behaupteten nun, dieselben Gruppen zu bekämpfen, denen sie bei der Zerstörung Libyens grosse Waffenlieferungen bereitgestellt hatten. Der erneute imperialistische Kreuzzug führte allerdings kaum zu den erwarteten Ergebnissen, als die Franzosen 2022 zum Rückzug gezwungen wurden. Und was noch wichtiger ist: Während die Franzosen täglich eine Million Euro für die Mission gegen den «Terrorismus» ausgaben, erreichte die Armutsquote in den betroffenen Sahelländern selbst nach den reaktionärsten Schätzungen fast 45 Prozent.

Es dauerte nicht lange, bis die Führung von Ländern wie Mali ihre politischen Prioritäten neu überdachte, um den Forderungen der Bevölkerung gerecht zu werden. Im Jahr 2021 kam es zu einer Volksrevolution, die von Oberst Assimi Goita angeführt wurde, und es folgten drastische Veränderungen: Mali kappte seine Beziehungen zu Frankreich und schmiedete ein neues militärisches und politisches Bündnis mit seinen Nachbarländern Burkina Faso und Niger.

Während die westliche Marionettenpresse unablässig versucht, die politischen Errungenschaften dieser Umwälzungen herunterzuspielen, indem sie sie als «Militärputsche» verleumdet, müssen wir die neu gebildete Konföderation als natürliches Ergebnis der Geschichte und des langjährigen Strebens der revolutionären Massen Afrikas nach Erfüllung ihrer Befreiungsansprüche verstehen. Die Allianz der Sahel-Staaten, bestehend aus Burkina Faso, Mali und Niger, kommt zu einer Zeit, in der die Afrikaner von imperialistischen Kreuzzügen – wie zum Beispiel dem französischen – geplagt werden, die zur Militarisierung und Verarmung des Kontinents geführt haben. Im Unterschied zu den früheren Formen der Kolonisierung, bei denen westliche Militärs die afrikanischen Massen durch direkte Unterwerfung kontrollierten, ist das neokoloniale Verhältnis, das der Westen dem Kontinent aufgezwungen hat, nun durch ein Paradigma der Sicherheitsabhängigkeit geprägt. Es ist ein Rezept, das der Westen perfektioniert hat, um seinen Appetit auf höhere Profite zu stillen, gerade zu Zeiten seines globalen Niedergangs.

Die Formel basiert auf einer Strategie der Reproduktion von Chaos: Eine «Rebellengruppe» wird bis an die Zähne bewaffnet, um pro-westliche Ziele zu verwirklichen. Das wiederum führt zur Destabilisierung einer Region, was denselben Westen auf den Plan ruft, ein weiteres Mal in neue Konflikte einzugreifen, angeblich, um diese Gruppen militärisch zu bekämpfen. Es überrascht nicht, dass eine solche Strategie das Militär zu einem politischen Hauptakteur macht, da es militärisches Training und Finanzmittel erhält, angeblich, um die nie endende Bedrohung durch den Terrorismus zu bekämpfen. Dieser Zusammenhang ist von grundlegender Bedeutung: Zum einen wird klar, warum es in all den genannten Staaten (Burkina Faso, Mali und Niger) zu einer bewaffneten Rebellion kam, gerade weil die Militärs in dieser neuen Strategie der Sicherheitsabhängigkeit eine führende Rolle spielten. Zum anderen widerlegt es die westliche Propaganda, die diese revolutionären Ereignisse als reaktionäre Staatsstreiche abstempelt. Die Afrikaner, vor allem in den Sahel-Staaten, wurden misstrauisch gegenüber dem imperialistischen Terrorismus und erhoben sich an der Seite ihrer revolutionären Militärkader, um sich vom Imperialismus loszusagen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

