
Ethnostaat-Strategie: Israel verändert die Grenzen Syriens, indem es drusische Milizen unterstützt
von ROBERT INLAKESH1, 28. Februar 2025
Als der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu die syrische Armee aufforderte, sich aus dem Süden des Landes zurückzuziehen, nutzte er die Notlage der drusischen Minderheit als Vorwand. Dabei stützte er sich auf einen Jahrzehnte alten Plan zur Teilung des Landes. Nachdem Israel die Anführer der drusischen Milizen kooptiert hat, plant es, den syrischen Staat, wie wir ihn kennen, zu beenden.
«Wir fordern von den Streitkräften des neuen Regimes die vollständige Entmilitarisierung des südlichen Syrien in den Provinzen Quneitra, Daraa und Suwayda. Ausserdem werden wir nicht tolerieren, dass die drusische Gemeinschaft in Südsyrien bedroht wird», verkündete Netanjahu am Sonntag. Seine Forderungen wurden vom Präsidenten der neuen syrischen Übergangsregierung, Ahmed al-Scharaa, verurteilt. Al-Scharaa ist auch unter dem Kriegsnamen Abu Muhammad al-Dscholani bekannt und leitet Hayat Tahrir al-Sham (HTS), den ehemaligen Ableger von Al-Qaida in Syrien.
Innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Entmachtung des ehemaligen syrischen Präsidenten Baschar al-Assad kündigte das israelische Militär den 1974 mit Damaskus geschlossenen Rückzugsvertrag. Es besetzte weitere syrische Gebiete und führte seine bisher grösste Luftoffensive durch, die das Militär des Landes zerstörte. Als Reaktion darauf bot die neue syrische Führung Israel zunächst einen Olivenzweig an und warf sogar die Idee auf, eine Normalisierung der Beziehungen zu Tel Aviv anzustreben.
Anstatt positiv auf die Rhetorik aus Damaskus zu reagieren, begann Israel, einen Plan zu entwickeln, um die prekäre Lage zweier syrischer Minderheitengruppen auszunutzen: der Kurden und der Drusen. Die beiden Gebiete, in denen diese Minderheitengruppen leben, sind der Schlüssel zur Umsetzung eines Plans, der darauf abzielt, dass Israel seine De-facto-Kontrolle östlich des Euphrat ausdehnt.
Nach der «Operation True Promise», dem iranischen Vergeltungsschlag mit ballistischen Raketen und Drohnen gegen Israel, der auf den Angriff Tel Avivs auf die Teheraner Botschaft in Damaskus folgte, erklärte der israelische Verteidigungsminister Joaw Galant, dass sich die Gelegenheit eröffnet habe, eine neue strategische Beziehung «gegen diese schwerwiegende Bedrohung durch den Iran» aufzubauen. Galants Worte wurden weithin als Aufruf zur Bildung einer gemeinsamen Front mit arabischen Regimen und den kurdischen Bewegungen gegen den Iran interpretiert.
Im vergangenen November machte der israelische Aussenminister Gideon Sa’ar deutlich, dass Tel Aviv vorrangig die von den Kurden angeführten Syrian Democratic Forces (SDF) unterstützen sollte, die den Nordosten Syriens kontrollieren. In hebräischsprachigen Medienberichten wurde behauptet, die SDF hätten Israel offiziell um Hilfe gebeten. Die SDF werden seit langem von den Vereinigten Staaten unterstützt und fungieren als Stellvertreter, damit Washington die Ölfelder und fruchtbaren landwirtschaftlichen Flächen Syriens kontrollieren kann.
Weniger bekannt ist, dass Israel seit langem eigene Beziehungen zu den SDF unterhält. Ein ehemaliger hochrangiger Militärbeamter der vorherigen syrischen Regierung, der anonym bleiben möchte, berichtete gegenüber MintPress News, dass Israel bereits 2017 militärische Ausrüstung – zum Beispiel Drohnen – in den Nordosten Syriens geliefert habe. Dem Beamten zufolge bestand der Zweck darin, Operationen gegen irakische Milizen und Einheiten der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) durchzuführen.
