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Irland: Nein, die Völker wollen diese EU nicht

Mit über 53% Nein-Stimmen hat das Volk von Irland den sogenannten Vertrag von Lissabon verworfen und damit den Plänen der europäischen Mächte und des transnationalen Kapitals zum Ausbau ihrer supranationalen Herrschaftsstruktur und zur verstärkten Institutionalierung des Neoliberalismus und Militarismus eine Absage erteilt. Das Resultat ist umso bedeutender, wenn man berücksichtigt, dass die Befürworter des Vertrags über weit überlegene finanzielle Mittel verfügten, dass sie neben der Regierung auch die grossen Parteien und die Medien kontrollieren, dass Gegner systematisch eingeschüchtert wurden, und dass auch von EU-Seite her massive Druckversuche und Einmischungen erfolgten, die ein Klima der politischen Erpressung im Land geschaffen haben. Irland hat sich nicht klein kriegen lassen.

Merkel, Sarkozy und EU-Kommissionspräsident Barroso haben bereits angekündigt, dass sie den irischen Volksentscheid ignorieren wollen. Obwohl der Vertrag mit dem Nein eines Staates juristisch tot ist, fordern die EU-Mächtigen die Mitgliedstaaten auf, den Prozess der Ratifizierung fortzusetzen, wie dies der EU-Arbeitgeberverband “Businesseurope” sofort nach Bekanntgabe der Abstimmungsresultate verlangt hatte. Der bundesdeutsche Aussenminister Steinmeier (SPD) sprach von einem Rückschlag. “Trotzdem bin ich überzeugt, dass wir diesen Vertrag brauchen”, erklärte Steinmeier. “Deswegen halten wir an unserem Ziel fest, ihn in Kraft zu setzen.” Martin Schulz, Chef der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, rügte, dass in Irland nicht genug aufgeklärt worden sei, was wirklich in dem Vertrag von Lissabon stehe. Dieser Aussage sei hier nicht widersprochen. Nur: bei weniger Benebelung und besserer Aufklärung wäre die Nein-Quote vermutlich noch erheblich angestiegen.

Die EU-Linkspartei wird sich nach den Worten ihres Vorsitzenden Lothar Bisky “durch das Votum in Irland bestärkt, weiter für den notwendigen Politikwechsel in der EU einsetzen.” Dabei gaukelt er vor, dass die EU ihre Natur als Maschinerie zur Durchsetzung der imperialistischen Interessen ablegen könnte und interpretiert das irische Resultat so, als ginge es bloss darum, einer “falschen Ausrichtung der EU-Politik Einhalt [zu] gebieten”. Wer ein Europa der Solidarität, der sozialen Gerechtigkeit, des Friedens und der freundschaftlichen Zusammenarbeit unter den Völkern will, der muss auch die Gleichberechtigung der souveränen Staaten und ihre Selbstbestimmung in der Entwicklung des sozialen Fortschritts anerkennen. Die EU verbietet nichtkapitalistische Experimente. Die EU hebelt soziale und demokratische Errungenschaften aus, wie sie in den nationalen Gesetzgebungen fixiert wurden, und zwar fixiert in der Zeit um die Mitte des 20. Jahrhunderts und entsprechend den damaligen Kräfteverhältnissen. Um die in Zeiten der Not an die Arbeiterklasse gemachten Zugeständnisse zurückzunehmen, findet das Grosskapital kein geeigneteres Instrument als die EU-Richtlinien, welche fernab vom nationalen Parlamentstribünen ausgedacht werden und der demokratischen Debatte entzogen bleiben, und hinter denen sich die einzelnen Regierungen verstecken, um sich vor den eigenen Landsleuten um die Verantwortung zu drücken. Das alles hat System und ist nicht nur, wie Bisky meint, einer “falschen Grundausrichtung der EU-Politik” zu verdanken. Es handelt sich vielmehr um die typischen Mechanismen und Dynamiken, durch welche der EU-Zentralismus seine Aufgaben im Dienst der grossen Kapitalien und Mächte erfüllt.