In diesem Zusammenhang ist es zwingend notwendig, ein zentrales Thema anzusprechen, mit dem jedes dieser Sahel-Länder konfrontiert ist, nämlich die Frage der Minderheiten und wie sie sich zur Frage der nationalen Souveränität verhält. Erstens instrumentalisiert der imperialistische Westen die Minderheitenfrage je nach seinen eigenen Interessen. In einigen Fällen beruft er sich auf die Prinzipien der territorialen Integrität – z. B. in Bezug auf das Baskenland und Katalonien (Spanien), die Krim und Donezk (Ukraine), die Westsahara (Marokko) oder Ossetien (Georgien) –, während er in anderen Fällen unerbittlich zur Unterstützung des Selbstbestimmungsrechts auffordert – z. B. im Fall von Kosovo, Tigray, Bosnien und Taiwan. Natürlich wird Palästina immer auf den Status eines Konflikts reduziert, sodass die Frage der Selbstbestimmung oder der nationalen Befreiung gar nicht erst gestellt wird. Die Instrumentalisierung dieser Begriffe verdeutlicht die Doppelmoral der imperialistischen Diplomatie und Praxis. Zweitens wird das Bestreben, den Kontinent noch mehr zu zersplittern, als es seit der Berliner Konferenz von 1884 geschehen ist, nicht zu mehr Souveränität, Abkopplung und Antiimperialismus führen. Würde man das Selbstbestimmungsrecht tatsächlich blind anwenden, so hätte der Westen das katalanische Referendum von 2017 anerkannt und die reaktionäre Monarchie in Madrid dafür bestraft, dass sie den Katalanen ihre Unabhängigkeit nicht gewährt hat.

Stattdessen wird dieses Rezept als eines der vielen Instrumente des westlichen Imperialismus eingesetzt, um die nationale Souveränität der Länder des Globalen Südens zu untergraben. Wann immer das Bedürfnis und der Wunsch aufkommen, den afrikanischen Kontinent und generell den Globalen Süden noch mehr zu spalten und zu zerstückeln, wird die Minderheitenfrage als Waffe eingesetzt, um die betroffenen Länder gefügig zu machen und ihre wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Abhängigkeit zu erhöhen. Auf diese Weise setzt der imperialistische Westen die legitimen Forderungen nach Gleichheit und Gerechtigkeit, die von Minderheiten im Globalen Süden erhoben werden, als Waffe ein und verwandelt sie in ein trojanisches Pferd des Imperialismus. Die Minderheitenfrage dient mit anderen Worten dazu, die Länder des Globalen Südens zu unterwandern und ihre nationale Souveränität zu untergraben, was wiederum die Expansion des imperialistischen Kapitals begünstigt.

Der imperialistische Charakter des Angriffs

Der Angriff auf Mali wurde von einer militärischen Streitkraft durchgeführt. Es ist aber nicht das erste Mal, dass Mali und andere Länder der neu gegründeten Allianz mit kriegerischen Methoden konfrontiert werden. Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass der Imperialismus auf zwei Beinen steht – einem wirtschaftlichen und einem militärischen –, während die ideologische Komponente mit beiden zusammenwirkt, um den imperialistischen Terrorismus als alternativlos zu legitimieren. Das wirtschaftliche Bein umfasst ein Finanzsystem, das dazu dient, Volkswirtschaften und Völker in die imperialistische Ordnung einzugliedern, wobei die Integration der Länder des Globalen Südens peripherer Natur ist, d. h. es findet keine Industrialisierung statt, die Volkswirtschaften sind exportorientiert und so weiter. Obgleich dies ein entscheidender Bestandteil der imperialistischen Expansion darstellt, basiert sie immer schon auf Militarismus und Krieg. Das heisst, dass die finanzwirtschaftlichen Massnahmen nur dann greifen, wenn eine auf Zwangsmassnahmen und Militärstrategien gestützte Politik betrieben wird, wozu der Einsatz von Sanktionen, Bombardierungen und die Finanzierung von Oppositionsgruppen gehören. Zur Umsetzung dieser Massnahmen greift der Imperialismus im Zeitalter der Massenkommunikation in hohem Masse auf die Produktion von Wissen, Werten und Ideen zurück, die seinen Modus Operandi rechtfertigen und unterstützen. Das heisst, er stellt die militärischen Interventionen des Westens als humanitäre Gesten dar, die erforderlich sind, um die Demokratie zu fördern und die globale Stabilität zu gewährleisten. Wer sich solchen Massnahmen – eklatante Verletzungen der nationalen Souveränität – widersetzt, wird als internationaler Boogeyman dargestellt, als böser Diktator, der die internationale Ordnung destabilisieren will. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es sich bei dem Angriff auf Mali um die Reproduktion einer gut eingeübten Strategie des imperialistischen Interventionismus handelt.