Die Strategie, drusische Separatistengruppen im Südwesten Syriens zu nutzen, war hingegen eine weitaus komplexere Operation, die erst 2020 ernsthaft Gestalt annahm.
Verschwörungen werden wahr
Es ist bekannt, dass Israel bereits seit 2013 mindestens ein Dutzend syrische Oppositionsgruppen direkt finanziert und sie sowohl medizinisch als auch militärisch unterstützt hat, um einen Regimewechsel in Syrien herbeizuführen. Eine dieser militanten Gruppen war die für ihre Gewalttätigkeit berüchtigte HTS, die vom derzeitigen syrischen Präsidenten Ahmed al-Scharaa angeführt wird. Damals wurde in der Presse kaum darüber berichtet, dass Israel Agenten innerhalb der drusischen Gemeinschaft rekrutierte.
Die drusische Bevölkerung lebt hauptsächlich in Südsyrien, im Libanon und im nördlichen besetzten Palästina, wobei jede Gemeinschaft eine eigene historische Entwicklung durchlaufen hat. Während der britischen Mandatszeit in Palästina schlossen sich die palästinensischen Drusen der zionistischen Bewegung an – eine Position, die sie während des Arabischen Aufstands von 1936 bis 1939 konsequent vertraten. Im Gegensatz dazu haben die drusischen Gemeinschaften in Syrien und im Libanon ganz andere politische und soziale Wege eingeschlagen.
Im Jahr 1925 führte Sultan al-Atrasch, ein berühmter drusischer Anführer in Syrien, den Grossen Syrischen Aufstand gegen die französische Kolonialherrschaft und wurde so zum Symbol des Widerstands in der gesamten arabischen Welt. Während sich die Drusen in Palästina später dem israelischen Staat anschlossen – sie dienten in dessen Militär und identifizierten sich als Israelis –, vertraten diejenigen in den besetzten Golanhöhen eine andere Haltung. Als Israel 1981 die syrischen Golanhöhen annektierte, weigerten sich die meisten Drusen, die dort lebten, die israelische Staatsbürgerschaft anzunehmen, und blieben Syrien treu.

Drusische Geistliche stehen am 10. Januar 2020 im Dorf Madschdal Schams an der Grenze zu Syrien unter einem Porträt von Baschar al-Assad. Ariel Schalit | AP
Während des Bürgerkriegs in Syrien stellten sich die Drusen grösstenteils auf die Seite der syrischen Regierung, da diese seit jeher als Bollwerk gegen Bedrohungen durch Gruppen wie ISIS und Al-Qaida diente. Für Israel, das seit Langem versuchte, eine «Pufferzone» innerhalb Syriens zu errichten, stellte dieser Umstand eine Herausforderung dar.
Im Februar 2013 schlug Israel vor, eine Pufferzone einzurichten, die sich über 16 Kilometer in syrisches Gebiet erstreckt, um strategisch wichtiges Land zu sichern, das es während des Krieges von 1973 gegen die Regierung von Hafez al-Assad nicht halten konnte. Später im selben Jahr wurden in Abstimmung mit Jordanien und den Vereinigten Staaten zwei weitere Pufferzonen entworfen. Eine reichte vom Süden von Damaskus bis zur jordanischen Grenze, während die andere das Gebiet zwischen Dara’a und der mehrheitlich von Drusen bewohnten Provinz Suwayda umfasste.
