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Warnung vor neuen Wohltaten der rotgrünen Regierung der Stadt Bern

Berner Stadtrat bewilligt Kredite für das «Pilotprojekt Testarbeitsplätze»

Die Arbeiterklasse muss sich auf neue «Wohltaten» der Obrigkeiten gefasst machen. Die rotgrüne Stadtregierung hat eine Lücke im Sozialhilfewesen ausgemacht, und will für deren Schliessung so bedeutenden und unvorhergesehen Aufwand betreiben, dass er dem Stadtparlament verschiedene Nachtrags- und Verpflichtungskredite unterbreiten musste, die am 8. April auch mit grosser Mehrheit bewilligt wurden. Das Ganze segelt unter dem aerodynamischen Titel eines «Pilotprojekts» und verwendet den zur Abkürzung den geflügelten Namen TAP, soll stehen für “Testarbeitsplätze”. Die Rede ist von einer neuen Wohltat der Regierung, welche in der “Palette von Dienstleistungen zur beruflichen und sozialen Integration” eine “Angebotslücke” schliessen soll. Der Stadtrat hat dem Programm mit 48 zu 13 Stimmen bei 8 Enthaltungen den Segen erteilt. Die bürgerliche Presse bejubelt diese Entscheide: “Berner Sozialhilfebetrüger müssen arbeiten gehen” (Berner Zeitung, 8.4.2010) und “Stadt Bern zieht die Schraube an” (20 Minuten, 8.4.2010).

Vorfrage: Was ist ein Pilotprojekt?

“Pilotprojekt” hat sich als bequemer Begriff in der Gesetzgebungstechnik der Regierenden eingebürgert. Darunter versteht man sachlich, zeitlich und räumlich beschränkte Projekte, die durch die gegenwärtige Geschäftspolitik, Gesetzgebung (weil Grundrechte, gesetzliche Mindestansprüche usw. entgegenstehen) oder oder durch das Budget nicht gedeckt sind. Mit dem schlanken Begriff “Pilotprojekt” lässt sich die Administration vom Gesetz befreien und wird ermächtigt, juristisches Niemandsland zu proklamieren, dieses alsdann zu bevölkern und zum Experimentierfeld für den klinischen Test von neuen Gangarten der Ausbeutung und Unterdrückung machen. Immer grössere Bereiche des Arbeitsmarkts werden umgestaltet und in den sogenannten 2. Arbeitsmarkt umgezont. Was dort unter Dutzenden von menschenfreundlichen Namen wie “Zwischenverdienst-Gelegenheit” und “Beschäftigungsprogramm” auf die Arbeitenden und Arbeitslosen niederprasselt, hat einen gemeinsamen Nenner. Es pfeift ein anderer Wind, es ist die reaktionäre Wende zu einem autoritären Modell der Bewirtschaftung der Arbeitskraft. Es ist die Entrechtung und Bevogtung immer grösserer Teile der Arbeiterklasse. Es ist der Versuch, das gesamte Lohngebäude und die sozialen Errungenschaften zum Einsturz zu bringen, indem man sie am Fundament trifft, das heisst an den untersten tragenden Stützbalken.

Unter den gegebenen Machtverhältnissen ist gewöhnlich nichts Gutes zu erwarten, wenn Regierungen aus kompetenzrechtlichen oder propagandistischen Gründen zu «Pilotprojekten» greifen. Der Schwung des Neoliberalismus und seine Fähigkeit zur Beeinflussung des Volkes hat merklich nachgelassen. Ein Gradmesser dafür ist der Sieg des Referendums in der Volksabstimmung vom 7. März 2010 über die Pensionskassen. Trotz millionenschwerer Progagandakampganen für die von Regierung und Parlament beschlossene Verschlechterung der Rentenformeln verwarfen die Schweizer die Vorlage mit einer wuchtigen Nein-Mehrheit von 73 Prozent. Es fand sich nicht ein einziger Kanton, der dem Bundeshaus ehrenhalber zugestimmt hätte. Im Gegensatz zur Stimmung der Massen stehen die regierenden Kreise und Spitzen der Bürokratie aber nach wie vor auf dem Boden des Neoliberalismus. Sie fühlen sich durch gesetzlich verankerte Rechte und Errungenschaften der werktätigen Bevölkerung eingeengt.