Die militärische Komponente

Als die Länder der Sahel-Allianz im Jahr 2024 ihre Konföderation gründeten, wiesen sie unablässig auf die Widersprüchlichkeit der Produktionsweise in der Sahelzone hin. Diese rohstoffreichen Länder wurden zu Drehscheiben für den Abbau von Bodenschätzen gemacht, die nach Frankreich exportiert wurden, während Frankreich hochwertige Konsumgüter produzierte, den Mehrwert abschöpfte, seine Bevölkerung mit Energie versorgte und im Gegenzug den Sahelländern ein paar Brosamen zukommen liess. Nach der Volksrevolution, die zur Gründung ihrer Konföderation führte, versuchten sie, sich von dieser einseitigen Beziehung zu lösen, indem sie ihre militärische Abhängigkeit von Frankreich und dem Westen beendeten, ausländische Militärbasen schlossen und neue gleichberechtigte Beziehungen zu Russland und China aufbauten.

Mit anderen Worten: Diese Regierungen in der Sahelzone haben die westlichen Länder wirtschaftlich abgesetzt und sie durch den neuen, aufsteigenden Pol ersetzt. Es überrascht nicht, dass Frankreich, welches jahrzehntelang Hauptprofiteur des ungleichen Austauschs mit dem so genannten frankophonen Afrika war, sofort eine feindselige Haltung gegenüber den Sahelländern einnahm. Es versuchte, die ECOWAS (Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten) zu einem militärischen Angriff auf Burkina Faso, Niger und Mali zu bewegen, um diese Länder von ihren «Militärjuntas» zu «befreien». Als die afrikanischen Massen innerhalb der ECOWAS-Länder ihre Ablehnung gegenüber diesem Vorhaben zum Ausdruck brachten, begannen Frankreich und der Westen, mit denselben Entitäten zusammenzuarbeiten, die sie vor etwa zehn Jahren bewaffnet hatten, um ihre erste Intervention zu legitimieren. Sie unterstützen also Islamisten im Norden Malis, um in der Region erneut Unruhen zu schüren. Mit dieser Taktik werden zwei Ziele verfolgt: Erstens soll das Bündnis geschwächt werden, damit es sich nicht mehr auf seine Entwicklungspolitik konzentrieren kann, die ein stabiles und sicheres wirtschaftliches Umfeld voraussetzt. Zweitens soll damit eine Botschaft an den gesamten Kontinent übermittelt werden, die verdeutlicht, dass kein Land von den Imperialisten ungestraft bleibt, das es wagt, eine Strategie der politischen Autonomie einzuführen. Denn wie wir in Palästina sehen, kann der Preis für die Wiedererlangung der eigenen Würde aus Sicht des Westens auch in einem Völkermord bestehen.

Im afrikanischen Kontext hat der Westen leider Minderheiten als Waffe missbraucht und ihre Forderungen gekapert, um sie in Handlanger des Imperialismus zu verwandeln. Ironischerweise werden die Kämpfer im Norden Malis, die vor dem Jahr 2022 als Terroristen galten, heute als rechtschaffene Kämpfer für Selbstbestimmung gegen malische Unterdrückung bezeichnet. Ihre Positionierung mit dem Ziel, Mali zu schwächen, dient zwangsläufig dem westlichen Imperialismus und dessen Bestreben, in der Sahelzone weiterhin Fuss zu fassen.

