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Hasan Nasrallah starb auf dem Weg zur Befreiung Palästinas

von ALI ABUNIMAH, 28. September 2024

Israels Ermordung von Hasan Nasrallah, dem Generalsekretär der Hisbollah, durch einen apokalyptischen Bombenangriff auf einen südlichen Vorort von Beirut am Freitag [dem 27. 9.] wird wahrscheinlich, zumindest kurzfristig, bei den Anhängern des Widerstands gegen den Zionismus im Libanon und in der gesamten Region für einen enormen Schock, tiefe Verzweiflung und Demoralisierung sorgen.

Genau das ist die Absicht dahinter.

Nasrallahs Tod wurde am Samstag von der Hisbollah bestätigt und folgt auf eine Reihe taktischer Erfolge in der Anfangsphase von Israels gross angelegtem Angriff auf den Libanon, einem Angriff mit offenem Ende, der in seiner Grausamkeit mit Tel Avivs andauerndem Völkermord in Gaza vergleichbar sein könnte.

Diese schrecklichen und schwierigen Gedanken sind nach fast einem Jahr Völkermord schwer zu verdauen.

Zuerst gab es die Pager- und Walkie-Talkie-Angriffe, gefolgt von einer Reihe von Attentaten auf hochrangige Hisbollah-Führer, und nun auf das Oberhaupt der Organisation selbst.

Wie Nasrallah selbst in seiner letzten Rede zugab, erlitt die Organisation durch die Pager-Angriffe einen schweren Schlag. Und es sollte noch schlimmer kommen. Zweifellos gab es gravierende Sicherheitslücken.

Nasrallahs Bedeutung als taktischer und strategischer Denker, als prominentester und vertrauenswürdigster Anführer der «Achse des Widerstands» und als Persönlichkeit, die selbst in den schlimmsten Zeiten in der Lage war, Anhänger zu inspirieren und zu ermutigen, kann gar nicht hoch genug geschätzt werden.

Die Euphorie in Israel, Washington und einigen arabischen Hauptstädten wird nur von der Trauer der Nasrallah-Anhänger übertroffen, die weitaus zahlreicher sind.

Und es besteht kein Zweifel daran, dass der Verlust real und gross ist aus der Perspektive eines Widerstands, dem nicht nur Israels beeindruckendes Arsenal, sondern auch alle Ressourcen der Vereinigten Staaten und des kollektiven Westens gegenüberstehen.

Dass Israel in der Lage ist, diese Serie von Angriffen in rascher Folge durchzuführen, wird das Vertrauen vieler Menschen in die legendäre Kampffähigkeit und operative Sicherheit der Hisbollah erschüttern.

Die Angriffe werden zumindest teilweise das Prestige wiederherstellen, das Tel Aviv bei seinen westlichen und arabischen Unterstützern verloren hat, nachdem es ein Jahr lang in Gaza militärisch gescheitert ist und die Militäroffensive der Hamas nicht verhindern konnte, die am 7. Oktober 2023 die Gaza-Division der israelischen Armee ausgelöscht hat.

Und obwohl die Hisbollah israelische Militäreinrichtungen und Siedlungen im Norden des historischen Palästinas mit Raketen beschiesst, fragen sich viele in der Region, warum die Widerstandsgruppe nicht härter und schärfer auf Israels eskalierende Aggression reagiert – zumal Israel zunehmend Zivilisten im ganzen Libanon und dessen Hauptstadt bombardiert.

Viele beschäftigt auch die Frage, warum der Iran, der Vergeltung geschworen hat, nachdem Israel im Juli in Teheran den Hamas-Führer Ismail Haniyeh ermordet hat, bisher so zurückhaltend reagiert hat. Es entsteht zunehmend der Eindruck, dass das Ausbleiben einer iranischen Reaktion Israel zu immer dreisterer Gewalt ermutigt hat.