Einige Kommentatoren nehmen nun Anstoss am “Privileg” des irischen Volks, und werfen den undankbaren Inselbewohnern vor, sie hätten dieses Vorrecht missbraucht, um den Prozess der europäischen Einigung zu blockieren. Sie nennen es “Privileg”, dass einzig die Iren ihr demokratisches und selbstverständliches Recht bewahrt haben, einen für ihre Zukunft weichenstellenden Entscheid durch Volksabstimmung zu treffen. Das pseudodemokratische Gejammer solcher Kommentatoren (- natürlich durfte Cohn-Bendit nicht unter ihnen fehlen – ) kann nicht ernst genommen werden. Vielmehr bestätigt das irische Resultat ganz klar, wie berechtigt die Befürchtungen der EU-Strategen waren, derenthalben sie sich veranlasst sahen, den Vertrag ohne Konsultation der Bevölkerung auf dem Parlamentsweg zu verabschieden. Die EU-Minister wissen sehr wohl, dass die Völker ihre EU nicht wollen. Bekanntlich handelt es sich beim Vertrag von Lissabon um eine neue Verpackung desselben Inhalts, der zuvor schon unter dem Namen Verfassungsvertrag vom niederländischen und vom französischen Volk abgelehnt worden war. Die Völker sind sich bewusst geworden, dass sie nichts Gutes von der EU zu erwarten haben. Jedes bisher abgehaltene Referendum hat dies aufs neue bestätigt.

Nie haben die europäischen Völker gesagt, dass sie eine übernationale Verfassung für nötig erachten würden. Nie haben sie sich über die Abgrenzungen des sogenannten Europa geäussert, und niemals haben sie gesagt, dass ein Land wie Serbien von diesem Europa als Feind zu betrachten und zu bekriegen sei. Nie haben die Völker ihren Regierungen den Auftrag erteilt, auf Ministerebene eine solche Verfassung auszuhandeln. Weder haben die Völker Gelegenheit erhalten, eine verfassungsgebende Versammlung zu wählen, noch konnten die Parteien ihre unterschiedlichen Verfassungskonzepte in einem Wahlkampf einander gegenüberstellen. Die Inhalte des Vertrags von Lissabon sind ebenso demokratiefeindlich wie die Art und Weise, wie der Vertrag durchgeboxt werden sollte.

Dem irischen Volk gebührt Anerkennung und Dank aller Werktätigen Europas. Mit seinem souveränen Entscheid hat es einen wichtigen Beitrag geleistet, um die Angriffe des Grosskapitals gegen die werktätigen Klassen und gegen die Unabhängigkeit der Staaten ebenso wie die imperialistischen Kriegspläne der EU-Grossmächte zu bremsen. Der Sieg des Nein schafft günstigere Vorbedingungen für den Kampf der Arbeiterklasse gegen die bedrohlichen EU-Politiken wie die neueste schändliche Richtlinie über die Rückführung von Immigranten, die Arbeitszeitdirektive zur Verlängerung der Arbeitszeit bis auf 65 Wochenstunden, die Richtlinie über die Liberalisierung der öffentlichen Dienste, sowie Attacken des Europäischen Gerichtshofs auf das kollektive Arbeitsrecht. (13.06.08)

Siehe auch:

Ȣ Themendossier EU
»¢ EU-Minister wollen Önderung der Arbeitszeit bis 65 Wochenstunden
»¢ KP und fortschrittliche Kräfte von Irland im Referendumskampf gegen den EU-Vertrag
»¢ PCP: Solidaritätsbotschaft an die Kommunistische Partei von Irland
Ȣ Kommunistische und Arbeiterparteien: Gemeinsame Stellungnahme zum EU-Vertrag
»¢ PdA Bern: Partei der Arbeit zur Europäischen Union
»¢ PdA Zürich: Kopfschütteln zum Applaus des EDA für den EU-Vertrag von Lissabon
Ȣ Kosovo-Politik zeigt die aggressive Natur der EU
»¢ EU-Referendum in Irland: Empörung nach Veröffentlichung geheimer Regierungsdokumente

Externe Links: