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Berlusconi an der Macht

Neapel riechen und sterben

Schätzungsweise fünftausend Tonnen Müll liegen in den Strassen von Neapel herum. Im Mai ist die Abfallentsorgung völlig zum Erliegen gekommen. In dieser Stadt hat Berlusconi sein Kabinett zusammengerufen und dem stinkenden Übel auf höchster Ebene den Kampf angesagt. Der symbolträchtige Auftakt zeigt Berlusconi in der Tradition des klassischen Faschismus. Berlusconi präsentiert sich als Kämpfer gegen Schmutz, um anschliessend alles was er bekämpft, als schmutzig erscheinen zu lassen. Das war der Machtantritt von Berlusconi. Wo wird er enden? Man sollte nicht sterben, bevor man Neapel gesehen hat. Diesen Ratschlag fassen unsere südlichen Nachbarn in das Wort «Veder Napoli e morire». Seit fast einem halben türmen sich die Abfallberge in dieser Stadt dermassen, dass heute die Rede geht: «Napoli riechen und sterben».

Ratten und Insekten bemächtigen sich der Strasse. Die hygienischen Bedingungen spitzen sich dramatisch zu und werden durch das wärmere Wetter verschärft. Nach Feuersbrünsten werden Dioxin-Vergiftungen befürchtet. Täglich werden Dutzende von neuen Bränden angelegt, 84 allein in der Nacht auf den letzten Sonntag. Wer hinter den Brandstiftern steckt, ist umstritten. Von erzürnten Bürgern ist die Rede. Einige sagen, die Camorra versuche die Lage zu destabilisieren, um ihren Einfluss und Operationsbereich auszuweiten. Dass es sich um ausländische Agenten handle, die Italien angreifen wollen, glaubt keiner im Ernst. Genau wie im Deutschland von 1933, als die Frage aufkam, wer den Reichstag angezündet habe, liegt der Schlüssel zur Antwort auch heute in der Frage: Wem nützt diese Krise politisch und ökonomisch?

Seit dreissig Jahren kontrolliert die Camorra den Abfallsektor in der Umgebung von Neapel. Lukrativ wurde dieses Geschäft dadurch, dass die Industriebetriebe Norditaliens und des Auslandes Gelegenheit erhielten, Tonnen von giftigen Abfällen illegal und zu den “wettbewerbsfähigen” Preisen zu entsorgen, welche die Mafianetze anbieten. Dank einem skrupellosen mafiösen Kapitalismus hat der Anteil der Krebskranken in der Bevölkerung von Kampanien um 20% zugenommen.
Die ersten Dekrete: Steuersenkungen

Ausser dem Kampf gegen den Schmutz hat das neue Kabinett an seiner ersten Sitzung beschlossen, die Steuern auf Eigenheimen vollständig abzuschaffen. Das Gesetzesdekret tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft. Die Abschaffung der schon bis anhin niedrigen Steuern auf Eigenheimen stösst immerhin auf einige Kritik von Wirtschaftsprofessoren und von Kommunalbehörden. Diese Abgaben waren von den Gemeinden erhoben worden. Berlusconi verspricht, ihre Verluste durch Zahlungen aus Rom auszugleichen. Damit büssen die Gemeinden ein Stück Autonomie ein. Berlusconis Kompensationen werden nur vorübergehend sein, und er wird die Gelder nach politischem Gutdünken verteilen.
Die Frage der Steuersenkungen stellt sich in Italien etwas anders als in anderen Ländern. In Italien sind die Steuern einiges höher als etwa in der Schweiz. Staatliche Vetternwirtschaft und Korruption entwickeln sich in aller Offenheit. Die italienischen Politiker beziehen fürstliche Gehälter, und die Qualität der staatlichen Leistungen ist miserabel. Die meisten italienischen Steuerzahler erhalten von einer Abgabe an diesen Staat ebenso wenig zurück, als von einem Schutzgeld an die Mafia. Unter solchen Umständen begreift man die breite Zustimmung zu Steuersenkungen für die eigene oder andere Klassen. Der Kampf um gerechtere Verteilung der Steuerlasten wird in dieser Lage zweitrangig, der Kampf gegen den Parasiten wird zur gemeinsamen Sache.

Zudem wird der Steuersatz für Lohn aus Überstunden auf 10% hinunter gesenkt. Die Arbeitgeberverbände und die ihnen nahestehenden grossen Gewerkschaftszentralen begrüssten die so geschaffenen Anreize zur Überstundenarbeit. Diese Politik widerspricht den grundlegendsten Interessen der Arbeiterklasse. Sie bedeutet einen weiteren Schritt zur Flexiblisierung der Arbeitskraft. Jeder ernsthafte Gewerkschaft anerkennt die Bedeutung des Kampf gegen Überstunden innerhalb des grösseren Kampfs für die Arbeitszeitverkürzung, und hier haben wir es mit dem überhaupt wichtigsten ökonomischen Kampf der Arbeiterklasse zu tun. Auf dem Boden des Kapitalismus ihr dies unser wichtigster Offensivkampf schlechthin, so wie die Verteidigung des Organisations- und Streikrechts das wichtigste Ziel in der Defensive ist. Verständlich, wenn einer mit soviel Dreck am Stecken wie Berlusconi versucht, Kapital aus der Tatsache zu schlagen, dass nicht nur Napoli, sondern auch die italienischen Gewerkschaften und Linksparteien zum Himmel stinken. Die sogenannten Linksparteien haben die Stadt auch seit anderthalb Jahrzehnten regiert.