«Shock and Awe» bedeutet nicht Sieg

Angesichts der rasanten Veränderungen und der Flut von Emotionen nach einem Jahr des per Livestream übertragenen Völkermords in Gaza, der nun von Israel auf den Libanon ausgeweitet wird, ist es schwierig, die lange Sicht zu bewahren. Für eine fundierte Analyse ist das jedoch unerlässlich.

Es lohnt sich, Folgendes zu bedenken: In fast jedem asymmetrischen Krieg scheint die stärkere Seite – der Angreifer oder Kolonisator – oft schnelle und überwältigende Erfolge zu erzielen, wenn sie in die Offensive geht.

Tatsächlich ist «Shock and Awe» (Schock und Einschüchterung) der Name einer westlichen, spezifisch amerikanischen Militärdoktrin, die in den 1990er Jahren entwickelt und beim Einmarsch der USA in den Irak im Jahr 2003 ausdrücklich propagiert wurde.

Sie wird auch als «schnelle Dominanz» bezeichnet und zielt sie darauf ab, den Gegner durch den Einsatz überwältigender und spektakulärer Demonstrationen von Gewalt zu demoralisieren und zu lähmen.

Das Ziel besteht den Autoren der Doktrin zufolge darin, «die Wahrnehmung und das Verständnis von Ereignissen durch den Gegner derart zu überladen, dass er auf taktischer und strategischer Ebene nicht mehr in der Lage ist, Widerstand zu leisten».

Wir haben das in den letzten Jahrzehnten immer wieder erlebt und erleben es auch jetzt.

Nur wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 griffen die Vereinigten Staaten Afghanistan an und stürzten schnell die Taliban-Regierung unter dem Vorwand, sie habe Osama bin Laden Unterschlupf gewährt.

Nach diesem schnellen, scheinbaren Erfolg war das Selbstvertrauen der Amerikaner so gross, dass Washington gleich zum nächsten Projekt überging: der Invasion des Irak im März 2003.

Nachdem die Regierung von Saddam Hussein rasch gestürzt worden war und amerikanische Panzer die Kontrolle über Bagdad übernommen hatten, hielt Präsident George W. Bush am 1. Mai desselben Jahres seine berüchtigte «Mission-erfüllt»-Rede – Worte, die ihn verfolgen sollten, als die Vereinigten Staaten in einem Zermürbungskrieg gegen den Widerstand in Afghanistan und im Irak stecken blieben.

Die schnellen Siege, so erschienen sie zumindest, weckten damals die reale Angst, dass die amerikanischen Streitkräfte weiter nach Damaskus und Teheran oder vielleicht zu anderen «Schurkenstaaten» auf Amerikas Abschussliste vorrücken würden.

Mittlerweile wissen wir aus den sogenannten Afghanistan-Papieren, dass die Kriegstreiber in Washington die ganze Zeit über wussten, dass sie den Krieg verloren hatten, aber die amerikanische Öffentlichkeit fast zwei Jahrzehnte lang belogen, indem sie behaupteten, sie würden gewinnen.

Und nach dem amerikanischen Abzug aus Afghanistan im August 2021 wurde der demütigende Abgang vom Flughafen Kabul vielfach mit den chaotischen Szenen in Vietnam verglichen, als die besiegten Amerikaner in Hubschraubern vom Dach der US-Botschaft in Saigon evakuiert wurden.

Auch in Bezug auf Israel lässt sich dieses Muster erkennen. Als Israel 1982 in den Libanon einmarschierte – ein Angriff, den es als «Operation Frieden für Galiläa» bezeichnete – rückten seine Streitkräfte rasch nordwärts nach Beirut vor und belagerten und besetzten zum ersten Mal in der Geschichte des zionistischen Siedlerstaates eine arabische Hauptstadt.

Israel ermordete Zehntausende libanesischer und palästinensischer Zivilisten und vertrieb die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO). Doch der Erfolg schlug aus Sicht Tel Avivs schnell in einen Misserfolg um.

Während der langen Besetzung wuchs der Widerstand gegen Israel, insbesondere vonseiten der Hisbollah, die zum Zeitpunkt der israelischen Invasion noch gar nicht existiert hatte.