Bei dieser Sachlage sollten uns solche Bezeichungen wie «Pilotprojekt» hellhörig machen. Pilotversuch heisst die Marke des Schuhs, der zwischen Türe und Angel tritt, und eine Handvoll Klassengenossen zu Pfand und Geisel fordert, um dann den anderen an den Kragen zu gehen, zu Dutzenden, zu Hunderten oder zu Tausenden. Das geben die Projektmanager auch zu: «Die in den Pilotprojekten getesteten Modelle sollen später auf andere Gemeinden übertragbar sein». Was als harmloser Pilotversuch und humanitäre Hilfe der deutschen Bundeswehr begann, hat sich zum todbringenden Krieg deutscher Waffen in zahlreichen Ländern entwickelt. Ähnliche Propagandaformeln dienten zur Wiederbelebung von «ausserordentliche Befragungstechnicken» (lies: Folter). Und in Bern selbst: die Bettelverbote und Wegweisungsverfügungen gegen Arme, Alte und Kranke, die sich im Stadtzentrum aufhalten, und dergleichen mehr hat einmal als kleines Pilotprojekt angefangen. So wird die reaktionäre Fracht durch die Klippen der Wachsamkeit der Bevölkerung gelotst, wozu jede falsche Flagge recht ist, um die schwarzen Absichten zu bemänteln: Menschenrechte, Freiwilligkeit, Gewaltfreiheit, Emanzipation, Humanität, Fortschritt, Friedenssicherung, Armutsbekämpfung, Integration, Zivilisation, Demokratie, Freiheit, Vereinbarung, Entwicklungshilfe, Völkergemeinschaft und ähnliche erhabene Dinge sind längst zu Codewörtern für ihr Gegenteil verkommen: Im Wortschatz der Imperialisten und ihrer schwarz, weiss, rot oder grün geschürzten Lakaien bedeuten diese honigsüssen Reden nichts weiter als Raubüberfall des Menschen auf den Menschen, Vergewaltigung der Völker, Verhöhnung der Opfer.

Hauptfrage: Wo erblickt der Gemeinderat eine Angebotslücke?

Geht es um die materielle Stopfung des Loches zwischen Mindestbedarf und Einkommen (Lohn+Sozialhilfeleistungen), von dem die Armutsbetroffenen wissen. Spricht die rotgrüne Regierung von den Mängeln, die sich gegen Ende des Monats ins Unerträgliche steigern? Weit gefehlt! Als die Regierung hinschaute, blieb die grosse Lücke im Portemonnaie der Armen unerkannt. Vielleicht ist sie gerade auf den blinden Fleck der versammelten Regierungsaugen getroffen.

Besteht das lückenschliessende Angebot der gnädigen Ratsherren an die ärmsten Schichten der Arbeiterklasse vielleicht in einem Entgegenkommen an eine ihrer Forderungen, wie zum Beispiel die Forderungen, die darauf gerichtet sind, ihrer Ausgrenzung entgegenzuwirken, indem sie die Mobilität und soziale Vernetzung der von Arbeitslosigkeit und Armut Betroffenen und Bedrohten stärken:
- Befreiung der Armen von Gebühren und Tarifen, speziell kostenlose Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel und Kommunikationsnetze, Befreiung von Lernkosten wie Software-Lizenzen?
- Förderung der durch ihre Mittellosigkeit in jeder Hinsicht eingeschränkten Selbsthilfeorganisationen von Arbeitslosen und Armutsbetroffenen, und ihrer Einrichtungen (Informationsveranstaltungen, Internetcafés, Treffpunkte, Beratungsdienste, Zeitungen/Online-Projekte …)?

Nein! Die Regierung hat sich dicke Scheuklappen vor das linke Auge gebunden, um diese Kluften nicht ansehen zu müssen, die sich verbreitern und vertiefen. Die Regierung greift zum preussischen Monokel, wo der strenge Blick des rechten Auges nicht so sehr der Wahrnehmung der Realität, als vielmehr der Einschüchterung dienen soll. Die “Angebotslücke” in der in einem Arsenal des Klassenkampfs, das sich “Palette von Dienstleistungen zur beruflichen und sozialen Integration” nennt. besteht nach Regierungsmeinung im Mangel an Disziplinierungsinstrumenten, die man der Arbeiterklasse “anbieten” möchte, solange diese sich die besagten “Dienstleistungen zur Integration” bieten lässt. Wir zitieren aus den Ausführungen im Vortrag des Gemeinderates (in Bern der Name für die Stadtregierung) zur Begründung der Kreditbegehren an den Stadtrat (das kommunale Parlament):

“Die Stadt Bern verfügt … über eine differenzierte Palette an Dienstleistungen zur beruflichen und sozialen Integration. Es besteht jedoch eine Angebotslücke, wenn bei Sozialhilfeklientinnen und -klienten die Arbeitsmotivation unklar ist oder wenn ein Verdacht auf nicht deklariertes Arbeitseinkommen (Schwarzarbeit) besteht. Hier setzt das vorliegende Pilotprojekt –Testarbeitsplätze, TAP– an. Ziel von TAP ist es, Sozialhilfebeziehende, deren Situation für den Sozialdienst nicht klar fassbar ist, möglichst frühzeitig im Rahmen eines Arbeitseinsatzes abzuklären und weiterführende Strategien zu entwickeln. Diese Zielgruppe erhält auf der Basis eines privatrechtlichen Vertrags eine einmonatige Arbeitsstelle mit existenzsichernder Entlöhnung.1 Das Absolvieren des Arbeitseinsatzes ist in der Regel Voraussetzung für den (weiteren) Bezug von Sozialhilfe.” (Vortrag des Gemeinderates2)

Was schaut heraus: Ein rotgrüner Teppichklopfer

Es geht hier wie im gesamten zweiten Arbeitsmarkt um Öbungsgelände und Aufmarschgebiet für eine grössere Operation gegen die Arbeiterrechte: Genosse Rolf Zbinden (PdA) stellte den Vorgang in die Reihe der Schläge, die sich mit der systematischen Offensive des Kapitals gegen die Arbeiterklasse abfolgen, und kündigte Gegenmassnahmen an. Er verwies auf die zynische Rhetorik unter sozialdemokratischer Federführung, und fasste den objektiven Wert des Vortrags der Regierung in einem zusammen: es ist ein aussagekräftiges Eingeständnis über die wahren ZIele dieses Feldzugs. Überwälzung der Krisenfolgen auf die Opfer, Hinausdrängung der Armen aus der Sozialhilfe, unter dem Deckmantel der “Bestrafung von Missbrauch”.

«Der konzertierte Angriff auf alle Formen sozialer Sicherung und Solidarität ist zu offensichtlich, zu offensichtlich der Angriff auf die da unten – während sich die Bankrotteure schon wieder selbstgefällig die Hände reiben und Extraprofite einstreichen! Ja: Das hat System! Der Druck auf Sozialhilfe Beziehende, auf all jene, die aus der Erwerbsarbeit hinausgedrängt worden sind und somit ausser Lohn stehen – dieser Druck transformiert sich direkt und indirekt in Druck auf alle Arbeitenden, auf alle, die nur über ihre Arbeitskraft verfügen, und besonders auf die Lohnabhängigen der unteren Einkommensklassen.» (Votum Zbinden im Stadtrat, 8.4.2010)

Es mag ein Zufall sein, dass die Architekten dieses Schlages gegen die Arbeiterklasse ihr Projekt “TAP” mit dem Wortstamm des französischen Verbs taper (schlagen, klatschen) versehen haben. Die vorgesehenen “Testarbeitsplätze” sind in der Tat der Prototyp eines neuen Arbeitshauses, wo die Maschinen schneller gehen und mit Teppichklopfern gerüstet sind. Das bürgerlich-reformierte Bern, die in allen Wassern des Reformismus gewaschene Sozialdemokratie und das parlamentarische Grünzeug scheinen sich einig zu sein, dass sie das Proletariat härter anfassen wollen. Das rotgrüne Bern will beweisen, dass es auf dem Gebiet Demagogie schon einiges von Vorbildern wie Tony Blair und Joschka Fischer gelernt hat. Auch vom Bundesrat, der seinem Raubzug auf die Arbeitslosen bekanntlich ebenfalls die Weihe einer Tat zur Befreiung von “Gefangenen” verlieh3. Das Bürgertum ist so tief gesunken, und die Sozialdemokratie in ihm im Wettlauf mit den Grünen so tief in diesen Sumpf gefolgt, dass eine breite Mehrheit des Stadtrates dem “Pilotversuch” zustimmte. Bis heute verlangen und erhalten die herrschenden Klassen von der Religion die Bestätigung, dass Gott die Armut zur Prüfung des Menschen schuf. Im Schweisse seines Angesichts sollst du dein Brot essen, und von der Viper an den Fersen gebissen. Mit dem Pilotprojekt Testarbeitsplätze folgt die Stadt Bern dieser einseitigen (aus der Bronzezeit datierenden, von fortschrittlichen Kirchenleuten längst überwundenen) Theorie. Die Stadtregierung von Bern macht sich einmal mehr zum Vorreiter der reaktionären Wende auf ihrem Spezialgebiet, nämlich an der sensiblen Schnittstelle zwischen der Politik zur Vertiefung/Generalisierung der Armut und der Politik zur Repression der Grundrechte, um dem jedem erwarteten Widerstand zuvorzukommen.

