
Wie der Kahanismus seinen Weg in den politischen Mainstream Israels fand
Völkermord-Rhetorik ist in der israelischen Politik nichts Neues. Doch die Zerstörung Gazas spiegelt die apokalyptische Sprache der Knesset wider – wo das Establishment nach und nach Mitglieder einer ehemaligen Terrorgruppe aufgenommen hat. Wie lange geht es, bis selbst die Verursacher der jüngeren Siedler-Pogrome an Palästinensern in Dörfern des Westjordanlands für ein Knesset-Mandat nominiert werden? Ihre Logik und ihr Vorgehen stimmt jedenfalls schon jetzt mit denen des israelischen politischen und militärischen Establishments überein.
von NATASHA ROTH-ROWLAND1, 14. Mai 2025
Ende Januar traf der israelische Botschafter in den Vereinigten Staaten in Washington ein, um sein neues Amt anzutreten. In gewisser Weise ist Yechiel Leiters Lebenslauf typisch für jemanden, der auf den wohl prestigeträchtigsten diplomatischen Posten berufen wurde: Der in den USA geborene Israel-Einwanderer hatte zahlreiche hohe Regierungspositionen inne, darunter das des Stabschefs des damaligen Finanzministers Benjamin Netanjahu, bevor er als Senior Fellow beim rechtsgerichteten Kohelet Policy Forum arbeitete und dann in die Privatwirtschaft wechselte, nachdem er sich zuvor erfolglos um ein Amt bei Israels regierender Likud-Partei beworben hatte.
Andere Aspekte von Leiters Biografie sind allerdings weniger typisch für einen Spitzendiplomaten – vor allem seine frühere Mitgliedschaft in einer Organisation, die sowohl in seinem Geburts- als auch in seinem Wahlland als terroristische Vereinigung eingestuft wurde.
Noch in den USA war Leiter Mitglied der rechtsextremen Jewish Defense League, einer gewalttätigen Bürgerwehr, die vom extremistischen amerikanischen Rabbiner Meir Kahane gegründet worden war. In den 1970er Jahren, nach seiner Auswanderung nach Israel, schloss sich Leiter Kach an, der faschistischen Partei und Bewegung, die Kahane nach seiner eigenen Einwanderung gegründet hatte. Ursprünglich als internationaler Zweig der JDL konzipiert, entwickelte sich Kach schliesslich zu einer authentischen israelischen Organisation mit einem eigenen politischen Credo: dem Kahanismus. Leiter wurde später zum Anführer der radikalen jüdischen Siedlung in Hebron ernannt, bevor er zu einem Anführer der breiteren Siedlerbewegung wurde.
Nachdem 1994 Kach-Mitglied und Kahane-Anhänger Baruch Goldstein – ein weiterer amerikanischer Einwanderer in Israel – 29 betende Palästinenser in der Ibrahimi-Moschee in Hebron massakriert hatte, stuften sowohl die israelische als auch die US-Regierung Kach als terroristische Organisation ein. (Das US-Außenministerium widerrief diese Einstufung 2022.)
Es ist mittlerweile alltäglich, Aussagen zu hören, die problemlos in ein Kach-Manifest passen würden, und zwar von Politikern, die im rechtslastigen politischen Spektrum Israels keineswegs als extrem gelten.
Leiters Ernennung zum Botschafter in den USA trotz seiner früheren Mitgliedschaft in dieser Gruppe ist bemerkenswert und bietet eine deprimierende Momentaufnahme des Extremismus in der israelischen und amerikanischen Politik. Dies wurde Ende April bekräftigt, als ein weiterer Kach-Veteran, Israels Nationaler Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir, zu seinem ersten offiziellen Auslandsbesuch in den Vereinigten Staaten eintraf, nachdem er von der Biden-Regierung de facto boykottiert worden war. Ben Gvir, der wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation verurteilt wurde, traf sich mit mehreren republikanischen Kongressabgeordneten und sprach vor einem wohlwollenden Publikum in Mar-a-Lago, Manhattan, und an der Yale University. Zwischendurch besuchte er in Florida ein Gefängnis, ein Waffengeschäft und eine jüdische Schule.
Gleichzeitig ist Leiters Aufstieg ein Fenster zu einer grösseren Geschichte: der fortwährenden und immer stärkeren Aufnahme extremistischer Gruppen in den politischen Mainstream Israels, typischerweise dadurch, dass ihre ehemaligen Mitglieder entweder in Ämter gewählt werden oder als hochrangige Berater mächtiger Mitglieder der Knesset dienen.