Um die vorgeschlagenen Pufferzonen zu stärken, schlug man vor, dass die Vereinigten Staaten als Sicherheitsgarantie eine Truppe von 20 000 Soldaten in Jordanien stationieren sollten. Gleichzeitig verfolgte Israel eine Doppelstrategie: Es unterstützte militante sektiererische Gruppen, die gegen die Minderheiten Syriens vorgingen, und versuchte gleichzeitig, Beziehungen zu drusischen Fraktionen in Syrien aufzubauen. Das Ziel bestand darin, eine Schutzallianz gegen dieselben Gruppen zu bilden, die Israel heimlich unterstützte.
Im Jahr 2015, als Israel die Al-Nusra-Front (heute Hay’at Tahrir al-Sham, HTS) unterstützte, verübte die Gruppe ein Massaker an 20 drusischen Zivilisten. Diese Gräueltat diente als Grundlage für einen weiteren israelischen Vorstoss, eine Pufferzone einzurichten, wobei Beamte argumentierten, dass dies notwendig sei, um einen «Massenvölkermord» an syrischen Drusen zu verhindern. Trotz dieser Bemühungen scheiterte der Vorschlag für eine Pufferzone erneut.
Israel gab jedoch seine Anstrengungen, Beziehungen zu den Drusen zu pflegen, nicht auf. Selbst als der Krieg in Syrien 2018 zum Stillstand kam, setzte Israel seine Bemühungen fort. Unterdessen war die drusische Bevölkerung einer Reihe verheerender Angriffe ausgesetzt, darunter ein Massaker unter der Führung des IS in Suwayda im Juli 2018, bei dem mehr als 200 Menschen starben.
Der Plan, drusische Separatisten zu stärken
Im Jahr 2019 genehmigte die Trump-Regierung die Sanktionen des Caesar Act, die im darauffolgenden Jahr in Kraft traten und der ohnehin schon geschwächten Wirtschaft Syriens einen verheerenden Schlag versetzten. Als sich die Finanzkrise des Landes verschärfte, sahen Israel und die USA eine Gelegenheit, die wachsenden Spannungen zwischen Damaskus und den syrischen Drusen auszunutzen.
Bereits im Juni 2020 waren die Auswirkungen der Sanktionen vor Ort zu spüren. Der Wert des syrischen Pfunds stürzte ab, was die wirtschaftliche Notlage im ganzen Land verschärfte. Vor diesem Hintergrund kam es zu Protesten, die zunächst klein waren, aber mit jedem Jahr an Umfang und Heftigkeit zunahmen.
Am 7. Juli 2021 trat eine drusische Separatistengruppe namens «Syrian Liwa Party» (SLP) in Erscheinung, die in der US-besetzten Provinz al-Tanf westlich von Suwayda schnell Verbindungen zu Washington knüpfte. Der Aufstieg der Gruppe markierte eine deutliche Verschiebung der Machtverhältnisse in der Region, da sie sich trotz des breiten Widerstands innerhalb der drusischen Gemeinschaft den amerikanischen Interessen anschloss.

In der südlichen Provinz Suwayda in Syrien patrouillieren bewaffnete drusische Männer im Dorf Rami nach einem Angriff durch ISIS. Hassan Ammar | AP
Die SLP unterhielt direkte Verbindungen zu einer sektiererischen drusischen Miliz namens «Counter-Terrorism Force», die öffentlich erklärte, ihre Hauptaufgabe bestehe darin, «die Unterstützung des Regimes für iranische Milizen, insbesondere die libanesische Hisbollah, einzudämmen».
Im Jahr 2022, als die Proteste gegen die Regierung in Suwayda zunahmen, übernahm Israel eine aktivere Rolle bei der Gestaltung des politischen Kurses der Region. Scheich Mowafaq Tarif, der Anführer der drusischen Gemeinschaft Israels, wurde nach Moskau entsandt, um sich für die Föderalisierung Syriens einzusetzen, was den israelischen Interessen, Damaskus zu schwächen, entspricht.