Welle des fanatischen Ausländerhasses

Vom Norden, wo die Lega ihr Unwesen treibt, bis hinunter nach Neapel wurde in Italien in diesem Mai 2008 eine wüste rassistische Kampagne des fanatischen und gewalttätigen Ausländerhasses entfesselt. Dabei sind Dutzende von Brandstiftungen und anderen Übergriffen gegen Roma gemeldet worden. Feuerwehrleute, welche die Brände löschen wollten, wurden bedroht und mit Steinen beworfen. In Neapel ist es zu zahlreichen brutalen Angriffen auf einzelne Gruppen und zu Vertreibungsaktionen gekommen. Zur Aktion aufgestachelt wurden die Leute diesmal mit dem Gerücht, dass eine sechzehnjährige Zigeunerin versucht habe, ein katholisch getauftes Kind zu stehlen.

Rechte Politiker, Journalisten und andere Wiederkäuer von Berlusconis Begriffen servieren pausenlos extreme Massnahmen, die man zur Unterbindung der “verbrecherischen Einwanderung” einführen sollte. Verstärkung von Militär und Polizei und Ausweitung ihrer Befugnisse, Sondergerichte und aussergerichtliche Sonderbevollmächtigten gegen Ausländer.

Die Städte Neapel, Mailand und Rom, wo kürzlich ein Ex-Faschist zum Bürgermeister gewählt wurde, haben Berlusconi offiziell gebeten, ausserordentliche Kommissare einzusetzen, welche endgültig über das Schicksal von Zigeunerfamilien und Gruppen bestimmen könnten. Innenminister Maroni (Lega) will einen Sondertatbestand namens “illegale Einwanderung” im Strafrecht schaffen. Verteidigungsminister La Russa befiehlt die Schaffung einer Sondertruppe von 2500 Bewaffneten zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung.

Der Innenminister hatte schon am 15. Mai die Ergebnisse einer Polizeioperation präsentiert, die ihresgleichen sucht. Zufällig auf Napoli und weitere Städte konzentriert, wo auch die Ausländerhasser am aktivsten sind, bot die Regierung hier ein Vorspiel ihrer neuen Ausländerpolitik. Es wurden 382 festgenommen, meistens von osteuropäischer Herkunft, aber auch Staatsangehörige von Albanien, Griechenland, China und afrikanischen Ländern. Im Zeitpunkt der Berichterstattung waren je ein halbes Hundert der Festgenommenen ausgeschafft oder in Haftzentren eingekerkert worden. In Rom ging die Polizei gegen die Wohnplätze der Zigeuner vor und nahm rumänische und bosnische Bürger fest. In Neapel intervenierte sie, um mehrere Gruppen dieser ethnischen Minderheit zu evakuieren, die im Zug des Beitritts von Rumänien zur EU zugenommen hat.

Durch fortgesetzte Gehirnwäsche mit allen Wassern propagiert Berlusconi die willkürliche Gleichsetzung: Einwandern ist ein Verbrechen. Er will in ganz Italien ein Klima der Intoleranz und der Gewaltexzesse schaffen. In Italien leben etwa 160 Tausend Roma, wovon schätzungsweise 60 Tausend aus Rumänien. Im Gegensatz zur italienischen Regierung hat die spanische verlauten lassen, dass sie die Gewalttätigkeiten, den Rassismus und den Fremdenhass verurteilt und sich von den Vorgängen in Italien distanziert.

Berlusconi verschärft die Krise

Im heutigen Parlament sitzt nicht ein einziger Kommunist, auch kein Sozialist, und nicht ein Grüner. Die Vertreter des Kapitals sind völlig unter sich. Sie werden diese Gelegenheit nicht verpassen, um Italien nach ihren Wünschen umzukrempeln.
Alles macht den Anschein, als plane Berlusconi, die chronische italienische Staatskrise in eine akute zu verwandeln. Alles deutet darauf hin, dass eine Art Ermächtigungsgesetz geschnürt wird, das Berlusconi weitreichende Vollmachten gibt, um die Diktatur der aggressivsten Fraktionen des Grosskapitals nicht länger auf dem Weg der parlamentarischen Demokratie auszuüben, sondern diese Diktatur in offener terroristischer Weise fortzusetzen.

Es bekräftigt sich in den Vorgängen in Italien eine alte Weisheit. Das Aufkommen des Faschismus ist wohl zum Teil eine Reaktion der Angst, welche die revolutionäre Arbeiterklasse der führenden Bourgeoisie einflösst. Es ist daher eine Reaktion der Schwäche der Bourgeoisie, wenn sie sich nicht anders zu behelfen weiss und zum Faschismus greifen muss. Aber gleichzeitig ist das Wachstum des Faschismus ein Zeichen für die Schwäche der Arbeiterbewegung.

Die ideologische und politische Korrumpierung ihrer Klassenorganisationen, die daraus folgende Einbusse ihres Gewichts in der Gesellschaft usw. pflügen den Boden, auf dem die faschistische Aussaat wachsen kann. Die Partei der Rifondazione, die sich philosophisch an Nietzsche orientiert, benahm sich auch in der Praxis nicht wie ein Gegenspieler, eher schon wie ein Wegbereiter Berlusconis.

(21.05.08/mh)


Zu Italien siehe auch:

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