Die finanzielle Komponente

Seitdem diese sahelischen Länder ihre Beziehungen zum Westen abgebrochen haben, werden Funktionäre des Imperialismus in der Region eingesetzt, um Unruhe zu stiften und zu verhindern, dass die Länder der Allianz ihre Ressourcen in eine souveräne, nationale Entwicklung investieren. Vor nicht allzu langer Zeit hatte Niger beispielsweise ein Militärabkommen mit den Vereinigten Staaten, das es diesen erlaubte, eine der grössten Drohnenbasen auf dem afrikanischen Kontinent zu unterhalten. Nachdem sich der Nationale Rat für den Schutz des Vaterlandes von Niger politisch neu orientiert, mit seinen Nachbarn verbündet und die Schliessung der Drohnenbasis gefordert hatte, schlugen die USA zurück, indem sie die fügsamen Nachbarländer gegen Niger einsetzten. Dazu griffen sie das Abkommen an, das China und Niger im Jahr 2023 geschlossen hatten, wonach eine Ölpipeline zu den Häfen von Benin gebaut werden sollte. Das Abkommen wurde gestoppt, weil die USA von Benin verlangten, Nigers Ölexporte zu blockieren. ECOWAS verhängte weitere Sanktionen gegen das Bündnis und hob sie wieder auf, während die USA weiterhin damit fortfahren, verschiedene Führungspersönlichkeiten aus Mali auf eine Sanktionsliste zu setzen, um andere Akteure von einer Zusammenarbeit mit Russland abzuschrecken. So haben Mali und Russland im Mai 2024 mit dem Bau des grössten Solarkraftwerks Westafrikas begonnen, zu einer Zeit, in der Mali damit kämpft, etwa die Hälfte seiner Bevölkerung mit Strom zu versorgen.

Die finanzielle Dimension des imperialistischen Angriffs reicht über die Grenzen des Nationalstaats Mali hinaus und ist als Ausweitung von Mali auf die Länder und Volkswirtschaften der Region zu verstehen. Libyen war nach der Aufhebung der Sanktionen im Jahr 2003 in der Lage, umfangreiche Investitionen in Afrika zu tätigen. Doch als die NATO 2011 ihren Krieg gegen das libysche Volk entfachte, war dieser mit Sanktionen verbunden, die bis zum heutigen Tag andauern. Eine der Investitionen betraf Malibya – ein Landwirtschafts- und Infrastrukturprojekt, in dessen Rahmen Strassen gebaut und die Wasserversorgung durch den Fluss Niger bis in den Norden Malis ausgedehnt werden sollte. Das Projekt wurde 2011 bewilligt und leidet seitdem unter Missmanagement und Sanktionen. Daher haben Bauern ihre Arbeit verloren, und die Dürre in der Region hat zugenommen. Es liegt auf der Hand, dass die Dürre, die Migration und das massenhafte Eindringen von Waffen aus dem destabilisierten Libyen in der sahelischen Region einen Nährboden für Gewalt geschaffen haben.

Die ideologische Komponente

Gemäss der eigennützigen Logik des westlichen Imperialismus können vom Imperialismus erzeugte Probleme nur durch imperialistische Interventionen gelöst werden, und der Fall Mali ist nicht anders. Der jüngste Angriff auf die malische Armee wurde nicht nur von der Ukraine, sondern von vielen Unterstützern und Funktionären des Imperialismus verherrlicht. Im Zeitalter der Massenkommunikation werden oft Tastaturkrieger wie FREEAZAWAD, deren Identität mit einem geografischen Ort verbunden ist, für detaillierte Berichte über Ereignisse herangezogen, wobei diese Erzählungen aufgrund der Identität der Autoren fraglos akzeptiert werden. Während die Identität der Tastaturkrieger instrumentalisiert wird, um bestimmte Behauptungen zu untermauern, wird ihr Klassenverhältnis zum Imperialismus natürlich nie thematisiert. So wurden zahlreiche Libyer oder Syrer eingesetzt und zu Wort gebeten, solange ihre Erzählungen mit denen des imperialistischen Westens übereinstimmten.