Israels Botschafter in den Vereinigten Staaten Yechiel Leiter, in Jerusalem, 16. Februar 2025. (Yonatan Sindel/Flash90)
Tatsächlich ist der Anblick von Kahanisten und Mitgliedern der extremistischen Hügeljugend im israelischen Parlament mittlerweile alltäglich und hat den Rechtsruck der israelischen Politik der letzten Jahrzehnte deutlich gemacht – der sich seit dem 7. Oktober zu einem Wettlauf nach unten beschleunigt hat. Es ist mittlerweile alltäglich, Aussagen zu hören, die problemlos in ein Kach-Manifest passen würden, und zwar von Politikern, die im rechtslastigen politischen Spektrum Israels keineswegs als extrem gelten.
Man denke beispielsweise an den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant, der am 9. Oktober 2023 erklärte: «Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und handeln dementsprechend», während er eine vollständige Belagerung des Gazastreifens ankündigte; an den stellvertretenden Sprecher der Knesset und Likud-Abgeordneten Nissim Vaturi, der dazu aufrief, «den Gazastreifen vom Erdboden zu tilgen»; an den Likud-Abgeordneten Amit Halevi, der sagte, es dürfe «kein muslimisches Land mehr im Land Israel geben … [und] Gaza sollte wie ein Denkmal zurückgelassen werden, wie Sodom»; oder an Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der biblische Anspielungen auf das Schicksal Gazas machte, die weithin als Anspielung auf ein Massenschlachten verstanden wurden.
Völkermord-Rhetorik ist in der israelischen Politik und der breiteren israelischen Öffentlichkeit keineswegs neu (zahlreiche Journalisten schliessen sich dieser Rhethorik an). Frühere israelische Angriffe auf den Gazastreifen wurden von Forderungen begleitet, die Enklave «
Von den Hügeln in die Korridore
Die Wahl im November 2022, die uns hierher führte, brachte einige Premieren mit sich: Zum ersten Mal schaffte es ein bekennender Anhänger Kahanes in die Regierungskoalition und später ins Kabinett; zum ersten Mal wurde ein ehemaliges Mitglied der Hügeljugend in die Regierung aufgenommen, ein anderes wurde Parlamentsberater; zum ersten Mal erhielt eine Wählerliste mit kahanistischer Ausrichtung über 10 Prozent der israelischen Stimmen. Diese und andere Entwicklungen führten dazu, dass Israels jüngste Regierungskoalition nach ihrer Vereidigung schnell – und zu Recht – als die rechtsextremste in der Geschichte des Landes bezeichnet wurde.
Es wurden zahlreiche Erklärungen dafür angeboten, warum in den vergangenen 20 Jahren fast jede neu gewählte israelische Regierung als solche bezeichnet wurde. Die allgemeine Auffassung drehte sich um eine Kombination aus dem gescheiterten Osloer Friedensprozess, der Zweiten Intifada und der persönlichen Korruption Netanjahus.
Doch es gibt auch einen anderen, viel längerfristigen Mechanismus, für den die aktuelle Regierung nur das jüngste Beispiel ist. Mit der allmählichen Absorption einiger der rechtsradikalsten Elemente der israelischen Gesellschaft durch das politische Establishment sind die rechten Ideologen von gestern – die einst von aussen gegen die Regierung protestierten – heute zu Knesset-Mitgliedern, Beratern, Ministerialbeamten usw. geworden.

Menachem Begin, ehemaliger Führer der Irgun, einer zionistischen paramilitärischen Organisation, spricht am 14. August 1948 auf einer Parteiversammlung der Cherut (der heutigen Likud) in Tel Aviv. (Hans Pinn/GPO)
Dieser Trend ist in gewisser Form seit der Staatsgründung zu beobachten: Die rechtsextremen Militanten, die in der Zeit vor dem Staatsaufbau Bombenanschläge auf Hotels und Märkte verübten – und gegen die britischen Mandatsbehörden, die einheimische arabische Bevölkerung Palästinas und ihre jüdischen Rivalen agitierten –, wurden rasch in die Institutionen des neuen Staates integriert, von der Armee bis zum Parlament. Und obwohl die israelische Rechte in den 1950er und 1960er Jahren relativ ruhig war, nahm dieser Trend nach Beginn der Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlands, einschliesslich Ostjerusalems, im Jahr 1967 wieder zu. Dies führte zur Entstehung der Siedlerbewegung und einer neuen jüdischen extremen Rechten, die von messianischem Eifer erfüllt war – wenn auch mit organisatorischen und ideologischen Bindungen zu ihren Vorgängern.
