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Ist ein Leben in Würde für alle finanzierbar?


von Thomas Näf, Präsident Kabba, zum Tag gegen Armut und Ausgrenzung 2008


Siehe Artikel zum Tag gegen Armut 2009: Armut und soziale Ausgrenzung - Ist kein Kraut dagegen gewachsen?, sowie: Ablenkungsmanöver «Sozialmissbrauch»


Zum Tag gegen Armut und Ausgrenzung

Seit Jahren schmettern die kapitalistischen Regierungen jede Forderung der Arbeiterklasse an den Staat ab. Sogar noch dann, wenn die Berechtigung der Forderung nicht ernsthaft bestritten werden kann, behaupten die Finanzminister, sie könnten kein Geld auftreiben. Weil sich leider kein Geld auffinden liess, um die Leistungen für Arbeitslose zu bezahlen, gingen die Regierungen dazu über, die Arbeitslosenversicherung zu durchlöchern, grössere Teile der Arbeiterklasse von der Versicherung auszuschliessen und die Leistungen zu senken. Ebenso strichen sie die übrigen Sozialversicherungen zusammen. Sie sagen, es fehlt an Geld für Schulen, Spitäler und viele andere öffentliche Einrichtungen. Einrichtungen im Besitz der öffentlichen Hand wurden an Private verkauft. Nach all den Jahren der vergeblichen Suche nach einigen Geldscheinen, haben die Finanzminister wie durch ein Wunder und über Nacht Hunderte von Milliarden entdeckt, um den allergrössten Banken und Versicherungskonzernen solche Einspritzungen zu verabreichen, wie sie der Bush/Paulson-Plan vorsieht.1 Diese Entwicklung beweist, dass es nicht an den Finanzierungsmöglichkeiten scheitert, sondern am politischen Willen mangelt, der Armut zu begegnen. Die kapitalistischen Staaten hätten Geld genug, um Allen ein Leben in Würde zu garantieren.Â

Wir glauben nicht an den Storch

Wenn die Regierungen kein Gehör für die Armutsbetroffenen haben, wenn sie eine Politik betreiben, welche immer neue Kreise in die Armut stösst, dann glauben wir ihnen nicht, dass es ihnen ums Sparen allein geht. Man kann ihre Politik auch nicht allein mit dem Geiz der Reichen erklären, deren Vermögen in den letzten Jahren explosionsartig vermehrt wurden. Das zentrale Interesse der Kapitalisten besteht darin, uns auf dem Arbeitsmarkt zu Barfüssern zu machen, die dem nackten Zwang ausgesetzt werden, ihre Haut zu verkaufen und ihre Arbeitskraft zu beliebig schlechten Bedingungen anzubieten.

Die Kapitalisten verlangen vom Staat eine Arbeitsmarktpolitik, welche ihnen möglichst viel entrechtete Arbeitskräfte zutreibt. Diese Politik ist so alt wie der Kapitalismus. Sie begann in England vor Jahrhunderten mit den Bauernvertreibungen und mit Zerstörung der dörflichen Wirtschaftsstruktur. Dieselbe Stossrichtung zeigt sich heute am deutlichsten auf dem Gebiet der Arbeitslosenunterstützungen und der Sozialpolitik. Hunderte von Vorschriften und Massnahmen sind seit 1990 ersonnen und realisiert worden, um den Zwang auf die Lohnabhängigen zu verschärfen. Das schweizerische Arbeitslosenrecht wurde zu einer Maschinerie ausgebaut, um diesem Interesse zu dienen. Solche Rechtsbegriffe des Arbeitslosengesetzes wie die »arbeitsmarktliche Massnahmen«, »zumutbare Arbeit« oder der »Zwischenverdienst« wurden uminterpretiert und wirken in ihrer Kombination heute wie eine Zwangsbewirtschaftung der Arbeit.2

Die Grundtendenz der kapitalistischen Arbeitsmarktpolitik zeigt sich ebenso gut in der Einwanderungspolitik. Unter dem schönfärberischen Titel der »Personenfreizügigkeit« werden Neuerungen durchgesetzt, die insgesamt darauf hinaus laufen, die Gesamtarbeitsverträge auszuhebeln und mit dem kollektiven Arbeitsrecht Schluss zu machen.3 Der Europäische Gerichtshof hat in mehreren Urteilen erkennen lassen, was die Bourgeoisie unter Freizügigkeit und unter Menschenrechten versteht. Die Entscheide Rüffert, Viking, Laval haben die Geltung von Tarifverträgen weitgehend eingeschränkt. Auf Klage der EU-Kommission hat das Gericht auch weite Teile des luxemburgischen Arbeitnehmerschutzes für EU-rechtswidrig erklärt.4 Damit wird die öffentliche Hand verpflichtet, ihre Aufträge auch an Unternehmer zu vergeben, welche die orts- und branchenüblichen Tarife krass unterbieten. Bundesrat Merz hat angekündigt, dass er das schweizerische Recht auf dem Gebiet des Submissionswesens auch in diesem Sinne umkrempeln will.

Mit oder ohne Lohn hungern?

Die Politik der Regierenden, die sich unmittelbar gegen die Armutsbetroffenen richtet, zielt also in Wirklichkeit auch auf die Rechte der breiten lohnabhängigen Bevölkerung. Die Politik gegen die Immigranten richtet sich auch gegen die Einheimischen. Lassen wir uns also nicht beirren, wenn die Kapitalvertreter in Politik und Medien versuchen, die einen gegen die anderen aufzuhetzen. Lassen wir uns nicht vormachen, dass es bei den Schmutzkampagnen gegen Betroffene wirklich darum gehe, Missbräuche zu bekämpfen. Wir glauben auch nicht im Ernst, dass unserer Gesellschaft die Arbeit ausgehen würde. Wenn die »Arbeitgeber« wirklich keine Arbeitskraft bräuchten, dann liesse sich schlecht erklären, warum sie zur Zwangsarbeit greifen und mit dem Mittel von EU-Richtlinien die Wochenarbeitszeit auf 65 Stunden erhöhen wollen.5 Die Angriffe gegen Arbeitslose und Armutsbetroffene sind ein Teil der Offensive, die sich gegen alle Lohnabhängigen richtet. Dies wird auch deutlich anhand der wachsenden Zahl der »Working poor«, die zu Löhnen arbeiten, welche nicht einmal den Betrag erreichen, den die Regierungen selbst als Existenzbedarf definiert haben.

Fassen wir zusammen: das Recht der Arbeiterklasse, sich zusammenzuschliessen und ihre Vertragsbedingungen kollektiv auszuhandeln, ist den Kapitalisten ein Dorn im Auge. Ihr Angebot an die »Sozialpartner« für die Zukunft lautet: Mit oder ohne Lohn hungern!

Thomas Näf,
Präsident kabba.ch

Gedruckt erschienen in: «Vorwärts – die sozialistische Zeitung», 64. Jahrgang, Nr. 37/38, Seite 1 (17.10.2008)

 

Fussnoten:

1 siehe auch: Altpapier für 60 Milliarden?

2 Betroffene wollen arbeitnehmerfeindliche Revision der Arbeitslosenversicherung verhindern

3 Zum Charakter der EU-Personenfreizügigkeit

4 Zu den einzelnen Urteilen siehe: EU-Gerichtshof schleift das kollektive Arbeitsrecht zu Boden

5 EU-Minister wollen Önderung der Arbeitszeit bis 65 Wochenstunden