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Reflexionen zur langen Zeit der sozialistischen Orientierung der Arabischen Republik Syrien: 1971–2024

Davide Rossi

Davide Rossi1

Die Geschichte Syriens war mehr als ein halbes Jahrhundert lang durch eine klare sozialistische Ausrichtung und in den ersten beiden Jahrzehnten auch durch eine enge Zusammenarbeit mit der Sowjetunion geprägt. Freundschaftliche Beziehungen, die so weit gingen, dass Muhammad Ahmed Faris der erste arabische Kosmonaut war, der Anfang der 1980er Jahre am Interkosmos-Raumfahrtprogramm teilnahm, im Juli 1987 mit Sojus zur Raumstation MIR flog und sich dort eine Woche lang aufhielt: Er wurde als Held der Sowjetunion und mit dem Lenin-Orden ausgezeichnet, bevor er zu einem geliebten und gefeierten syrischen Helden wurde.

Unabhängigkeit und die Eroberung der Souveränität unter Hafez al Assad

Hafez al Assad führte Syrien in das sozialistische Lager.

Syrien hatte sich 1946 formell vom französischen Kolonialismus emanzipiert, aber erst 1958 wurde es wirklich souverän, als es sich Nassers panarabischem Projekt anschloss. Diese Phase endete nach dem Sechstagekrieg 1967: Der grosse ägyptische Präsident Gamal Abd el-Nasser wurde bei seiner Ankunft in Damaskus nach der militärischen Niederlage in diesem Konflikt von Verteidigungsminister Hafez al Assad gedemütigt, der ihm die Schuld für den Ausgang des Krieges gab. Hafez al Assad übernahm 1971 selbst die Macht und richtete die Innenpolitik stärker auf ein sozialistisch inspiriertes Sozialsystem aus, das in der Lage war, den Bürgern Schutz und Sozialrechte zu bieten (angefangen bei der Bildung und der Gesundheitsversorgung). Die Neuausrichtung galt auch für die Aussenpolitik, wo sich Syrien offen auf die Seite des sowjetischen Lagers stellte. Formell schloss es sich aber keiner der von Moskau vorgeschlagenen wirtschaftlichen oder militärischen Strukturen an, obwohl der Handel mit den Ländern des Comecon gegenüber jenem mit den arabischen Nachbarländern und der Türkei überwog.

Die Regierung von Bashar al Assad und die sozioökonomische Krise

Die syrischen Christen aller Konfessionen gehörten zu den loyalsten Anhängern des sozialistischen Staates.

Im Jahr 2000 wurde Hafez al Assad von seinem Sohn Bashar abgelöst. Um die durch den Zusammenbruch der Sowjetunion geschwächte Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, schlug er den eher desaströsen Weg der Liberalisierung ein, der in Wirklichkeit, wie in der übrigen Welt, einigen wenigen zugute kam und vielen schadete, während sich das Angebot an Sozialleistungen für die Bürger allgemein verschlechterte.

Im Laufe eines Jahrzehnts wurden die Gegner stärker. Diese waren oft mit Gruppen verbunden, welche die säkulare Ausrichtung des Staates bekämpften und international mit atlantischen Kräften zusammenarbeiteten, die die Kooperration Syriens mit Russland und dem Iran untergraben wollten. Syrien war jedoch weiterhin in der Lage, seinen inneren Zusammenhalt zu bewahren. Er beruhte auf der Achtung der verschiedenen politischen und religiösen Orientierungen innerhalb einer Vielzahl alter christlicher Gemeinschaften sowie der Koexistenz von Sunniten und Schiiten in der muslimischen Sphäre. Und einer internationalen Positionierung, die – auch aufgrund der Unterstützung, die über Damaskus an die Hisbollah im Libanon ging – das Bündnis mit dem Iran stärkte und Syrien faktisch in das entstehende multipolare Lager einordnete, das von China und Russland gefördert wird.

Bashar al Assad und Xi Jinping: Die internationale Positionierung der Arabischen Republik Syrien ist im multipolaren Lager.

Im Jahr 2011 beschloss die Obama-Regierung, arabische Revolutionen zu erfinden. In einigen Fällen, um die Explosion der sozialen Wut in Nationen zu verhindern, die den Interessen Washingtons untergeordnet sind und grosse soziale Probleme haben, wie Tunesien und Ägypten. In anderen wurde damit versucht, politische und wirtschaftliche Gegner wie Gaddafi und Assad zu untergraben. Während die Zerstörung des sozialistischen Libyens tragischerweise durch eine gemeinsame Aktion durch Grossbritannien, Frankreich und den USA blutig durchgeführt wurde und einen schrecklichen Bürgerkrieg auslöste, der bis heute nicht abgeklungen ist, geschah in Syrien das Unglaubliche: Im März 2011 verteilte der Botschafter der Stars and Stripes Gewehre auf den Strassen, um die Entfesselung eines Bürgerkriegs zu fördern. Die westlichen Medien schwiegen wie üblich selbstgefällig dazu.