Der Einfluss der Kahanisten auf die israelische Mainstream-Politik ist angesichts der Langlebigkeit der Bewegung und ihrer offenkundig faschistischen Ideologie der bemerkenswerteste und beständigste Aspekt dieses Trends. Doch Kach ist bei weitem nicht die einzige rechtsextreme Gruppe in der israelischen Gesellschaft, die einen Platz in der Knesset gefunden hat. Mitglieder von Gush Emunim, der jüdischen Untergrundbewegung, der Tempelbergbewegung und, wie bereits erwähnt, der Hügeljugend haben alle ihren Weg in die Machtzentren Israels gefunden – sei es als gewählte Amtsträger oder als deren Mitarbeiter und Berater.
Hier zeigt sich ein generationsübergreifendes Muster: In den letzten fünf Jahrzehnten entstanden rechtsextreme Gruppen, die die israelische Regierungspolitik in Frage stellten, insbesondere wegen vermeintlichen Verrats am Projekt der jüdischen Besiedlung und der ethnischen Säuberung der Palästinenser. Diese Gruppen protestierten beispielsweise gegen die Camp-David-Abkommen Ende der 1970er Jahre und die Oslo-Vereinbarungen Mitte der 1990er Jahre. Und heute wie damals beharren sie darauf, dass die Regierung und das Militär nicht genug tun, um das Land zu besiedeln, Juden zu schützen und Palästinenser zu vernichten.
Mit der Zeit wurden die Mitglieder dieser Gruppen in die Regierungsinstitutionen des Landes integriert. Dieser Prozess hat ihre Fähigkeit, von aussen Druck auf die Regierung auszuüben, geschwächt: Kooptierung ist nach wie vor eines der wirksamsten Mittel, um Protestbewegungen zu neutralisieren. Sie offenbart aber auch die Absurdität der Behauptung der israelischen Regierung, nach gewalttätigen Ausschreitungen jüdischer Nationalisten gegen «schwarze Schafe» vorzugehen, nur um später deren ideologische Mitstreiter an die Macht zu holen.
Und während die Kooptierung von Extremisten zwar deren äusseren Druck neutralisieren mag, verbreitet sie zugleich ihre schädlichen Ideen und verstärkt so den Rechtsruck des Landes. Jedes Mal, wenn eine neue rechtsextreme Gruppe auftaucht – oft extremer als die vorherige – und in Israels Wahlsystem eingebunden wird, gewöhnen sich die Wählerschaft und grosse Teile der Kommentatoren zunehmend an ihre gewalttätige Rhetorik.
Nach seiner ersten Wahl in die Knesset als Vorsitzender von Otzma Yehudit sorgte Ben Gvirs rasanter Aufstieg im Jahr 2021 für intensive Berichterstattung über die rassistische und verfolgungswütige Rhetorik der extremen Rechten. Genau diese Berichterstattung stärkte ihre öffentliche Unterstützung und festigte damit ihren Platz in der offiziellen israelischen Politik. Ben Gvir geniesst heute eine Akzeptanz, die Kahane nie erlebte. Doch schon zu Kahanes Lebzeiten fanden seine einstigen Anhänger ihren Weg in die etablierte israelische Politik.

Itamar Ben Gvir spricht vor einem Transparent mit der Aufschrift «Kahane hatte Recht» während einer Zeremonie zum 27. Todestag von Rabbi Meir Kahane, Jerusalem, 7. November 2017. (Yonatan Sindel/Flash90)
Aus dieser Perspektive betrachtet ist es nicht verwunderlich, dass Netanjahu in den letzten Jahren versucht hat, Wahlabkommen für eine kahanistische Partei auszuhandeln, um deren Einzug in die Knesset sicherzustellen. Aber eigentlich hat das Likud-Kahanisten-Bündnis selbst eine viel längere Geschichte, die den breiteren Weg rechtsextremer Agitatoren zur Regierung, zu dem es gehört, widerspiegelt – und die mit Ben Gvirs Wahl 2021 dazu führte, dass der Kahanismus offiziell aus der Versenkung zurückkehrte.
Ein ausgetretener Pfad
Die Geschichte begann Anfang der 1970er Jahre, als Kahane – auf der Flucht vor rechtlichen Problemen in den Vereinigten Staaten – in Israel ankam und prompt von einem zukünftigen Likud-Premierminister umworben wurde.