Im September 2023 kam es erneut zu Protesten, doch diesmal wurden sie von den westlichen Medien als von Frauen angeführte Demonstrationen dargestellt, wodurch sie auf der globalen Bühne an Sichtbarkeit gewannen. Im selben Monat verschärfte der US-Kongress seine ohnehin schon erdrückenden Sanktionen gegen Syrien, was die Wirtschaftskrise des Landes weiter verschlimmerte.
Nach dem Sturz des früheren Präsidenten al-Assad bildete sich in Suwayda eine Gruppe, die sich selbst als Interims-Militärrat bezeichnete und von Tareq al-Shoufi angeführt wurde. Am selben Tag, an dem der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu den Abzug aller syrischen Streitkräfte aus Südsyrien forderte, verkündete al-Shoufi die Gründung des Suwayda-Militärrats (SMC).
Der SMC, ein Zusammenschluss separatistischer drusischer Milizen, stellte sich schnell auf die Seite Israels. Sein Anführer, Kommandant al-Shoufi, begrüsste offen Netanjahus Versprechen, die syrischen Drusen zu «schützen». Der Rat vertritt jedoch nicht die Mehrheit der drusischen Bevölkerung Syriens, von denen viele weiterhin mit Damaskus im Dialog stehen.
Prominente drusische Führungspersönlichkeiten, darunter Hikmat al-Hajeri, der geistliche Führer der Gemeinschaft in Syrien, verurteilten den SMC, bezeichneten ihn als illegitim und lehnten seine Autorität ab. Trotz israelischer und westlicher Versuche, die Gemeinschaft zu spalten, lehnen bedeutende Teile der drusischen Führung in Syrien weiterhin jegliche Einmischung von aussen in ihre inneren Angelegenheiten ab.

Karte links: Angesichts der jüngsten Zusammenstösse zwischen Milizen des al-Dscholani-Regimes und Drusen aus Jaramana veröffentlichten israelische Quellen eine Karte eines Angriffs auf Damaskus. Dieser soll erfolgen, wenn al-Dscholanis Kämpfer Jaramana (einen Vorort der syrischen Hauptstadt, der hauptsächlich von Drusen bewohnt wird) erneut angreifen würden. | Karte rechts: So sieht Israel im Prinzip die berüchtigte «kontrollierte Drusenautonomie» in Syrien – Jabal al-Druz bzw. Jabal al-Arab. Quelle: NewEasternOutlook. Vergrösserung durch Klick.
Trotz Legitimitätsfragen setzt Israel seine Bemühungen fort, im Süden Syriens einen drusischen Staat zu errichten. Es laufen bereits Pläne, syrischen Drusen Gehälter von etwa 100 US-Dollar pro Tag anzubieten, wenn sie dabei helfen, illegale Siedlungsinfrastrukturen in den besetzten Golanhöhen zu errichten. Die Strategie orientiert sich an Israels «Good-Fence»-Politik der 1980er Jahre, die dazu diente, im Südlibanon mithilfe lokaler Stellvertretertruppen Fuss zu fassen, die damals hauptsächlich aus christlichen Milizen bestanden.
Israelische Panzer dringen immer tiefer in syrisches Gebiet vor, wobei einige sogar dabei beobachtet wurden, wie sie die Nationalflagge der Drusen hissten. Unterdessen bombardieren israelische Kampfflugzeuge ungestraft Ziele im ganzen Land und destabilisieren so immer mehr eine Nation, die ohnehin schon auseinanderzubrechen droht.
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1 Robert Inlakesh ist ein politischer Analyst, Journalist und Dokumentarfilmer, der derzeit in London, Grossbritannien, lebt. Er hat in den besetzten palästinensischen Gebieten gelebt und von dort berichtet und moderiert die Sendung «Palestine Files». Er ist der Regisseur von «Steal of the Century: Trump’s Palestine-Israel Catastrophe». Folgen Sie ihm auf Twitter @falasteen47.
Quelle: MintPress News. Übersetzt mit Hilfe von DeepL. Titelbild: Illustration von MintPress News (Originalfoto von AP).