Rechte Politik durch linke Regierungen

Wenn es die Herrschaftsinteressen gebieten, die Werktätigen zu desorientieren und ihren wachsenden Widerstand auf “unschädliche” Bahnen zu kanalisieren, oder wenn es darum geht, revolutionäre Wege “unbegehbar” zu machen, wenn es die Korrelation der Kräfte nicht zulässt, offen nach rechts zu regieren, weil die Rechtsparteien abgewirtschaftet haben, dann zögert das Kapital nicht, eine “rotgrüne”, “fortschritttliche” “Linksregierung” mit der Wahrung sei er Interessen zu beauftragen. Die klassischen Fälle sind die sozialdemokratischen Regierungen Kerenski, die deutsche SPD und ihre Partei und Regierungsleute vom Schlage eines Scheidemann, Ebert, Noske, Wels, die britische Labour Party unter Ramsey McDonald. Dito die explizit antireformistischen, revolutionären Wahlprogramme der von Deutschland her aufgepäppelten portugiesischen Sozialisten unter Parteichef Soares in den Revolutionsjahren. In ihrer jungfrischen Phase glänzen solche Parteien durch Arbeiterfreundlichkeit und Anti-NATO-Parolen wie die SPD bis in die 50er-Jahre, später die spanische PSOE, die griechische PASOK und anderer linke Vorzeige-Mitglieder der “Sozialistischen Internationale” mit Sitz in London. Giorgos Papandreos heisst der gegenwärtige Präsident dieser Neukonstituierung der zweieinhalbten Internationale. Ihr Logo, die rote Rose in der Faust, droht unter dem Vorsitz des griechischen Regierungschefs zum Symbol für den parasitären Würgegriff am arbeitenden Volk zu mutieren. Das gegenwärtige griechische Kabinett und die “Linkskoalition” von Island sind die jüngsten Beispiele dieser Taktik der Bourgeoisie.

Eine erwünschte Nebenfolge der Praxis, politische Rechtsschwenker durch «Linksregierungen» über die Bühne zu bringen, besteht darin, dass sich Enttäuschung und Wut über den Verrat der Wahlversprechen dieser Regierungen auf die Mühlen der Rechtsparteien lenken lassen. Dies erlaubt dem Kapital eine zweifache Ernte: nachdem seine Betriebe alle wirtschaftlichen Vorteile aus der Politik der “Links”-Regierung eingebracht haben, werden nun seine Parteimänner der Rechten ausgesandt, um die politische Ernte aus den wirtschaftlichen Folgen einzufahren.

Für uns Kommunisten ist damit klar: keine Kollaboration mit “Linksregierungen”, die den “rechten” die Arbeit abnehmen und ihnen den Weg pflastern. Unsere Politik gegenüber solchen “Linksregierungen” besteht vor allem in der Ausnützung des Umstandes, dass sie unsere Aufgabe der Entlarvung der opportunistischen “Linksparteien” erleichtern, da sie sich diese Leute gewöhnlich auf Ministerstühlen weitgehend selbst entlarven.

(14.04.2010/mh)

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1 Die Friss oder Stirb-Regel wird vom Gemeinderat nicht ausführlich begründet. Zur Verschanzung begnügt er sich mit Rückendeckung im kantonalem Recht, mit Sätzen wie diesem: «Gemäss geltendem Sozialhilfegesetz kann im Kanton Bern die Sozialhilfe bei unkooperativen Personen eingestellt werden.» Wie fadenscheinig diese Begründung ist, zeigt sich schon anhand ihrer juristischen Dürftigkeit: Im Hokuspokusverfahren verwandelt sich der Gemeinderat in einen Rechtsgutachter und spinnt aus dem Stroh einer kantonalrechtlichen “kann”-Formel das güldene “muss” der kommunalen Rechtspraxis vor Ort, an der Front, im Nahkampf der Klassenauseinandersetzungen.

2 Vortrag des Gemeinderates an den Stadtrat (vom 17.02.2010), Pilotprojekt «Testarbeitsplätze, TAP»; Verpflichtungskredit für die Jahre 2010 bis 2011 sowie Nachkredit zum Globalbudget 2010; http://www.bern.ch/stadtrat/sitzungen/termine/2010/10.000050/file

3 vgl. seine Ausführungen über den Abbau der Versicherungsleistungen: “Der vorgeschlagene Abbau der Fehlanreize zielt v.a. auf Personen, die lange in der Erwerbslosigkeit gefangen sind.” (Bundesrätliche Botschaft zur Önderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (vom 3. September 2008); siehe: Thomas Näf: Die 4. AVIG-Revision – Eine Kriegserklärung …


Siehe auch:


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