Als Vorsitzender von Cherut, dem Vorgänger des Likud, nahm Menachem Begin Kahane zunächst unter seine Fittiche, da er glaubte, er könne der Partei politisch zu mehr Erfolg verhelfen. Begin stellte Kahane Politikern vor und bot ihm einen «sicheren Sitz» in seiner Partei an, den Kahane ablehnte. Geulah Cohen, ehemaliges Mitglied von Lehi – der anderen grossen jüdischen Extremistengruppe im Mandatsgebiet Palästina neben Begins Irgun – war ebenfalls eine Bewunderin Kahanes und hielt ihn für einen vielversprechenden Kandidaten für Cherut, dem sie ebenfalls beitreten wollte. Begin und Cohen gehörten selbst zu den ersten Israelis, die aus einer rechtsextremen militanten Organisation in die Knesset aufstiegen.
Kahane ging seinen eigenen Weg und gründete kurz darauf die faschistische Kach-Partei. Doch mehrere seiner Zeitgenossen und späteren Anhänger wechselten von der Kahanistenbewegung zum Likud und dienten in der Knesset, als Minister oder in anderen Funktionen.
Der vielleicht berühmteste ehemalige Kach-Anhänger, der zum Likud wechselte, ist der heutige Vorsitzende von Yisrael Beitenu, Avigdor Liberman. Er wurde, wie damalige Kach-Mitarbeiter aussagten, kurz nach seiner Emigration aus der Sowjetunion Ende der 1970er Jahre Mitglied (Yisrael Beitenu bestritt die Enthüllungen zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung). In den 1980er Jahren trat er dem Likud bei und arbeitete sich im Parteiapparat nach oben, bevor er die Partei verliess, um seine eigene Partei zu gründen. Dabei festigte er seinen Ruf als virulenter Rassist mit gewalttätigen Fantasien, die an Kahane erinnerten – wie sein berüchtigter Kommentar aus dem Jahr 2015 zeigt, palästinensische Bürger, die dem Staat Israel gegenüber «illoyal» seien, sollten geköpft werden. (Der damalige Generalstaatsanwalt Yehudah Weinstein lehnte es ab, eine Untersuchung zu Libermans Hetze einzuleiten.)
Morton (Mordechai) Dolinsky, der zusammen mit Kahane in New York die JDL gründete, wurde nach seiner Emigration nach Israel in den 1970er Jahren politisch bei Cherut aktiv und diente als leitender Berater der Jewish Agency. Anfang der 1980er Jahre ernannte ihn Begin zum Leiter des Pressebüros der Regierung.
Shmuel Sackett, ein weiterer amerikanischer Einwanderer nach Israel, der sich nach seiner JDL-Zeit Kach anschloss, gelangte über einen etwas anderen Weg in den Likud. Nachdem er zusammen mit Moshe Feiglin die Anti-Oslo-Bewegung Zo Artzeinu («Dies ist unser Land») gegründet hatte, riefen er und Feiglin 1998 Manhigut Yehudit («Jüdische Führung») ins Leben – eine rechtsextreme Likud-Fraktion, die sich im Parteiapparat fest etablierte. Sackett, der ebenfalls Interesse an einem Platz auf der Likud-Wahlliste bekundete, machte während seiner Amtszeit als internationaler Direktor von Manhigut Yehudit keinen Hehl aus seiner anhaltenden Treue zu Kahane. Tatsächlich schrieb er 2013 einem Kritiker, als «offener Kahanist» bezeichnet zu werden, sei «das grösste Kompliment, das man sich vorstellen kann» und «das grösste Geschenk». Sackett fuhr fort, dass Kahanisten keineswegs «eine negative Kraft» seien, die um jeden Preis vermieden werden müsse, sondern «sehr oft die besten Mitglieder eines Teams».
Obwohl Sackett nicht mehr in der israelischen Politik aktiv ist, ist er weiterhin ein produktiver Kommentator. Wenige Monate vor dem 7. Oktober schlug er in der rechtsextremen, orthodoxen New Yorker Zeitung «Jewish Press», wo Kahane früher eine wöchentliche Kolumne hatte, vor, Israels nächsten Militärschlag «Krieg zur Vernichtung des Feindes» zu nennen. Nach den Hamas-Angriffen berief er sich auf Kahane und rief dazu auf, «den Feind zu zerschmettern und ihn aus unserem Land zu vertreiben». Seine Organisation, die Am Yisrael Chai Foundation, ist in den USA steuerbefreit.

Likud-Abgeordnete May Golan mit Abgeordnetem Itamar Ben Gvir in ihrem provisorischen Büro im Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah, 14. Februar 2022. (Arie Leib Abrams/Flash90)
In jüngerer Zeit kandidierte May Golan, derzeit Likud-Abgeordnete in der Regierungskoalition, erstmals 2013 für die Knesset. Sie war Mitglied von Otzma LeYisrael (Macht für Israel) – heute bekannt als Otzma Yehudit (Jüdische Macht), einer offen kahanistischen Partei. Nach einer erfolglosen Kandidatur für die Knesset mit dem Likud im Jahr 2015 schaffte Golan im April 2019 den Einzug in die Knesset als Mitglied der Regierungspartei. Golan, die sich für den Wiederaufbau israelischer Siedlungen im Gazastreifen einsetzt und im vergangenen Jahr zur Ministerin für soziale Gleichstellung und Frauenförderung ernannt wurde, erlangte Anfang der 2010er Jahre durch ihre Proteste gegen afrikanische Asylsuchende und ihre rassistischen Äusserungen über sie Bekanntheit.