Der Bürgerkrieg und das Scheitern des Wiederaufbaus

Damit begann die dritte Periode in der Geschichte des sozialistischen Syrien, sicherlich die dramatischste. Ein Bürgerkrieg, der sieben Jahre lang das Land bluten liess, in dem sich die schlimmsten Fundamentalisten mit grausamen Halsabschneidern verbündeten, von Al-Qaida bzw. Al-Nusra bis hin zur dramatischsten und gewalttätigsten Phase von ISIS, die 2014 begann. Die Russen, die Iraner und die libanesische Hisbollah beschlossen zu intervenieren, um Syrien vor dem brutalen und blutigen Obskurantismus zu retten, der vom Islamischen Staat propagiert wurde. Dieser wurde von den atlantischen Mächten im Wesentlichen unterstützt, auf jeden Fall nicht bekämpft.

Russische Soldaten in Aleppo: Ihr Beitrag war entscheidend für den Sieg über ISIS und andere terroristische Organisationen.

Der Frieden von 2018 war nur partiell und trügerisch, so dass viele glauben, es habe ihn nie wirklich gegeben: Bashar al Assad, der auch wieder in die Arabische Liga aufgenommen wurde, sammelte innerhalb der Liga (aber auch von Iran und Russland) finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau, der angesichts der grossen Zerstörungen jedoch langsam und mühsam ist. Die syrische Regierung hatte mit internen Problemen zu kämpfen, insbesondere mit der Geissel der Korruption. Vor allem gelang es ihr nicht, die nationale Einheit wieder herzustellen. Syrien ist nach wie vor in verschiedene Besatzungszonen zersplittert: Zwar befand sich inzwischen der grösste Teil wieder unter der Kontrolle der Regierung in Damaskus. Aber ein beträchtlicher Teil im Norden ist in kurdischer Hand, einige Gebiete sind in der Hand von pro-türkischen Gegnern, andere in der Hand von Gruppen, die mit Fundamentalisten verbunden sind und einige Gebiete sogar unter der Kontrolle von Gruppierungen, die sich immer noch auf ISIS beziehen. [Im Nordosten beuten die USA mithilfe der kurdischen SDF die Ölfelder aus und besetzen die Weizenanbaugebiete, was zusammen mit den westlichen Sanktionen die Wirtschaft enorm schwächte. Zudem sind seit 1967 die Golanhöhen von Israel besetzt.] Es war insgesamt eine Situation, die die Aussichten auf einen Wiederaufbau beeinträchtigte, kräftezehrende militärische Anstrengungen erzwang und auch wirtschaftliche Energien absorbierte, die man lieber zum Wohle der Bürger eingesetzt hätte. Doch das war nicht möglich.

Der Untergang

Die territoriale Zersplitterung, der nicht mehr mögliche innere Zusammenhalt, die wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten der Bürger – all dies führte zu Mutlosigkeit und untergrub die Glaubwürdigkeit des Staates in den Augen vieler Syrer. In den ersten Dezembertagen 2024 eroberte die islamische Bewegung Hayat Tahir al-Sham (Organisation zur Befreiung der Levante) unter der Führung von Abu Mohammad al-Dscholani Aleppo, fast ohne Widerstand. Al-Dscholani kam am 8. Dezember in Damaskus an und traf dort auf den syrischen Premierminister Muhammad Ghazi Al-Jalali, der bereit war, am Übergang zu einer neuen staatlichen Organisation mitzuwirken..

Abu Mohammad al-Dscholani, Anführer von Hayat Tahir al-Sham.

Es wäre voreilig, auf die Rolle einzugehen, die die Atlantiker, Israelis, Türken, Russen und Iraner bei diesem Übergang gespielt haben und spielen werden. Ebenso wäre es verfehlt, sich zu den künftigen internen und regionalen Entwicklungen des neuen Syrien zu äussern, das gerade Gestalt annimmt. Theoretisch sind viele Szenarien denkbar, von einer möglichen neuen Regierung, die die langjährigen internationalen Verpflichtungen Syriens bestätigt, bis hin zu einer neuen und völlig unerwarteten Platzierung Syriens an der atlantischen Front, die eine Reihe unvorhersehbarer Risiken der Destabilisierung für das gesamte Kleinasien und vielleicht nicht nur für dieses birgt.

Sicher ist jedoch, dass in einer bleiernen Dezemberdämmerung die Geschichte der sozialistisch orientierten Arabischen Republik Syrien, wie wir sie ein halbes Jahrhundert lang kannten, zu Ende gegangen ist.

1 Davide Rossi, ausgebildeter Historiker, ist Lehrer und Journalist. In Mailand leitet er das Studienzentrum «Anna Seghers» und ist Mitglied der Foreign Press Association Mailand.
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Der Text ist am 9. Dezember 2024 in sinistra.ch erschienen.