Die Hisbollah und andere Widerstandsgruppen führten zwei Jahrzehnte lang einen blutigen Zermürbungskrieg gegen die israelischen Besatzungstruppen, bis sich Israel im Mai 2000 geschlagen aus dem besetzten Südlibanon zurückzog.

Selbst im Zusammenhang mit dem von den USA unterstützten israelischen Völkermord in Gaza zerbröckeln Israels ständige Beteuerungen, es habe diesen oder jenen Teil von Gaza vollständig unter seine Kontrolle gebracht, jeweils innert kürzester Zeit. Tatsächlich kämpft der Widerstand weiterhin in allen Teilen von Gaza.

Bisher ist jeder israelisch-amerikanische Nachkriegsplan, demzufolge eine besiegte Hamas durch eine von arabischen Staaten unterstützte palästinensische Kollaborationsarmee ersetzt würde, gescheitert.

Dass Israel von seinem fortwährenden Scheitern in Gaza ablenken möchte, ist vielleicht einer der Faktoren, die Israel dazu anspornen, im Libanon einen spektakulären «Erfolg» zu erzielen.

Wendepunkt

Dieser ernüchternde Moment ist ein Wendepunkt im langen Befreiungskrieg der Region gegen den rassistischen, vom Westen unterstützten, siedlerkolonialen Zionismus. Doch nach einem Jahrhundert der Zerstörungen und Schrecken des Zionismus haben sich weder die Menschen im Libanon noch in Palästina ergeben, und alles deutet darauf hin, dass sie es auch jetzt nicht tun werden.

Vielmehr wird der Widerstand nach dem ersten Schock umso entschlossener sein und sich weiter ausbreiten, wie es in jeder Phase des Befreiungskampfes der Fall war.

Auch die Ermordung von Nasrallah mit amerikanischen Bomben und amerikanischen Kampfflugzeugen und vielleicht weiteren Hilfen aus Washington ändert nichts am fortschreitenden Niedergang der globalen Macht der USA – der Macht, auf die Israel für sein Überleben angewiesen ist.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Zionisten schon immer auf Attentate als eine ihrer wichtigsten Taktiken gesetzt haben. Ihr Krieg richtet sich aber nicht gegen einzelne Führungspersönlichkeiten, sondern gegen ganze Völker, deren Entschlossenheit sich nicht so leicht ersticken lässt.

Nasrallah selbst übernahm die Führung der Hisbollah, nachdem Israel 1992 seinen Vorgänger Abbas al-Musawi ermordet hatte, und verhalf der Organisation zu einer beispiellosen Stärke.

Diese Stärke beruht nicht auf dem Willen eines Einzelnen, sondern auf einer Unterstützerbasis, die sich der Sache zutiefst verpflichtet fühlt und – wie Nasrallah selbst immer wieder betonte – bereit ist, auf dem Weg zur Befreiung enorme Opfer zu erbringen.

Wenn die israelische Armee selbst schon zugegeben hat, dass die Hamas nicht vernichtet werden kann, denn «die Hamas ist eine Idee, die Hamas ist eine Partei», wie sieht es dann erst mit der Hisbollah aus?

Das Ernüchterndste ist, dass der Krieg zur Befreiung Palästinas und der Region vom Zionismus für die Menschen in der Region nicht weniger brutal sein wird als die Befreiungskriege in Algerien, Vietnam, Südafrika und so vielen anderen Ländern, die im Visier des euro-amerikanischen Imperiums standen.

Es sind schliesslich dieselben Länder, die Palästina besetzen und kolonisieren, und der genozidale Hass ihrer herrschenden Klassen gegenüber dem Volk, dessen Land und Rechte sie an sich reissen wollen, hat nie nachgelassen.

Wie andere vor ihm gab Nasrallah sein Leben auf dem Weg zur Befreiung Palästinas, und dieser Kampf hat heute nicht geendet.
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Ali Abunimah ist Geschäftsführer von The Electronic Intifada.

Quelle: The Electronic Intifada. Übersetzt mit Hilfe von DeepL.