Im Zuge des jüngsten Angriffs begannen zahlreiche englischsprachige Konten, die mit Frankreich sympathisieren, über den Angriff zu schreiben und zu behaupten, dass die malische Armee an den Tuareg einen Völkermord begehe. Diese Erfindung beruht auf der Tatsache, dass die Tuareg, einschliesslich der Azawad, schwarz sind, aber im Vergleich zu anderen malischen Bevölkerungsgruppen eine hellere Haut haben. Mit der Behauptung der ethnischen Säuberung wird also die Frage der Ethnie losgelöst von der Geschichte als Waffe eingesetzt. Wir wollen diesen Punkt ganz genau erklären. Uns wird gesagt, dass die Russen, ebenso wie die Nigerianer, Burkinabes und Malier, rassistisch sind und deshalb das Volk der Tuareg angreifen. Man sollte nie vergessen, wie das Thema Rasse in Libyen erfolgreich umgekehrt eingesetzt wurde. Im Jahr 2011 wurde das Schwarzsein der Afrikaner als ein Zeichen des Bösen dargestellt, das die westlichen Imperialisten bekämpfen mussten. In der Tat behauptete die westliche Marionettenpresse, dass die Libyer gegen afrikanische Söldner kämpften, und schilderte den imperialistischen Angriff auf das Land als einen Kampf zwischen den Libyern und der NATO auf der einen Seite und den «brutalen Afrikanern» auf der anderen. Natürlich vergass sie dabei zu erwähnen, dass Libyer auch Afrikaner sind und viele Libyer schwarz sind. Das Narrativ des Völkermords und der ethnischen Ansprüche hat dem Imperialismus gedient und wird nun von derselben westlichen Marionettenpresse instrumentalisiert, um die Destabilisierung von Mali zu legitimieren und die Spaltung des Landes zu fördern.

Unter der imperialistischen Maske verbirgt sich alles Mögliche

Kommen wir abschliessend auf das grösste Verbrechen des Jahrhunderts zurück: den anhaltenden Völkermord in Gaza. Er wird von denselben Ländern ermöglicht und finanziert, die auch anderswo die Imperialisten unterstützt haben. Der Zionismus ist eine rassistische und religionsbasierte Ideologie, die in erster Linie dem materiellen Projekt des westlichen Imperialismus in der Region Westasien dient. Daher lässt sich der Völkermord nicht einfach anhand von Ethnie oder Religion verstehen. Wenn wir Rasse losgelöst von Fragen der politischen Ökonomie und Klasseninteressen thematisieren, können wir nicht verstehen, warum und wann der Imperialismus Narrative der Rasse und Ethnie einsetzt, um seine Interessen zu verfolgen. Die revolutionären Massen der Welt sollten sich dessen bewusst sein, dass Rassismus und chauvinistischer Nationalismus zwar existieren, aber stets im Zusammenhang mit dem Imperialismus verstanden werden müssen. Andernfalls reagieren wir mit moralischer Panik, die nichts mit Geschichte zu tun hat, und werden selbst zu Funktionären des Imperialismus. Ebenso müssen die revolutionären Massen der Welt fest entschlossen sein und ohne zu zögern diejenigen verurteilen, welche auch nur im Geringsten an den fortschrittlichen Charakter einer schwarzen, weiblichen Präsidentin in den USA glauben. Der Imperialismus ist ein maskierter Räuber, und es gibt nichts, was sich unter der Maske nicht verbergen liesse.
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1 Essam Elkorghli ist ein libyscher Doktorand an der Universität von Illinois in Urbana-Champaign. Er forscht über die moderne politische Geschichte Libyens und den gegenwärtigen Bildungsimperialismus. Er ist Gewerkschaftsorganisator bei der Graduate Employees’ Organization, stellvertretender Redakteur des Middle East Critique Journal und Mitglied des Global Pan African Movement.

2 Matteo Capasso ist Marie-Curie-Forschungsstipendiat an der Universität von Venedig, Italien. Er ist Autor von Everyday Politics in the Libyan Arab Jamahiriya und Redakteur von Middle East Critique .

3 Kribsoo Diallo ist ein in Kairo ansässiger Panafrikanist, der im Bereich der Politikwissenschaft zu afrikanischen Themen forscht. Er hat für viele afrikanische Zeitschriften und Zeitungen geschrieben und an übersetzten Ausgaben von Artikeln auf Arabisch und Englisch für mehrere Forschungszentren auf dem afrikanischen Kontinent mitgewirkt.

Englischer Originaltext in Black Agenda Report. Übersetzt mit Hilfe von DeepL.