Golan wurde kurzzeitig als israelische Generalkonsulin in New York nominiert, als Netanjahu bemüht war, einen rechtsextremen Aufstand innerhalb seiner Partei niederzuschlagen. Dieser Schritt wurde von Mitgliedern der Biden-Regierung und liberalen amerikanisch-jüdischen Institutionen scharf kritisiert, und Golans Nominierung wurde umgehend zurückgezogen. Der Vorfall diente jedoch als erneute Erinnerung daran, dass eine kahanistische Gesinnung kein Hindernis für den Aufstieg innerhalb der Likud-Ränge darstellt. (Letztes Jahr erklärte Golan, sie sei «stolz auf die Ruinen in Gaza».)
Das Ende der Fahnenstange
Die Tatsache, dass zahlreiche Anhänger Kahanes – ob durch Wahl oder Ernennung – in der dominantesten politischen Partei in der Geschichte Israels tätig waren, bedeutet nicht, dass es zwischen den beiden Gruppen keine Unterschiede gäbe. Zwar eint sie der Wunsch nach der Kontrolle über einen möglichst grossen Teil «Grossisraels» mit möglichst wenigen Palästinensern – eine Vision, die der Grossteil des politischen Spektrums Israels teilt, auch wenn es methodische Unterschiede gibt –, doch gibt es zwischen Likud und den verschiedenen kahanistischen Gruppen echte Unterschiede in Ästhetik und Ansatz.
Doch während Israels politischer und militärischer Apparat weiterhin von einem Eliminierungswahn erfasst ist, lohnt es sich, darüber nachzudenken, warum sich Absolventen von Kahanes Netzwerk im Laufe der Jahrzehnte immer mehr zum Likud hingezogen fühlten – jenseits rein politischer Ambitionen und der altbekannten Tradition, dass Extremisten sich «mässigen», um mehr Chancen bei den Wählern zu haben – und wie dieses Bündnis das gesamte politische Spektrum Israels nach rechts verschoben hat.
Ein Ende dieses Prozesses ist zudem nicht in Sicht. Schon vor dem 7. Oktober war die israelische Politik extremer, gewalttätiger und missbräuchlicher denn je und bot Terroristen, Aufwieglern und jenen, die aus ihrer Völkermordideologie kein Geheimnis machen, immer wieder Raum. Nach dem 7. Oktober beschleunigte die Vernichtungsrhetorik ihren Vormarsch in den Mainstream – eine passende Begleitung zu dem Inferno, das Israel über Gaza gebracht hat.
Vor zwei Jahren, zwei Monate nach dem Amtsantritt der heutigen israelischen Regierung, verübten israelische Siedler in der palästinensischen Stadt Huwara im besetzten Westjordanland ein Pogrom. Die operative Unterstützung, die sie damals von den israelischen Sicherheitskräften und von grossen Teilen der Regierungskoalition erhielten, warf die Frage auf, ob und wann aus den Pogromisten von heute die Knesset-Abgeordneten von morgen werden würden.
Siebzehn Monate nach dem 7. Oktober, während Gaza in Trümmern liegt, die israelische Armee eine massive Bodenoffensive plant und Siedler und Armee im Westjordanland eine gemeinsame Kampagne der verbrannten Erde führen, ist die Antwort klar: Dieses Pogrom war in Wirklichkeit ein Blick in die unmittelbare Zukunft. Und obwohl die Täter vielleicht noch nicht für ein Amt kandidieren, stimmen ihre Logik und ihr Vorgehen mit denen des israelischen politischen und militärischen Establishments überein. Das Ende der Fahnenstange, so scheint es, ist erreicht.
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1 Natasha Roth-Rowland ist Leiterin für Forschung und Analyse bei der Diaspora Alliance. Sie promovierte in Geschichte an der University of Virginia, wo sie ihre Dissertation über die israelisch- und amerikanisch-jüdische extreme Rechte verfasste, und war ehemalige Redakteurin des +972 Magazine, von dem dieser Artikel übernommen wurde. Sie lebt mit ihrer Frau und ihrer Tochter in Queens, New York.